Legal Lexikon

Jury

Begriff und Grundprinzip der Jury

Eine Jury ist ein aus der Bevölkerung zufällig oder halb-zufällig ausgewähltes Gremium, das in bestimmten Rechtssystemen über zentrale Fragen eines Gerichtsverfahrens entscheidet. In Strafsachen geht es regelmäßig um die Frage der Schuld oder Unschuld der angeklagten Person, in Zivilsachen um die Feststellung von Haftung und gegebenenfalls die Höhe eines Schadensersatzes. Die Jury ist damit ein Instrument bürgerlicher Teilhabe an der Rechtsprechung und soll die Entscheidungsmacht nicht ausschließlich bei Berufsrichterinnen und Berufsrichtern belassen.

Der Begriff wird vor allem in Rechtsordnungen mit anglo-amerikanischer Prägung verwendet. In Deutschland existiert keine Jury im klassischen Sinne; hier wirken Laien in Form von Schöffinnen und Schöffen in gemischten Spruchkörpern mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern zusammen.

Rechtsnatur und Funktionen

Aufgaben im Strafverfahren

In Strafverfahren beurteilt die Jury typischerweise, ob die Beweise ausreichen, um die Schuld der angeklagten Person festzustellen. Sie trifft die Tatsachenentscheidung; das Gericht leitet das Verfahren, legt die maßgeblichen rechtlichen Maßstäbe dar und spricht das Urteil formell aus. Die Strafzumessung erfolgt je nach Rechtsordnung durch das Gericht oder unter Mitwirkung der Jury.

Aufgaben im Zivilverfahren

In Zivilprozessen entscheidet eine Jury häufig über strittige Tatsachenfragen und darüber, ob eine Partei haftet. In einigen Rechtsordnungen entscheidet sie zudem über die Höhe eines zugesprochenen Betrags oder anderer Rechtsfolgen.

Grand Jury und Anklagefunktion

In einigen Ländern existiert die Grand Jury als besonderes Gremium, das nicht über Schuld oder Unschuld urteilt, sondern prüft, ob ausreichende Anhaltspunkte für eine Anklage bestehen. Ihre Sitzungen sind in der Regel nicht öffentlich; die Schwelle für eine Anklage ist niedriger als die für eine Verurteilung in der Hauptverhandlung.

Zusammensetzung und Auswahl

Voraussetzungen und Ausschlussgründe

Die Teilnahme an einer Jury setzt in der Regel ein Mindestalter, Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsstatus, Sprachkenntnisse und persönliche Eignung voraus. Ausschlussgründe können etwa bestimmte Vorstrafen, Interessenkonflikte oder gesundheitliche Gründe sein. Ziel ist eine unparteiische und leistungsfähige Besetzung.

Auswahlverfahren und Befragung

Die Auswahl beginnt meist mit einer zufälligen Ziehung aus Registern (zum Beispiel Meldedaten oder Wählerverzeichnisse). Im Gericht findet eine Befragung statt (oft als voir dire bezeichnet), um Befangenheit oder Ungeeignetheit zu erkennen. Beteiligte können begründete Ablehnungen beantragen; in manchen Rechtsordnungen existieren darüber hinaus begrenzte Ablehnungsmöglichkeiten ohne Begründung.

Verpflichtung, Verschwiegenheit und Entschädigung

Jurymitglieder leisten einen Eid oder eine Verpflichtung auf Unparteilichkeit und Geheimhaltung. Für den Zeitaufwand ist häufig eine gesetzlich geregelte Aufwandsentschädigung vorgesehen; Arbeitgeber stellen für die Dauer des Dienstes frei, soweit die jeweiligen arbeitsrechtlichen Regelungen dies vorsehen.

Verfahrensablauf und Entscheidungsfindung

Beweisaufnahme und Instruktion

Das Gericht bestimmt die Verfahrensordnung und welche Beweise zugelassen werden. Nach Abschluss der Beweisaufnahme erhalten Jurymitglieder Belehrungen zu den anzuwendenden rechtlichen Maßstäben und zum Aufbau der Beratung.

Beratung, Abstimmung und Urteil

Die Beratung findet nichtöffentlich statt. Über das Ergebnis wird abgestimmt. Je nach Rechtsordnung sind Einstimmigkeit oder qualifizierte Mehrheiten erforderlich. Wird keine erforderliche Mehrheit erreicht, kann es zu einem sogenannten hängenden Verfahren (hung jury) und in der Folge zu einer Verfahrensbeendigung ohne Entscheidung oder zu einer Wiederholung des Verfahrens kommen. Das formelle Urteil verkündet das Gericht.

Geheimhaltung und Abschirmung

Um unzulässige Einflussnahmen zu verhindern, bestehen strenge Vorgaben zur Geheimhaltung der Beratungen. In besonders aufsehenerregenden Verfahren kann das Gericht die Jury während des Prozesses zeitweise von der Außenwelt abschirmen (Sequestrierung).

Entscheidungsmaßstäbe

Strafsachen

Der Maßstab für eine Verurteilung liegt im Strafverfahren regelmäßig sehr hoch: Die Jury muss überzeugt sein, dass die Schuld über vernünftigen Zweifel hinaus feststeht. Dieser Standard soll der Schwere staatlicher Sanktionen Rechnung tragen.

Zivilsachen

In Zivilverfahren genügt in vielen Rechtsordnungen, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen überwiegend wahrscheinlich sind. Die Beweislast liegt grundsätzlich bei der klagenden Partei.

Rechtsfolgen, Kontrolle und Grenzen

Rechtsmittel und Überprüfbarkeit

Juryentscheidungen unterliegen gerichtlicher Kontrolle. Rechtsmittel sind insbesondere bei Verfahrensfehlern, unzulässiger Beweisverwertung, fehlerhaften Instruktionen oder unzulässiger Einflussnahme möglich. Die interne Beratung der Jury bleibt dabei regelmäßig unantastbar; überprüft wird das Verfahren, nicht die geheime Abstimmung.

Ungültigkeit und Wiederaufnahme

Kommt es zu schweren Verstößen gegen die Verfahrensregeln, kann ein Urteil aufgehoben werden. Ein ergebnisloses Verfahren infolge einer nicht einigungsfähigen Jury führt nicht zu einer abschließenden Sachentscheidung; eine erneute Verhandlung ist in vielen Rechtsordnungen zulässig.

Jury-Nullifikation

Als faktisches Phänomen wird mitunter beschrieben, dass Jurymitglieder wider rechtlicher Vorgaben aus Gewissensgründen freisprechen. In den meisten Rechtsordnungen ist dies weder vorgesehen noch Gegenstand offizieller Belehrungen; Gerichte betonen die Bindung der Jury an die rechtlichen Instruktionen.

Pflichten, Schutz und Sanktionen

Unparteilichkeit und Vertraulichkeit

Jurymitglieder müssen unvoreingenommen bleiben, dürfen nicht eigenständig ermitteln und sollen Medienberichterstattung zum Verfahren vermeiden. Die Vertraulichkeit der Beratung ist grundsätzlich dauerhaft zu wahren.

Missachtung des Gerichts

Verstöße gegen Anordnungen des Gerichts, unerlaubte Kommunikation über das Verfahren oder Recherchehandlungen können sanktioniert werden. Ziel ist die Sicherung eines fairen, unbeeinflussten Verfahrens.

Schutz vor Einflussnahme

Es bestehen Maßnahmen zum Schutz gegen Druck, Bestechungsversuche oder Drohungen. Unzulässige Kontaktaufnahme mit Jurymitgliedern ist in der Regel untersagt und kann straf- oder ordnungsrechtliche Folgen haben.

Internationale und rechtsvergleichende Perspektiven

Common-Law-Staaten

In den USA, im Vereinigten Königreich, in Kanada und in Australien hat die Jury eine zentrale Rolle. Zusammensetzung und Abstimmungsregeln variieren: So umfasst die schottische Jury traditionell 15 Personen mit Mehrheitsentscheidung, während in England und Wales zwölf Personen eingesetzt werden. In den USA sind in Strafsachen meist zwölf Personen vorgesehen; in Zivilsachen kommen teils kleinere Jurys zum Einsatz. Die Grand Jury ist insbesondere in den USA verbreitet.

Kontinentaleuropa

Viele kontinentaleuropäische Staaten nutzen Mischsysteme. Frankreichs cour d’assises vereint Geschworene mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern. In Italien entscheidet die Corte d’Assise ebenfalls in gemischter Besetzung. Spanien kennt in bestimmten Strafverfahren eine Laienjury. In Deutschland wurden klassische Geschworenengerichte abgeschafft; stattdessen wirken Schöffinnen und Schöffen in gemischten Spruchkörpern mit.

Historische Entwicklung

Die Jury hat Wurzeln im mittelalterlichen England und entwickelte sich zu einem Instrument bürgerlicher Mitwirkung an der Rechtsprechung. Über die Kolonialzeit gelangte das Institut in zahlreiche Länder. Im 20. Jahrhundert kam es zu Reformen, die Rolle und Zuständigkeit von Jurys anpassten. In Deutschland wurde das Geschworenensystem im frühen 20. Jahrhundert aufgegeben und durch gemischte Spruchkörper ersetzt.

Vorteile und Kritikpunkte

  • Demokratische Legitimation: Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Rechtsprechung.
  • Lebensnahe Tatsachenwürdigung: Vielfalt der Erfahrungen und Perspektiven.
  • Transparenz und Kontrolle: Zusätzliche Ebene neben dem Gericht.
  • Kritikpunkte: Zeit- und Kostenaufwand, mögliche Unberechenbarkeit, Einfluss durch Medien, Belastung der Beteiligten, komplexe Beweis- und Rechtsfragen.

Begriffe und Abgrenzungen

Jury und Geschworene

Mit Jury ist das Gremium als Ganzes gemeint; einzelne Mitglieder werden als Geschworenes bezeichnet. In einigen Sprachen und Ländern werden unterschiedliche Bezeichnungen verwendet.

Jury versus Schöffengericht

Im Schöffengericht entscheiden Laien gemeinsam mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern. Die Jury hingegen berät und entscheidet ohne Beteiligung des Gerichts über Tatsachen; das Gericht bleibt für Rechtsfragen und Verfahrensleitung zuständig.

Grand Jury versus Petit Jury

Die Grand Jury prüft, ob eine Anklage erhoben werden soll. Die Petit Jury (Hauptverhandlungsjury) entscheidet in der Hauptsache über Schuld oder Haftung.

Häufig gestellte Fragen zur Jury

Was unterscheidet eine Jury von Schöffinnen und Schöffen in Deutschland?

Eine Jury entscheidet eigenständig über Tatsachenfragen, während das Gericht die Rechtsanwendung vorgibt. In Deutschland entscheiden Schöffinnen und Schöffen gemeinsam mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern; eine von diesen getrennte Jury existiert nicht.

In welchen Verfahren kommt eine Jury typischerweise zum Einsatz?

Je nach Land vor allem in Strafprozessen mit schwerwiegenden Vorwürfen sowie in bestimmten Zivilprozessen, etwa bei Ansprüchen auf Schadensersatz. Zuständigkeiten und Schwellenwerte unterscheiden sich zwischen den Rechtsordnungen.

Muss ein Juryurteil einstimmig sein?

Nicht zwingend. In einigen Rechtsordnungen ist Einstimmigkeit erforderlich, in anderen genügt eine qualifizierte Mehrheit. Die genauen Regeln variieren je nach Land und Verfahrensart.

Was ist eine Grand Jury?

Eine Grand Jury prüft in einem Vorverfahren, ob ausreichende Anhaltspunkte für eine Anklage bestehen. Sie entscheidet nicht über Schuld oder Unschuld und tagt in der Regel nicht öffentlich.

Dürfen Juryberatungen veröffentlicht werden?

Nein. Die Beratungen sind grundsätzlich vertraulich und nichtöffentlich. Dieser Schutz dient der Unabhängigkeit, dem freien Meinungsaustausch und der Integrität des Verfahrens.

Kann gegen ein Juryurteil ein Rechtsmittel eingelegt werden?

Ja. Rechtsmittel richten sich insbesondere gegen Verfahrensfehler, unzulässige Einflussnahmen oder fehlerhafte Instruktionen. Die geheime Willensbildung der Jury selbst wird hierbei regelmäßig nicht offengelegt.

Wie wird unzulässige Einflussnahme auf Jurymitglieder verhindert?

Durch Befragung bei der Auswahl, gerichtliche Anordnungen zur Vertraulichkeit, Kontaktverbote, Anweisungen zum Medienumgang und in Ausnahmefällen durch Abschirmung während der Verhandlung.

Welche Anforderungen gelten für die Auswahl von Jurymitgliedern?

Es bestehen Mindestvoraussetzungen wie Alter, Sprachkenntnisse und persönliche Eignung. Ausschlussgründe betreffen unter anderem Befangenheit, Interessenkonflikte oder gesundheitliche Gründe. Einzelheiten sind je nach Rechtsordnung unterschiedlich geregelt.