Begriff und Grundlagen des Individualarbeitsrechts
Das Individualarbeitsrecht ist ein eigenständiger Teilbereich des Arbeitsrechts und regelt die Rechtsverhältnisse zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem einzelnen Arbeitgeber. Es steht damit im Gegensatz zum kollektiven Arbeitsrecht, das das Rechtsverhältnis zwischen Gewerkschaften, Betriebsräten und Arbeitgebern betrifft. Das Individualarbeitsrecht umfasst sämtliche rechtlichen Aspekte der Begründung, Durchführung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Sein Ziel ist es, Rechte und Pflichten beider Vertragsparteien – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – ausgewogen zu gestalten und den sozialen Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten.
Grundlegende Prinzipien des Individualarbeitsrechts
Vertragsfreiheit und ihre Grenzen
Das Individualarbeitsrecht folgt grundsätzlich dem Prinzip der Vertragsfreiheit, das es Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermöglicht, Inhalt, Beginn und Ende ihres Arbeitsvertrages frei zu bestimmen. Diese Freiheit wird jedoch durch zwingende gesetzliche Vorschriften, vor allem zum Schutz des Arbeitnehmers, eingeschränkt. Wichtige Schutzgesetze sind unter anderem das Kündigungsschutzgesetz, das Teilzeit- und Befristungsgesetz sowie das Arbeitszeitgesetz.
Rangprinzip und Günstigkeitsprinzip
Im Individualarbeitsrecht gilt das Rangprinzip: Gesetzliche Regelungen stehen über Tarifverträgen, diese wiederum über Betriebsvereinbarungen und Einzelarbeitsverträgen. Das Günstigkeitsprinzip bestimmt, dass für den Arbeitnehmer stets die jeweils günstigste Regelung anwendbar ist, sofern keine zwingenden gesetzlichen Regelungen entgegenstehen.
Begründung des Arbeitsverhältnisses
Arbeitsvertrag
Der Arbeitsvertrag ist die rechtliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses im Individualarbeitsrecht. Er kommt durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande und kann mündlich, schriftlich oder durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden. Das Nachweisgesetz verpflichtet den Arbeitgeber jedoch zur Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen.
Regelungsinhalte des Arbeitsvertrages
Typische Inhalte eines Arbeitsvertrags sind:
- Beginn und ggf. Befristung des Arbeitsverhältnisses
- Beschreibung der Tätigkeit
- Arbeitsort
- Vergütung und deren Fälligkeit
- Arbeitszeit
- Urlaubsanspruch
- Kündigungsfristen
- Regelungen zur Probezeit
Befristung und Teilzeit
Das Teilzeit- und Befristungsgesetz regelt die Voraussetzungen und Grenzen für die Vereinbarung befristeter und teilzeitiger Arbeitsverhältnisse. Eine Befristung bedarf grundsätzlich eines sachlichen Grundes, außer bei erstmaliger Befristung bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren. Arbeitnehmer haben zudem einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit unter bestimmten Voraussetzungen.
Inhalt und Durchführung des Arbeitsverhältnisses
Haupt- und Nebenpflichten
Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist die persönliche Arbeitsleistung; die Hauptpflicht des Arbeitgebers ist die Zahlung der vereinbarten Vergütung. Nebenpflichten sind insbesondere Schutzpflichten (z. B. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers), die sich aus dem Gesetz, dem Arbeitsvertrag oder dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben.
Direktionsrecht des Arbeitgebers
Das sogenannte Direktionsrecht gibt dem Arbeitgeber die Befugnis, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen, soweit diese nicht durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag festgelegt sind.
Arbeitszeit und Urlaub
Das Arbeitszeitgesetz enthält Anforderungen und Grenzen für die zulässige Arbeitszeit und regelt Pausen, Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten. Das Bundesurlaubsgesetz garantiert jedem Arbeitnehmer einen Mindesturlaubsanspruch.
Arbeitsschutz
Der Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ist im Arbeitsschutzgesetz sowie in weiteren Spezialgesetzen (wie Mutterschutzgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz) festgeschrieben.
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Kündigung
Das Individualarbeitsrecht unterscheidet zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Ordentliche Kündigung
Bei der ordentlichen Kündigung sind gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfristen einzuhalten. Die Kündigung bedarf grundsätzlich der Schriftform und muss klar erkennbar sein. Das Kündigungsschutzgesetz schützt Arbeitnehmer in größeren Betrieben vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen und unterscheidet zwischen personenbedingten, verhaltensbedingten und betriebsbedingten Gründen.
Außerordentliche (fristlose) Kündigung
Eine außerordentliche Kündigung ist nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich, der das Festhalten am Arbeitsvertrag bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar macht. Auch hier gilt das Schriftformerfordernis.
Aufhebungsvertrag
Neben der Kündigung ist die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag zulässig. Dieser muss schriftlich geschlossen werden und kann individuelle Abfindungs- oder Ausgleichsregelungen enthalten.
Abwicklung des Arbeitsverhältnisses
Mit der Beendigung entstehen Ansprüche auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses, die Abrechnung offener Ansprüche und die Rückgabe von Firmeneigentum. Sperrfristen für das Arbeitslosengeld können relevant sein, wenn das Arbeitsverhältnis durch eigenes Zutun (z. B. Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag ohne wichtigen Grund) beendet wurde.
Durchsetzung der Rechte und Streitigkeiten
Arbeitsgerichtsbarkeit
Streitigkeiten aus dem Individualarbeitsrecht werden vor den Arbeitsgerichten entschieden. Das Verfahren ist geprägt durch besondere Beschleunigungs- und Schlichtungsregelungen, die auf eine rasche und einvernehmliche Lösung abzielen.
Verjährung und Ausschlussfristen
Viele Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis unterliegen Ausschlussfristen, die in Arbeits- oder Tarifverträgen geregelt sein können. Sie sind meist kürzer als die zivilrechtlichen Verjährungsfristen und verlangen die rechtzeitige schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen.
Abgrenzungen und Verhältnis zum kollektiven Arbeitsrecht
Das Individualarbeitsrecht regelt ausschließlich die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und ist von tarifrechtlich sowie betriebsverfassungsrechtlich geprägten kollektiven Regelungsbereichen abzugrenzen. Während Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen Leitplanken für das Arbeitsverhältnis vorgeben können, wird das konkrete Arbeitsverhältnis stets individuell ausgestaltet und durch das Individualarbeitsrecht geschützt und geregelt.
Quellen und Weiterführendes
Für die vertiefte Auseinandersetzung und aktuelle Gesetzesfassungen empfiehlt sich die Konsultation einschlägiger Gesetze wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG), Arbeitszeitgesetz (ArbZG), Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) und Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Weiterführende Leitlinien bieten staatliche Institutionen wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie die Veröffentlichungen der jeweiligen Landesarbeitsgerichte und des Bundesarbeitsgerichts.
Hinweis: Der vorliegende Artikel versteht sich als eine systematische und umfassende Übersicht. Für Detailfragen zu konkreten Einzelfällen ist die Konsultation der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und gerichtlichen Entscheidungen zu empfehlen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Arbeitsvertrag?
Der Arbeitsvertrag ist das zentrale Dokument im Individualarbeitsrecht und regelt das rechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Grundlegende Pflichten des Arbeitnehmers sind die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung nach Weisung des Arbeitgebers, die Beachtung von Sorgfaltspflichten, Verschwiegenheitsverpflichtungen sowie ggf. ein Wettbewerbsverbot während der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Arbeitgeber sind insbesondere verpflichtet, die vereinbarte Vergütung pünktlich und vollständig zu zahlen, für den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu sorgen und Arbeitsmittel bereitzustellen. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber die Sozialabgaben abführen sowie einen Urlaubsanspruch gewähren. Änderungen des Arbeitsvertrages, etwa durch Versetzungen oder Gehaltsanpassungen, bedürfen im Regelfall der Zustimmung beider Vertragsparteien, es sei denn, sie sind durch eine wirksame Versetzungsklausel oder eine einseitige Anordnung im Rahmen des Direktionsrechts gedeckt. Beide Seiten haben die arbeitsvertraglichen Pflichten nach Treu und Glauben zu erfüllen und dürfen nicht willkürlich oder missbräuchlich handeln.
Wie ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtlich geregelt?
Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist im Wesentlichen durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) geregelt. Eine Kündigung kann ordentlich (fristgerecht) oder außerordentlich (fristlos) erfolgen. Für eine ordentliche Kündigung ist grundsätzlich die Einhaltung der gesetzlichen, tariflichen oder arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist erforderlich. Im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG ist eine ordentliche Kündigung nur wirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist, d.h. personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Gründe vorliegen. Die außerordentliche Kündigung setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, der es dem Kündigenden unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Jede Kündigung muss schriftlich erfolgen (§ 623 BGB) und eine ordentliche Kündigung kann in bestimmten Fällen einer vorherigen Anhörung des Betriebsrats bedürfen. Eine Kündigung ist unwirksam, wenn sie gegen gesetzliche Verbote (z.B. Mutterschutz, Schwerbehindertenschutz) oder tarifliche/vertragliche Absprachen verstößt. Im Falle einer unwirksamen Kündigung kann der Arbeitnehmer mittels Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgehen.
Welche Ansprüche bestehen im Krankheitsfall eines Arbeitnehmers?
Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, bis zu sechs Wochen das Arbeitsentgelt in voller Höhe weiterzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen ohne Unterbrechung bestanden hat. Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen; ab dem dritten Kalendertag der Erkrankung ist eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, sofern der Arbeitgeber nicht schon früher einen Nachweis verlangt. Nach Ablauf der sechswöchigen Frist springt die Krankenkasse mit Krankengeld ein, sofern eine entsprechende Versicherung besteht. Bei wiederholter Erkrankung innerhalb bestimmter Fristen können besondere Regelungen gelten. Täuscht der Arbeitnehmer eine Krankheit vor, kann dies arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung nach sich ziehen.
Wie ist der Urlaubsanspruch im Arbeitsverhältnis geregelt?
Nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Mindesturlaub von 24 Werktagen bei einer 6-Tage-Woche, entsprechend 20 Arbeitstagen bei einer 5-Tage-Woche. Der Urlaubsanspruch entsteht erstmalig nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses (Wartezeit). Vorher besteht der Anspruch anteilig. Zeitliche Lage und Gewährung des Urlaubs bestimmen sich nach den Wünschen des Arbeitnehmers, können aber aus betrieblichen Gründen vom Arbeitgeber verschoben werden. Während des Urlaubs ist das Arbeitsentgelt zu zahlen (Urlaubsentgelt). Nicht genommener Urlaub verfällt grundsätzlich am 31. Dezember, kann aber bei dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen bis zum 31. März des Folgejahres übertragen werden. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht Anspruch auf Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub.
Welche Regelungen gelten für Überstunden?
Überstunden sind dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinaus arbeitet. Eine Verpflichtung zur Leistung von Überstunden besteht nur, wenn dies im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder durch eine Betriebsvereinbarung vorgesehen ist. Ohne entsprechende Regelung ist der Arbeitnehmer nur in Notfällen oder in engen Ausnahmefällen verpflichtet, Überstunden zu leisten. Überstunden sind grundsätzlich auszugleichen, entweder durch Bezahlung (Überstundenvergütung) oder durch Freizeitausgleich. Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem Arbeitsvertrag oder den einschlägigen tariflichen Bestimmungen. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) setzt Grenzen für die tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit. Verstöße führen zu Bußgeld- oder sogar Strafvorschriften. Die Anordnung und der Nachweis von Überstunden obliegen in der Regel dem Arbeitgeber.
Wann besteht ein Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung?
Nach § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) hat jeder Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, das Recht, die Verringerung seiner Arbeitszeit zu verlangen. Der Antrag muss spätestens drei Monate vor Beginn der gewünschten Teilzeit schriftlich beim Arbeitgeber eingereicht werden. Der Arbeitgeber muss dem Wunsch entsprechen, es sei denn, betriebliche Gründe stehen entgegen (z.B. erhebliche Beeinträchtigung der Organisation, des Arbeitsablaufs oder der Sicherheit im Betrieb). Lehnt der Arbeitgeber ab, trägt er die Darlegungs- und Beweislast für die entgegenstehenden Gründe. Im Falle einer Ablehnung kann der Arbeitnehmer den Teilzeitanspruch gerichtlich durchsetzen. Während und nach der Teilzeit haben Arbeitnehmer das Recht, wieder in Vollzeit zu wechseln, sofern keine betrieblichen Hindernisse dem entgegenstehen.
Wie funktioniert das Direktionsrecht des Arbeitgebers?
Das Direktionsrecht, auch Weisungsrecht genannt, berechtigt den Arbeitgeber, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen (§ 106 Gewerbeordnung, GewO) näher zu bestimmen, solange diese Aspekte nicht bereits durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung, einen Tarifvertrag oder das Gesetz festgelegt sind. Innerhalb dieses Rahmens kann der Arbeitgeber beispielsweise Arbeitsaufgaben zuteilen, den Arbeitsort bestimmen (z.B. Versetzung an einen anderen Standort) und Beginn sowie Ende der täglichen Arbeitszeit festlegen. Das Direktionsrecht ist jedoch durch das Schikaneverbot, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Pflicht zur Rücksichtnahme begrenzt. Sollte der Arbeitnehmer Anweisungen erhalten, die unzumutbar oder gesetzeswidrig sind, kann er die Arbeitsleistung verweigern. Im Streitfall entscheidet das Arbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der Ausübung des Direktionsrechts.