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ius humanum


Begriff und Definition von ius humanum

Ius humanum ist ein aus dem Lateinischen stammender Ausdruck und bedeutet wörtlich „menschliches Recht“. Im rechtshistorischen sowie im rechtsphilosophischen Kontext steht das ius humanum als Oberbegriff für von Menschen geschaffene Rechtsnormen im Gegensatz zum sogenannten ius divinum (göttliches Recht) und dem ius naturale (Naturrecht). Der Terminus bezieht sich damit auf sämtliche positive, von Gesellschaften erlassene und anerkannte Rechtsordnungen.

Entwicklung und rechtshistorische Einordnung

Antike und römisches Recht

Bereits im römischen Recht wurde zwischen verschiedenen Rechtsarten unterschieden. So galt das ius humanum als das Recht, das von Menschen zum Zweck der Ordnung des Zusammenlebens geschaffen wurde. Es wurde abgegrenzt vom ius naturale, welches als universell geltendes Recht für alle Menschen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einem Staat angenommen wurde.

Mittelalter und Scholastik

Im Mittelalter prägte die Unterscheidung zwischen ius divinum, ius naturale und ius humanum maßgeblich die rechtsphilosophischen Diskurse. Bedeutende Denker wie Thomas von Aquin ordneten das ius humanum als das von menschlicher Gesetzgebung eingeführte, positive Recht dem höheren, göttlich legitimierten Recht (ius divinum) sowie dem natürlichen Recht (ius naturale) unter. Diese Dreiteilung sollte bis in die frühe Neuzeit die abendländische Rechtsdenktradition prägen.

Neuzeit und Moderne

Im Verlauf der Aufklärung und der Rechtskodifikationen der Neuzeit gewann das ius humanum als Inbegriff des von Menschen gesetzten Rechts an Bedeutung. Mit der Emanzipation des Staates von religiösen Grundlagen entwickelte sich das menschliche Recht zur zentralen Kategorie der Rechtsordnung.

Systematische Einordnung und Abgrenzung

Ius humanum versus ius naturale und ius divinum

Das ius humanum wird traditionell durch folgende Merkmale charakterisiert:

  • Positivität: Es handelt sich um von Autoritäten (z.B. Staat, Souverän, Volksvertretung) gesetztes Recht (positives Recht).
  • Verbindlichkeit: Die Normen des ius humanum sind für die beabsichtigte Rechtsgemeinschaft verbindlich.
  • Veränderlichkeit: Im Gegensatz zum als unveränderlich verstandenen Naturrecht oder Gottesrecht kann das ius humanum durch Gesetzgeber geändert, angepasst oder aufgehoben werden.
  • Geltungsbereich: Das ius humanum gilt innerhalb einer bestimmten Rechtsgemeinschaft oder eines Territoriums und ist nicht universell angelegt.

Verhältnis zum Völkerrecht und internationalen Menschenrechte

Im modernen Kontext wird das ius humanum gelegentlich synonym mit allgemein anerkannten Menschenrechten verwendet, was jedoch eine begriffliche Ausweitung darstellt. Streng genommen bezeichnet es jedes von Menschen geschaffene Recht, unabhängig davon, ob es auf staatlicher, supranationaler oder internationaler Ebene gesetzt ist.

Das Völkerrecht, insbesondere das moderne Menschenrechtssystem, kann unter bestimmten Interpretationen als Teil des ius humanum verstanden werden, da es durch multilaterale Rechtsakte und Konventionen entsteht.

Anwendungsbereiche und Bedeutung in verschiedenen Rechtsordnungen

Zivilrecht und Strafrecht

Im nationalen Zivilrecht sowie im Strafrecht bilden die von Parlamenten oder anderen gesetzgebenden Körperschaften erlassenen Gesetze den Kern des ius humanum. Dazu zählen Bürgerliches Gesetzbuch, Strafgesetzbuch sowie sämtliche Nebengesetze, Verordnungen und Satzungen.

Verfassungsrecht

Auch Verfassungen und Grundgesetze sind Bestandteil des ius humanum, da sie von Verfassungsgebern im Zuge einer bewusst geschaffenen Rechtsetzung erlassen werden.

Öffentliche Verwaltung und Verwaltungsakte

Im Bereich des Verwaltungsrechts werden Verwaltungsakte sowie allgemeine Verwaltungsverordnungen als ius humanum betrachtet, da sie auf gesetzlicher Grundlage und im Rahmen menschlicher Organisationen geschaffen werden.

Europäisches und internationales Recht

Das Recht der Europäischen Union und das Recht internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen sind Beispiele für trans- bzw. supranationales ius humanum, sofern es durch anerkannte rechtsetzende Gremien geschaffen wurde.

Rezeption und aktuelle Relevanz

Das ius humanum bleibt als zentraler Begriff zur Unterscheidung von positiven Rechtsordnungen gegenüber moralischen oder religiösen Rechtsquellen von hoher Bedeutung. In der aktuellen rechtswissenschaftlichen Diskussion spielt diese Unterscheidung insbesondere bei Grundrechtsdebatten sowie in der Rechtsvergleichung eine relevante Rolle.

Zusammenfassung:
Das ius humanum umfasst sämtliche von Menschen gesetzten Rechtsnormen im Gegensatz zu Natur- und Gottesrecht. Es erstreckt sich auf nationales, supranationales und internationales Recht und bildet die Grundlage moderner staatlicher und zwischenstaatlicher Ordnungen. Die präzise Abgrenzung des Begriffs bleibt eine wichtige Aufgabe der Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat das ius humanum im Vergleich zu anderen Rechtsarten wie dem ius divinum oder dem ius gentium?

Das ius humanum, häufig auch als das „menschliche Recht“ bezeichnet, ist im rechtlichen Kontext das von Menschen gesetzte und veränderte Recht. Es unterscheidet sich grundlegend vom ius divinum, dem göttlichen Recht, das als von überirdischen Mächten gegeben und unveränderlich gilt. Während das ius gentium das Völkerrecht beschreibt, das auf Normen und Gepflogenheiten zwischen Völkern oder Staaten beruht, fokussiert sich das ius humanum auf die von einer menschlichen Gemeinschaft – meist durch Gesetzgeber oder staatliche Institutionen – ausdrücklich festgelegten Rechtsnormen. Im römischen Recht und der mittelalterlichen Rechtswissenschaft diente das ius humanum als Abgrenzungskriterium zum göttlichen und natürlichen Recht; es ist wandelbar, territorial begrenzt und anpassungsfähig an gesellschaftliche Entwicklungen. Es betrifft primär die Regelung zwischen Individuen und Institutionen innerhalb einer Gesellschaft und bildet die Grundlage des modernen staatlichen Rechts, das sich stetig durch Gesetzgebung, Rechtsfortbildung und gesellschaftlichen Wandel weiterentwickelt.

Welche Quellen sind für das ius humanum maßgebend und wie unterscheiden sie sich von den Quellen anderer Rechtsarten?

Die wichtigsten Quellen des ius humanum sind kodifizierte Gesetzestexte, Verordnungen, Verfassungen sowie jede Art von durch staatliche Gewalt erlassenem oder anerkanntem Recht. Dazu zählen auch Gewohnheitsrechte, soweit sie als verbindlich anerkannt sind, und richterliche Entscheidungen (Rechtsprechung), die präzedenzbildend wirken. Im Unterschied zu ius divinum, das seinen Ursprung in religiösen Schriften oder göttlicher Offenbarung hat, und dem ius gentium, das auf interkulturellen Übereinkünften und Völkergewohnheiten basiert, ist das ius humanum explizit ein Produkt menschlicher Gesetzgebungskompetenz. Es entsteht durch das bewusste Handeln und Entscheiden von Menschen im politischen oder juristischen Prozess. Die Quellen des ius humanum sind je nach Staat oder Rechtskreis unterschiedlich gewichtet, doch das zentrale Merkmal bleibt immer die menschliche Setzung und Veränderbarkeit der Rechtsnormen.

Wie wirkt sich das ius humanum auf die Auslegung und Anwendung von Gesetzen in der modernen Jurisprudenz aus?

In der modernen Jurisprudenz bildet das ius humanum die Grundlage für die Norminterpretation, Gesetzesanwendung sowie die Entwicklung neuer gesetzlicher Standards. Richter und Rechtsanwender konzentrieren sich bei ihrer Auslegung auf den Wortlaut (grammatikalische Auslegung), die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung), den Sinn und Zweck (teleologische Auslegung) und das Gesamtsystem des geltenden Rechts (systematische Auslegung). Im Falle von Rechtslücken oder Wertungswidersprüchen ist das ius humanum flexibel genug, um Anpassungen durch richterliche Rechtsfortbildung oder durch Gesetzesnovellen zu gewährleisten. Anders als ius divinum, das absolute Geltung beansprucht, oder das ius naturale (Naturrecht), das überzeitliche Gerechtigkeitsprinzipien betont, kann das ius humanum durch gesellschaftlichen Wandel geprägt und jederzeit verändert werden. Richter und Gesetzgeber berücksichtigen bei ihrer Arbeit stets, dass das ius humanum auf Konsens und Akzeptanz in der Gesellschaft angewiesen bleibt.

Welche Rolle spielt das ius humanum im internationalen Recht und wie grenzt es sich dort ab?

Im internationalen Recht nimmt das ius humanum eine untergeordnete, aber dennoch bedeutende Rolle ein. Während das internationale Recht überwiegend auf dem ius gentium beruht, also auf den Vereinbarungen und Gepflogenheiten zwischen Staaten, beeinflusst das jeweilige ius humanum eines Staates die innerstaatliche Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen. Staaten behalten sich vor, internationale Verpflichtungen in ihr eigenes Recht (ius humanum) zu transformieren oder durch nationale Gesetzgebung umzusetzen. Die Abgrenzung erfolgt klar insoweit, als das ius gentium grenzüberschreitende Regeln statuiert, das ius humanum hingegen nur innerhalb einer (meist nationalstaatlichen) Rechtsordnung Geltung beansprucht. Konflikte zwischen völkerrechtlichen Normen und dem ius humanum eines Staates sind in der Regel durch Kollisionsnormen und das jeweilige Verfassungsrecht zu lösen.

Wie verändern gesellschaftliche und technologische Entwicklungen das ius humanum?

Das ius humanum ist von Natur aus anpassungsfähig und reagiert auf gesellschaftliche sowie technologische Entwicklungen mit neuen Gesetzgebungen oder Anpassungen bestehender Normen. Beispiele hierfür sind das Datenschutzrecht, Cyberkriminalitätsgesetze oder Bestimmungen zum Schutz bei biotechnologischen Innovationen. Im Unterschied zu unveränderten Prinzipien des ius naturale oder der feststehenden Lehren des ius divinum ermöglichen die klassischen Quellen des ius humanum (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Rechtslehre) eine kurzfristige Reaktion auf neue Herausforderungen. So können etwa Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel oder Veränderungen in den sozialen Strukturen schnell im Recht ihren Ausdruck finden, ohne an traditionellen oder naturrechtlichen Schranken zu scheitern.

Welche Funktion hat das ius humanum bei der Rechtsüberlieferung und dem Rechtsvergleich?

In der Rechtsüberlieferung garantiert das ius humanum die Aufzeichnung, Bewahrung und stetige Fortentwicklung rechtlicher Normen einer Gesellschaft. Historisch betrachtet, diente die bewusste Setzung von Menschen durch Kodifikationen (z. B. Justinianische Gesetzessammlung, Code civil, BGB) der dauerhaften Dokumentation und Weitergabe von Rechtssätzen. Im Rahmen des Rechtsvergleichs ist das ius humanum ebenfalls von zentraler Bedeutung, da es die Differenzen und Gemeinsamkeiten verschiedener Rechtsordnungen aufzeigt und so Reformdebatten, Harmonisierung oder moderne Kodifikationsbestrebungen (etwa im europäischen Privatrecht) ermöglicht. Der Vergleich mit anderen Rechtsformen – ius divinum, ius naturale, ius gentium – bleibt hierbei stets analytisch getrennt, da das ius humanum als positives, menschengemachtes Recht eine eigene Geltungsgrundlage besitzt.

Welche Mechanismen existieren im ius humanum zur Behebung von Rechtslücken oder zur Korrektur offensichtlichen Unrechts?

Das ius humanum beinhaltet mehrere Instrumente zur Korrektur oder Ergänzung des bestehenden Rechts: Norminterpretation, Analogie, richterliche Rechtsfortbildung und Gesetzesänderungen durch den Gesetzgeber. Rechtslücken werden zum Beispiel durch die Heranziehung vergleichbarer Normen, Prinzipien der Rechtsprechung oder durch Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze geschlossen (Lückenschließung). Offensichtliches Unrecht kann durch Verfassungsgerichte oder supranationale Institutionen (z.B. EGMR) überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden. In schwerwiegenden Fällen kann auch eine nachträgliche Gesetzesänderung erfolgen, um die Normen des ius humanum an geänderte Vorstellungen von Gerechtigkeit oder gesellschaftliche Werthaltungen anzupassen. Das unterscheidet das ius humanum maßgeblich von anderen Rechtsarten, in denen Korrekturmöglichkeiten oftmals fehlen oder stark eingeschränkt sind.