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Industriegebiet


Industriegebiet – Rechtliche Definition, Grundlagen und Bedeutung

Begriff und allgemeine Einordnung

Ein Industriegebiet ist eine nach dem deutschen Bauplanungsrecht ausgewiesene Fläche, die vorrangig der Ansiedlung von Gewerbe- und Industrieunternehmen dient. Industriegebiete ermöglichen die räumliche Trennung von produzierenden, verarbeitenden und großgewerblichen Betrieben von sensiblen Nutzungen wie Wohngebieten, um Konflikte, insbesondere durch Emissionen, zu vermeiden. Das Industriegebiet besitzt im öffentlichen Baurecht eine zentrale Bedeutung und ist in Deutschland durch zahlreiche gesetzliche Vorgaben geregelt.

Rechtliche Grundlagen der Ausweisung von Industriegebieten

Baugesetzbuch (BauGB)

Die Ausweisung von Industriegebieten erfolgt auf Grundlage des Baugesetzbuchs (BauGB). Nach § 1 BauGB sind Bebauungspläne das zentrale Instrument der kommunalen Bauleitplanung, mit deren Hilfe Gemeinden insbesondere Industriegebiete festsetzen können. Maßgebend ist dabei das sogenannte Planerfordernis, das sicherstellen soll, dass die städtebauliche Entwicklung unter Wahrung öffentlicher und privater Belange gesteuert wird.

Baunutzungsverordnung (BauNVO)

Die konkrete rechtliche Ausgestaltung von Industriegebieten ist in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) geregelt. Die BauNVO definiert unter § 9 das „Industriegebiet (GI)“ und grenzt dieses gegenüber anderen Baugebieten wie Gewerbe-, Misch- oder Wohngebieten ab. Hierbei werden insbesondere Art und Maß der baulichen Nutzung, die zulässigen Betriebe sowie Nutzungsbeschränkungen und Ausnahmen rechtlich fixiert.

Weitere einschlägige Vorschriften

Neben BauGB und BauNVO sind u. a. folgende rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen:

  • Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)
  • Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG)
  • Wasserhaushaltsgesetz (WHG)
  • Landesbauordnungen (LBO)
  • Städtebauliche Satzungen und Bebauungspläne der jeweiligen Gemeinden

Zulässige Nutzungen im Industriegebiet

Im Industriegebiet sind gemäß § 9 Abs. 1 BauNVO vor allem solche Anlagen zulässig, die aufgrund ihrer Emissionen und sonstigen Auswirkungen typischerweise nicht innerhalb reiner oder allgemeiner Gewerbegebiete angesiedelt werden dürfen. Dazu zählen insbesondere:

  • Betriebe des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes
  • Lagerhäuser, Lagerplätze
  • Großhandel
  • Kraftwerke und ähnliche Großanlagen
  • Betriebe zur Abfallverwertung oder -beseitigung

Nicht zulässig sind Wohnnutzungen und die überwiegende Zulassung von Einzelhandelsbetrieben mit Kundenverkehr. Ausnahmsweise können jedoch Betriebswohnungen, Anlagen für soziale Zwecke oder untergeordnete Büro- und Verwaltungsgebäude zugelassen sein, sofern sie dem Gesamtzweck des Industriegebiets nicht widersprechen und öffentlich-rechtliche Vorschriften dies erlauben.

Zulässigkeit von Vorhaben im Industriegebiet

Die Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben in Industriegebieten erfolgt nach mehreren Kriterien:

§ 30 BauGB – Bebauungsplan erforderlich

In Industriegebieten ist grundsätzlich ein qualifizierter Bebauungsplan nach § 30 BauGB erforderlich, der Art und Maß der baulichen Nutzung, überbaubare Grundstücksflächen und örtliche Verkehrsflächen konkret festlegt.

§ 34 und § 35 BauGB – Zulässig im unbeplanten Innenbereich/Außenbereich

Falls kein rechtsverbindlicher Bebauungsplan existiert, richtet sich die Zulässigkeit der Vorhaben ggf. nach § 34 BauGB (Innenbereich) oder § 35 BauGB (Außenbereich), wobei die Errichtung eines Industriegebiets im Außenbereich regelmäßig ausgeschlossen ist.

Umwelt- und Immissionsschutzanforderungen

Gemäß BImSchG sind bei Ansiedlung und Betrieb von Industrieanlagen strenge Anforderungen an Lärmschutz, Luftreinhaltung, Gewässerschutz und Abfallbewirtschaftung zu beachten. Vorrangiges Ziel ist es, einer Gefährdung oder erheblichen Belästigung der Umgebung vorzubeugen.

Abstandsflächen und Bauordnungsrecht

Gemäß den jeweiligen Landesbauordnungen sind in Industriegebieten gesonderte Regelungen zu Abstandsflächen, Bauhöhen und Bebauungsdichte zu beachten. Die Bauaufsichtsbehörde überprüft im Baugenehmigungsverfahren die Einhaltung dieser Vorgaben.

Abgrenzung zu anderen Baugebieten

Industriegebiete sind von anderen Baugebietsarten nach der BauNVO abzugrenzen, insbesondere:

  • Gewerbegebiet (GE): Geringere Emissionen zulässig, stärkere Begrenzung auf „nicht erheblich belästigende“ Betriebe.
  • Sondergebiete (SO): Für spezifische Nutzungen wie Großmärkten, Hafenanlagen oder Forschungseinrichtungen, mit meist eigenen Festsetzungen.
  • Mischgebiet (MI), Kerngebiet (MK) und allgemeines Wohngebiet (WA): Vorrang für Wohnnutzung, keine störenden gewerblichen Nutzungen zulässig.

Besondere Anforderungen an den Umweltschutz

Betriebe in Industriegebieten unterliegen typischerweise Genehmigungs- und Überwachungspflichten nach zahlreichen Umweltschutzgesetzen und -verordnungen, etwa dem Bundes-Immissionsschutzgesetz oder dem Wasserhaushaltsgesetz. Hierzu zählen insbesondere:

  • Erstellung von Umweltverträglichkeitsprüfungen
  • Einhaltung von Schwellenwerten und Emissionsgrenzen
  • Betriebstechnische und organisatorische Maßnahmen zur Gefahrenabwehr

Planerische und rechtliche Konfliktlösungen

Bei der Planung und Entwicklung von Industriegebieten kommt es häufig zu Interessenskonflikten etwa mit angrenzenden Wohnnutzungen oder Natur- und Landschaftsschutz. Gesetzliche Instrumente wie das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB, Umweltverträglichkeitsprüfungen und öffentliche Beteiligungsverfahren dienen dazu, widerstreitende Belange rechtssicher auszugleichen.

Zusammenfassung

Industriegebiete sind speziell dafür vorgesehene Flächen des Bauplanungsrechts, die entscheidende Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung einer Gemeinde besitzen. Ihre Ausweisung, Nutzung und Bebauung unterliegen einer Vielzahl an gesetzlichen Regelungen, deren Ziel ein rechtssicherer, umweltverträglicher und planvoller Umgang mit potenziell emissionsintensiven gewerblichen Nutzungen ist. Die rechtlichen Rahmenbedingungen gewährleisten dabei einen Ausgleich zwischen Wirtschaftsinteressen, Umweltschutz und städtebaulicher Ordnung.

Häufig gestellte Fragen

Welche baurechtlichen Vorgaben gelten für Grundstücke in einem Industriegebiet?

In Deutschland richtet sich die rechtliche Nutzung von Grundstücken in einem Industriegebiet nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) sowie dem örtlichen Bebauungsplan. Laut § 9 BauNVO sind in Industriegebieten vorwiegend industrielle Betriebe zulässig, die aufgrund ihrer Emissionen oder ihres Störpotenzials regelmäßig nicht in anderen Baugebieten untergebracht werden können. Neben den Hauptnutzungen sind im Einzelfall auch untergeordnete Nebenbetriebe, Lagerhäuser, Anlagen zur Versorgung des Gebiets sowie bestimmte Ausnahmen wie betriebsbezogene Verwaltungsgebäude oder Tankstellen möglich. Eine zentrale Einschränkung ergibt sich aus dem Gebot der Gebietsverträglichkeit (§ 15 BauNVO), wonach die Nutzung keine unzumutbaren Belästigungen oder Gefahren für die Umgebung hervorrufen darf. Zudem regeln Landesbauordnungen Aspekte wie Abstandflächen, Brandschutz und Erschließung, während Umweltgesetze beispielsweise Vorgaben zu Lärm-, Immissions- und Gewässerschutz machen. Genehmigungspflichtige Vorhaben unterliegen der Prüfung im Rahmen eines Bauantrags, bei dem die Einhaltung aller einschlägigen Vorschriften und Auflagen – gegebenenfalls auch nach Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) – nachzuweisen ist.

Inwiefern ist eine Wohnnutzung in einem Industriegebiet zulässig?

Die Errichtung oder Nutzung von Wohnraum ist in Industriegebieten nach § 9 Abs. 2 BauNVO grundsätzlich ausgeschlossen. Privatwohnungen sind nur ausnahmsweise gestattet, etwa als Betriebswohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal. Diese Ausnahmen müssen eng ausgelegt werden und sind nicht für eine normale Wohnnutzung vorgesehen. Hintergrund ist, dass von einem Industriegebiet regelmäßig erhebliche Immissionen (Lärm, Erschütterungen, Emissionen etc.) ausgehen, die mit einer schutzbedürftigen Wohnnutzung nicht zu vereinbaren sind. Ebenfalls relevant ist das Gebot der Trennung unterschiedlicher Nutzungen gemäß der EU-Richtlinie 96/61/EG (IVU-Richtlinie) und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Auch Gerichte bestätigen regelmäßig, dass ein dauerhafter oder großflächiger Wohnungsbau in Industriegebieten baurechtswidrig ist.

Welche besonderen umweltschutzrechtlichen Anforderungen gelten in Industriegebieten?

Industriegebiete unterliegen einer Vielzahl strenger umweltschutzrechtlicher Bestimmungen, um schädliche Umwelteinwirkungen für Mensch und Natur zu begrenzen. Zentral sind hier das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und die darauf fußenden Verordnungen, die für genehmigungsbedürftige Anlagen umfangreiche Prüf-, Überwachungs- und Nachweispflichten vorsehen. Wesentliche Themen sind Lärmschutz (TA Lärm), Luftreinhaltung (TA Luft), Gewässerschutz (WHG), Bodenschutz sowie das Abfall- und Gefahrstoffrecht. Die Immissionsgrenzwerte für Industriegebiete liegen deutlich höher als für Wohn- oder Mischgebiete, dennoch müssen Emissionen auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Besondere Anforderungen gelten für Störfallbetriebe (12. BImSchV) sowie bei großem Wasserverbrauch, Abwasseranfall oder bei Gefahrstoffumgang, wo zusätzliche Fachgenehmigungen notwendig sind. In vielen Fällen ist ein Umweltverträglichkeitsgutachten (UVP) erforderlich.

Wie erfolgt die Erschließung und Infrastrukturbereitstellung in einem Industriegebiet rechtlich?

Die Erschließung eines Industriegebiets ist Voraussetzung für die Bebaubarkeit und Nutzung von Grundstücken. Nach § 123 BauGB (Baugesetzbuch) ist die Gemeinde verpflichtet, die Erschließung (Straßen, Wege, Zu- und Abwasser, Strom, ggf. Fernwärme und Telekommunikation) sicherzustellen. Bis zur ordnungsgemäßen Herstellung der Erschließungsanlagen dürfen keine baulichen Anlagen dauerhaft zugelassen werden (§ 30 BauGB). Die Kosten für die Erschließung werden gemäß §§ 127 ff. BauGB zum Teil auf die Grundstückseigentümer umgelegt („Erschließungsbeiträge“). Darüber hinaus bedarf es für Anschluss an bestehende öffentliche Netze und Anlagen (z. B. Wasser, Strom, Telekommunikation) separater vertraglicher Vereinbarungen. Besonderheiten gelten in Gewerbe- und Industriegebieten etwa für leistungsfähige Ver- und Entsorgungsstrukturen, Großraumverkehr, Gefahrguttransporte und spezielle Auflagen zur Infrastruktur aufgrund betrieblicher Erfordernisse.

Welche Rolle spielt der Bebauungsplan für Industriegebiete?

Der Bebauungsplan ist das zentrale planungsrechtliche Instrument, das Lage, Zuschnitt, Nutzungsmöglichkeiten und detaillierte Vorgaben für Industriegebiete verbindlich festlegt. Gemäß § 30 BauGB regelt er zulässige Nutzungsarten nach BauNVO, bauliche Dichte (z. B. Grundflächenzahl, Geschossflächenzahl), Bauweise, Gebäudehöhen, Verkehrsflächen und gegebenenfalls besondere Auflagen (z. B. Lärmschutzflächen, Grünordnungen, Sondernutzungen). Ohne Bebauungsplan kann die Zulässigkeit eines Bauvorhabens nur nach § 34 BauGB (im Zusammenhang bebauter Ortsteile) oder § 35 BauGB (Außenbereich) beurteilt werden, was in der Praxis für Industrievorhaben regelmäßig unzulässig ist. Der Bebauungsplan ist rechtsverbindlich und wird im Rahmen eines förmlichen Verfahrens unter Beteiligung von Behörden und Öffentlichkeit aufgestellt.

Gibt es Besonderheiten beim Arbeitsschutz in Industriegebieten?

Arbeitsstätten in Industriegebieten unterliegen zahlreichen speziellen Vorschriften aus dem Arbeitsstättenrecht, dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und den einschlägigen Verordnungen (Arbeitsstättenverordnung, Gefahrstoffverordnung, Betriebssicherheitsverordnung etc.). Da sich in Industriegebieten häufig Betriebe mit erhöhter Gefährdungslage ansiedeln, sind besondere Maßnahmen für Brandschutz, Explosionsschutz, Flucht- und Rettungswege, Unfallverhütung und die gesundheitsgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen zu treffen. Darüber hinaus bestehen erhöhte Anforderungen an die Dokumentation, Risikoanalysen und den Einsatz von Betriebsärzten/Sicherheitsfachkräften. Die Überwachung erfolgt durch staatliche Gewerbeaufsichtsämter und Berufsgenossenschaften. Bei Verstößen drohen empfindliche Sanktionen bis hin zum Produktionsverbot.

Welche Genehmigungen benötigt ein Unternehmen für eine Ansiedlung in einem Industriegebiet?

Neben der klassischen Baugenehmigung nach Landesbauordnung sind abhängig von der Art des zu betreibenden Betriebs möglicherweise weitere behördliche Genehmigungen erforderlich. Insbesondere für Anlagen, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig sind („BImSchG-Anlagen“), ist ein separates Verfahren erforderlich, das strengere Anforderungen an Umwelt- und Nachbarschaftsschutz beinhaltet und eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung erfordert. Daneben können wasserrechtliche (z. B. Einleitung von Abwasser), abfallrechtliche und gegebenenfalls sogar naturschutzrechtliche Genehmigungen notwendig sein. Viele Industrieunternehmen benötigen zudem Konzessionen im Bereich Gefahrgut, Chemikalien- und Arbeitsschutz, die vor Betriebsaufnahme vorliegen müssen. Ihr Fehlen kann zur Untersagung des Betriebs führen. Außerdem sind bei Änderungen bestehender Betriebe ggf. Änderungs- oder Erweiterungsgenehmigungen einzuholen.