Begriff und Wesen der invitatio ad offerendum
Die invitatio ad offerendum ist ein Grundbegriff des Schuldrechts und des allgemeinen Vertragsrechts. Der lateinische Ausdruck bedeutet „Aufforderung zur Abgabe eines Angebots“ und bezeichnet eine Erklärung oder Handlung, die noch keine rechtlich bindende Willenserklärung zum Abschluss eines Vertrags darstellt, sondern lediglich die Einladung an den Adressaten, seinerseits ein Angebot abzugeben (§ 145 BGB). Dadurch unterscheidet sich die invitatio ad offerendum wesentlich vom verbindlichen Angebot (Offerte). Die Konstruktion dient dazu, verbindliche Bindungen im Rechtsverkehr vorzeitig zu vermeiden und so den Interessenausgleich zwischen den Beteiligten zu gewährleisten.
Abgrenzung zum Angebot
Ob eine Erklärung als Angebot oder als invitatio ad offerendum einzustufen ist, richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die alle wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) enthält und mit Rechtsbindungswillen abgegeben wurde. Die invitatio ad offerendum fehlt hingegen dieser Rechtsbindungswille.
Kriterien für die Unterscheidung
Maßgeblich ist, wie ein objektiver Dritter in der Rolle des Erklärungsempfängers die Erklärung verstehen musste (§§ 133, 157 BGB):
- Bindungswille: Fehlt der erkennbare Wille zur rechtlichen Bindung, handelt es sich um eine invitatio ad offerendum.
- Grad der Konkretisierung: Eine fehlende Individualisierung des potentiellen Vertragspartners spricht für eine reine Einladung zur Angebotserstellung.
- Üblichkeit und Verkehrsanschauung: Besonders im Massengeschäft, etwa beim Warenverkauf an unbestimmte Personen, ist die invitatio ad offerendum der Regelfall.
Anwendungsbeispiele in der Praxis
Schaufensterauslagen und Warenpräsentationen
Typische Beispiele für eine invitatio ad offerendum sind Auslagen von Waren im Schaufenster eines Ladengeschäfts sowie Anzeigen in Katalogen oder Online-Shops. Der Händler möchte sich zunächst nicht verbindlich zur Lieferung verpflichten, da er womöglich nicht über ausreichende Bestände verfügt oder weitere Bedingungen prüfen möchte.
Zeitungsanzeigen und Werbung
Auch Werbeanzeigen in Printmedien, Rundfunk oder Internet sind regelmäßig keine Angebote, sondern lediglich Aufforderungen an potentielle Vertragspartner, Angebote abzugeben.
Öffentliche Auktionen
Im Rahmen von öffentlichen Versteigerungen (§ 156 BGB) ist die Ausbietung der Gegenstände als invitatio ad offerendum zu werten. Das verbindliche Angebot gibt erst der Bieter ab; der Zuschlag stellt die Annahme des Angebots dar.
Rechtsfolgen der invitatio ad offerendum
Eine invitatio ad offerendum begründet noch keinen Rechtsanspruch auf Vertragsschluss. Das bindende Angebot geht immer vom Interessenten aus, z. B. durch das Einlegen der Ware in den Warenkorb im Online-Shop und Absenden der Bestellung. Erst mit Annahme des Angebots durch den Händler kommt ein Vertrag zustande. Bis zu diesem Zeitpunkt sind beide Parteien frei, mit wem und zu welchen Bedingungen sie kontrahieren möchten.
Schutz vor unbeabsichtigter Bindung und Überobligation
Durch die Verwendung der invitatio ad offerendum wird insbesondere im Massengeschäft verhindert, dass der Anbieter unbeabsichtigt mit einer Vielzahl von Vertragsschlüssen überrannt wird (so etwa, wenn das Geschäft nicht über ausreichend Ware verfügt). Es schützt den Anbieter vor einer sogenannten Überobligation und sorgt gleichzeitig für Rechtssicherheit im Geschäftsverkehr.
Sonderfälle und Ausnahmen
Auslegung nach Umständen des Einzelfalls
Im Einzelfall kann eine Erklärung trotz allgemeiner Ansicht als Angebot gewertet werden, wenn aus konkreten Umständen ein eindeutiger Bindungswille hervorgeht. So etwa im Fall individueller Preisverhandlungen, Sonderposten oder spezieller, nur einmal verfügbarer Waren.
Sonderregelungen im E-Commerce
Im Fernabsatz – insbesondere im Online-Handel – ist weitgehend anerkannt, dass die Produktplatzierung im Shop eine invitatio ad offerendum darstellt. Das Angebot geht vom Käufer aus; erst durch Bestätigung der Bestellung wird der bindende Vertrag geschlossen (§ 312j Abs. 3 BGB). Eine abweichende Regelung kann sich aus den jeweiligen AGB oder der konkreten Kommunikation ergeben.
Rechtsprechung und Literaturauffassung
Die herrschende Meinung in der Literatur und die ständige Rechtsprechung der Gerichte nehmen eine invitatio ad offerendum stets dann an, wenn der Erklärende nur den Vertragsabschluss vorbereiten und sich nicht binden möchte (z. B. BGH NJW 1982, 2774; Palandt/Ellenberger, BGB, § 145 Rn. 2).
Bedeutung im internationalen Privatrecht
Auch auf internationaler Ebene wird die invitatio ad offerendum in ähnlicher Weise interpretiert. Im UN-Kaufrecht (CISG) gilt eine Offerte gemäß Art. 14 nur dann als Angebot, wenn sie nicht lediglich zur Invitatio ad offerendum eingeordnet werden kann und einen Bindungswillen erkennen lässt.
Zusammenfassung
Die invitatio ad offerendum ist ein zentrales Institut des allgemeinen Vertragsrechts. Sie dient der Trennung zwischen unverbindlicher Aufforderung und verbindlichem Angebot und gewährleistet Handlungsspielraum sowie Rechtssicherheit für die am Rechtsverkehr Beteiligten. Im praktischen Geschäftsleben, vor allem im Handels- und Verbraucherverkehr, kommt ihr damit eine elementare Bedeutung zu.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich aus einer invitatio ad offerendum?
Eine invitatio ad offerendum stellt aus rechtlicher Sicht kein Angebot im Sinne des § 145 BGB dar, sondern lediglich die Aufforderung an potenzielle Vertragspartner, selbst ein Angebot abzugeben. Dies bedeutet, dass durch die Veröffentlichung einer invitatio ad offerendum – etwa durch eine Schaufensterauslage, eine Zeitungsanzeige oder einen Online-Shop – der Erklärende rechtlich nicht gebunden ist, einen Vertrag schließen zu müssen. Es entstehen für den Adressaten also keinerlei vertragliche Ansprüche auf Abschluss eines Vertrages, sondern er wird lediglich zur Abgabe eines Angebots aufgefordert, welches das potenziell vertragsschließende Unternehmen anschließend annehmen oder ablehnen kann. Die rechtliche Konsequenz ist, dass erst mit der Annahme eines daraufhin abgegebenen Angebots der Vertragsschluss erfolgt.
Wie unterscheidet sich die invitatio ad offerendum von einem verbindlichen Angebot?
Rechtlich unterscheidet sich eine invitatio ad offerendum von einem Angebot dadurch, dass sie keine Bindungswirkung entfaltet. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die alle wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) enthält und an die der Erklärende gemäß § 145 BGB gebunden ist. Hingegen fehlt bei der invitatio ad offerendum der Wille, sich rechtlich zu verpflichten. Die invitatio ad offerendum ist somit ein rein vorbereitender, unbestimmter Schritt, durch den eine Vielzahl von Personen zur Abgabe von Angeboten aufgefordert wird, ohne bereits Rechtsfolgen auszulösen. Daraus ergibt sich insbesondere der Schutz des Anbietenden, nicht unbegrenzt viele Verträge eingehen zu müssen.
Welche Arten von Geschäftshandlungen sind typischerweise als invitatio ad offerendum einzuordnen?
Im rechtlichen Kontext werden zahlreiche Handlungen regelmäßig als invitatio ad offerendum klassifiziert. Typische Beispiele sind Werbeanzeigen in Zeitungen, Warenauslagen in Schaufenstern, Präsentationen in Onlineshops, Versand von Katalogen oder Preislisten sowie die Präsentation von Waren auf Messen. Der gemeinsame Nenner dieser Geschäftshandlungen besteht darin, dass der Anbieter nicht an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gebunden sein möchte, sondern sich die Entscheidung über die Annahme der individuellen Angebote vorbehalten will. Insbesondere im Handel dient die invitatio ad offerendum auch dem Schutz vor Überzeichnung und Lagerengpässen.
Welche Risiken bestehen bei einer fehlerhaften Einordnung zwischen Angebot und invitatio ad offerendum?
Wird eine Erklärung irrtümlich als invitatio ad offerendum statt als Angebot behandelt oder umgekehrt, können erhebliche rechtliche Risiken entstehen. Wird nämlich ein Angebot abgegeben, so ist der Erklärende nach § 145 BGB daran gebunden, sodass mit dessen Annahme unmittelbar ein Vertrag zustande kommt. Wurde eigentlich nur eine invitatio ad offerendum beabsichtigt, kann der unbeabsichtigte Vertragsschluss zu Schadensersatzpflichten wegen Nichterfüllung führen, sofern der Anbieter die angebotene Leistung nicht erbringen kann oder will. Dies gilt insbesondere bei verbindlichen Preisangaben oder Offerten, bei denen Klarheit über die rechtliche Einordnung von höchster Bedeutung ist.
Welche Rolle spielt die Auslegung bei der Abgrenzung von invitatio ad offerendum und Angebot?
Die Auslegung von Erklärungen spielt eine zentrale Rolle bei der rechtlichen Abgrenzung zwischen Angebot und invitatio ad offerendum. Nach §§ 133, 157 BGB wird nicht nur der Wortlaut berücksichtigt, sondern auch der objektive Empfängerhorizont: Wie hätte ein verständiger Dritter die Erklärung in ihrer konkreten Situation verstanden? Dabei sind Formulierungen, Art und Umfang der Adressaten sowie die Geschäftspraxis maßgeblich. Beispielsweise wird ein Preisschild im Supermarkt regelmäßig als invitatio ad offerendum ausgelegt, da der Händler nicht jeden Kunden zur angegebenen Kondition beliefern muss. Diese Auslegung schützt beide Parteien vor ungewollten Bindungen.
Können Zusatzklauseln die invitatio ad offerendum in ein bindendes Angebot umwandeln?
Ja, Zusatzklauseln können im Einzelfall eine ursprünglich als invitatio ad offerendum gedachte Erklärung in ein Angebot umwandeln, sofern sie den Bindungswillen deutlich zum Ausdruck bringen. Eine solche Klausel könnte lauten: „Solange der Vorrat reicht“ oder „Nur an Selbstabholer und solange verfügbar.“ Fehlen solche Einschränkungen und wird dennoch eine hinreichend konkrete Produktpräsentation mit allen wesentlichen Vertragsbestandteilen und rechtlich bindender Formulierung vorgenommen, kann dies ausnahmsweise als Angebot zu werten sein. Dabei kommt es maßgeblich auf die Auslegung der jeweiligen Erklärung nach den §§ 133, 157 BGB an.
In welchen Situationen kann eine invitatio ad offerendum zu Schadensersatzansprüchen führen?
Grundsätzlich entsteht durch eine invitatio ad offerendum keine Verpflichtung zum Vertragsschluss, sodass auch keine primären Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung entstehen können. Eine Ausnahme besteht jedoch im Rahmen vorvertraglicher Schutzpflichten (culpa in contrahendo, § 311 Abs. 2 BGB). Gibt der Anbieter etwa fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen preis oder erweckt den Eindruck verbindlicher Vertragsbereitschaft, kann dies zu Ansprüchen auf Ersatz des Vertrauensschadens führen. Auch wettbewerbsrechtliche Verstöße, etwa durch irreführende Werbung, können Konsequenzen nach sich ziehen, jedoch entsteht dabei kein Anspruch auf Vertragserfüllung.
Wie ist die invitatio ad offerendum im internationalen Handelsrecht zu bewerten?
Im internationalen Handelsrecht – etwa nach dem UN-Kaufrecht (CISG) – wird die Abgrenzung zwischen Angebot und invitatio ad offerendum ähnlich wie im deutschen Recht gehandhabt. Nach Art. 14 CISG gilt eine Willenserklärung nur dann als Angebot, wenn sie an eine oder mehrere bestimmte Personen gerichtet ist und den Vertragsschluss bei Annahme des Adressaten vorsieht. Werbeanzeigen oder allgemeine Produktinformationen gelten auch im CISG als invitatio ad offerendum, es sei denn, sie enthalten eine ausdrückliche Bindungserklärung. Die Grundsätze sind daher international weitgehend anerkannt und sichern einen vergleichbaren Schutz der Parteien.