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Invalidität


Begriff und rechtliche Einordnung der Invalidität

Der Begriff Invalidität findet im deutschen Recht sowohl im Sozialversicherungsrecht, im privaten Versicherungsrecht als auch im Steuerrecht und im Beamtenrecht Anwendung. Invalidität bezeichnet einen dauerhaften, durch Krankheit, Unfall oder Gebrechen verursachten Zustand eingeschränkter körperlicher oder geistiger Leistungsfähigkeit, der die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit zur Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten nachhaltig beeinträchtigt.

Begriffliche Abgrenzung

Invalidität vs. Erwerbsunfähigkeit und Behinderung

Im juristischen Kontext ist Invalidität von ähnlichen Begriffen wie „Erwerbsunfähigkeit“, „Berufsunfähigkeit“ und „Behinderung“ abzugrenzen:

  • Invalidität beschreibt den dauerhaften Funktionsverlust eines Körperteils oder Organs infolge eines Unfalls oder einer Krankheit.
  • Erwerbsunfähigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit, irgendeiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu können.
  • Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person den zuletzt ausgeübten Beruf auf Dauer nicht mehr ausüben kann.
  • Behinderung ist ein umfassender Oberbegriff für gesundheitliche Beeinträchtigungen und deren gesellschaftliche Auswirkungen.

Rechtsquellen

Invalidität ist in verschiedenen Rechtsbereichen normiert und definiert:

  • Sozialgesetzbuch (SGB)
  • Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
  • Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG)
  • Steuerrecht (Einkommenssteuergesetz – EStG)
  • Unfallversicherungsbedingungen privater Versicherungen

Invalidität im Sozialversicherungsrecht

Gesetzliche Unfallversicherung

Die gesetzliche Unfallversicherung (§ 56 SGB VII) gewährt Invaliditätsleistungen, wenn infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 % auf unbestimmte Zeit eintritt. Die MdE bemisst sich danach, in welchem Umfang die Arbeitskraft im Erwerbsleben beeinträchtigt ist.

Rentenanspruch

Bestimmte Grade der Invalidität können zu Rentenansprüchen führen. Die Rentenhöhe richtet sich nach dem Grad der Erwerbsminderung und dem maßgeblichen Verdienst.

Invalidität im privaten Versicherungsrecht

Unfallversicherung

Im privaten Versicherungsvertrag (Unfallversicherung) ist Invalidität häufig ein zentraler Versicherungsfall. Die genaue Definition einer Invalidität ergibt sich in der Regel aus den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB). Eine dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, die voraussichtlich länger als drei Jahre besteht und keine Besserung erwarten lässt, wird hier als Invalidität bezeichnet.

Gliedertaxe

Zur Bewertung des Grades der Invalidität dient häufig eine sogenannte Gliedertaxe. Darin werden für den Vollverlust oder die vollständige Funktionsunfähigkeit bestimmter Körperteile feste Invaliditätsgrade (in Prozent) festgelegt.

Fristen und Anzeige

Ansprüche auf Invaliditätsleistung müssen innerhalb bestimmter Fristen beim Versicherer geltend gemacht und die Invalidität ärztlich festgestellt werden. Diese Fristen sind in den Versicherungsbedingungen geregelt.

Invalidität im Beamtenrecht

Im Beamtenrecht erfolgt die Feststellung der Dienstunfähigkeit oder Invalidität nach den Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes (§ 44 BeamtVG). Der Betroffene gilt als dienstunfähig, wenn er infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauerhaft unfähig ist. Die Rechtsfolgen reichen von Versetzung in den Ruhestand bis zu Versorgungsansprüchen.

Invalidität im Steuerrecht

Im Steuerrecht spielt Invalidität bei der Gewährung von Steuerfreibeträgen und außergewöhnlichen Belastungen eine Rolle. Ein anerkannter Grad der Behinderung beziehungsweise Invalidität kann sich steuermindernd auswirken (z.B. § 33b EStG).

Medizinische Begutachtung und Feststellung

Die Feststellung der Invalidität erfolgt regelmäßig durch ärztliche Gutachten. Dabei wird unter Berücksichtigung aller medizinischen und sozialen Faktoren beurteilt, wie stark die Funktionsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt ist. Die Begutachtung richtet sich nach anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft und einschlägigen Bewertungsmaßstäben (z.B. Gliedertaxe, MdE-Tabellen).

Grad und Umfang der Invalidität

Der Grad der Invalidität wird je nach Anwendungsbereich unterschiedlich ermittelt:

  • In der privaten Unfallversicherung anhand der Gliedertaxe
  • In der gesetzlichen Unfallversicherung als Prozentsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
  • Im Beamten- und Versorgungsrecht nach dem Umfang der Dienstunfähigkeit

Invaliditätsleistungen

Die rechtlichen Folgen einer festgestellten Invalidität sind vielfältig und reichen von Rentenzahlungen, Einmalzahlungen (Invaliditätskapital), Anpassungen der Steuerlast bis zu Leistungen der sozialen Sicherungssysteme.

Versicherungssummen und Progression

In vielen privaten Unfallversicherungsverträgen werden Invaliditätsleistungen durch eine Progression gestaffelt. Höhere Invaliditätsgrade ziehen eine überproportionale Steigerung der Versicherungsleistung nach sich.

Rechtsmittel und Verfahren

Streitigkeiten über das Vorliegen und den Grad einer Invalidität werden häufig in sozialgerichtlichen, zivilgerichtlichen oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren geklärt. Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigte können im Streitfall gegen ablehnende Bescheide Widerspruch einlegen und die gerichtliche Klärung herbeiführen.

Abweichende internationale Regelungen

Der Begriff der Invalidität ist international unterschiedlich ausgestaltet. In vielen europäischen Staaten bestehen vergleichbare Regelungen, die jedoch in ihren Detailanforderungen und Leistungsumfängen voneinander abweichen.

Zusammenfassung

Invalidität bezeichnet im Recht eine dauerhafte, gesundheitlich bedingte Einschränkung körperlicher oder geistiger Leistungsfähigkeit mit weitreichenden Folgen insbesondere im Sozialversicherungsrecht, im privaten Versicherungsrecht, im Steuerrecht und im Beamtenrecht. Die genaue Definition und Rechtsfolgen richten sich nach dem jeweiligen Anwendungsbereich und den einschlägigen gesetzlichen sowie vertraglichen Bestimmungen. Die Feststellung und Bewertung der Invaliditätsfolge sind für die Inanspruchnahme rechtlicher Ansprüche von zentraler Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Invalidität anerkannt wird?

Damit Invalidität im rechtlichen Sinne anerkannt wird, müssen verschiedene gesetzliche Voraussetzungen je nach Rechtsgebiet (z.B. Sozialversicherung, privates Versicherungsvertragsrecht) erfüllt sein. Zentral ist zunächst, dass eine ärztlich nachgewiesene gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt, die zu einem dauerhaften oder länger andauernden Verlust der Erwerbsfähigkeit führt. Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ist maßgeblich, dass der Versicherte aufgrund von Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, einer Erwerbstätigkeit im bisherigen Umfang nachzugehen. Der Grad der Invalidität (oft durch Gutachten festgestellt) muss bestimmte Schwellenwerte überschreiten, z.B. eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 50 %. In der privaten Invaliditätsversicherung wird häufig auf den „Invaliditätsgrad“ abgestellt, der prozentual bemessen und anhand verbindlicher Gliedertaxen oder Sachverständigengutachten festgestellt wird. Zusätzlich zur medizinischen Komponente sind vielfach auch versicherungsrechtliche Wartezeiten oder Mindestversicherungszeiten einzuhalten. Die Anerkennung erfolgt grundsätzlich nur nach Antragstellung und positiver Prüfung aller formalen Kriterien. Eine bloße Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit reicht für die rechtliche Anerkennung einer Invalidität nicht aus.

Welche Ansprüche entstehen im Fall der festgestellten Invalidität?

Werden die Voraussetzungen für die Anerkennung der Invalidität rechtlich erfüllt, können dem Betroffenen unterschiedliche Ansprüche zustehen. In der gesetzlichen Sozialversicherung kommt insbesondere die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente (§ 43 SGB VI) in Betracht. Bei Unfallversicherungsträgern steht oftmals eine Verletzten- oder Invaliditätsrente (§§ 56 ff. SGB VII) im Raum. Nach Sozialgesetzbuch IX besteht unter Umständen auch ein Anspruch auf Integrationshilfen und Nachteilsausgleiche. Im privaten Versicherungsrecht können Leistungen aus Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen beansprucht werden, abhängig vom jeweiligen Versicherungsvertrag und dem nachgewiesenen Invaliditätsgrad. Anspruchsberechtigt ist in der Regel der Versicherte selbst; unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch auch eine Abtretung an Dritte erfolgen. Weiterhin können Ansprüche auf einmalige Kapitalleistungen, Rentenzahlungen, Rehabilitationsmaßnahmen oder Berufsförderungsmaßnahmen bestehen. Die Art und Höhe der Ansprüche richtet sich nach den zugrunde liegenden gesetzlichen und/oder vertraglichen Bestimmungen und dem festgestellten Invaliditätsgrad.

Welches Verfahren ist bei der Feststellung der Invalidität zu durchlaufen?

Die Feststellung der Invalidität erfolgt meist in einem mehrstufigen Verfahren. Zunächst muss der Betroffene einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Stelle (z. B. Rentenversicherungsträger, Unfallversicherungsträger, private Versicherung) einreichen und alle erforderlichen Unterlagen und ärztlichen Bescheinigungen beifügen. Es folgt die Anforderung weiterer Nachweise und, sofern notwendig, die Beauftragung eines oder mehrerer ärztlicher Gutachten, die Aufschluss über Art, Umfang und Dauer der gesundheitlichen Beeinträchtigung geben sollen. Bei widersprüchlichen Befunden oder Zweifeln kann eine erneute Untersuchung durch unabhängige Sachverständige angeordnet werden. Im Anschluss erfolgt eine Entscheidung durch den zuständigen Sozial- oder Versicherungsdienst, gegen die – im Falle einer Ablehnung oder abweichenden Entscheidung – Rechtsmittel (Widerspruch, Klage) eingelegt werden können. Im sozialrechtlichen Kontext besteht das Recht auf ein Verwaltungsverfahren mit anschließender sozialgerichtlicher Überprüfung.

Wie wird der Invaliditätsgrad rechtlich bewertet und bestimmt?

Die Bewertung des Invaliditätsgrades erfolgt prinzipiell differenziert nach der Art der Gesundheitsbeeinträchtigung sowie nach Maßgabe gesetzlicher oder vertraglicher Vorgaben. Bei gesetzlichen Renten- und Unfallversicherungen wird der Grad der Erwerbsminderung meist in Prozent ausgedrückt, wobei medizinische Gutachten und gesetzliche Gliedertaxen (bei Verlust bestimmter Körperteile oder Sinne) herangezogen werden. In der privaten Unfallversicherung ist regelmäßig der sogenannte Invaliditätsgrad maßgeblich, der anhand verbindlicher oder im Versicherungsvertrag definierter Gliedertaxen festgelegt wird. Der Invaliditätsgrad kann durch Sachverständigengutachten überprüft und ggf. auch gerichtlich geklärt werden. Die Anforderungen und Bewertungskriterien unterscheiden sich teils erheblich zwischen den einzelnen Rechtsbereichen und Versicherungsarten.

Welche Möglichkeiten bestehen, gegen eine abgelehnte Anerkennung der Invalidität vorzugehen?

Wird die Anerkennung der Invalidität durch den zuständigen Träger oder die Versicherung abgelehnt, stehen verschiedene Rechtsmittel offen. Im Sozialversicherungsrecht kann innerhalb einer bestimmten Frist (in der Regel ein Monat ab Zugang des Verwaltungsakts) Widerspruch eingelegt werden (§ 84 SGG). Über den Widerspruch entscheidet die Widerspruchsstelle. Bleibt der Widerspruch erfolglos, kann Klage beim Sozialgericht erhoben werden. Im Kontext privater Versicherungen bestehen zivilrechtliche Ansprüche, sodass gegen eine ablehnende Entscheidung der Versicherung Klage beim zuständigen Zivilgericht erhoben werden kann. Es empfiehlt sich häufig, vor gerichtlichen Schritten eine erneute, unabhängige medizinische Begutachtung einzuholen oder den Vorgang anwaltlich prüfen zu lassen. Auch Ombudsstellen der Versicherungen können als außergerichtliche Streitschlichtung eingeschaltet werden.

Welche Rolle spielen ärztliche Gutachten im Invaliditätsverfahren?

Ärztliche Gutachten sind im Verfahren zur Anerkennung der Invalidität von zentraler Bedeutung. Sie dienen als objektive Entscheidungsgrundlage für die Frage, ob und in welchem Umfang eine dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt. Die Gutachten müssen von unabhängigen, qualifizierten Fachärzten erstellt werden, die alle relevanten Befunde, Funktionsstörungen und Prognosen dokumentieren. Die Gutachter bewerten zudem im Hinblick auf den jeweiligen gesetzlichen oder vertraglichen Rahmen, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der Invalidität erfüllt sind. Kommen die Beteiligten zu unterschiedlichen Einschätzungen, kann ein weiteres Gutachten, das sogenannte Obergutachten, eingeholt werden. In streitigen Fällen entscheiden in der Regel die Gerichte auf Basis der vorliegenden Gutachten.

Gibt es unterschiedliche Invaliditätsbegriffe im Sozialversicherungsrecht und in der privaten Versicherung?

Ja, die Definition und Auslegung des Invaliditätsbegriffs unterscheiden sich teils erheblich zwischen den einzelnen Rechtsgebieten. Das Sozialversicherungsrecht orientiert sich überwiegend an der Erwerbsfähigkeit, das heißt an der Fähigkeit, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Die private Versicherung – etwa die Unfallversicherung – knüpft dagegen zumeist an den dauerhaften körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden und dessen Auswirkungen auf bestimmte alltägliche Fähigkeiten an. Entsprechend unterscheiden sich auch die Voraussetzungen für die Anerkennung sowie die Art und Höhe der Leistungen beträchtlich. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, welche rechtliche Definition für den jeweiligen Anspruch maßgeblich ist.