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ius soli


Begriff und Rechtsgrundlagen des ius soli

Das ius soli (lateinisch für „Recht des Bodens“) ist ein grundlegendes Prinzip des Staatsangehörigkeitsrechts, nach dem die Staatsangehörigkeit einer Person durch die Geburt im Staatsgebiet eines Staates erworben wird – unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Eltern. Das Konzept steht vor allem im Gegensatz zum ius sanguinis („Recht des Blutes“), bei dem die Abstammung maßgeblich für den Erwerb der Staatsangehörigkeit ist.

Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen, die historische Entwicklung, die internationale Praxis, die differenzierten Ausprägungen sowie die rechtliche Bedeutung und die aktuellen Debatten im Zusammenhang mit dem ius soli umfassend dargestellt.


Historische Entwicklung des ius soli

Das ius soli lässt sich bis ins römische Recht zurückverfolgen, wo es bereits Elemente eines territorial bezogenen Erwerbs von Rechten gab. In der Neuzeit gewann das ius soli besonders durch die Rechtsentwicklungen in Nord- und Südamerika an Bedeutung. Insbesondere die Verfassungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Kanadas verankerten das Prinzip frühzeitig und trugen zu dessen internationaler Verbreitung bei.

Entwicklung in Europa

In kontinentaleuropäischen Staaten dominierte ursprünglich das ius sanguinis, während das ius soli nur in Ausnahmefällen Anwendung fand. Erst im Zuge migrationspolitischer Veränderungen wurden verschiedene Mischformen oder eingeschränkte Formen des ius soli eingeführt.


Formen und Ausprägungen des ius soli

Das ius soli wird international in unterschiedlichen Formen ausgestaltet:

Bedingungsloses ius soli (Unbedingtes ius soli)

Beim bedingungslosen ius soli erwirbt jede Person, die auf dem Staatsgebiet geboren wird, automatisch die jeweilige Staatsangehörigkeit, ohne weitere Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Dieses Modell findet sich beispielsweise in Brasilien und Kanada.

Bedingtes ius soli

Diese Form verbindet das Territorialprinzip mit zusätzlichen Bedingungen. Häufig wird verlangt, dass mindestens ein Elternteil rechtmäßig im Ausland ansässig ist oder sich bereits seit einer bestimmten Zeit im Land aufhält. Beispiele hierfür sind Deutschland, Frankreich oder das Vereinigte Königreich. In Deutschland etwa begründet § 4 Absatz 3 Staatsangehörigkeitsgesetz ein bedingtes ius soli.

Teilweise Anwendung & Mischsysteme

Viele Staaten kombinieren das ius soli mit dem ius sanguinis und/oder speziellen Ausnahmeregelungen, etwa zur Verhinderung von Staatenlosigkeit. Die Anwendung kann sich auf zusätzlich definierte Personengruppen etwa bei Flüchtlingen oder Staatenlosen beschränken.


Internationale Rechtslage

Ius soli in Nord- und Südamerika

In den USA regelt der 14. Zusatzartikel zur Verfassung, dass alle auf amerikanischem Boden geborenen oder dort naturalisierten Personen Bürger der Vereinigten Staaten sind („birthright citizenship“). Auch in vielen anderen Staaten Amerikas gilt ein uneingeschränktes Territorialprinzip.

Ius soli in Europa

Die Mehrzahl der europäischen Länder praktiziert eine eingeschränkte Variante oder lehnt das ius soli weitgehend ab. Deutschland führte mit der Reform von 1999 ein bedingtes ius soli ein. Auch Frankreich und das Vereinigte Königreich wenden modifizierte Formen an.

Ius soli in Asien und Afrika

Die meisten asiatischen und afrikanischen Staaten orientieren sich vorrangig am ius sanguinis. In Einzelfällen, vor allem bei Kolonialfolgen und Migration, bestehen ius-soli-ähnliche Regelungen.


Rechtsdogmatische Einordnung und Bedeutung

Das ius soli steht für die enge Verbindung zwischen Staatsangehörigkeit und Integration in die Gesellschaft, basierend auf dem Aufenthaltsort zur Geburt. In modernen Staatsangehörigkeitssystemen dient es als Mittel zur Prävention von Staatenlosigkeit und als integrationspolitisches Instrument. Die Einführung oder Modifikation des ius soli steht meist im Kontext gesellschaftlicher und migrationspolitischer Debatten.

Abgrenzung zum ius sanguinis

Das Gegenstück zum ius soli ist das ius sanguinis, das den Erwerb der Staatsangehörigkeit an die Abstammung knüpft. Staaten wählen ihr Staatsangehörigkeitsprinzip in Abhängigkeit von ihrer historischen Entwicklung, Bevölkerungsstruktur und politischen Zielen.


Rechtsfolgen und typische Regelungen

Automatischer Erwerb der Staatsangehörigkeit

Der wesentliche Rechtsfolge des ius soli-Prinzips ist der unmittelbare Erwerb der Staatsangehörigkeit bei Geburt auf dem Staatsgebiet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Optionenregelung, Optionspflicht und Mehrstaatigkeit

In einigen Ländern, wie Deutschland, gibt es Regelungen, wonach Personen, die durch das ius soli die Staatsangehörigkeit erwerben, unter bestimmten Bedingungen eine Optionspflicht haben, sich zwischen mehreren Staatsangehörigkeiten zu entscheiden.


Aktuelle Diskussionen und Reformbestrebungen

Der gesellschaftliche Diskurs um das ius soli bezieht sich vor allem auf Fragen der Integration, des demografischen Wandels und der Migrationspolitik. Kritiker sehen im uneingeschränkten ius soli die Gefahr des sogenannten „Geburtstourismus“. Befürworter betonen die integrationsfördernde Wirkung und das Ziel, Kindern dauerhaft im Land lebender Einwanderer den Zugang zur Staatsangehörigkeit zu erleichtern.

In Deutschland wird regelmäßig eine Ausweitung des ius soli diskutiert. Auch im internationalen Kontext bleibt das Territorialprinzip Gegenstand migrations- und integrationspolitischer Reformen.


Internationale und supranationale Rahmendbedingungen

Verpflichtungen durch internationale Konventionen

Internationale Vereinbarungen, wie das Übereinkommen zur Verhinderung der Staatenlosigkeit von 1961, verpflichten die Vertragsstaaten zur Vermeidung von Staatenlosigkeit und bewirken insbesondere für auf dem Staatsgebiet geborene Staatenlose teils einen Erwerbstatbestand nach dem ius soli.

Europäische Union

Die Vergabe der Staatsangehörigkeit bleibt gem. Art. 4 Abs. 2 EUV grundsätzlich Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Indirekt wirkt sich die Staatsangehörigkeitsvergabe jedoch auf die Unionsbürgerschaft aus.


Fazit

Das ius soli ist ein zentrales Prinzip des Staatsangehörigkeitsrechts, das – je nach Ausgestaltung – eine wichtige Rolle bei Fragen der Integration, Migration und Vermeidung von Staatenlosigkeit spielt. Seine Anwendung variiert international stark und ist Gegenstand rechtlicher, politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.


Siehe auch:

  • Staatsangehörigkeitsrecht
  • Ius sanguinis
  • Staatenlosigkeit
  • Integrationspolitik
  • Optionspflicht

Quellen:

  • Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG)
  • 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung
  • Übereinkommen zur Verhinderung der Staatenlosigkeit (1961)
  • Bundesministerium des Innern und für Heimat: Informationen zum Staatsangehörigkeitsrecht

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch ius soli erfüllt sein?

Die rechtlichen Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch ius soli (Geburtsortsprinzip) variieren erheblich zwischen den einzelnen Staaten. Häufig wird zwischen dem uneingeschränkten ius soli, bei dem jedes auf dem Staatsgebiet geborene Kind automatisch die Staatsangehörigkeit erwirbt, und dem bedingten ius soli, bei dem zusätzliche Anforderungen wie der rechtmäßige Aufenthaltsstatus oder eine Mindestaufenthaltsdauer der Eltern vorausgesetzt werden, unterschieden. In Deutschland beispielsweise greift ein modifiziertes ius soli: Ein Kind erwirbt die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland nur, wenn wenigstens ein Elternteil seit mindestens acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt. In anderen Staaten, etwa den USA oder Kanada, besteht ein weitgehendes ius soli ohne solche Zusatzvoraussetzungen. Wichtig ist zudem, dass das ius soli oftmals ergänzende Verfahren enthält, wie etwa die Registrierung der Geburt beim zuständigen Standes- oder Einwohnermeldeamt, um die formalen Ansprüche auf die Staatsbürgerschaft geltend machen zu können. Nicht selten sind zudem Ausschlussgründe geregelt, etwa für Kinder von Diplomaten, deren Eltern nicht der Gerichtsbarkeit des Aufnahmestaates unterliegen.

Unterliegt der Erwerb der Staatsangehörigkeit durch ius soli rechtlichen Beschränkungen oder Ausschlüssen?

Ja, das ius soli kann rechtlichen Beschränkungen unterliegen. Typischerweise werden Kinder von ausländischen Diplomaten, Konsularbeamten oder Personal internationaler Organisationen vom Erwerb der Staatsangehörigkeit durch ius soli ausgeschlossen, weil diese aufgrund völkerrechtlicher Immunitäten nicht der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen. Zudem kann das Recht, die Staatsangehörigkeit durch Geburtsort zu erwerben, an bestimmte Aufenthaltstitel der Eltern, deren Aufenthaltsdauer oder an die Registrierung der Geburt innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist geknüpft sein. In manchen Ländern ist der Erwerb ebenfalls ausgeschlossen, wenn sich die Eltern bei der Geburt illegal im Land aufhalten. Diese Einschränkungen dienen dazu, Missbrauchsmöglichkeiten – wie das sog. „Geburtstourismus“ – zu reduzieren und gleichzeitig völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Welche rechtlichen Folgen ergeben sich für Kinder, die durch ius soli Staatsangehörigkeit erwerben?

Der rechtmäßige Erwerb der Staatsangehörigkeit durch ius soli beinhaltet umfangreiche rechtliche Folgen. Das betroffene Kind wird vollwertiges Mitglied der jeweiligen nationalen Rechtsgemeinschaft und erwirbt alle mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Rechte und Pflichten. Dazu gehören das Wahlrecht (sofern das gesetzlich vorgesehene Wahlalter erreicht ist), der Zugang zum öffentlichen Dienst, der Schutz gegenüber Ausweisungen, der Anspruch auf einen nationalen Reisepass sowie das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz im Ausland. Ferner unterliegen die Betroffenen, wie alle anderen Staatsangehörigen, den gesetzlichen Pflichten, etwa der Steuerpflicht oder der Wehrpflicht, sofern diese im jeweiligen Land existiert. Eine unmittelbare Folge kann zudem die Entstehung einer Mehrstaatigkeit sein, wenn das Kind durch die Abstammung (ius sanguinis) zusätzlich die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erwirbt und dort keine automatische Entlassung oder Pflicht zur Optionsentscheidung besteht.

Wie ist das ius soli in internationalen Abkommen und im Europarecht geregelt?

International betrachtet gibt es keine völkerrechtliche Verpflichtung für Staaten, das Prinzip des ius soli oder ius sanguinis anzuwenden. Die Regelung der Staatsangehörigkeit bleibt grundsätzlich im Zuständigkeitsbereich der Nationalstaaten (Souveränität). Allerdings verpflichten internationale Übereinkommen wie das Übereinkommen zur Verringerung der Staatenlosigkeit von 1961 Staaten dazu, Kindern, die auf ihrem Gebiet geboren wurden und sonst staatenlos wären, die Staatsangehörigkeit zu verleihen. In der Europäischen Union existieren keine verbindlichen Rechtsvorschriften, die die Vergabe der Staatsangehörigkeit nach ius soli harmonisieren. Die Regelung bleibt nationale Angelegenheit, wobei Staaten durch die Europäische Menschenrechtskonvention und andere menschenrechtliche Verpflichtungen angehalten sind, Diskriminierung zu vermeiden und Wege zur Vermeidung von Staatenlosigkeit zu schaffen.

Kann die durch ius soli erworbene Staatsangehörigkeit wieder aberkannt werden?

Die Aberkennung einer durch ius soli erworbenen Staatsangehörigkeit ist nach international anerkannten Prinzipien nur unter sehr engen rechtlichen Voraussetzungen möglich, insbesondere um Staatenlosigkeit zu vermeiden. Nach deutschem Recht (§ 16 StAG) wäre ein Entzug der Staatsangehörigkeit grundsätzlich nur zulässig, wenn die betroffene Person durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung den Erwerb der Staatsangehörigkeit erreicht hat; ansonsten ist einem Entzug (wie jede Form der Expatriierung) durch das Grundgesetz (Art. 16 Abs. 1 GG) enge Schranken gesetzt. Vergleichbare Regelungen existieren in vielen anderen Staaten, die internationale Übereinkommen wie das Übereinkommen zur Verringerung der Staatenlosigkeit ratifiziert haben. Die Aberkennung etwa aus politischen Gründen oder durch rein administrative Akte ist im modernen Staatsrecht weitgehend unzulässig.

Gibt es Übergangsregelungen bei gesetzlichen Änderungen des ius soli?

Übergangsregelungen sind im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts üblich, wenn das ius soli-Prinzip eingeführt, geändert oder abgeschafft wird. In Deutschland zum Beispiel wurden beim Inkrafttreten des Geburtsortsprinzips im Jahr 2000 zunächst Kinder erfasst, die ab dem 1. Januar 2000 geboren wurden. Für Kinder, die davor geboren wurden, galten weiterhin die bis dato gültigen Abstammungsregeln. Übergangsbestimmungen legen im Detail fest, ob rückwirkende Ansprüche bestehen oder zusätzliche Optionsverfahren eingeführt werden. Ziel solcher Regelungen ist rechtliche Sicherheit für Altfälle, die ansonsten weder von der alten noch von der neuen Rechtslage profitieren könnten.

Welche Möglichkeiten bestehen für Kinder ohne deutschen Elternteil, die in Deutschland geboren sind, ihre Staatsangehörigkeit zu behalten, wenn sie volljährig werden?

Kinder, die in Deutschland durch ius soli die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und daneben noch eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen (Mehrstaatigkeit), unterliegen bisweilen der sog. Optionspflicht. Nach früherer Rechtslage mussten sich diese Kinder zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Durch die Gesetzesänderung 2014 wurde das Optionsmodell jedoch gelockert: Wer bis zum 21. Lebensjahr mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt hat oder sechs Jahre eine Schule besucht bzw. einen deutschen Schulabschluss erworben hat, kann in der Regel beide Staatsangehörigkeiten behalten. Andernfalls besteht grundsätzlich die Pflicht, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden, wobei auch Ausnahmen zulässig sind, etwa wenn die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist.