Legal Lexikon

Jugendhilfe


Begriffsbestimmung und rechtlicher Rahmen der Jugendhilfe

Die Jugendhilfe bildet in Deutschland den Oberbegriff für sämtliche Leistungen und Aufgaben, die Kinder, Jugendliche, junge Volljährige sowie deren Familien und andere Erziehungsberechtigte unterstützen. Sie ist in erster Linie im Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – geregelt. Die Jugendhilfe verfolgt dabei das Ziel, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern, Benachteiligungen abzubauen oder zu vermeiden und das Kindeswohl zu sichern.

Rechtsgrundlagen der Jugendhilfe

Das Sozialgesetzbuch (SGB VIII) als zentrale Rechtsgrundlage

Das SGB VIII bildet die zentrale gesetzliche Grundlage der Jugendhilfe. Es trat am 1. Januar 1991 in Kraft und löste das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) ab. Das Gesetz regelt die Strukturen, die Aufgaben, die Leistungen sowie die Zuständigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe. Zu den wichtigsten Vorschriften zählen unter anderem:

  • §§ 1-10 SGB VIII: Allgemeine Vorschriften und Grundsätze
  • §§ 11-41 SGB VIII: Leistungen der Jugendhilfe
  • §§ 42-60b SGB VIII: Andere Aufgaben, z. B. Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
  • §§ 61-85 SGB VIII: Organisation und Träger der Jugendhilfe

Weitere Rechtsquellen

Neben dem SGB VIII greifen auch Vorschriften aus anderen Gesetzen, etwa dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) im Familienrecht, dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) sowie verschiedenen Landesgesetzen zu Angelegenheiten örtlicher Jugendhilfestrukturen.

Organisation und Träger der Jugendhilfe

Öffentliche und freie Träger

Die Jugendhilfe ist nach dem Prinzip der Trägerpluralität organisiert, das heißt, es bestehen öffentliche und freie Träger nebeneinander. Zu den öffentlichen Trägern zählen die Jugendämter (örtliche Träger) und die überörtlichen Träger (z. B. Landesjugendämter). Freie Träger sind insbesondere gemeinnützige Vereine, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und andere anerkannte Organisationen (§ 75 SGB VIII).

Grundsatz der Subsidiarität: Leistungen der öffentlichen Träger kommen grundsätzlich nur dann zum Tragen, soweit sie nicht durch freie Träger erbracht werden können.

Jugendhilfeausschuss und Jugendamt

Das Jugendamt besteht grundsätzlich aus einer Verwaltung und dem Jugendhilfeausschuss (§ 70, § 71 SGB VIII). Der Jugendhilfeausschuss ist ein Gremium aus Vertretern der öffentlichen Verwaltung und der freien Träger und entscheidet insbesondere über Fachfragen, Grundsätze und Grundlagendokumente.

Zentrale Aufgabenbereiche der Jugendhilfe

Die Aufgaben der Jugendhilfe lassen sich in verschiedene zentrale Bereiche gliedern:

Leistungen der Jugendhilfe

Förderung der Erziehung in der Familie

Zu den kernmäßigen Leistungen zählen Angebote der Familienberatung, Erziehungsberatung, Freizeitpädagogik, Familienbildung sowie die Förderung der Erziehung in der Familie nach §§ 16-21 SGB VIII.

Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege

Gemäß §§ 22-24 SGB VIII besteht ein Rechtsanspruch auf Förderung in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Diese umfassen Betreuung, Förderung und Bildung der Kinder.

Hilfen zur Erziehung

Ein wesentliches Element sind die sogenannten Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII). Sie werden auf Antrag der Personensorgeberechtigten gewährt, wenn eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Hierzu zählen ambulante, teilstationäre und stationäre Maßnahmen:

  • Erziehungsberatung und Sozialpädagogische Familienhilfe
  • Erziehung in Heimen oder sonstigen betreuten Wohnformen (§ 34 SGB VIII)
  • Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35 SGB VIII)
  • Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a SGB VIII)

Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

Eine zentrale Aufgabe ist der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII. Diese Vorschrift verpflichtet die Jugendämter zum Eingreifen, wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls bestehen. Die Umsetzung erfolgt unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und, soweit möglich, in Zusammenarbeit mit den Sorgeberechtigten.

Angebote für junge Volljährige

Auch junge Volljährige bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres können unter bestimmten Voraussetzungen Unterstützung erhalten (§ 41 SGB VIII).

Leistungen für unbegleitete minderjährige Ausländer

Für unbegleitete minderjährige Ausländer besteht ein Anspruch auf Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII), Unterbringung, Betreuung und Unterstützung.

Beteiligung und Mitwirkung

Kinder, Jugendliche und deren Personenberechtigte haben nach Maßgabe des § 8 SGB VIII ein Recht auf Beteiligung, Anhörung und Beratung. Entscheidungen werden kind- oder jugendgerecht kommuniziert und die Selbstbestimmung geachtet.

Finanzierung der Jugendhilfe

Die Finanzierung der Jugendhilfe erfolgt überwiegend durch öffentliche Mittel auf kommunaler und Landesebene nach Maßgabe von § 79 SGB VIII. Daneben können Eigenleistungen von Leistungsberechtigten verlangt werden, sofern dies gesetzlich vorgesehen ist.

Aufsicht und Kontrolle

Jugendhilfeleistungen unterliegen der Fach- und Rechtsaufsicht durch die übergeordneten Behörden. Anerkannte Träger werden auf Einhaltung gesetzlicher Standards überwacht, insbesondere im Bereich Kinderschutz und Qualitätsentwicklung (§ 79a SGB VIII).

Kooperationen mit anderen Institutionen

Die Jugendhilfe kooperiert eng mit Schulen, Gesundheitsämtern, Polizei, Justiz und weiteren Einrichtungen, um eine umfassende Hilfestruktur zu gewährleisten. Dazu zählen auch Verfahren zur frühen Intervention bei Kindeswohlgefährdung oder multiplen Problemlagen.

Entwicklung und Reformen der Jugendhilfe

Das SGB VIII wurde mehrfach reformiert, zuletzt durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (2021), um das System der Kinder- und Jugendhilfe an gesellschaftliche Veränderungen und neue Herausforderungen, wie das Thema Inklusion oder die Digitalisierung, anzupassen.

Zusammenfassung

Die Jugendhilfe stellt ein komplexes und umfassendes Unterstützungssystem im deutschen Sozialrecht dar. Sie umfasst präventive, beratende und schützende Aufgaben und bietet vielfältige Maßnahmen zur Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Familien. Die Rechtsgrundlagen sind detailliert im SGB VIII geregelt und werden laufend an neue gesellschaftliche Bedarfe angepasst. Ein besonderes Gewicht liegt auf dem Schutz und der Förderung des Kindeswohls sowie der Beteiligung der Adressaten. Die Jugendhilfe ist somit ein zentrales Element des Kinder- und Jugendschutzes sowie der Familienförderung in Deutschland.

Häufig gestellte Fragen

Wer hat einen rechtlichen Anspruch auf Jugendhilfe?

Ein rechtlicher Anspruch auf Jugendhilfe ergibt sich in Deutschland insbesondere aus dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich junge Menschen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres (§ 7 SGB VIII), wozu Kinder, Jugendliche und junge Volljährige zählen. Auch Personensorgeberechtigte und Erziehungsberechtigte können einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung haben. Der Anspruch ist jedoch grundsätzlich bedarfsabhängig: Die Leistungen der Jugendhilfe setzen eine individuelle Bedarfsprüfung voraus, bei der ermittelt wird, ob und welche Hilfen erforderlich sind, um die Entwicklung des jungen Menschen zu fördern oder eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung sicherzustellen. Die Ausgestaltung der einzelnen Hilfen – zum Beispiel Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII), Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a SGB VIII) oder Hilfen für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) – ist oft mit weiteren Anspruchsvoraussetzungen verbunden, wie beispielsweise der Feststellung einer Gefährdung des Kindeswohls oder einer Behinderung. Die Gewährung der Leistung erfolgt auf Antrag der Sorgeberechtigten oder auch, im Falle der Selbstständigkeit, des jungen Menschen selbst. Der öffentliche Träger, regelmäßig das Jugendamt, prüft die Voraussetzungen und entscheidet mittels Verwaltungsakt über die Gewährung der Hilfe. Bei Ablehnung besteht für die Betroffenen das Recht auf Widerspruch und in letzter Instanz auf Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Wie erfolgt die Antragstellung auf eine Leistung der Jugendhilfe rechtlich korrekt?

Die Antragstellung auf eine Leistung der Jugendhilfe muss grundsätzlich formfrei erfolgen, das heißt, sie kann mündlich, schriftlich oder zur Niederschrift beim Jugendamt gestellt werden. Aus Beweisgründen ist jedoch eine schriftliche Antragstellung ratsam. Der Antrag sollte die benötigte Leistung möglichst konkret benennen sowie eine Beschreibung des Hilfebedarfs enthalten. Nach § 8a Abs. 1 SGB VIII ist das Jugendamt verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 SGB X), sobald Anhaltspunkte für einen Bedarf bestehen. Nach Antragstellung beginnt das Jugendamt mit einer sogenannten Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII), bei der die Situation gemeinsam mit den Beteiligten analysiert und der konkrete Hilfebedarf festgestellt wird. Die Entscheidung des Jugendamtes wird in der Regel durch einen schriftlichen Bescheid (Verwaltungsakt nach § 35 SGB X) bekannt gegeben, durch den die Bewilligung oder Ablehnung einer Jugendhilfeleistung rechtlich verbindlich geregelt wird.

Welche Mitwirkungspflichten bestehen im Verfahren der Jugendhilfe?

Im Verfahren zur Gewährung von Jugendhilfe bestehen für die Beteiligten umfassende Mitwirkungspflichten. Diese leiten sich insbesondere aus § 66 SGB I sowie §§ 60 ff. SGB I ab. Antragsteller und Erziehungsberechtigte sind verpflichtet, alle für die Feststellung des Bedarfs oder die Durchführung der Hilfe wesentlichen Tatsachen anzugeben und entsprechende Nachweise vorzulegen. Im Rahmen der Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII) ist die Mitwirkung bei Gesprächen, Hausbesuchen und bei der Entwicklung eines Hilfeplans erforderlich. Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten kann zur Ablehnung oder sogar zur Rücknahme gewährter Leistungen führen (§ 66 SGB I). Besteht eine akute Gefährdung des Kindeswohls (§ 8a SGB VIII), ist das Jugendamt auch berechtigt, Maßnahmen gegen den Willen der Beteiligten zu treffen. Dennoch ist die Jugendhilfe grundsätzlich dialog- und partizipationsorientiert ausgestaltet, um eine einvernehmliche Lösung im Sinne des Kindeswohls zu erzielen.

Welche Rechtsmittel stehen bei Ablehnung einer Jugendhilfeleistung zur Verfügung?

Wird eine Jugendhilfeleistung ganz oder teilweise abgelehnt, erhält der Antragsteller einen schriftlichen Ablehnungsbescheid (Verwaltungsakt). Gegen diesen Bescheid können die Betroffenen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch beim zuständigen Jugendamt einlegen (§ 84 SGG, § 70 VwGO). Wird auch nach Prüfung des Widerspruchs die Hilfe nicht gewährt, ergeht ein Widerspruchsbescheid. Dagegen kann innerhalb eines Monats Klage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden (§ 74 VwGO). Die Klage hat aufschiebende Wirkung, es sei denn, das Gericht ordnet anders (§ 80 VwGO). Bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung bleibt die Ablehnung wirksam. Allerdings gibt es die Möglichkeit, im gerichtlichen Eilverfahren im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO beantragen, um die sofortige Gewährung einer Jugendhilfeleistung zu erreichen, wenn eine besondere Dringlichkeit vorliegt und das Kindeswohl akut gefährdet ist.

Wie regelt das Gesetz den Datenschutz und die Schweigepflicht im Jugendhilfeverfahren?

Im Kontext der Jugendhilfe sind der Datenschutz sowie die Verschwiegenheitspflicht aus rechtlicher Sicht besonders streng geregelt. Der Schutz personenbezogener Daten richtet sich nach § 65 SGB VIII sowie ergänzend nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Daten dürfen nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Jugendhilfe erforderlich ist. Eine Weitergabe der Daten an andere Stellen, auch innerhalb der Verwaltung, ist nur mit ausdrücklicher Rechtsgrundlage oder mit Einwilligung der betroffenen Person zulässig. Mitarbeiter und Fachkräfte der Jugendhilfe unterliegen außerdem der Schweigepflicht (§ 203 StGB, § 65 SGB VIII), die nur in gesetzlich festgelegten Ausnahmefällen, wie etwa bei einer Gefährdung des Kindeswohls (§ 8a SGB VIII) oder aufgrund gerichtlicher Anordnung, durchbrochen werden darf.

Welche rechtlichen Besonderheiten gelten für junge Volljährige in der Jugendhilfe?

Für junge Volljährige (Personen im Alter von 18 bis 27 Jahren) sieht das SGB VIII unter § 41 vor, dass auch sie einen Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe haben können, wenn und soweit die Hilfe „aufgrund der individuellen Situation und Entwicklung“ notwendig ist. Die rechtlichen Voraussetzungen unterscheiden sich insofern, als dass geprüft wird, ob der junge Mensch „auf die Hilfe noch angewiesen ist“ und ob diese „geeignet und notwendig“ ist, um eine eigenverantwortliche und selbstständige Lebensführung zu ermöglichen. Der Anspruch ist im Gegensatz zu minderjährigen Kindern und Jugendlichen nicht mehr unbeschränkt, sondern an eine besondere Begründung des fortbestehenden Hilfebedarfs gebunden. Die Leistung endet spätestens mit Vollendung des 27. Lebensjahres, kann aber im Einzelfall, etwa bei bereits begonnener Maßnahme, noch für einen engen Übergangszeitraum fortgeführt werden (sogenannte „Hilfe für einen angemessenen Zeitraum“).

In welchem Umfang haben Eltern Mitspracherechte im Rahmen der Hilfeplanung?

Eltern (Personensorgeberechtigte) haben im Rahmen der gesetzlichen Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII weitreichende Mitspracherechte. Die Jugendhilfe ist nach dem Grundsatz der Beteiligung und Partizipation ausgestaltet. Die Eltern sind aktiv in die Bedarfsermittlung, Zielformulierung und Auswahl der Hilfeform einzubeziehen. Die Hilfemaßnahmen werden gemeinsam mit Eltern und ggf. Kindern und Jugendlichen geplant und im sogenannten Hilfeplan schriftlich festgehalten. Änderungen der Hilfeleistung sind erneut gemeinsam zu besprechen und abzustimmen. Nur in Fällen, in denen das Kindeswohl eine sofortige andere Maßnahme erfordert, kann das Jugendamt einseitig handeln (§ 8a SGB VIII). Bei fortdauernden Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern und Jugendamt besteht die Möglichkeit, Unterstützung durch eine ins Verfahren einzubindende Fachkraft oder sogar ein gerichtliches Verfahren (Familiengericht) in Anspruch zu nehmen, sofern eine Einigung nicht möglich ist. Das Beteiligungsrecht dient letztlich sowohl dem Rechtsschutz der Eltern als auch dem Kindeswohl.