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invitatio ad offerendum

Invitatio ad offerendum: Bedeutung und Grundgedanke

Invitatio ad offerendum bezeichnet im Vertragsrecht die Aufforderung, ein Angebot abzugeben. Es handelt sich nicht selbst um ein Angebot, sondern um die Einladung an andere, ihrerseits ein verbindliches Angebot zu unterbreiten. Der zentrale Punkt ist der fehlende Rechtsbindungswille: Wer eine invitatio ad offerendum ausspricht, will noch keinen Vertrag schließen, sondern zunächst Anfragen oder Angebote entgegennehmen.

Abgrenzung zum Angebot

Rechtsbindungswille und Bestimmtheit

Ein Angebot ist eine verbindliche Erklärung, einen Vertrag mit bestimmten Inhalten schließen zu wollen. Dazu müssen die wesentlichen Vertragsbestandteile hinreichend bestimmt oder bestimmbar sein, und es muss erkennbar sein, dass der Erklärende sich binden will. Bei der invitatio ad offerendum fehlt gerade dieser Bindungswille. Angaben zu Preis, Produkt oder Menge dienen hier primär der Information.

Wer erklärt was?

Bei der invitatio ad offerendum öffnet der Anbietende den Markt und wirbt um Angebote. Das eigentliche Angebot kommt dann von der interessierten Person (zum Beispiel dem Kunden). Die Annahme erfolgt erst, wenn der Anbietende dieses Angebot akzeptiert.

Bindungswirkung und Entscheidungsfreiheit

Ein Angebot bindet die erklärende Person grundsätzlich, bis es abgelehnt oder gegenstandslos wird. Die invitatio ad offerendum bindet nicht; der Einladende kann frei entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen er ein eingegangenes Angebot annimmt.

Typische Erscheinungsformen

Schaufenster, Regale und Kataloge

Die Präsentation von Waren im Schaufenster, in Regalen oder in Katalogen gilt regelmäßig als invitatio ad offerendum. Preisangaben informieren, begründen aber noch keine Verpflichtung, zu liefern oder einen Vertrag zu schließen.

Werbung und Prospekte

Reklame, Prospekte und Anzeigen richten sich an eine unbestimmte Anzahl von Personen. Sie sind typischerweise als Einladung zu verstehen, sich für den Erwerb zu interessieren und ein Angebot abzugeben.

Online-Handel

Produktseiten und Bestellablauf

Produktdarstellungen in Online-Shops sind im Regelfall eine invitatio ad offerendum. Erst die Abgabe der Bestellung durch die Kundschaft stellt das Angebot dar. Der Vertragsschluss erfolgt meist erst mit ausdrücklicher Annahmeerklärung, etwa durch Bestätigung des Vertragsschlusses oder den Versand der Ware. Reine Eingangsbestätigungen dienen häufig nur der Information über den Eingang der Bestellung.

Ausschreibungen und Preislisten

Allgemeine Preislisten, Offerten an eine unbestimmte Vielzahl von Interessierten oder Ausschreibungen sind meist Einladungen, konkrete Angebote abzugeben. Der Einladende behält sich die Auswahl und Annahme vor.

Funktionen und wirtschaftlicher Hintergrund

Die invitatio ad offerendum schützt Anbieter vor Beschaffungs- und Kapazitätsrisiken, etwa bei begrenztem Lagerbestand. Sie ermöglicht Markttransparenz durch Preis- und Produkteinformationen, ohne sofortige Bindung auszulösen. Zugleich schafft sie Raum, Angebote zu prüfen, Verfügbarkeit zu klären und Vertragsbedingungen zu konkretisieren.

Grenzfälle und Bindungsumstände

Automaten und standardisierte Abläufe

Bei Verkaufs- oder Ticketautomaten spricht vieles dafür, dass der Betreiber ein Angebot unterbreitet, das durch die Bedienung des Automaten angenommen wird. Die hohe Standardisierung und sofortige Leistungserbringung lassen hier eine Bindung nahe liegen.

Erkennbarer Bindungswille

Wird unmissverständlich kommuniziert, dass eine Erklärung verbindlich sein soll und alle wesentlichen Vertragsbestandteile feststehen, kann ausnahmsweise bereits eine Präsentation als Angebot gelten. Dies setzt einen klaren Bindungswillen und gesicherte Leistungsbereitschaft voraus.

„Solange der Vorrat reicht“ und ähnliche Zusätze

Formulierungen wie „solange der Vorrat reicht“, „ohne Gewähr“ oder „Preisänderungen vorbehalten“ unterstreichen regelmäßig den Charakter als invitatio ad offerendum und machen den fehlenden Bindungswillen deutlich.

Rechtliche Folgen der Einordnung

Keine Abschlussverpflichtung

Wer eine invitatio ad offerendum ausspricht, geht keine Pflicht ein, einen Vertrag abzuschließen. Er kann eingehende Angebote annehmen, ändern oder ablehnen.

Preisirrtümer und Fehlinformationen

Bei offensichtlichen Preisfehlern oder fehlerhaften Angaben führt die invitatio ad offerendum in der Regel nicht zu einem Vertrag. Ein Vertrag entsteht erst mit Annahme eines wirksamen Angebots. Fehlinformationen können im Einzelfall gleichwohl Auswirkungen haben, etwa im Rahmen von Informations- und Schutzpflichten.

Vorvertragliche Pflichten

Auch ohne Vertragsschluss bestehen Pflichten zu redlichem Verhalten im Anbahnungsstadium. Dazu gehören zutreffende Informationen, Transparenz über maßgebliche Umstände und der Schutz vor vermeidbaren Fehlvorstellungen. Rechtsfolgen ergeben sich nur bei besonderen Umständen, etwa bei irreführenden Angaben oder treuwidrigem Verhalten.

Allgemeine Geschäftsbedingungen und Informationspflichten

Allgemeine Geschäftsbedingungen legen häufig fest, wann genau der Vertrag zustande kommt (zum Beispiel erst mit Versandbestätigung) und ob Annahmevorbehalte bestehen. Öffentlich-rechtliche Preisangaben- und Informationspflichten dienen der Transparenz, begründen für sich genommen jedoch keine zivilrechtliche Bindung an die bloße Warenpräsentation.

Praxisnahe Einordnungen

Selbstbedienungsladen

Die Waren im Regal sind eine invitatio ad offerendum. Das Vorlegen an der Kasse ist das Angebot. Der Vertrag kommt in der Regel durch das Kassieren zustande.

Online-Shop

Die Produktseite ist typischerweise eine invitatio ad offerendum. Mit dem Absenden der Bestellung wird ein Angebot abgegeben. Der Vertrag entsteht meist erst durch ausdrückliche Annahme, häufig signalisiert durch eine gesonderte Bestätigung oder den Versand.

Werbeprospekt

Ein Prospekt mit Preisen und Produktbildern ist regelmäßig unverbindlich. Er lädt dazu ein, ein Angebot zu unterbreiten, über das der Anbieter entscheiden kann.

Automat

Bei Automaten liegt regelmäßig ein Angebot des Betreibers vor, das durch Bedienung angenommen wird. Die Leistung erfolgt unmittelbar und standardisiert.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet invitatio ad offerendum?

Sie bezeichnet die Aufforderung, ein Angebot abzugeben. Es handelt sich nicht um ein bindendes Angebot, sondern um eine unverbindliche Einladung, einen Vertragsvorschlag zu unterbreiten.

Worin liegt der Unterschied zwischen invitatio ad offerendum und Angebot?

Beim Angebot besteht ein erkennbarer Bindungswille und die Vertragsinhalte sind bestimmt oder bestimmbar. Die invitatio ad offerendum dient lediglich der Information und Anbahnung ohne Bindung.

Ist eine Preisangabe in Werbung oder im Schaufenster verbindlich?

Regelmäßig nicht. Solche Angaben sind typischerweise Teil einer invitatio ad offerendum und damit unverbindlich. Ein Vertrag kommt erst zustande, wenn ein Angebot abgegeben und angenommen wird.

Wann kann eine Warenpräsentation dennoch als Angebot gelten?

Wenn ein klarer Bindungswille erkennbar ist und alle wesentlichen Vertragsbestandteile feststehen. Das ist etwa bei standardisierten, sofort vollziehbaren Abläufen naheliegend, zum Beispiel bei bestimmten Automaten.

Welche Rolle spielt die Formulierung „solange der Vorrat reicht“?

Sie verdeutlicht, dass keine Bindung an die Präsentation gewollt ist, und bestätigt den Charakter als invitatio ad offerendum.

Wie läuft der Vertragsschluss im Online-Handel rechtlich ab?

Die Produktseite ist im Regelfall eine invitatio ad offerendum. Mit der Bestellung wird ein Angebot abgegeben. Der Vertrag entsteht üblicherweise erst mit ausdrücklicher Annahme, etwa durch gesonderte Bestätigung oder Versand der Ware.

Welche Folgen haben Preisfehler in der Darstellung?

Preisfehler in einer invitatio ad offerendum führen regelmäßig nicht zu einem Vertragsschluss. Erst die Annahme eines wirksamen Angebots begründet einen Vertrag. Besondere Umstände können jedoch vorvertragliche Verantwortlichkeiten berühren.

Gibt es bei der invitatio ad offerendum Pflichten gegenüber Interessierten?

Ja, im Anbahnungsstadium bestehen Pflichten zu redlichem Verhalten und zutreffenden Informationen. Diese Pflichten begründen allerdings nur unter besonderen Voraussetzungen rechtliche Folgen.