In fraudem legis – Begriff, Rechtsnatur und Bedeutung
Definition und Grundzüge
In fraudem legis (lat. „zum Nachteil des Gesetzes“ oder „unter Umgehung des Gesetzes“) bezeichnet im rechtlichen Kontext Handlungen oder Rechtsgeschäfte, die formal zwar mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar sind, aber offensichtlich darauf abzielen, die mit dem Gesetz bezweckten Rechtsfolgen zu umgehen oder zu vereiteln. Dieses Verbot beruht auf dem Grundgedanken, dass nicht allein die Einhaltung des Gesetzeswortlauts maßgeblich ist, sondern vor allem auch der Gesetzeszweck (sog. „Sinn und Zweck des Gesetzes“).
Historische Entwicklung
Der Rechtsgedanke der Gesetzesumgehung existiert bereits seit der römischen Antike. Schon im römischen Recht wurde anerkannt, dass rechtliche Konstrukte, welche den Gesetzeszweck hintertreiben, als in fraudem legis unzulässig gelten. In der modernen Rechtsordnung ist das Prinzip in praktisch allen Rechtsgebieten anerkannt und hat sowohl im Zivilrecht als auch im öffentlichen Recht große Bedeutung erlangt.
Funktionsweise und Bedeutung
Gesetzesumgehung versus Gesetzesverletzung
Eine klare Abgrenzung besteht zwischen der Gesetzesverletzung und der Gesetzesumgehung. Während bei der Gesetzesverletzung (z. B. Vertragsbruch) das Gesetz unmittelbar und offensichtlich missachtet wird, bleibt bei der Gesetzesumgehung der Gesetzeswortlaut formal unberührt. Es wird jedoch ein Sachverhalt geschaffen oder ein Rechtsgeschäft konstruiert, das nach seinem wirtschaftlichen oder realen Gehalt dem Sinn nach gegen die gesetzliche Regelung verstößt.
Voraussetzungen der Gesetzesumgehung
Das Vorliegen einer Gesetzesumgehung (in fraudem legis) erfordert regelmäßig drei Hauptmerkmale:
- Gesetzeslücke im Wortlaut: Das Gesetz lässt eine Gestaltung formal zu.
- Umgehungswillen: Es besteht die Absicht, eine durch Gesetz verbotene Rechtswirkung zu vermeiden oder eine durch Gesetz angeordnete Rechtsfolge zu verhindern.
- Widerspruch zum Gesetzeszweck: Die gewählte Gestaltung widerspricht dem Schutzzweck des Gesetzes (teleologische Betrachtung).
Rechtsfolgen der Handlung in fraudem legis
Ein Rechtsgeschäft in fraudem legis ist regelmäßig nichtig oder wird zumindest dahingehend behandelt, dass die angestrebten Rechtswirkungen nicht eintreten (vgl. § 134, § 138 BGB). Rechtswirkungsdurchschläge wie die Gesamtnichtigkeit oder die Anpassung an den Gesetzeszweck können ebenso je nach Regelungszusammenhang erfolgen.
Beispiele für Rechtsfolgen
- Umgehung familien- und erbrechtlicher Vorschriften durch scheinbare Verträge
- Missbrauch von Gesellschaftsformen zur Begrenzung der Haftung
- Scheinkaufverträge zur Umgehung der Grunderwerbssteuer
- Kettenbefristungen bei Arbeitsverträgen entgegen dem gesetzlichen Schutz des Dauerarbeitsverhältnisses
Regelungen und Berücksichtigung im deutschen Recht
Zivilrecht
Im Zivilrecht sind insbesondere die Vorschriften der §§ 134 und 138 BGB einschlägig. Hiernach sind Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, oder sittenwidrige Rechtsgeschäfte nichtig. Die Umgehungstatbestände werden von der Rechtsprechung regelmäßig aufgegriffen und mit richterlicher Rechtsfortbildung an den Gesetzeszweck angepasst.
Steuerrecht
Im Steuerrecht wird die Umgehung von Steuergesetzen als Gestaltungsmissbrauch bezeichnet (§ 42 AO). Hier ist insbesondere geregelt, dass rechtliche Gestaltungen, die nicht angemessenen wirtschaftlichen Gründen folgen und lediglich den Sinn des Steuergesetzes vereiteln, steuerrechtlich zu korrigieren sind.
Arbeitsrecht
Auch im Arbeitsrecht werden Umgehungstatbestände, wie beispielsweise die Scheinselbstständigkeit oder missbräuchliche Kettenbefristungen, als in fraudem legis eingestuft und entsprechend sanktioniert.
Europäisches Recht
Im Bereich des europäischen Rechts kommt dem Grundsatz in fraudem legis ebenfalls hohe Bedeutung zu. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wendet vergleichbare Grundsätze an, etwa bei der Umgehung von Wettbewerbsregelungen durch formale Gestaltungen von Verträgen oder Gesellschaftsstrukturen.
Abgrenzung zu anderen Begriffen
In fraudem legis unterscheidet sich unter anderem von den Begriffen „Sittenwidrigkeit“ (§ 138 BGB), Vertragsauslegung, Rechtsmissbrauch und Scheingeschäft (§ 117 BGB). Während die Sittenwidrigkeit eine besondere Wertungsethik voraussetzt, zielt der Tatbestand der Gesetzesumgehung auf die Verhinderung einer Kollision des Rechtsgeschäfts mit dem Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung.
Praktische Bedeutung und Rechtsprechung
Die praktische Bedeutung des Verbots von Gestaltungen in fraudem legis liegt vor allem in der Einhegung missbräuchlicher Vertragsgestaltungen und gesellschaftsrechtlicher Konstrukte. Dadurch wird gewährleistet, dass gesetzgeberische Wertungen und Schutzzwecke nicht unterlaufen werden. Die Rechtsprechung entwickelt den Begriff je nach Einzelfall weiter und trägt durch Kasuistik dazu bei, das Prinzip dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen.
Zusammenfassung
In fraudem legis beschreibt einen zentralen Rechtsgrundsatz, der das Umgehen des Gesetzes unter Beibehaltung seines Wortlauts, jedoch Missachtung seines Zwecks sanktioniert. In nahezu allen Rechtsgebieten anerkannt, dient dieser Grundsatz dem Schutz der Integrität des Rechts und trägt wesentlich zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen im Rechtsverkehr bei.
Quellenhinweis:
Der Begriff „in fraudem legis“ ist umfassend in der Rechtsprechung und Literatur dokumentiert. Insbesondere die Kommentarliteratur zum Bürgerlichen Gesetzbuch, zum Steuerrecht sowie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs bieten weitergehende Auswertungen und Anwendungsbeispiele dieses Grundsatzes.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechtsfolgen können sich aus einer in fraudem legis vorgenommenen Handlung ergeben?
Handlungen, die in fraudem legis – also unter Umgehung gesetzlicher Vorschriften – vorgenommen werden, können nach deutschem Recht unterschiedliche und mitunter schwerwiegende Rechtsfolgen nach sich ziehen. Zunächst besteht die Möglichkeit, dass ein solches Rechtsgeschäft gemäß § 134 BGB nichtig ist, wenn das umgangene Gesetz gerade die betreffende Regelung verhindern will. Auch eine Anwendung von § 242 BGB im Sinne des Verbots widersprüchlichen Verhaltens kann dazu führen, dass einem Beteiligten bestimmte Rechte versagt werden. Ferner kann das Rechtsgeschäft gegebenenfalls analog § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein, wenn die Umgehung eine besondere Verwerflichkeit aufweist. In zivilrechtlichen Konflikten müssen Gerichte regelmäßig prüfen, ob eine Umgehung im Einzelfall tatsächlich vorliegt und welche konkrete Vorschrift umgangen werden sollte. Im Steuerrecht resultiert aus einer Umgehungshandlung oft eine steuerliche Durchgriffshaftung, indem die Finanzbehörde die verschleierte Rechtslage ignoriert und so tut, als sei das Gesetz korrekt angewendet worden (sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise). Interessensschutz des Gesetzeszwecks hat im Einzelfall Vorrang vor der privat-autonomen Vertragsgestaltung. Somit können Korrekturmechanismen bis hin zur vollständigen Rückabwicklung oder Sanktionierung reichen.
Wie entscheiden Gerichte, ob eine Umgehungshandlung tatsächlich vorliegt?
Für die Feststellung, ob eine Handlung in fraudem legis vorgenommen wurde, wenden Gerichte standardisierte Prüfungsmaßstäbe an. Zunächst wird ermittelt, welche Norm durch das betreffende Verhalten eigentlich vermieden oder ausgehebelt werden sollte. Im Anschluss ist zu untersuchen, ob das gewählte Rechtsgeschäft, trotz scheinbar formaler Legalität, nach seinem wirtschaftlichen Gehalt dem entspricht, was das Gesetz verbieten wollte. Die Rechtsprechung zieht zur Auslegung regelmäßig den Zweck der jeweils umgangenen Norm heran. Dabei wird das sogenannte „Gesetzesumgehungsmotiv“ gewürdigt: Maßgeblich ist also, ob die Parteien mit bewusster Absicht agierten, um eine gesetzliche Anordnung zu umgehen. Indizien hierfür können ungewöhnliche Vertragsgestaltungen, auffällige Dispositionen oder eine rein formale Handhabung sein. Es wird folglich nicht allein am Wortlaut, sondern auch an der wirtschaftlichen Realität bei der Beurteilung angeknüpft. Entscheidend ist dabei in der Regel eine Gesamtwürdigung des Einzelfalles.
In welchen Rechtsgebieten spielt das Verbot der Gesetzesumgehung (in fraudem legis) eine besondere Rolle?
Das Verbot der Gesetzesumgehung ist interdisziplinär von großer Bedeutung, findet aber insbesondere in bestimmten Rechtsbereichen häufige praktische Anwendung. Im Gesellschaftsrecht werden Umgehungskonstruktionen oft genutzt, um etwa Gesellschafterhaftungen zu vermeiden oder aufsichtsrechtliche Vorgaben zu unterlaufen. Im Steuerrecht ist in fraudem legis zentral für die Missbrauchskontrolle gem. § 42 AO sowie für Gestaltungsmißbräuche. Auch im Arbeitsrecht ist das Umgehungsverbot relevant, z. B. bei der Scheinselbstständigkeit oder dem Versuch, Arbeitnehmerrechte durch Vertragsgestaltung zu umgehen. Im Familien- und Erbrecht findet das Umgehungsverbot etwa beim Umgehen von Pflichtteilsrechten oder Eheverträgen Anwendung. Im Allgemeinen Zivilrecht wirkt das Verbot vorrangig über §§ 134, 138 BGB. Die Prämisse des Verbots reicht darüber hinaus bis in europäische und internationale Rechtsgefüge, etwa beim Umgang mit Umgehungskonstruktionen im Bereich des Europarechts (bspw. Niederlassungsfreiheit).
Welche Missbrauchsfälle sind typische Beispiele für in fraudem legis?
Typische Missbrauchssituationen, die unter den Begriff in fraudem legis fallen, sind vielfältig. Häufig kommt es im Zusammenhang mit Scheingeschäften vor, etwa wenn bei Immobiliengeschäften zur Umgehung der Grunderwerbsteuer sogenannte Share Deals genutzt werden. Auch die Zwischenschaltung von Strohmännern im Gesellschaftsrecht, um Haftungsfragen oder Beteiligungsgrenzen zu umgehen, ist klassisch. Im Arbeitsrecht werden Arbeitsverträge als „Freie Mitarbeit“ ausgestaltet, um Mitbestimmungsrechte oder Sozialabgaben zu umgehen („Scheinselbständigkeit“). Im Erbrecht können Schenkungen kurz vor dem Erbfall getätigt werden, um Pflichtteilsansprüche oder steuerliche Belastungen zu reduzieren. Im Steuerrecht sind Konstruktionen zum Scheinwohnsitzwechseln häufig, beispielsweise um Progressionsvorteile zu erzielen, obwohl der Lebensmittelpunkt de facto unverändert in Deutschland verbleibt. Auch die Verwendung von Kettenverträgen oder Untervermittlungsverträgen zur Umgehung von Verbraucherschutzvorschriften gehört zu den Standardfällen.
Wie verhalten sich Parteien, um eine Umgehung im Sinne von in fraudem legis zu vermeiden?
Zur Vermeidung von Rechtsfolgen aufgrund einer Umgehungshandlung ist für Parteien ratsam, bei der Vertragsgestaltung die einschlägigen gesetzlichen Regelungen und deren Schutzzweck sorgfältig zu beachten. Es empfiehlt sich, Verträge nicht lediglich formal, sondern auch materiell rechtlich gewissenhaft auszuarbeiten und auf ungewöhnliche, wirtschaftlich nicht nachvollziehbare Gestaltungen zu verzichten. Eine transparente und nachvollziehbare Vertragsdokumentation, die die Beweggründe der Parteien offenlegt, kann im Streitfall entlastend wirken. Bei Unsicherheiten über die Reichweite bestimmter Normen sollte rechtzeitig juristischer Rat eingeholt werden, beispielsweise durch Anrufung einer verbindlichen Auskunft bei Behörden (z. B. im Steuerrecht nach § 89 Abs. 2 AO). Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist außerdem eine sorgfältige Koordination mit ausländischen Rechtsordnungen notwendig, um nicht in Überschneidungsbereiche von Umgehungsverboten verschiedener Staaten zu geraten.
Können auch staatliche Stellen Handlungen in fraudem legis begehen?
Grundsätzlich sind staatliche Stellen an Recht und Gesetz gebunden, dennoch können auch bei der Ausübung staatlicher Gewalt Umgehungshandlungen in Betracht kommen, etwa bei der gezielten Umgehung von Verfahrensvorschriften durch scheinlegale Gestaltungsweisen. Allerdings unterliegen staatliche Handlungen einer besonderen Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit und andere Aufsichtsorgane. Verstöße gegen das Umgehungsverbot können in solchen Fällen zur Rechtswidrigkeit der Amtsausübung führen, verbunden mit Aufhebungs- und Anfechtungsmöglichkeiten von Verwaltungsakten. In besonderen Fällen, wie etwa im Steuererhebungsverfahren, sind sogar Rückgriffsmöglichkeiten auf allgemeine Institute wie die Verwirkung oder die Nichtigkeit staatlicher Handlungen vorgesehen.
Wie kann das Verbot der Umgehung gesetzlichen Vorgaben auf internationaler Ebene durchgesetzt werden?
Die Durchsetzung des Umgehungsverbotes auf internationaler Ebene ist herausfordernd, da unterschiedliche Rechtsordnungen jeweils eigene Umgehungsverbote und Missbrauchsregeln kennen. Im Gemeinschaftsrecht ist die missbräuchliche Inanspruchnahme von Grundfreiheiten unionsrechtlich untersagt (EuGH, „Missbrauchsverbot“). Staaten können zur Verhinderung von Umgehungsstrategien Abkommen schließen, etwa durch Doppelbesteuerungsabkommen oder Kooperationen von Aufsichtsbehörden. Moderne Instrumente wie der OECD-Standard zur Bekämpfung von Steuervermeidung („BEPS-Projekt“) oder die Anti-Missbrauchs-Klauseln in diversen Richtlinien dienen der internationalen Rechtsdurchsetzung. Im Zivilrecht erfolgt die Sanktion meist über Kollisionsrecht und ordre public-Vorbehalte, wenn eine Umgehungshandlung dem Grundverständnis des jeweiligen Rechtssystems widerspricht. Gleichwohl bleibt die tatsächliche Durchsetzung häufig von der Kooperationsbereitschaft und Wirksamkeit der jeweiligen staatlichen Kontrollmechanismen abhängig.