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Innergemeinschaftliche Lieferung/innergemeinschaftlicher Erwerb


Innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlicher Erwerb

Begriffserklärung und Abgrenzung

Die innergemeinschaftliche Lieferung sowie der innergemeinschaftliche Erwerb betreffen den Warenhandel zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) unter dem Gesichtspunkt des Umsatzsteuerrechts. Diese Begriffe wurden im Rahmen des europäischen Binnenmarktes und im Zuge der Abschaffung der Grenzkontrollen eingeführt, um den grenzüberschreitenden Warenverkehr rechtlich einheitlich zu regeln. Sie stellen Kernelemente im System der Mehrwertsteuer innerhalb der EU dar.

Innergemeinschaftliche Lieferung

Eine innergemeinschaftliche Lieferung liegt vor, wenn ein Unternehmer aus dem Gebiet eines EU-Mitgliedstaates einen Gegenstand an einen Unternehmer oder eine juristische Person in einem anderen Mitgliedstaat liefert und dabei bestimmte Voraussetzungen einhält. Die Lieferung erfolgt „steuerfrei“ nach § 4 Nr. 1b Umsatzsteuergesetz (UStG) i. V. m. § 6a UStG, sofern sie den Regelungen des Umsatzsteuergesetzes und der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) entspricht.

Innergemeinschaftlicher Erwerb

Der innergemeinschaftliche Erwerb bezeichnet dagegen den Vorgang auf Seiten des Warenempfängers. Ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Sinne des § 1a UStG liegt vor, wenn ein Unternehmer, eine juristische Person oder in bestimmten Fällen auch eine nichtunternehmerisch handelnde Privatperson aus einem anderen EU-Mitgliedstaat einen Gegenstand entgeltlich bezieht und der Gegenstand dabei von einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland oder in einen anderen Mitgliedstaat gelangt.


Voraussetzungen und rechtliche Grundlagen

Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung

Unternehmerstatus des Liefernden
Lieferung gegen Entgelt
Transport des Liefergegenstands von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen
Erwerb durch einen im anderen EU-Mitgliedstaat für Umsatzsteuerzwecke erfassten Unternehmer oder einer juristischen Person (mit USt-IdNr.)
Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) durch Erwerber
Erfüllung der Nachweispflichten für die Steuerbefreiung (insbesondere Beleg- und Buchnachweis)

Voraussetzungen des innergemeinschaftlichen Erwerbs

Erwerb eines Gegenstands gegen Entgelt
Empfänger ist Unternehmer oder juristische Person
Verbringung des Gegenstands aus einem anderen EU-Mitgliedstaat in das Inland (oder in den jeweiligen Mitgliedstaat)
Erwerber handelt für sein Unternehmen und ist für Zwecke der Umsatzsteuer registriert
Erwerb fällt nicht unter Ausnahmen wie die Erwerbsschwelle oder Bagatellgrenzen für bestimmte Erwerbergruppen


Umsatzsteuerliche Behandlung

Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung

Die innergemeinschaftliche Lieferung ist grundsätzlich von der Umsatzsteuer im Lieferland befreit. Diese Steuerbefreiung soll verhindern, dass der Warenverkehr im Ursprungsland der Lieferungen besteuert und anschließend im Bestimmungsland nochmals mit Steuer belastet wird. Die Steuerpflicht verlagert sich auf den innergemeinschaftlichen Erwerb im Empfängerland.

Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs

Der Erwerber muss den innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungsland deklarieren und unterliegt dort der Umsatzbesteuerung zum jeweils geltenden nationalen Steuersatz. Der Erwerber ist in der Regel vorsteuerabzugsberechtigt, sofern er als Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.


Melde- und Nachweispflichten

Umsatzsteuer-Identifikationsnummer/Bestätigungspflicht

Sowohl Lieferant als auch Erwerber benötigen eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.), die im Vorfeld überprüft werden muss. Eine fehlerhafte oder fehlende USt-IdNr. kann zur Verweigerung der Steuerfreiheit führen.

Zusammenfassende Meldung und Intrastat

Der leistende Unternehmer muss innergemeinschaftliche Lieferungen jeweils in einer sog. Zusammenfassenden Meldung (ZM) sowie eventuell im Rahmen der Intrastat-Meldung angeben. Die Zusammenfassende Meldung dient der Kontrolle und Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug und muss zeitnah elektronisch beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) eingereicht werden.

Dokumentations- und Nachweispflichten

Der Unternehmer hat für die Steuerfreiheit strenge Nachweis- und Dokumentationspflichten zu erfüllen (Beleg- und Buchnachweis). In der Regel müssen folgende Nachweise erbracht werden:
Doppel des Lieferscheins oder Spediteursbescheinigung
Buchmäßiger Nachweis der Geschäftsbeziehung
Beleg über die Abholung/den Versand (z.B. CMR-Frachtbrief, Trackingnummer, Versandbestätigung)
Ggf. Gelangensbestätigung des Erwerbers


Sonderfälle und Ausnahmen

Reihengeschäfte und Dreiecksgeschäfte

Im Rahmen von grenzüberschreitenden Lieferbeziehungen kann auch das sog. Reihengeschäft oder ein Dreiecksgeschäft vorliegen. Hierbei wird besonders geregelt, welches Unternehmen als Lieferer gilt und welchem Geschäft die Steuerbefreiung zukommt.

Erwerbsschwelle und Kleinunternehmer

Für bestimmte Erwerber (z.B. Kleinunternehmer, pauschalierte Landwirte, nicht steuerpflichtige juristische Personen) enthält das Umsatzsteuergesetz Regelungen über Erwerbsschwellen. Bis zum Erreichen dieser Schwelle bleibt der Erwerb steuerfrei; erst beim Überschreiten muss der Erwerber den innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern.

Neufahrzeuge und verbrauchsteuerpflichtige Waren

Für Neufahrzeuge (§ 1b UStG) und verbrauchsteuerpflichtige Waren gelten gesonderte steuerliche Regelungen. Bei Neufahrzeugen ist auch der Erwerb durch Privatpersonen im Bestimmungsland steuerpflichtig.


Rechtsfolgen bei Verstößen

Versagung der Steuerbefreiung

Bei Nichtbeachtung der Nachweispflichten oder bei fehlerhafter Angabe der USt-IdNr. kann die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung versagt werden. Das führt zur nachträglichen Besteuerung im Ursprungsland, häufig verbunden mit Zins- und Strafzahlungen.

Risiko der Steuerumgehung und Maßnahmen

Fehlerhafte oder missbräuchliche Nutzung der Regelungen birgt ein erhöhtes Risiko für Steuerhinterziehung. Daher existieren umfangreiche Kontroll- und Meldepflichten wie die vorbezeichneten Zusammenfassenden Meldungen.


Bedeutung im Binnenmarkt und praktische Relevanz

Die Regelungen über die innergemeinschaftliche Lieferung und den innergemeinschaftlichen Erwerb sind zentral für den freien Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union. Sie ermöglichen die Mehrwertsteuerzahlung im Bestimmungsland und verhindern somit Doppelbesteuerung oder Besteuerungslücken. Unternehmer und Unternehmen müssen im operativen Geschäft zwingend die geltenden Vorschriften und Nachweispflichten beachten, da Fehler zu erheblichen finanziellen Nachteilen führen können.


Weiterführende gesetzliche Grundlagen

Umsatzsteuergesetz (UStG), insbesondere §§ 1a, 1b, 3, 4, 6a
EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV)
Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE)


Literaturhinweise und Weblinks

Bundeszentralamt für Steuern – Informationen zur Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
Steuerrecht/umsatzsteuerrecht.html“>Bundesministerium der Finanzen – Umsatzsteuerrecht


Hinweis: Die Informationen in diesem Beitrag basieren auf Rechtsstand Juni 2024 und ersetzen keine individuelle Prüfung im Einzelfall. Es wird empfohlen, im Zweifel direkt auf die einschlägigen Gesetzestexte und amtlichen Bekanntmachungen zurückzugreifen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorliegen?

Für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne des § 4 Nr. 1b i. V. m. § 6a UStG müssen mehrere rechtliche Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Zunächst muss es sich um eine Lieferung eines Unternehmers handeln, der im Rahmen seines Unternehmens einen Gegenstand aus dem Gebiet eines EU-Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaates befördert oder versendet. Der Abnehmer muss ein Unternehmer sein, der den Erwerb für sein Unternehmen tätigt, oder eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder den Gegenstand nicht für das Unternehmen erwirbt. Darüber hinaus muss der Erwerb im Bestimmungsland der Erwerbsbesteuerung unterliegen. Weiterhin bedarf es eines Nachweises über die tatsächliche Warenbewegung (Beleg- und Buchnachweis). Die Lieferung darf nicht ausschließlich steuerfreie Umsätze (wie Kleinunternehmerregelung) betreffen und der Erwerber muss über eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines anderen EU-Mitgliedstaats verfügen und diese dem Lieferer vor der Ausführung der Lieferung mitteilen. Versäumt der Lieferer das qualifizierte Nachweisverfahren (insbesondere die Eintragung in die Zusammenfassende Meldung und die Überprüfung der USt-IdNr.), kann keine Steuerbefreiung gewährt werden.

Welche Nachweispflichten bestehen für innergemeinschaftliche Lieferungen?

Der Unternehmer muss die Voraussetzung für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung umfassend nachweisen. Dies geschieht primär durch den sogenannten Beleg- und Buchnachweis. Zum Belegnachweis gehören maßgeblich die Gelangensbestätigung, alternativ Frachtbriefe, Spediteurübernahmeerklärungen oder andere vom Gesetzgeber anerkannte Dokumente, die belegen, dass der Gegenstand tatsächlich in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist. Beim Buchnachweis müssen sämtliche relevanten Angaben ordnungsgemäß aufgezeichnet werden, darunter Namen und Anschrift des Abnehmers, dessen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, den gesetzlichen Hinweis zur Steuerfreiheit, sowie Angaben zur Warenbewegung (z. B. Tag des Versands/der Beförderung, Bestimmungsland, verwendetes Beförderungs- und Transportmittel). Versäumnisse beim Nachweis können zur Versagung der Steuerbefreiung und nachträglichen Steuerfestsetzung führen. Der Unternehmer trägt insoweit die Beweislast.

Welche Meldepflichten sind bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und innergemeinschaftlichen Erwerb zu beachten?

Für innergemeinschaftliche Lieferungen besteht neben der steuerlichen Deklaration in der Umsatzsteuervoranmeldung und der Umsatzsteuerjahreserklärung eine Meldepflicht zur Abgabe der sogenannten Zusammenfassenden Meldung (ZM) nach § 18a UStG. In der ZM müssen die USt-IdNr. der Abnehmer sowie die Bemessungsgrundlagen der jeweils ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferungen aufgeführt werden. Daneben sind auch innergemeinschaftliche Erwerbe im Bestimmungsland in der Umsatzsteuer-Voranmeldung und -Jahreserklärung zu deklarieren. Fehlende oder fehlerhafte Meldungen können als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden und führen möglicherweise zur Versagung der Steuerfreiheit. Es besteht zudem eine Pflicht zur Ergänzung bzw. Korrektur bereits abgegebener ZMs, wenn sich nachträglich Änderungen ergeben.

Was ist beim grenzüberschreitenden Reihengeschäft innerhalb der EU zu beachten?

Reihengeschäfte sind Lieferungen, bei denen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen, der unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer befördert oder versendet wird. Im innergemeinschaftlichen Kontext ist zu bestimmen, welcher Lieferung die Beförderung oder Versendung zugeordnet wird – nur diese Lieferung ist als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei. Die Zuordnung richtet sich nach den Vereinbarungen zwischen den Beteiligten und dem Besitzübergang. Rechtsunsicherheiten bestehen oft bei der Abgrenzung zwischen bewegten und ruhenden Lieferungen. Es empfiehlt sich eine ausdrückliche vertragliche Regelung über das Transportrisiko und den Eigentumsübergang; diese Entscheidung hat unmittelbare steuerliche Folgen in allen beteiligten Mitgliedstaaten. Die sog. „Quick Fixes“ der EU im Jahr 2020 haben die Abwicklung solcher Reihengeschäfte durch standardisierte Regelungen vereinfacht, gleichwohl ist eine exakte rechtliche Prüfung und Dokumentation weiterhin erforderlich.

Welche steuerlichen Pflichten treffen den Leistungsempfänger beim innergemeinschaftlichen Erwerb?

Der innergemeinschaftliche Erwerb ist im Bestimmungsland steuerbar, wobei der Erwerber die Umsatzsteuer wie eine eigene Steuerschuld nach § 1a Abs. 1 UStG bzw. Art. 20 MwStSystRL schuldet. Dies führt zur Erwerbsbesteuerung nach dem „Reverse-Charge“-Verfahren: Der Erwerber muss die entstandene Umsatzsteuer angemeldet und abgeführt werden, kann diese dabei unter den allgemeinen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gleichzeitig als Vorsteuer geltend machen. Zudem muss der Erwerber die erforderliche Buchführung über die innergemeinschaftlichen Erwerbe führen und sie in der Umsatzsteuervoranmeldung, der Jahreserklärung sowie etwaigen statistischen Meldungen (z. B. INTRASTAT) angeben. Juristische Personen sowie nichtunternehmerische Erwerber unterliegen gegebenenfalls ab einer Erwerbsschwelle der Besteuerung.

Welche Risiken bestehen bei einer fehlerhaften innergemeinschaftlichen Lieferung?

Rechtliche Risiken entstehen insbesondere bei Nichterfüllung der Nachweispflichten oder Meldepflichten: Das Finanzamt kann die Steuerfreiheit nachträglich versagen, sodass auf den Nettobetrag deutsche Umsatzsteuer erhoben wird. Weiteres Risiko ist die mögliche Einleitung eines Bußgeld- oder sogar Steuerstrafverfahrens, sollte ein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit festgestellt werden. Auch zivilrechtlich drohen Rückforderungsansprüche des Abnehmers bei steuerlicher Nachbelastung. Eine fehlerhafte Lieferung kann zudem zu Kettenreaktionen führen, etwa zur Nichtanerkennung des Vorsteuerabzugs im Erwerberstaat oder zu Doppelbesteuerungen. Schließlich besteht bei Nicht- oder Falschangabe in Zusammenfassenden Meldungen das Risiko der Mitteilung an andere EU-Finanzbehörden und der Kontrolle im Rahmen des Mehrwertsteuer-Kontrollsystems (MIAS/VIES).

Gibt es Ausnahmen oder Besonderheiten bei bestimmten Warenlieferungen im Rahmen der innergemeinschaftlichen Lieferung?

Ja, das Umsatzsteuergesetz und die MwStSystRL sehen für bestimmte Warenarten sowie spezifische Liefersituationen Ausnahmen und Sonderbestimmungen vor. Zu den Ausnahmen zählen etwa „neue Fahrzeuge“, für die spezielle Erwerbsregeln (§ 1b UStG) gelten, oder die Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (z. B. Tabak, Alkohol, Mineralöle), die besonderen Beförderungs- und Nachweispflichten unterliegen. Ferner gibt es für Versandhandelsumsätze und den Fernverkauf nach der Reform der „E-Commerce-Richtlinie“ ab 2021 vereinfachte Regelungen, etwa im One-Stop-Shop-Verfahren (OSS), die unter bestimmten Bedingungen die innergemeinschaftlichen Erwerbsvorschriften verdrängen. Auch Konsignationslager werden nunmehr unter definierten Voraussetzungen begünstigt behandelt. Die richtige rechtliche Einordnung dieser Sondertatbestände ist unabdingbar, da ansonsten erhebliche nachteilige steuerliche und bußgeldrechtliche Folgen drohen.