Legal Lexikon

Jury


Begriff und Bedeutung der Jury im Rechtssystem

Der Begriff Jury bezeichnet eine Gruppe von neutralen Personen, die in unterschiedlichen Ausprägungen des Rechtssystems für die Entscheidung über Schuld oder Unschuld beziehungsweise über bestimmte Sachverhalte aufgerufen wird. Die Einführung der Jury geht historisch auf das englische Recht zurück und wurde vor allem im angloamerikanischen Raum verbreitet. Im deutschen Rechtsverständnis unterscheidet sich die Funktion und Ausgestaltung der Jury erheblich von Systemen des Common Law.

Historische Entwicklung der Jury

Ursprung im englischen Recht

Die Jury entwickelte sich im Hochmittelalter ursprünglich als Untersuchungsorgan im englischen Recht. Die Mitglieder einer frühen Jury hatten die Aufgabe, als Zeugen der Anklage gegenüberzutreten. Im Laufe der Zeit wandelte sich ihre Rolle zur Entscheidung über Schuld und Unschuld in Strafsachen.

Verbreitung im angloamerikanischen Rechtskreis

Mit der Ausweitung des britischen Empires fand das Juriesystem Verbreitung in einer Vielzahl von Ländern, vor allem in den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und anderen Commonwealth-Staaten. Heute bildet die Jury insbesondere im US-amerikanischen Recht einen zentralen Bestandteil der Rechtsprechung.

Ausgestaltung der Jury in unterschiedlichen Rechtsordnungen

Jury im Common Law

Im Common Law unterscheidet sich eine Jury grundsätzlich von einem Spruchkörper aus Berufsrichtern. Die Jury setzt sich hier typischerweise aus zwölf unparteiischen Laien zusammen, die durch ein spezielles Auswahlverfahren bestimmt werden. Ihre Hauptaufgaben liegen in der Tatsachenentscheidung („finding facts“) bei Straf- und Zivilprozessen. Die Rechtsanwendung erfolgt hingegen durch das Gericht.

Strafprozess

Im Strafverfahren entscheiden Jurys insbesondere über Schuld oder Unschuld des Angeklagten. Das berühmteste Beispiel ist das angloamerikanische Schwurgerichtsverfahren („trial by jury“), das in den Vereinigten Staaten durch die Verfassung geschützt wird (Sixth Amendment).

Zivilprozess

Auch im Zivilrecht kann eine Jury entscheiden. Hier entscheidet die Jury oftmals über die Feststellung wesentlicher Tatsachenfragen, etwa bei Schadensersatzklagen oder Haftungsfragen.

Kontinentaleuropäische Systeme

Im kontinentalen Europa, zu dem auch Deutschland gehört, sind reine Laienjurys unüblich. Während sie in Frankreich mit dem klassischen Schwurgericht (Jury d’assises) noch vorhanden sind, wurden sie in Deutschland durch das Gerichtsverfassungsgesetz 1924 abgeschafft und durch gemischte Spruchkörper – sogenannte Schöffengerichte – ersetzt. Diese setzen sich aus Berufsrichtern und Schöffen zusammen.

Mischformen

In einigen Ländern bestehen heute Mischformen aus Laien und Berufsrichtern. Diese „gemischten Jurygerichte“ finden sich unter anderem in Österreich, Italien und Frankreich.

Rechtliche Rahmenbedingungen und Verfahren

Auswahl und Zusammensetzung der Jury

Die Auswahl einer Jury erfolgt in der Regel durch Zufallsprinzip aus einem Pool der Bevölkerung. Die Kandidaten werden auf Befangenheit überprüft. Die eigentliche Besetzung erfolgt im Rahmen des Auswahlverfahrens durch „Voir Dire“, bei dem Anklage und Verteidigung Ablehnungsgründe geltend machen können.

Neutralität und Unparteilichkeit

Die Unparteilichkeit der Mitglieder ist essenziell für die Rechtmäßigkeit eines Juryurteils. Im Rahmen der Verfahrenslehre bestehen umfangreiche Kataloge an Ablehnungs- und Ausschlussgründen, um die Objektivität zu gewährleisten.

Entscheidungsfindung

Im klassischen Juryverfahren ziehen sich die Mitglieder zur Beratung zurück und fällen ihr Urteil („Verdikt“) ausschließlich auf Basis der erhobenen Tatsachen. Die notwendige Mehrheit zur Urteilsfindung kann variieren; in vielen Rechtssystemen ist Einstimmigkeit erforderlich.

Bindungswirkung

Im angloamerikanischen Recht ist das durch eine Jury gefällte Urteil für das Gericht bindend – lediglich Verfahrensfehler oder unzulässige Einflussnahmen können Anlass für eine Aufhebung geben.

Kritik und Reformdebatten

Vorteile der Jury

Befürworter sehen in der Jury eine demokratische Kontrolle der Rechtsprechung und eine Beteiligung der Allgemeinheit an der Rechtspflege. Sie soll insbesondere Willkür und rechtsstaatlichen Missbrauch seitens des Staates verhindern.

Kritikpunkte

Kritik richtet sich an möglichen mangelnden Fachkenntnissen der Jurymitglieder, der Gefahr der Beeinflussung durch Medien und Emotionen sowie der Intransparenz des Entscheidungsprozesses. Die Rechtsprechung könnte so schwer überprüfbaren Zufälligkeiten unterliegen.

Reformbestrebungen

In europäischen Rechtsordnungen wurde die klassische Jury in vielen Staaten abgeschafft oder reformiert und durch gemischte Gerichte ersetzt, die sowohl Fachkompetenz als auch demokratische Beteiligung gewährleisten sollen.

Zusammenfassung und Bedeutung in der Gegenwart

Die Jury stellt im internationalen Rechtsvergleich ein charakteristisches Element des Common Law dar. Sie dient als Symbol für bürgerliches Mitspracherecht in der Rechtsprechung, stellt aber hohe Anforderungen an Auswahl, Neutralität und Verfahren. In Deutschland und weiteren kontinentaleuropäischen Ländern wurde sie durch Mischformen oder andere Beteiligungsmodelle ersetzt. Im angloamerikanischen Bereich bleibt sie weiterhin Grundlage eines bedeutenden Teils der Rechtsprechung, wobei Diskussionen über Effizienz, Gerechtigkeit und Reformbedarf anhalten.

Häufig gestellte Fragen

Wer bestimmt die Zusammensetzung einer Jury im gerichtlichen Verfahren?

Die Zusammensetzung einer Jury wird im Regelfall durch spezifische rechtliche Vorgaben und Verfahren bestimmt, die sich aus den jeweiligen Verfahrengesetzen ergeben. In Staaten mit Juryverfahren – beispielsweise in den USA oder Großbritannien – wird eine Liste potenzieller Geschworener („Venire“) erstellt, meist auf Basis von Wählerverzeichnissen oder Einwohnermelderegistern. Aus diesem Pool werden die Geschworenen im Rahmen eines Auswahlverfahrens, dem sogenannten „Jury Selection“ (USA) oder „Voir Dire“ (UK), ausgewählt. Dabei haben sowohl die Anklage als auch die Verteidigung das Recht, potenzielle Geschworene ohne Angabe von Gründen (sog. „peremptory challenges“) oder aus wichtigem sachlichen Grund („for cause challenges“) abzulehnen. Die endgültige Jury wird sodann durch Los oder Reihenfolge festgelegt. In kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, in denen eine Jury in Form von Schöffengerichten oder Laienrichtern existiert, wird die Besetzung meist durch Zufall determiniert, wobei die Kandidaten von einem zuständigen Gremium benannt und zur Verfügung gestellt werden. Wichtige Ausschlussgründe sind verwandtschaftliche Beziehungen, eigene Interessen am Verfahren sowie bestimmte Vorstrafen oder Berufsgruppen (z. B. Justizangehörige).

Welche Aufgaben hat eine Jury im Verlauf eines Strafprozesses?

Die Aufgaben einer Jury variieren je nach Rechtsordnung, betreffen jedoch regelmäßig das Feststellen von Tatsachen und, in einigen Systemen, die Entscheidungsfindung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten. Sie sind ausschließlich für die Bewertung der Beweisaufnahme und die Feststellung des tatsächlichen Sachverhalts zuständig, während die Anwendung und Interpretation des Rechts dem Berufsrichter obliegt. In den USA ist die Jury in Strafprozessen für das „Verdict“ – also die Entscheidung über Schuld oder Unschuld – verantwortlich. In einigen Rechtssystemen entscheidet die Jury zudem über das Strafmaß, in anderen ist dies Aufgabe des Gerichts nach dem Schuldspruch. In Zivilverfahren kann die Jury über die Haftungsfrage und in manchen Fällen auch über die Höhe des Schadensersatzes befinden. Die Tätigkeit der Jury ist durch strenge Verfahrensregeln (z. B. Verbot der Außenkommunikation während der Beratung, Pflicht zur Unparteilichkeit) abgesichert.

Welche Voraussetzungen müssen Bürger erfüllen, um als Jurymitglied in Betracht gezogen zu werden?

Als Jurymitglied kann grundsätzlich jeder volljährige Bürger seines Landes berufen werden, sofern keine gesetzlichen Ausschlussgründe vorliegen. Zu den typischen Voraussetzungen zählen die Staatsangehörigkeit, ein Wohnsitz im betreffenden Gerichtsbezirk, ein Mindestalter (oft 18 Jahre), die Fähigkeit, die Landessprache zu sprechen und die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit. Ausgeschlossen sind regelmäßig Personen, die unter Betreuung stehen, vorbestraft sind, selbst Amtsträger der Justiz sind oder aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, das Amt wahrzunehmen. Darüber hinaus gibt es neben den gesetzlichen Ausschlussgründen auch Ablehnungsrechte der Parteien im Verfahren. In Deutschland kommen im Rahmen des Schöffenamts ähnliche Regeln zur Anwendung, allerdings ist das Verfahren durch die Festlegung von Schöffenlisten besonders geregelt.

Welche rechtliche Bindung haben Juryentscheidungen für das Gericht?

Entscheidungen der Jury („Verdikte“) sind im angloamerikanischen Rechtssystem grundsätzlich für das Gericht bindend, sofern sie ordnungsgemäß zustande kommen. Das Gericht kann jedoch in begründeten Ausnahmefällen (z. B. bei offensichtlichen Fehlentscheidungen oder rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung) ein Urteil aufheben oder ein neues Verfahren anordnen. Im amerikanischen Recht spricht man vom „Judgment notwithstanding the verdict“ (JNOV) oder der „Directed Verdict“ durch den Richter, wenn das Verdikt der Jury offenkundig widersprüchlich zu den Beweisen steht oder das Verfahren nachweislich fehlerbehaftet war. In kontinentaleuropäischen Systemen, in denen Laienrichter mit Berufsrichtern gemeinsam entscheiden, ist das Teilergebnis der Laienrichter zwar bedeutsam, aber nicht selbständig bindend – hier entscheidet ein Gremium insgesamt.

Unterliegen Jurymitglieder einer Schweigepflicht bzw. Geheimhaltungspflichten?

Jurymitglieder unterliegen strengen Schweigepflichten. Sie dürfen über die internen Beratungen, die Abstimmung und die Begründung ihres Urteils keine Auskünfte an Dritte geben, weder während des laufenden Verfahrens noch danach. Diese Pflicht dient dem Schutz der Unabhängigkeit sowie der Unparteilichkeit der Jury und der Vermeidung von Druckversuchen, Einflussnahmen oder Repressalien nach dem Verfahren. Verstöße gegen diese Geheimhaltungspflicht können mit rechtlichen Sanktionen belegt werden. In manchen Ländern werden die Mitglieder zudem während der gesamten Zeit des Verfahrens isoliert oder intensiver Kontrolle unterworfen, um eventuelle Beeinflussungen von außen zu verhindern.

Welche Rechte und Pflichten haben Jurymitglieder während des Verfahrens?

Jurymitglieder sind verpflichtet, an allen Verhandlungstagen teilzunehmen, aufmerksam der Verhandlung zu folgen, sich unparteiisch zu verhalten und keine eigenen Nachforschungen anzustellen. Sie müssen sich ausschließlich auf die im Verfahren eingeführten Beweise und Zeugenaussagen stützen. Das Einbringen eigener Erfahrungen, Meinungen oder von Informationen außerhalb des Prozesses ist untersagt. Die Mitglieder der Jury haben das Recht, Fragen an Zeugen indirekt zu stellen (über den Richter) und müssen etwaigen Hinweisen oder Anweisungen des Richters (sog. „Jury Instructions“) Folge leisten. Die Säumnis oder absichtliche Pflichtverletzung kann mit Geldbußen oder sogar Freiheitsstrafen geahndet werden.

Inwiefern ist die Juryunabhängigkeit gesetzlich abgesichert?

Die Unabhängigkeit der Jury ist ein zentraler rechtsstaatlicher Grundsatz, der vielfältig abgesichert wird: durch Vorschriften zur Unbeeinflussbarkeit, zur Unparteilichkeit bei der Auswahl, durch Verschwiegenheitspflichten, das Verbot externer Meinungsbildung sowie die Kontrolle der Verfahrensabläufe durch den vorsitzenden Richter. Verstöße gegen diese Grundprinzipien können zur Aufhebung des Urteils und zur Wiederholung des Verfahrens führen. In vielen Staaten ist die Verletzung der Juryunabhängigkeit (z. B. Bestechung oder Bedrohung von Jurymitgliedern) ein eigener Straftatbestand.

Wie werden Jurymitglieder im Verfahren geschützt?

Jurymitglieder werden durch eine Vielzahl rechtlicher und organisatorischer Maßnahmen geschützt. Dazu zählt etwa der Schutz ihrer persönlichen Daten, der Ausschluss von Medienkontakt während des Verfahrens, im Einzelfall sogar die Unterbringung an geschützten Orten („Sequestration“). Darüber hinaus gibt es Maßnahmen gegen Versuche der Beeinflussung oder Einschüchterung, wie Anonymität im Urteil oder Begleitschutz durch Polizeibehörden. In gravierenden Fällen kommt auch Zeugenschutz in Betracht, insbesondere wenn das Verfahren in Zusammenhang mit organisierter Kriminalität steht. Der Schutz soll sicherstellen, dass Jurymitglieder frei von äußerem Druck und unter Wahrung ihrer persönlichen Sicherheit ihre verantwortungsvolle Aufgabe erfüllen können.