Begriff und Grundprinzipien der Justizgerichtsbarkeit
Einordnung im Rechtsschutzsystem
Die Justizgerichtsbarkeit bezeichnet die staatliche Rechtsprechung, die in erster Linie zivilrechtliche Streitigkeiten entscheidet, strafrechtliche Verantwortung feststellt und Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit (zum Beispiel Register-, Nachlass- und Grundbuchsachen) wahrnimmt. Im deutschen Recht wird hierfür häufig auch der Begriff der ordentlichen Gerichtsbarkeit verwendet. Sie steht neben den sogenannten Fachgerichtsbarkeiten (Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit) und der Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Abgrenzung erfolgt nach dem jeweiligen Streitgegenstand und den beteiligten Personen.
Die Justizgerichtsbarkeit ist Teil der Gewaltenteilung. Sie ist unabhängig, an Recht und Gesetz gebunden und entscheidet in einem geregelten Verfahren über individuelle Rechtspositionen und staatliche Strafansprüche.
Aufgabenbereiche
Die Aufgaben der Justizgerichtsbarkeit lassen sich in drei große Bereiche gliedern:
Zivilrechtspflege
Entscheidung über Ansprüche zwischen privaten oder privatrechtlich handelnden Beteiligten. Dazu zählen Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen, aber auch Familiensachen (etwa Ehe- und Kindschaftssachen), Betreuungs- und Unterbringungsangelegenheiten, Insolvenzsachen sowie zahlreiche Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Urteile und Beschlüsse können zu Vollstreckungsmaßnahmen führen.
Strafrechtspflege
Feststellung von Straftaten, Entscheidung über Schuld und Rechtsfolgen sowie Anordnung strafprozessualer Maßnahmen. Die Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft geführt; Gerichte überwachen und entscheiden über Zwangsmaßnahmen, leiten die Hauptverhandlung und sprechen das Urteil.
Freiwillige Gerichtsbarkeit
Gerichtliche Verfahren ohne klassischen Streit zwischen zwei Parteien, etwa Eintragungen in Register, Grundbuchsachen, Nachlass- und Betreuungssachen. Ziel ist rechtliche Ordnung und Sicherheit durch staatliche Mitwirkung.
Leitprinzipien
Wesentliche Grundsätze sind die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter, der Anspruch auf den gesetzlichen Richter, rechtliches Gehör, faires Verfahren, Öffentlichkeit der Verhandlung mit gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen, Unschuldsvermutung im Strafverfahren, Waffengleichheit und Verhältnismäßigkeit. Diese Prinzipien sichern Vertrauen, Transparenz und Rechtsfrieden.
Aufbau und Organisation
Instanzenzug und Gerichtsarten
Die Justizgerichtsbarkeit ist in mehreren Ebenen organisiert. Unterhalb der Bundesebene entscheiden erstinstanzlich in vielen Fällen die Amtsgerichte, in bedeutenderen Zivil- und Strafsachen die Landgerichte. Für Rechtsmittel sowie bestimmte erstinstanzliche Verfahren sind die Oberlandesgerichte zuständig. An der Spitze steht der Bundesgerichtshof als Revisionsgericht und höchste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
Innerhalb der Gerichte bestehen spezialisierte Spruchkörper, etwa Zivilkammern, Strafkammern, Familiengerichte, Betreuungsgerichte, Insolvenzgerichte und Handelssachen-Kammern.
Spruchkörper und Beteiligte
Entscheidungen ergehen durch Einzelrichter, Kammern oder Senate. In bestimmten Bereichen wirken ehrenamtliche Richter mit, im Strafverfahren insbesondere Schöffinnen und Schöffen; in Handelssachen Handelsrichter aus dem Wirtschaftsleben. Die Staatsanwaltschaft ist ein eigenständiges Organ der Rechtspflege und tritt im Strafverfahren als Anklagebehörde auf. Weitere Verfahrensbeteiligte sind Parteien oder Angeklagte, Nebenkläger, Nebenintervenienten sowie Zeugen und Sachverständige.
Zuständigkeiten
Die Zuständigkeit richtet sich nach sachlichen, örtlichen und funktionellen Kriterien. Bei Zivilsachen spielen der Streitgegenstand, Spezialzuständigkeiten und der Wert des Streitgegenstands eine Rolle. Im Strafverfahren ist die Schwere des Tatvorwurfs maßgeblich. Örtlich zuständig ist in Zivilsachen regelmäßig das Gericht am Wohn- oder Sitzort der beklagten Partei oder der Ort des streitigen Geschehens, im Strafverfahren der Tatort oder Aufenthaltsort. Innerhalb eines Gerichts entscheidet die Geschäftsverteilung über den gesetzlichen Spruchkörper.
Verfahren in Zivil- und Strafsachen
Zivilverfahren
Ein Zivilverfahren beginnt grundsätzlich mit der Klageeinreichung und der Zustellung an die beklagte Partei. Es folgt das schriftliche Vorverfahren und die mündliche Verhandlung. Das Gericht klärt den Sachverhalt, erhebt Beweise (zum Beispiel durch Zeugenaussagen, Urkunden, Sachverständigengutachten) und entscheidet durch Urteil. Neben Urteilen sind auch Beschlüsse und Vergleiche möglich. Vorläufiger Rechtsschutz kann im Eilverfahren gewährt werden. Nach Rechtskraft ist die Zwangsvollstreckung zur Durchsetzung möglich.
Strafverfahren
Das Strafverfahren gliedert sich in Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren. Die Staatsanwaltschaft führt die Ermittlungen, unterstützt von der Polizei. Das Gericht kontrolliert Eingriffe und entscheidet über die Eröffnung des Hauptverfahrens. In der Hauptverhandlung werden Beweise erhoben, Anträge gestellt und am Ende ein Urteil gesprochen. Besonderheiten sind Schutzrechte von Beschuldigten, die Beteiligung von Nebenklägern sowie Adhäsionsverfahren zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafprozess.
Rechtsmittel und Rechtskraft
Arten von Rechtsmitteln
Zentrale Rechtsmittel sind Berufung und Revision, daneben bestehen Beschwerden gegen bestimmte Entscheidungen. Rechtsmittel dienen der Fehlerkontrolle, können Tatsachen- und Rechtsfragen oder nur Rechtsfragen betreffen und haben je nach Ausgestaltung aufschiebende Wirkung. Der Instanzenzug sichert gleiche Anwendung des Rechts und Fortbildung der Rechtsprechung.
Rechtskraft und Wiederaufnahme
Nach Ausschöpfung oder Ablauf der Rechtsmittelfristen tritt formelle Rechtskraft ein. Materielle Rechtskraft bindet die Beteiligten an die getroffene Entscheidung. Außerordentliche Rechtsbehelfe und Wiederaufnahmeverfahren sind nur unter engen, gesetzlich geregelten Voraussetzungen möglich, etwa bei neuen Tatsachen oder gravierenden Verfahrensmängeln.
Rechtsschutzgarantien und Transparenz
Öffentlichkeit und Schutzinteressen
Gerichtsverhandlungen sind grundsätzlich öffentlich, um Transparenz zu gewährleisten. Ausnahmen bestehen etwa zum Schutz Minderjähriger, von Persönlichkeitsrechten, bei schutzwürdigen Geschäftsgeheimnissen oder zur Sicherung der Verfahrensordnung. In solchen Fällen kann die Öffentlichkeit beschränkt werden.
Kosten und Finanzierung
Gerichtliche Verfahren verursachen Kosten, unter anderem Gerichtsgebühren und Auslagen. Im Zivilverfahren entscheidet das Gericht regelmäßig über die Kostentragung. Unterstützung kann durch Verfahrenskostenhilfe oder Prozesskostenhilfe gewährt werden, wenn gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind. Im Strafverfahren werden Kosten nach den jeweiligen Ergebnissen verteilt.
Digitalisierung und Zugänglichkeit
Die Justizgerichtsbarkeit entwickelt den elektronischen Rechtsverkehr, die elektronische Akte und Videoverhandlungen weiter. Zustellungen, Fristenmanagement und Akteneinsicht werden zunehmend digital unterstützt, um Verfahren effizient und nachvollziehbar zu gestalten.
Abgrenzung zu anderen Gerichtsbarkeiten
Fachgerichtsbarkeiten
Verwaltungsgerichte entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Bürgern und Verwaltung, Arbeitsgerichte über arbeitsrechtliche Konflikte, Sozialgerichte über Angelegenheiten der sozialen Sicherung und Finanzgerichte über Abgabenangelegenheiten. Die Justizgerichtsbarkeit ist zuständig, wenn der Kern des Streits privatrechtlicher Natur ist oder Strafrecht betroffen ist.
Verfassungsgerichtsbarkeit
Verfassungsgerichte prüfen die Vereinbarkeit staatlichen Handelns und von Normen mit der Verfassung und schützen Grundrechte durch spezielle Verfahren. Sie sind keine weitere Instanz der Justizgerichtsbarkeit, sondern eigenständig. Berührungspunkte bestehen, wenn fachgerichtliche Entscheidungen an verfassungsrechtlichen Maßstäben gemessen werden.
Internationale Bezüge
Zusammenarbeit und Anerkennung
Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten arbeitet die Justizgerichtsbarkeit mit ausländischen Behörden und Gerichten zusammen. Dazu gehören Rechtshilfe, Zustellungen, Beweisaufnahmen im Ausland sowie Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach internationalen und europäischen Vorgaben.
Menschenrechtliche Standards
Die Verfahren orientieren sich an Grund- und Menschenrechten, insbesondere am Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. Diese Standards prägen Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts.
Selbstverwaltung und Aufsicht
Gerichtsverwaltung und Dienstaufsicht
Organisation, Personal und Ausstattung der Gerichte liegen bei den zuständigen Justizverwaltungen. Innerhalb der Gerichte besteht eine Dienstaufsicht, die jedoch die richterliche Unabhängigkeit in der Sache nicht berührt. Für dienstrechtliche Fragen richterlicher Tätigkeit existiert eine eigene Dienstgerichtsbarkeit. Die Geschäftsverteilung wird jährlich im Voraus festgelegt und veröffentlicht.
Qualitätssicherung und Transparenz
Durch Geschäftsverteilungspläne, statistische Erhebungen, Fortbildung und interne Abstimmung wird eine verlässliche, einheitliche und transparente Rechtsprechung angestrebt. Einheitlichkeit fördern zudem Leitentscheidungen höherer Instanzen.
Häufig gestellte Fragen zur Justizgerichtsbarkeit
Was umfasst die Justizgerichtsbarkeit?
Sie umfasst Zivil- und Strafverfahren sowie Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Dazu zählen privatrechtliche Streitigkeiten, die Ahndung von Straftaten und Verfahren wie Register-, Nachlass- oder Grundbuchsachen.
Wie ist die Justizgerichtsbarkeit aufgebaut?
Der Aufbau erfolgt mehrstufig: erstinstanzliche Gerichte (häufig Amts- oder Landgerichte), Rechtsmittelinstanzen (Landgerichte oder Oberlandesgerichte) und als höchste Instanz der Bundesgerichtshof. Spezialisierte Spruchkörper bearbeiten bestimmte Materien.
Worin unterscheidet sie sich von der Verwaltungsgerichtsbarkeit?
Die Justizgerichtsbarkeit entscheidet vor allem über privatrechtliche und strafrechtliche Angelegenheiten. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit behandelt öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Einzelnen und Behörden, etwa in Genehmigungs- oder Leistungsangelegenheiten.
Welche Rolle spielt die Staatsanwaltschaft?
Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren im Strafrecht, erhebt Anklage und vertritt diese in der Hauptverhandlung. Sie ist Teil der Rechtspflege, aber kein Gericht. Zwangsmaßnahmen bedürfen gerichtlicher Kontrolle.
Welche Rechtsmittel stehen zur Verfügung?
Je nach Verfahren gibt es Berufung, Revision und verschiedene Beschwerdemöglichkeiten. Sie dienen der Überprüfung von Entscheidungen durch eine höhere Instanz und sichern die Einheitlichkeit der Rechtsprechung.
Sind Verhandlungen öffentlich?
Zumeist ja. Der Grundsatz der Öffentlichkeit dient Transparenz und Kontrolle. Zum Schutz besonderer Interessen kann die Öffentlichkeit in gesetzlich vorgesehenen Fällen ausgeschlossen oder beschränkt werden.
Wie werden Kosten in Gerichtsverfahren verteilt?
Im Zivilverfahren entscheidet das Gericht regelmäßig über die Kostentragung, häufig orientiert am Obsiegen oder Unterliegen. Im Strafverfahren richtet sich die Kostenfolge nach dem Verfahrensausgang. Unterstützungsinstrumente wie Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe sind gesetzlich vorgesehen.