Rechtlicher Überblick zur Intersexualität
Begriffsbestimmung und medizinischer Hintergrund
Intersexualität bezeichnet einen Zustand, bei dem die biologischen Geschlechtsmerkmale eines Menschen – dazu zählen beispielsweise Chromosomen, Hormonstatus, innere und äußere Geschlechtsorgane – nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen sind. Der Begriff wird in medizinischen, gesellschaftlichen und insbesondere auch rechtlichen Zusammenhängen verwendet und ist bis heute teilweise Gegenstand gesellschaftlicher und rechtlicher Debatten. In internationalen wie auch deutschen Rechtsordnungen hat die Thematik in den letzten Jahren durch Gesetzesänderungen und Entscheidungen höchster Gerichte wachsende Bedeutung erlangt.
Gesetzliche Regelungen zur Intersexualität in Deutschland
Personenstandsrecht
Das deutsche Personenstandsrecht sieht seit dem 1. Januar 2019 eine ausdrückliche Regelung für intergeschlechtliche Menschen vor. Nach § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) kann im Geburtenregister neben „weiblich“ und „männlich“ als weiterer Geschlechtseintrag „divers“ gewählt oder auf einen Geschlechtseintrag gänzlich verzichtet werden. Die Einführung des Rechts auf einen dritten Geschlechtseintrag erfolgte als Reaktion auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 (Az. 1 BvR 2019/16), der die bisherige Regelung im Personenstandsgesetz als verfassungswidrig einstufte.
Voraussetzungen für einen Geschlechtseintrag „divers“
Um einen anderen als den männlichen oder weiblichen Geschlechtseintrag zu wählen, verlangt das Personenstandsgesetz die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, welche die Variante der Geschlechtsentwicklung bestätigt (§ 45b PStG). In der Praxis bedeutet dies, dass eine medizinische Diagnose vorliegen muss, die Intersexualität – oder wie es medizinisch heißt: eine Variation in der Geschlechtsentwicklung (DSD, Differences of Sex Development) – belegt.
Namensrecht
Mit der Änderung des Geschlechtseintrags können auch die Vornamen angepasst werden. Gemäß § 45b PStG steht im Zusammenhang mit der Änderung des Geschlechtseintrags auch die Möglichkeit einer Änderung des Vornamens offen, ohne dass ein entsprechendes gerichtliches Verfahren nach dem Transsexuellengesetz erforderlich ist.
Diskriminierungsschutz und Gleichbehandlung
Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung sind nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) besonders geschützt. Das AGG verbietet Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, was nach höchstrichterlicher Auslegung auch Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität einschließt. Arbeitgeber sind gemäß § 7 AGG verpflichtet, intergeschlechtliche Menschen vor Benachteiligung zu schützen. Auch im Bildungsbereich, bei der Gesundheitsversorgung und bei staatlichen Leistungen gelten besondere Schutzmechanismen.
Medizinische Eingriffe und Selbstbestimmungsrecht
Intergeschlechtliche Menschen haben nach geltendem Recht in Deutschland das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Besonders bedeutsam ist das 2021 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (§§ 1631c, 1631e BGB). Dieses Gesetz verbietet irreversible medizinische Eingriffe zur Geschlechtszuweisung an Kindern ohne medizinische Notwendigkeit. Maßnahmen, die eine Festlegung auf ein bestimmtes Geschlecht bewirken würden, dürfen grundsätzlich nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person und nach Erreichen der Einwilligungsfähigkeit erfolgen. Im Grundsatz sind der Schutz vor nicht-medizinisch notwendigen geschlechtsverändernden Eingriffen und die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts zentrale Säulen des deutschen Rechtsrahmens.
Internationale Perspektiven
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und EU-Recht
Die rechtliche Anerkennung von Intersexualität sowie der Schutz gegen Diskriminierung knüpfen auch an europäische Vorgaben an. Insbesondere aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; Art. 8 Abs. 1 EMRK Schutz des Privatlebens; Art. 14 EMRK Diskriminierungsverbot) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 21 Diskriminierungsverbot) ergeben sich Schutzpflichten für die Mitgliedstaaten gegenüber intergeschlechtlichen Menschen.
Internationale Entwicklungen
Die Frage der Anerkennung und des Schutzes intergeschlechtlicher Menschen wird weltweit unterschiedlich gehandhabt. Einige Länder erlauben mittlerweile einen dritten rechtlichen Geschlechtseintrag, andere stellen Antidiskriminierungsgesetze oder spezielle Schutzvorschriften für Intersexuelle bereit.
Gerichtliche Entscheidungen zur Intersexualität
Die Rechtsprechung hat sich wiederholt zur Intersexualität und deren rechtlichen Konsequenzen positioniert. Der bereits erwähnte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 ist maßgeblich für die aktuelle Gesetzeslage. Zu beachten sind auch zahlreiche Urteile zur Diskriminierung am Arbeitsplatz, etwa durch den Europäischen Gerichtshof, sowie Entscheidungen über medizinische Eingriffe bei Minderjährigen.
Gesetzliche Herausforderungen und Entwicklungstendenzen
Obwohl der Gesetzgeber in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt hat, bestehen weiterhin Herausforderungen. Hierzu zählen die gesellschaftliche und rechtliche Durchsetzung der neuen Vorgaben, die Ausgestaltung von Datenschutzstandards beim Umgang mit besonderen personenbezogenen Daten (§ 46 PStG, Art. 9 DSGVO), die Anerkennung im internationalen Personenstandsrecht sowie die fortlaufende Sensibilisierung staatlicher und privater Stellen für die Belange intergeschlechtlicher Menschen.
Fazit
Intersexualität ist ein gesellschaftlich und rechtlich bedeutsames Thema, das in Deutschland durch verschiedene Gesetze, insbesondere das Personenstandsrecht und das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, ein gewichtiges Schutzniveau erfahren hat. Diskriminierungsschutz, Persönlichkeitsrechte und Selbstbestimmungsrecht sind tragende Säulen des gegenwärtigen Rechtsrahmens. Die kontinuierliche Weiterentwicklung in Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie eine zunehmende Sensibilisierung des gesellschaftlichen Umfelds sind zentrale Voraussetzungen, um die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung weiter zu gewährleisten.
Häufig gestellte Fragen
Wie ist die rechtliche Anerkennung des Geschlechts bei intersexuellen Personen in Deutschland geregelt?
Die rechtliche Anerkennung des Geschlechts intersexueller Personen in Deutschland wurde maßgeblich durch das Personenstandsgesetz (PStG) reformiert. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 und der darauf folgenden Gesetzesänderung besteht die Möglichkeit, im Geburtenregister neben „männlich“ und „weiblich“ die Option „divers“ einzutragen (§ 22 Abs. 3 PStG). Die Änderung des Geschlechtseintrags ist auf Antrag und mithilfe eines ärztlichen Attests, das eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ bescheinigt, möglich. Darüber hinaus besteht auch das Recht, den Geschlechtseintrag gänzlich offen zu lassen. Kinder dürfen ohne operativen oder hormonellen Eingriff zunächst einen offenen oder den „divers“-Eintrag erhalten, bis sie selbst ihre geschlechtliche Identität bestimmen können. Die Entscheidungsfreiheit für betroffene Personen ist damit rechtlich abgesichert, wobei weiterhin Kritik hinsichtlich ärztlicher Gutachtenpflicht oder gesellschaftlicher Diskriminierung existiert.
Welche Rechte haben intersexuelle Personen hinsichtlich geschlechtszuweisender medizinischer Eingriffe?
Medizinische Eingriffe zur Geschlechtszuweisung bei intersexuellen Kindern stehen seit Jahren in der Kritik und wurden rechtlich eingeschränkt. Nach § 1631e BGB (eingeführt durch das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung von 2021) sind geschlechtszuweisende medizinische Maßnahmen an minderjährigen Kindern, die nicht medizinisch notwendig sind, grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn der Eingriff im Kindesalter aus medizinisch zwingenden Gründen erfolgen muss. In solchen Fällen ist die Zustimmung des Familiengerichts notwendig, das die Einwilligung der Eltern ersetzt. Ziel ist es, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die geschlechtliche Selbstbestimmung von intersexuellen Kindern zu wahren.
Haben intersexuelle Personen ein Recht auf Diskriminierungsschutz?
Gemäß Artikel 3 Grundgesetz (GG) sowie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genießen intersexuelle Menschen umfassenden Schutz vor Benachteiligung. Im AGG sind Diskriminierungsverbote hinsichtlich des Geschlechts explizit geregelt, wozu ausdrücklich auch intersexuelle und nicht-binäre Personen zählen. Gerichte interpretieren das Diskriminierungsverbot weit, sodass Schutz auch bei der Berufswahl, am Arbeitsplatz, beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen sowie im Mietrecht besteht. Bei Verstößen können Betroffene Ansprüche wie Entschädigung oder Schadensersatz geltend machen.
Wie wirkt sich die rechtliche Anerkennung auf Namen und Dokumente aus?
Die Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister ermöglicht es intersexuellen Personen nicht nur, ihren Personenstand anpassen zu lassen, sondern gibt ihnen auch das Recht auf eine Änderung des Vornamens (§ 45b PStG). Die neue Beurkundung umfasst typischerweise die Ausstellung neuer Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden sowie die Anpassung anderer offizieller Dokumente (z. B. Personalausweis, Reisepass). Dies kann eine vollständige rechtliche Angleichung an das gewünschte Geschlecht bedeuten, was auch internationale Anerkennung betreffen kann, sofern eine entsprechende bilaterale oder multilaterale Übereinkunft existiert. Probleme können jedoch bei der Anerkennung im Ausland auftreten, da nicht alle Staaten die Eintragung eines dritten Geschlechts kennen.
Welche Rechte bestehen im Familienrecht für intersexuelle Personen?
Das deutsche Familienrecht differenziert bei der Vergabe elterlicher Rechte und Pflichten, beim Adoptionsrecht oder bei Eheschließungen nicht mehr zwischen den unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten, einschließlich intersexueller Personen. Seit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare 2017 und der Personenstandsänderung für „divers“, können intersexuelle Menschen rechtlich gleichgestellt heiraten und eine Familie gründen. Auch das Adoptionsrecht steht ihnen uneingeschränkt offen. Bei der Zurechnung der Elternschaft, etwa auf Geburtsurkunden, ist jedoch immer noch das deutsche Abstammungsrecht maßgebend, das weiterhin in manchen Bereichen geschlechterspezifische Rollen vorsieht.
Wie sieht der arbeitsrechtliche Schutz intersexueller Personen aus?
Intersexuelle Arbeitnehmende sind durch das AGG vor Benachteiligung im Arbeitsleben geschützt. Es ist unzulässig, Bewerber*innen oder Beschäftigte aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, einschließlich der Eintragung „divers“, im Bewerbungsverfahren, während des Arbeitsverhältnisses oder bei der Beendigung desselben zu benachteiligen. Verstöße können arbeitsrechtliche Konsequenzen und Ansprüche auf Entschädigung nach sich ziehen. Unternehmen sind außerdem verpflichtet, Diskriminierungen aktiv vorzubeugen und geeignete Schutzmaßnahmen sowie Gleichbehandlungsstrukturen bereitzustellen.
Welche Möglichkeiten haben intersexuelle Menschen, sich gegen Diskriminierung zu wehren?
Intersexuelle Personen, die Diskriminierung erfahren, haben in Deutschland verschiedene rechtliche Wege, sich zu wehren. Je nach Sachlage können sie Beschwerde beim Betrieb (z. B. Gleichstellungsbeauftragte), bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder einem zuständigen Gericht (Arbeits-, Zivil-, Sozialgericht) einreichen. Im Falle eines Verstoßes gegen das AGG besteht ein Anspruch auf Entschädigung (§ 15 AGG) und ggf. Schadensersatz. Außerdem ist die Unterstützung durch Beratungsstellen oder spezialisierte Anwaltschaft möglich, um ihre Rechte effektiv durchzusetzen. Fristen sind besonders zu beachten, da beispielsweise Ansprüche oft innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden müssen.