Begriff und rechtliche Einordnung der Jugendgerichtshilfe
Die Jugendgerichtshilfe ist ein zentrales Element des deutschen Jugendstrafrechts. Sie ist als Teil der Jugendhilfe im System der Kinder- und Jugendhilfe institutionell verankert und erfüllt zentrale Aufgaben im Rahmen eines Jugendstrafverfahrens (§§ 38 ff. Jugendgerichtsgesetz – JGG). Im Kern verfolgt die Jugendgerichtshilfe das Ziel, die besonderen erzieherischen, sozialen und individuellen Bedürfnisse junger Menschen im Jugendstrafverfahren zu berücksichtigen und die für eine angemessene Sanktion erforderlichen Informationen bereitzustellen.
Gesetzliche Grundlagen
Sozialgesetzbuch – Achtes Buch (SGB VIII)
Die rechtliche Basis der Jugendgerichtshilfe lässt sich aus folgenden bedeutsamen Rechtsquellen ableiten:
Sozialgesetzbuch (SGB) VIII: § 52 Abs. 2 SGB VIII formuliert einen grundsätzlichen Auftrag der öffentlichen Jugendhilfe, im Jugendstrafverfahren mitzuwirken.
Jugendgerichtsgesetz (JGG): Die spezifischen Aufgaben der Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende werden in den §§ 38 bis 50 JGG ausführlich geregelt.
Die Jugendgerichtshilfe ist regelmäßig im Jugendamt angesiedelt und wird von dort organisatorisch getragen.
Subjektiver und sachlicher Geltungsbereich
Die Tätigkeit der Jugendgerichtshilfe bezieht sich auf alle Personen im Sinne des JGG, d. h.:
Jugendliche (14-17 Jahre)
Heranwachsende (18-20 Jahre, soweit das Jugendstrafrecht angewendet wird, § 105 JGG)
Eltern sowie andere Erziehungsberechtigte und sorgeberechtigte Personen werden ebenso in die Arbeit einbezogen.
Aufgaben und Funktionen der Jugendgerichtshilfe
Mitwirkung im Jugendstrafverfahren
Die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe sind gesetzlich in § 38 Abs. 2 JGG geregelt. Sie umfassen insbesondere:
Teilnahme an allen Verfahrensabschnitten: Pflicht zur Mitwirkung von Beginn des Ermittlungsverfahrens bis zur Vollstreckung von Maßnahmen
Ermittlung und Weitergabe sozialer und erzieherischer Gesichtspunkte: Berichterstattung an Staatsanwaltschaft und Jugendgerichte
Empfehlung geeigneter erzieherischer Maßnahmen: Unterstützung bei der Entscheidung über erzieherisch zweckmäßige Sanktionen (§ 10 JGG)
Unterstützung und Begleitung der Jugendlichen/Hernawachsenden und deren Familien: Beratung und Betreuung während aller Phasen des Verfahrens
Aufgaben im Ermittlungsverfahren
Bereits im Ermittlungsverfahren wirken die Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe an der Vorbereitung der Entscheidung über den weiteren Verlauf des Verfahrens mit. Dabei arbeiten sie eng mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht zusammen (§ 38 Abs. 3 JGG). Sie nehmen Kontakt zu den betroffenen jungen Menschen, deren Angehörigen und gegebenenfalls weiteren Bezugspersonen auf, um ein umfassendes Bild der sozialen Situation zu erhalten.
Teilnahme an der Hauptverhandlung
Die Jugendgerichtshilfe ist verpflichtet, an der Hauptverhandlung teilzunehmen (§ 38 Abs. 2 Satz 2 JGG). Sie hat dabei das Recht, Anträge zu stellen sowie Fragen an den Jugendlichen und Zeugen zu richten, um möglichst individuelle und geeignete Reaktionen auf die Straftat vorzuschlagen. Die Berichterstattung kann sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen und ist für das Gericht eine wichtige Entscheidungsgrundlage.
Mitwirkung bei der Vollstreckung und Nachbetreuung
Nach der Urteilsverkündung begleitet die Jugendgerichtshilfe die Umsetzung und Vollstreckung gerichtlicher Maßnahmen. Sie ist befugt, bei der Auswahl und Kontrolle von Weisungen sowie bei der Vermittlung in Arbeitsauflagen oder Betreuungsweisungen mitzuwirken (§ 10 JGG). Weiterhin übernehmen ihre Vertreter Unterstützungs- und Vermittlungsfunktionen, um die soziale Wiedereingliederung der Jugendlichen zu gewährleisten.
Rechte und Pflichten der Jugendgerichtshilfe
Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht
Mitarbeitende der Jugendgerichtshilfe unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 4 Strafgesetzbuch – StGB und § 65 SGB VIII). Im Strafverfahren besteht zudem ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 SGB VIII), um ein Vertrauensverhältnis zum Jugendlichen und dessen Umfeld zu gewährleisten. Die Schweigepflicht kann nur aufgehoben werden, wenn die Betroffenen ausdrücklich entbinden oder gesetzliche Ausnahmevorschriften greifen.
Zusammenarbeit mit anderen Instanzen
Die Jugendgerichtshilfe arbeitet interdisziplinär mit allen am Verfahren beteiligten Instanzen zusammen:
Polizei
Staatsanwaltschaft
Gerichte (insbesondere Jugendrichter und Jugendstaatsanwaltschaft)
Bewährungshilfe
Einrichtungen der Jugendhilfe und Jugendsozialarbeit
Sie ist sowohl dem Gericht als auch den Betroffenen verpflichtet und soll insbesondere die Vermittlung von erzieherischen Hilfen sowie sozialpädagogische Interventionen ermöglichen.
Abgrenzung zu anderen Institutionen
Die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe sind von denen der Bewährungshilfe sowie der Jugendhilfe im weiteren Sinne zu differenzieren:
Die Jugendgerichtshilfe arbeitet in jedem Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende mit.
Die Bewährungshilfe greift erst nach einer Verurteilung und einer darauf folgenden Bewährungsstrafe.
Die allgemeine Jugendhilfe reicht über den Bereich des Jugendstrafrechts hinaus und hat einen umfassenderen Betreuungs- und Unterstützungsauftrag.
Bedeutung der Jugendgerichtshilfe für das Jugendstrafverfahren
Die Jugendgerichtshilfe ist ein unverzichtbares Bindeglied zwischen Justiz und Jugendhilfe und trägt maßgeblich zur Individualisierung und Erziehungslastigkeit von Maßnahmen im Jugendstrafverfahren bei. Sie fördert den erzieherischen Ansatz des JGG, indem soziale, psychologische und pädagogische Komponenten in das Verfahren einfließen. So können strafrechtliche Maßnahmen stärker auf die Persönlichkeitsentwicklung und Resozialisierung der Jugendlichen oder Heranwachsenden ausgerichtet werden.
Zielsetzung
Die zentrale Zielsetzung ist die Förderung und Unterstützung der erzieherischen Bemühungen zugunsten des Jugendlichen, um eine erneute Straffälligkeit zu verhindern und eine nachhaltige soziale Integration zu ermöglichen.
Literaturhinweise und weiterführende Quellen
Göppinger, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar
Diemer/Schoreit/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar
Sozialgesetzbuch – Achtes Buch (SGB VIII)
Jugendgerichtsgesetz (JGG)
Hinweis: Dieser Artikel bietet eine umfassende und strukturierte Darstellung der Jugendgerichtshilfe für eine Aufnahme in ein Rechtslexikon und richtet sich an Personen, die tiefergehende Informationen zum Ablauf und der rechtlichen Einordnung der Jugendgerichtshilfe suchen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Aufgaben hat die Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren?
Die Jugendgerichtshilfe ist im Strafverfahren für Jugendliche und Heranwachsende eine besondere Einrichtung der Jugendhilfe, die im § 52 SGB VIII rechtlich verankert ist. Ihre wichtigsten Aufgaben bestehen darin, das Gericht und die Staatsanwaltschaft über die Persönlichkeit, die Entwicklung, das soziale Umfeld sowie individuelle Lebenslagen der beschuldigten minderjährigen oder heranwachsenden Personen zu informieren. Hierzu fertigt die Jugendgerichtshilfe Berichte an, führt Gespräche mit Betroffenen, Familienangehörigen und anderen relevanten Stellen und wirkt insbesondere bei der Findung und Auswahl geeigneter erzieherischer Maßnahmen mit. Darüber hinaus nimmt sie an allen Verfahrensabschnitten – insbesondere der Hauptverhandlung – teil, kann Stellungnahmen zur Tat und Persönlichkeit abgeben und Empfehlungen über Sanktionen wie Weisungen oder Auflagen aussprechen. Die Jugendgerichtshilfe hat das Ziel, das Jugendstrafrecht gemäß dem Erziehungsgedanken zu unterstützen und eine Rückfallprävention zu fördern.
Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Zusammenarbeit zwischen Jugendgerichtshilfe und Jugendgericht?
Die Zusammenarbeit zwischen Jugendgerichtshilfe und Jugendgericht ist durch eine Reihe gesetzlicher Regelungen definiert. Die zentrale Norm ist § 52 des Sozialgesetzbuches, Achtes Buch (SGB VIII), welcher die Mitwirkung der Jugendhilfe im Jugendstrafverfahren regelt. Ergänzend hierzu finden sich spezifische Vorgaben in den §§ 38-50 JGG (Jugendgerichtsgesetz), darunter insbesondere § 38 Abs. 2 JGG, der die Anwesenheit der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung und ihre Mitwirkungsrechte explizit festlegt. Darüber hinaus wird in § 50 JGG die Verpflichtung des Gerichts betont, vor dem Urteil eine Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe einzuholen. Die Kooperation bezieht sich auch auf die gegenseitige Unterrichtung und den Informationsaustausch im Rahmen datenschutzrechtlicher Bestimmungen.
Inwieweit ist die Jugendgerichtshilfe zur Verschwiegenheit verpflichtet?
Mitarbeitende der Jugendgerichtshilfe unterliegen grundsätzlich einer Verschwiegenheitspflicht nach § 65 SGB VIII. Diese Pflicht umfasst alle personenbezogenen Daten und Informationen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werden. Eine Offenbarung ist nur zulässig, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage besteht, wie etwa der Informationsaustausch mit Justizbehörden im Rahmen des Strafverfahrens (§ 38 Abs. 3 JGG). Dennoch muss dabei stets das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, das heißt, es dürfen nur jene Informationen weitergegeben werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben (insbesondere Bestandteile der Datenschutz-Grundverordnung DSGVO und des Bundesdatenschutzgesetzes) ist dabei zwingend.
Welche Rechte hat die Jugendgerichtshilfe während einer Gerichtsverhandlung?
Im Gerichtsverfahren ist die Jugendgerichtshilfe in verschiedener Hinsicht aktiv beteiligt und genießt besondere Rechte. Sie ist berechtigt und verpflichtet, an allen Sitzungen, in denen der Jugendliche oder Heranwachsende beteiligt ist, teilzunehmen (§ 38 Abs. 2 JGG). Dort kann die Jugendgerichtshilfe dem Gericht mündliche und schriftliche Stellungnahmen abgeben, Fragen des Gerichts oder des Verteidigers beantworten sowie selbst auf für die Erziehungsmaßnahme relevante Sachverhalte hinweisen. Ihre Empfehlungen bezüglich sozialpädagogischer Maßnahmen, Auflagen oder Weisungen werden vom Gericht regelmäßig berücksichtigt, auch wenn das Gericht an diese nicht gebunden ist. Ein unmittelbares Entscheidungsrecht hat die Jugendgerichtshilfe jedoch nicht.
Wie sieht die Zusammenarbeit der Jugendgerichtshilfe mit anderen Institutionen rechtlich aus?
Die Jugendgerichtshilfe arbeitet im Rahmen des Jugendstrafverfahrens eng mit anderen Institutionen zusammen, worauf die gesetzlichen Grundlagen (insbesondere § 52 SGB VIII und die einschlägigen §§ des JGG) ausdrücklich hinweisen. Dazu gehören insbesondere Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Bewährungshilfe und gegebenenfalls weitere Einrichtungen der Jugendhilfe. Die Kooperationsbeziehung ist rechtlich so ausgestaltet, dass der Datenschutz stets beachtet wird und Informationen nur weitergeleitet werden dürfen, wenn dies durch das Verfahren erforderlich und rechtlich zugelassen ist. Ziel der Zusammenarbeit ist die Förderung der Jugendhilfe und eine effektive Abstimmung aller erzieherisch notwendigen Maßnahmen, um jugendstrafrechtliche Ziele zu erreichen.
Welche Auskunfts- und Mitwirkungspflichten bestehen für Betroffene gegenüber der Jugendgerichtshilfe?
Nach den gesetzlichen Regelungen besteht für die betroffenen Jugendlichen, Heranwachsenden oder deren Sorgeberechtigte grundsätzlich keine Pflicht, der Jugendgerichtshilfe Auskunft zu erteilen oder bei deren Ermittlungen mitzuwirken. Die Gesprächsangebote sind freiwillig und können jederzeit abgelehnt werden. Verweigert eine Person die Zusammenarbeit, so ist die Jugendgerichtshilfe jedoch verpflichtet, das Gericht darüber zu informieren und ggf. anhand von Akten und verfügbaren Drittinformationen eine Stellungnahme zu verfassen. Freiwilligkeit und der Schutz vor Selbstbelastung (nemo tenetur Grundsatz) sind zentrale rechtliche Leitlinien in der Kommunikation mit der Jugendgerichtshilfe.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen gegen Empfehlungen oder Berichte der Jugendgerichtshilfe?
Empfehlungen oder Berichte der Jugendgerichtshilfe sind für die Justiz nicht verbindlich, sondern haben den Charakter von Vorschlägen und Informationsgrundlagen für das Gericht. Gegen die bloße Erstellung eines Berichts oder Empfehlungen können betroffene Jugendliche oder ihre Rechtsvertreter in der Regel keine eigenständigen Rechtsmittel einlegen. Sollte der Bericht jedoch nach ihrer Auffassung Unrichtigkeiten enthalten oder zu ihrem Nachteil falsch gewichtet sein, besteht die Möglichkeit, im Verfahren dazu Stellung zu nehmen, Gegenvortrag zu halten und eigene Beweisanträge zu stellen. Im gerichtlichen Urteil muss die Entscheidung mit einer würdigenden Darstellung auch im Hinblick auf die Empfehlungen der Jugendgerichtshilfe begründet werden. Ein Rechtsmittel gegen das Urteil kann auch damit begründet werden, dass das Gericht die Stellungnahme nicht hinreichend einbezogen hat.