Istbesteuerung: Begriff, Einordnung und Grundprinzip
Die Istbesteuerung ist ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Ermittlung des Zeitpunkts, zu dem Umsatzsteuer entsteht. Sie knüpft an den tatsächlichen Zahlungseingang an: Die Umsatzsteuer wird erst mit Vereinnahmung des Entgelts geschuldet. Dieses Verfahren steht im Gegensatz zur sogenannten Sollbesteuerung, bei der die Steuer grundsätzlich bereits mit Ausführung der Leistung entsteht, unabhängig davon, ob eine Zahlung schon geflossen ist.
Ziel der Istbesteuerung ist eine engere Anbindung der Steuerentstehung an den realen Geldfluss. Dadurch spiegelt sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens im Umsatzsteuerzeitpunkt wider. Dies kann insbesondere in Branchen mit längeren Zahlungszielen oder schwankenden Zahlungseingängen bedeutsam sein.
Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
Typische Zugangsvoraussetzungen
Die Nutzung der Istbesteuerung setzt eine behördliche Zustimmung voraus. Sie kommt insbesondere in Betracht für:
- Unternehmen mit einem Gesamtumsatz des Vorjahres bis zu einer gesetzlich festgelegten Grenze (derzeit in der Praxis regelmäßig 600.000 Euro).
- Personengruppen, die nicht zur kaufmännischen Buchführung verpflichtet sind und ihren Gewinn typischerweise durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln (hierzu zählen häufig selbständig Tätige aus freien Berufen).
- Unternehmen in der Land- und Forstwirtschaft, die bestimmte pauschalierte Verfahren nutzen.
Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, richtet sich nach den jeweils geltenden gesetzlichen Kriterien. Für Kapital- und Personengesellschaften sowie Einzelunternehmen gilt: Soweit Buchführungs- und Bilanzierungspflichten bestehen oder freiwillig Bücher geführt und Abschlüsse erstellt werden, kann dies die Anwendung der Istbesteuerung ausschließen.
Abgrenzung zur Sollbesteuerung
Bei der Sollbesteuerung entsteht die Umsatzsteuer mit Ausführung der Leistung oder Verschaffung der Verfügungsmacht über den Gegenstand, und zwar unabhängig vom Zahlungseingang. Bei der Istbesteuerung ist der Zeitpunkt des Zahlungszuflusses maßgeblich. Dieser Unterschied wirkt sich auf die Deklaration in den Voranmeldungen und in der Jahreserklärung aus.
Zulassung, Beginn und Beendigung
Antragsverfahren und Zustimmung
Die Anwendung der Istbesteuerung setzt regelmäßig einen Antrag beim zuständigen Finanzamt und dessen Zustimmung voraus. Die Zustimmung gilt ab dem festgelegten Zeitpunkt und umfasst die laufenden Umsätze, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Eine gesonderte Bekanntgabe der Dauer oder Befristung kann Teil der behördlichen Entscheidung sein.
Beginn, Wechsel und Widerruf
Der Beginn der Istbesteuerung wird von der Finanzverwaltung festgelegt. Ein Wechsel während des laufenden Jahres ist nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und der behördlichen Zustimmung möglich. Entfallen die Voraussetzungen, kann die Zustimmung aufgehoben werden. In diesem Fall ist für künftige Umsätze wieder nach den allgemeinen Regeln zu verfahren.
Entstehung der Steuer im Detail
Zahlungszufluss als Auslöser
Bei der Istbesteuerung entsteht die Umsatzsteuer, sobald das Entgelt ganz oder teilweise vereinnahmt wird. Maßgeblich ist der tatsächliche Zahlungseingang (z. B. Bankgutschrift, Barzahlung). Die Steuer entsteht in Höhe des erhaltenen Teilbetrags, wenn Zahlungen in Raten oder als Abschläge erfolgen.
Teil- und Anzahlungen
Teilzahlungen, Abschlags- und Anzahlungen führen jeweils mit ihrem Eingang zur Steuerentstehung in entsprechender Höhe. Dies gilt auch dann, wenn die Leistung erst später vollständig ausgeführt wird. Die Zuordnung der Zahlung zu einem bestimmten Umsatz muss in der Dokumentation nachvollziehbar sein.
Vorgänge ohne Zahlung
Bei Vorgängen ohne Zahlung (z. B. unentgeltliche Wertabgaben) greifen die allgemeinen Grundsätze zur Steuerentstehung. Da kein Entgelt fließt, knüpft die Istbesteuerung insoweit nicht an. Der maßgebliche Zeitpunkt richtet sich hier nach den allgemeinen Regeln zur Ausführung des Vorgangs.
Vorsteuerabzug und Rechnungswesen
Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers
Die Istbesteuerung betrifft grundsätzlich den Zeitpunkt der Entstehung der Umsatzsteuer beim leistenden Unternehmen. Der Vorsteuerabzug auf Empfängerseite bleibt davon in der Regel unberührt. Er richtet sich nach den allgemeinen Voraussetzungen, insbesondere dem Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung und der Ausführung der Leistung. Eine Zahlung ist hierfür grundsätzlich nicht erforderlich, sofern keine besonderen Ausnahmen eingreifen.
Rechnungs- und Buchführungsanforderungen
Die formalen Rechnungsangaben ändern sich durch die Istbesteuerung nicht. In der Buchhaltung ist sicherzustellen, dass Zahlungseingänge einzelnen Umsätzen zugeordnet werden können. Für die Umsatzsteuervoranmeldungen sind die im Meldezeitraum tatsächlich vereinnahmten Entgelte maßgeblich. Eine konsistente Dokumentation der Zahlungseingänge, ihrer Zuordnung und ihrer Zeitpunkte ist erforderlich.
Abgrenzungen und Sonderfälle
Reverse-Charge-Sachverhalte
Bei Steuerschuldumkehr schuldet der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer. Die Methode (Ist- oder Sollbesteuerung) des Leistenden ist für den Zeitpunkt der Steuerentstehung beim Empfänger nicht maßgeblich. Es gelten die speziellen Regeln des Reverse-Charge-Verfahrens.
Innergemeinschaftliche und grenzüberschreitende Umsätze
Für innergemeinschaftliche Lieferungen, bestimmte sonstige Leistungen und Ausfuhrlieferungen gelten besondere Vorgaben zur Steuerbarkeit, Steuerbefreiung und Nachweispflichten. Die Istbesteuerung ändert diese materiellen Voraussetzungen nicht. Maßgeblich bleiben die jeweiligen speziellen Regelungen.
Dauerleistungen und periodische Zahlungen
Bei wiederkehrenden Leistungen (z. B. Miete, Wartung) entsteht die Steuer bei Istbesteuerung mit Eingang der jeweiligen Periodenzahlung. Vereinbarte Fälligkeiten sind für die Steuerentstehung nachrangig; entscheidend ist der tatsächliche Zufluss.
Gutscheine und komplexe Entgeltformen
Für Ein- und Mehrzweck-Gutscheine sowie für in Sach- und Geldbestandteile aufgeteilte Entgelte gelten eigenständige steuerliche Regeln. Diese können den Zeitpunkt der Steuerentstehung vorgeben und gehen der allgemeinen Anknüpfung an den Zahlungseingang vor.
Wegfall der Voraussetzungen und Umstellung
Werden die Voraussetzungen für die Istbesteuerung nicht mehr erfüllt, ist für künftige Umsätze zur allgemeinen Methode zurückzukehren. Beim Wechsel sind Übergangssachverhalte zu beachten, etwa offene Forderungen und noch nicht vereinnahmte Entgelte. Für den Stichtag der Umstellung ist sicherzustellen, dass keine Umsätze doppelt oder gar nicht erfasst werden.
Bedeutung für Liquidität und Risiken
Die Istbesteuerung wirkt sich auf den Zahlungszeitpunkt der Umsatzsteuer aus. Da die Steuer erst nach Zahlungseingang entsteht, kann das Risiko vermindert werden, bei ausbleibender Zahlung bereits abgeführte Steuer später berichtigen zu müssen. Umgekehrt kann es zu zeitlichen Verschiebungen in den Voranmeldungen kommen, die bei der Planung berücksichtigt werden sollten.
Häufig gestellte Fragen zur Istbesteuerung
Was bedeutet Istbesteuerung in einfachen Worten?
Istbesteuerung heißt, dass die Umsatzsteuer erst dann entsteht, wenn das Entgelt tatsächlich bezahlt wurde. Die Steuer richtet sich somit nach dem Zahlungseingang und nicht allein nach dem Zeitpunkt der Leistung.
Wer kann die Istbesteuerung nutzen?
Sie kommt vor allem für Unternehmen mit einem Vorjahresumsatz bis zu einer gesetzlich festgelegten Grenze sowie für bestimmte selbständig Tätige ohne Buchführungspflicht in Betracht. Auch land- und forstwirtschaftliche Betriebe mit pauschalierten Verfahren können erfasst sein. Die konkrete Nutzung setzt eine behördliche Zustimmung voraus.
Wann entsteht die Umsatzsteuer bei Istbesteuerung?
Die Steuer entsteht mit Vereinnahmung des Entgelts. Bei Teil- oder Anzahlungen entsteht die Steuer jeweils in Höhe des eingegangenen Betrags. Ohne Zahlung knüpft die Steuerentstehung an die allgemeinen Regeln zur Ausführung des Vorgangs an.
Kann Vorsteuer auch ohne Zahlung abgezogen werden?
Der Vorsteuerabzug ist regelmäßig nicht an die Zahlung geknüpft. Er setzt vor allem eine ordnungsgemäße Rechnung und die Ausführung der Leistung voraus. Die Istbesteuerung auf Seiten des Leistenden ändert daran grundsätzlich nichts.
Gilt die Istbesteuerung auch bei Anzahlungen und Abschlägen?
Ja. Jede vereinnahmte An- oder Teilzahlung löst die Steuer in entsprechender Höhe aus. Die Zuordnung der Zahlung zu der betroffenen Leistung ist zu dokumentieren.
Wirkt sich die Istbesteuerung auf Reverse-Charge und EU-Umsätze aus?
Bei Reverse-Charge schuldet der Leistungsempfänger die Steuer; die Methode des Leistenden ist dort unerheblich. Für innergemeinschaftliche und grenzüberschreitende Umsätze gelten eigene materielle Regeln, die durch die Istbesteuerung nicht verändert werden.
Wie endet die Anwendung der Istbesteuerung?
Endet die Zustimmung oder entfallen die Voraussetzungen, ist für künftige Umsätze nach den allgemeinen Regeln zu verfahren. Übergangssachverhalte sind so zu behandeln, dass weder Doppel- noch Nichterfassungen eintreten.
Wie werden Forderungsausfälle behandelt?
Da die Steuer bei Istbesteuerung erst mit Zahlung entsteht, führt ein Forderungsausfall grundsätzlich nicht dazu, dass bereits abgeführte Steuer berichtigt werden muss. Unabhängig davon gelten die allgemeinen Regelungen zur Berichtigung in besonderen Konstellationen fort.