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Internationales Steuerrecht


Begriff und Grundlagen des Internationalen Steuerrechts

Das Internationale Steuerrecht bezeichnet den Teil des Steuerrechts, der die Besteuerungssachverhalte mit grenzüberschreitenden Bezügen regelt. Es umfasst sämtliche nationalen, zwischenstaatlichen und supranationalen Rechtsnormen, die zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, zur Absicherung des nationalen Steueraufkommens und zur Koordinierung der steuerlichen Vorschriften verschiedener Staaten dienen.

Definition und Abgrenzung

Internationales Steuerrecht ist kein eigenständiges Rechtsgebiet, sondern setzt sich aus verschiedenen Normen des nationalen Steuerrechts, zwischenstaatlichen Abkommen (insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen, kurz DBA) und supranationalen Regelungen (beispielsweise durch die Europäische Union) zusammen. Es regelt insbesondere,

  • wie Einkünfte aus grenzüberschreitenden Tätigkeiten besteuert werden,
  • welche Staaten in welchem Umfang das Besteuerungsrecht zusteht,
  • wie eine Doppelbesteuerung vermieden wird und
  • wie steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten und Gestaltungsmissbrauch vermieden werden.

Bedeutung und Anwendungsbereich

Mit zunehmender Globalisierung der Wirtschaft und Mobilität von Individuen gewinnt das Internationale Steuerrecht stetig an Bedeutung. Typische Anwendungsbereiche sind:

  • Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse und Unternehmensstrukturen
  • Internationale Investitionen und Beteiligungen
  • Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen verschiedenen Staaten
  • Wegzugsbesteuerung

Das Internationale Steuerrecht betrifft sowohl Unternehmen und Unternehmensgruppen als auch Privatpersonen mit Einkünften aus ausländischen Quellen.


Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Das Internationale Steuerrecht stützt sich auf ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Rechtsquellen. Diese lassen sich in drei zentralen Ebenen systematisieren: nationales Steuerrecht, zwischenstaatliche Abkommen und supranationales Recht.

Nationales Steuerrecht

Jeder Staat hat seine eigenen steuerlichen Vorschriften, die im nationalen Steuerrecht verankert sind. In Deutschland sind dies etwa das Einkommensteuergesetz (EStG), das Körperschaftsteuergesetz (KStG) oder das Außensteuergesetz (AStG). Hier werden die Voraussetzungen für eine inländische oder ausländische Steuerpflicht sowie die Zuweisung der Besteuerungsrechte geregelt.

  • Unbeschränkte Steuerpflicht: Natürliche und juristische Personen sind mit ihrem Welteinkommen im Ansässigkeitsstaat steuerpflichtig.
  • Beschränkte Steuerpflicht: Personen ohne Wohnsitz oder Sitz im Inland werden nur mit inländischen Einkünften besteuert.

Zwischenstaatliche Abkommen (insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen)

Zur Vermeidung und Verringerung der Belastung mit Doppelbesteuerung schließen Staaten bilaterale aber auch multilaterale Abkommen ab. Die wichtigsten sind die Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), die auf dem Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD-MA) beruhen.

Kernelemente eines DBA

  • Abgrenzung der Ansässigkeit: Definition, welchem Staat das Hauptbesteuerungsrecht zusteht.
  • Einkunftsarten: Zuordnung von Einkünften aus unselbständiger und selbständiger Arbeit, Unternehmensgewinnen, Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren, etc.
  • Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung: Freistellungsmethode und Anrechnungsmethode.

Supranationale Rechtsnormen

Insbesondere innerhalb der Europäischen Union existieren supranationale steuerliche Regelungen, die das nationale und bilaterale Steuerrecht beeinflussen, etwa durch die Regelungen der EU-Grundfreiheiten (z.B. Niederlassungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit), Anti-Missbrauchsrichtlinien (z.B. ATAD) oder die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie.


Grundprinzipien und Regelungsbereiche des Internationalen Steuerrechts

Besteuerungsprinzipien

Das Internationale Steuerrecht beruht auf wichtigen Prinzipien, die die Zuweisung der Besteuerungsrechte bestimmen.

Wohnsitzprinzip

Das Wohnsitzprinzip sieht vor, dass ein Staat alle im Inland wohnhaften (natürlichen) oder ansässigen (juristischen) Personen mit deren Welteinkommen besteuert (Welteinkommensprinzip).

Quellenprinzip

Nach dem Quellenprinzip besteuert ein Staat gezielt die im Inland erzielten Einkünfte von Personen ohne Wohnsitz oder Sitz im Inland. Dies führt – ohne abweichende Regelung – zu einer Doppelbesteuerung, sofern auch der Ansässigkeitsstaat das Welteinkommen erfasst.

Territorialitäts- und Territorialprinzip

Staaten wenden darüber hinaus das Territorialitätsprinzip an, welches die Besteuerung ausschließlich auf im Inland erzielte Einkünfte beschränkt.

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung kommen insbesondere zwei Methoden zur Anwendung:

  • Freistellungsmethode: Die im Ausland erzielten Einkünfte werden im Wohnsitzstaat von der Besteuerung freigestellt.
  • Anrechnungsmethode: Die im Ausland gezahlte Steuer wird auf die im Wohnsitzstaat auf die ausländischen Einkünfte entfallende Steuer angerechnet.

Hinzurechnungsbesteuerung und Missbrauchsvermeidung

Das Internationale Steuerrecht enthält Bestimmungen zur Verhinderung einer steuerlichen Umgehung, z.B. durch Verlagerung von Einkünften in Niedrigsteuerländer. In Deutschland werden hierzu insbesondere das Außensteuergesetz (AStG) und die Hinzurechnungsbesteuerung angewendet.


Überblick zu weiteren wesentlichen Regelungsbereichen

Verrechnungspreise und internationale Gewinnabgrenzung

Multinationale Unternehmen unterliegen bei grenzüberschreitenden Transaktionen der Pflicht, ihre Preise und Konditionen so zu gestalten, als ob sie mit unabhängigen Dritten abgeschlossen würden (Fremdvergleichsgrundsatz). Umfangreiche Dokumentationspflichten und internationale Leitlinien (z.B. OECD-Verrechnungspreisleitlinien) bestimmen diesen Bereich maßgeblich.

Quellensteuern

Viele Staaten sehen auf Auslandszahlungen (insbesondere auf Zinsen, Dividenden, Lizenzgebühren) Quellensteuern vor, um eine Mindestbesteuerung von ins Ausland abfließenden Einkünften zu garantieren.

Amtshilfe und Informationsaustausch

Zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und zur Durchsetzung von Steueransprüchen haben der Austausch steuerlich relevanter Informationen und die Zusammenarbeit der Behörden international an Bedeutung gewonnen. Grundlagen hierfür sind u.a. das multilaterale Übereinkommen über gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zahlreiche bilaterale Informationsaustauschabkommen (Tax Information Exchange Agreements, TIEA).


Wechselwirkungen mit dem Europarecht

Grundfreiheiten

Das Internationale Steuerrecht steht im engen Zusammenhang mit den Grundfreiheiten des EU-Rechts, wie der Kapitalverkehrs-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Nationale steuerrechtliche Bestimmungen, die diese Freiheiten beschränken, können von den europäischen Gerichten für unzulässig erklärt werden.

Beihilferecht

Steuerliche Maßnahmen, die bestimmten Unternehmen oder Wirtschaftsteilnehmern Vorteile bieten, können unter das Verbot staatlicher Beihilfen fallen und müssen mit dem EU-Beihilfenrecht vereinbar sein.

Richtlinien der Europäischen Union

Bestimmte EU-Richtlinien nehmen unmittelbar Einfluss auf das Internationale Steuerrecht, zum Beispiel:

  • Mutter-Tochter-Richtlinie
  • Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie
  • Fusionsrichtlinie
  • Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD)

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen

Das Internationale Steuerrecht ist einem fortlaufenden Wandel unterlegen, insbesondere durch die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft, die Globalisierung und Initiativen der OECD zur Bekämpfung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS-Projekt; Base Erosion and Profit Shifting). Laufende Anpassungen durch nationale Gesetzgebung, Änderungen bei der OECD und innerhalb der Europäischen Union machen das Internationale Steuerrecht zu einem der dynamischsten Teilbereiche des Steuerrechts.


Literaturhinweise

  • Tipke/Lang, Steuerrecht, aktuelle Auflagen
  • Gosch, Internationes Steuerrecht, Kommentar
  • Schaumburg, Internationales Steuerrecht
  • OECD, Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
  • Bundesministerium der Finanzen (BMF), Informationsmaterialien und Anwendungserlasse

Zusammenfassung

Das Internationale Steuerrecht umfasst die Gesamtheit der Regelungen, die die steuerliche Behandlung von Sachverhalten mit Auslandsbezug bestimmen. Es zeichnet sich durch hohe Komplexität und starke internationale Vernetzung aus, wobei nationale, bilaterale und supranationale Rechtsquellen ineinandergreifen. Ziel des Internationalen Steuerrechts ist die Korrekte Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte unter gleichzeitiger Vermeidung von Doppelbesteuerung, Bekämpfung von Steuervermeidung und Sicherstellung eines fairen internationalen Steuerwettbewerbs.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat der Begriff „Ansässigkeit“ im internationalen Steuerrecht?

Die Ansässigkeit ist ein zentrales Kriterium im internationalen Steuerrecht, da sie bestimmt, welchem Staat das Besteuerungsrecht hinsichtlich des weltweiten Einkommens einer Person oder eines Unternehmens zusteht. Im rechtlichen Kontext regeln nationale Steuergesetze und zwischenstaatliche Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), insbesondere auf Basis des OECD-Musterabkommens, die Kriterien der Ansässigkeit. Für natürliche Personen wird die Ansässigkeit regelmäßig durch den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gemäß nationalem Recht bestimmt. Bei juristischen Personen ist häufig der Sitz der Geschäftsleitung maßgeblich. Gerät eine Person in den Anwendungsbereich mehrerer Staaten (Doppelansässigkeit), enthalten Doppelbesteuerungsabkommen spezielle Tie-Breaker-Regeln wie ständiger Wohnsitz, Mittelpunkt der Lebensinteressen oder gewöhnlicher Aufenthalt. Die korrekte Feststellung der Ansässigkeit ist Voraussetzung für die Anwendung von DBA-Vorschriften, etwa für Steuerfreistellungen, Anrechnungen oder zur Vermeidung von Diskriminierungen und doppelter Steuerbelastung.

Wie wird die Doppelbesteuerung im internationalen Steuerrecht verhindert?

Doppelbesteuerung tritt auf, wenn zwei (oder mehr) Staaten das gleiche Einkommen einer Person oder Gesellschaft im vollen Umfang besteuern. Zur Vermeidung sieht das internationale Steuerrecht verschiedene Mechanismen vor: zentrale Bedeutung haben dabei die bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), basierend auf dem OECD-Musterabkommen, seltener auf dem UN-Musterabkommen. Sie regeln Zuteilungsnormen, wonach bestimmte Einkunftsarten entweder exklusiv oder unter bestimmten Bedingungen in nur einem oder in beiden Staaten besteuert werden dürfen. Das nationale Recht enthält ergänzend Methoden wie die Freistellungsmethode (Einkünfte werden im Ansässigkeitsstaat steuerfrei gestellt) oder die Anrechnungsmethode (im Ausland gezahlte Steuern werden auf die inländische Steuerschuld angerechnet). Voraussetzung ist typischerweise ein Nachweis der ausländischen Besteuerung. Werden keine DBA angewendet, können nationale Regelungen zur unilateralen Entlastung bestehen. Kommt es dennoch zu Besteuerungskonflikten, stehen Verständigungsverfahren oder Schiedsverfahren zur Beilegung zur Verfügung.

Welche Funktion erfüllen Anti-Missbrauchsvorschriften im internationalen Steuerrecht?

Anti-Missbrauchsvorschriften, sowohl auf nationaler als auch auf völkerrechtlicher Ebene, dienen der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen, die zur Reduzierung oder Vermeidung der Steuerbelastung im internationalen Kontext führen. Zentral sind allgemeine Vorschriften wie die „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ sowie spezifische Vorschriften, etwa zur Verhinderung des Treaty Shopping, Boxes oder hybrider Gestaltungen. Auf Ebene der DBA sind Missbrauchsklauseln (z.B. „beneficial ownership“, Principal Purpose Test [PPT]) zunehmend Standard, insbesondere seit dem Multilateralen Instrument (MLI) im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD. Ziel ist, Gestaltungen zu verhindern, bei denen ein Steuerpflichtiger lediglich zur Ausnutzung günstigerer Abkommensbestimmungen eine künstliche Struktur konstruiert. Konsequenzen missbräuchlicher Strukturen reichen von der Versagung von Abkommensvorteilen bis zur vollständigen Besteuerung nach nationalem Recht. Zusätzlich regulieren CFC-Regelungen (Controlled Foreign Company), Hinzurechnungsbesteuerung und Substanzanforderungen die internationale Steuergestaltung weiter.

Wie regelt das internationale Steuerrecht die Quellenbesteuerung bestimmter Einkünfte?

Verschiedene Einkunftsarten, insbesondere Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und Vergütungen für Dienstleistungen, unterliegen im internationalen Steuerrecht häufig einer Quellenbesteuerung im Staat, aus dem die Einkünfte stammen (Quellenstaat). Die gesetzlichen Grundlagen ergeben sich aus nationalen Steuerrechten, die meist pauschale Quellensteuersätze vorsehen. Doppelbesteuerungsabkommen begrenzen häufig das Quellenstaatbesteuerungsrecht durch niedrigere Maximalsteuersätze oder exklusive Zuteilung der Besteuerung an den Ansässigkeitsstaat. Für die Inanspruchnahme abkommensrechtlich reduzierter Quellsteuersätze muss regelmäßig ein Ansässigkeitsnachweis oder ein entsprechender Antrag vorgelegt werden. Entfällt keine Abkommensbegünstigung, kann der Steuerpflichtige die ausländische Steuer bei der heimischen Steuerzahlung anrechnen oder die Freistellung beantragen, vorbehaltlich nationaler und DBA-Regelungen. Im Rahmen der EU schreibt die Mutter-Tochter-Richtlinie sowie die Zins- und Lizenzrichtlinie unter bestimmten Voraussetzungen eine Quellensteuerfreiheit vor.

Welche rechtlichen Instrumente zur Streitbeilegung existieren im internationalen Steuerrecht?

Kommt es zu Meinungsverschiedenheiten oder doppelter Besteuerung trotz Anwendung von DBA, existieren spezielle Streitbeilegungsmechanismen. Das zentrale Verfahren ist das Verständigungsverfahren (Mutual Agreement Procedure, MAP), eingeführt durch Art. 25 OECD-Musterabkommen und in den meisten DBA implementiert. Hierbei verhandeln die beteiligten Staaten über die Entlastung des Betroffenen. Mit dem Multilateralen Instrument (MLI) gewinnt das verbindliche Schiedsverfahren an Bedeutung, sofern sich die Staaten nicht im Verständigungsverfahren einigen. Die Ergebnisse des Verfahrens sind bindend für die Steuerverwaltungen; ein Rechtsanspruch des Steuerpflichtigen auf Durchführung eines Schiedsverfahrens ist jedoch nicht durchgehend gegeben. Auf EU-Ebene existieren ebenfalls spezielle Schiedsmechanismen, insbesondere nach der EU-Schiedskonvention und der EU-Streitbeilegungsrichtlinie. Daneben bestehen nationale Rechtsbehelfe und gerichtliche Verfahren, wobei deren Ausgang oft von der vorherigen Durchführung internationaler Verständigungsverfahren abhängt.

Wie wirken sich Verrechnungspreise und deren Dokumentationspflichten auf das internationale Steuerrecht aus?

Verrechnungspreise, also Preise für grenzüberschreitende Lieferungen und Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen, sind im internationalen Steuerrecht besonders sensibel, da sie erheblichen Einfluss auf die steuerliche Gewinnverteilung zwischen beteiligten Staaten haben. Grundlage ist das international anerkannte Fremdvergleichsprinzip (Arm’s Length Principle), das in den meisten nationalen Steuergesetzen und in DBA (insbesondere Art. 9 OECD-MA) verankert ist. Unternehmen sind verpflichtet, Transaktionen mit verbundenen Unternehmen zu marktüblichen Bedingungen abzuwickeln und diese entsprechend zu dokumentieren. Die Rechtslage sieht bei Verstößen Zurechnungen, Hinzuschätzungen oder Strafen vor. Die Anforderungen an die Dokumentation sind in den OECD-Verrechnungspreis-Leitlinien sowie zunehmend in BEPS-Aktionspunkten detailliert. National setzen viele Staaten eigene Dokumentationsvorschriften um, etwa durch Local File, Master File und Country-by-Country Reporting. Die Einhaltung dieser Pflichten ist für Unternehmen essentiell, um Sanktionen und langwierige Verständigungsverfahren zu vermeiden.