Begriff und rechtliche Einordnung der Höherversicherung
Die Höherversicherung ist ein Rechtsbegriff aus dem deutschen Versicherungsrecht und beschreibt die nachträgliche Erhöhung der Versicherungssumme eines bestehenden Versicherungsvertrages. Sie spielt insbesondere in der Sachversicherung, aber auch in Personenversicherungen wie der Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung eine bedeutende Rolle. Ihr rechtlicher Rahmen ist maßgeblich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sowie in zahlreichen Versicherungsbedingungen geregelt.
Grundlagen und Definition
Die Höherversicherung tritt ein, wenn nach Abschluss eines Versicherungsvertrags die versicherte Deckungssumme auf Wunsch des Versicherungsnehmers angehoben wird. Ziel ist es, einen erhöhten Versicherungsbedarf, etwa infolge gestiegener Werte oder veränderter Lebensumstände, durch eine Anpassung des Versicherungsschutzes abzubilden. Beispielsweise kann eine Höherversicherung in der Hausratversicherung dann relevant sein, wenn das Inventar erweitert oder der Wert des Hausrats durch Neuanschaffungen gesteigert wird.
Abgrenzung zu verwandten Begriffen
Um die Höherversicherung rechtlich einzuordnen, ist die Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen relevant:
- Neuvertrag: Hier wird ein neuer Versicherungsschutz unabhängig vom bisherigen Vertrag gewährt.
- Erhöhung der Versicherungssumme im laufenden Vertrag: Dies fällt unter die Höherversicherung, solange der ursprüngliche Vertrag erhalten bleibt.
- Mehrfachversicherung (§ 78 VVG): Mehrfachversicherung liegt vor, wenn für dasselbe Risiko mehrere Verträge mit derselben Versicherungsleistung abgeschlossen werden, nicht wenn lediglich die Versicherungssumme innerhalb eines bestehenden Vertrags erhöht wird.
Rechtliche Grundlagen
Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
Das VVG ist die zentrale Rechtsquelle für die Höherversicherung. Insbesondere die Vorschriften zu den Obliegenheiten, zum Versicherungsfall und zu den Leistungspflichten des Versicherers sind relevant:
§ 77 VVG – Höherversicherung
Nach § 77 VVG kann eine Erhöhung der Versicherungssumme während der Laufzeit des Vertrags vereinbart werden. Dies kann unterschiedliche Rechtsfolgen mit sich bringen:
- Für den Erhöhungsbetrag beginnt in der Regel eine neue Frist für Wartezeiten oder Karenzzeiten zu laufen.
- Bei Risikoprüfung und Gesundheitsfragen, zum Beispiel in der Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung, können neue, für die Erhöhung relevante Informationen notwendig werden.
§ 80 VVG – Überversicherung
Mit der Erhöhung der Versicherungssumme besteht die Gefahr der Überversicherung. Eine Überversicherung liegt gemäß § 78 VVG vor, wenn die Versicherungssumme den Versicherungswert übersteigt. In diesem Fall kann der Versicherungsnehmer die Prämie auf die angemessene Höhe herabsetzen, und beide Parteien haben unter Umständen ein außerordentliches Kündigungsrecht.
Besondere Bedingungen und Klauseln
Versicherungsunternehmen regeln die Modalitäten der Höherversicherung häufig durch besondere Bedingungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Hier können spezielle Vorschriften enthalten sein, beispielsweise zur Anzeige- und Mitwirkungspflicht des Versicherungsnehmers, zu Wartezeiten oder zur nachträglichen Risikoprüfung.
Prozess und Durchführung der Höherversicherung
Antrag und Annahme
Die Höherversicherung erfordert in der Praxis einen entsprechenden Antrag des Versicherungsnehmers, der – sofern vom Versicherer angenommen – zu einer Vertragsänderung (sog. Novation) führt. Die Annahmeerklärung des Versicherers ist ein rechtlich konstitutiver Akt.
Ergänzende Vereinbarungen
Je nach Versicherungsart kann eine Gesundheitsprüfung, Wertermittlung oder Risikobewertung erforderlich sein. Die Einbeziehung der neuen Versicherungssumme kann auch zu einer Anpassung der Prämien führen.
Beginn und Wirkung der Höherversicherung
Die erhöhte Versicherungssumme wird ab dem Zeitpunkt wirksam, zu dem die Vertragsänderung vereinbart bzw. vom Versicherer akzeptiert wurde. Ab diesem Zeitpunkt gilt das neue Deckungsniveau für den vereinbarten Versicherungsgegenstand oder die versicherte Person.
Rechtsfolgen und Grenzen der Höherversicherung
Höchstgrenzen
Die Zulässigkeit der Höherversicherung ist an bestimmte Höchstwerte gebunden, um die Gefahr der Überversicherung zu vermeiden. Versicherer legen in den AVB oft feste Maximalbeträge fest. Eine weitere Grenze ergibt sich aus dem Grundsatz des Versicherungswerts, der nicht überschritten werden darf.
Rückwirkende Höherversicherung
Eine Rückwirkung der Höherversicherung auf einen bereits eingetretenen Versicherungsfall ist grundsätzlich unzulässig (§ 2 VVG). Die Erhöhung greift ausschließlich für nachfolgende Schadensereignisse.
Auswirkungen auf Schadensregulierung
Im Leistungsfall wird der Schadenersatz entsprechend der erhöhten Versicherungssumme erbracht, sofern diese sachlich und rechtlich Bestand hat und bis zum Schadenszeitpunkt gültig war. Bei einer zwischenzeitlichen Überversicherung kann die Leistung im Verhältnis zum tatsächlichen Wert gekürzt werden.
Besonderheiten in einzelnen Versicherungssparten
Sachversicherung
In der Sachversicherung (wie der Hausrat- oder Gebäudeversicherung) ist die Anpassung an den aktuellen Versicherungswert besonders bedeutend, um eine Unterversicherung zu vermeiden. Versicherer bieten oft sogenannte Wertsicherungs- oder Dynamikklauseln, die eine automatische Anpassung ermöglichen.
Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung
In der Lebensversicherung oder Berufsunfähigkeitsversicherung gelten für die Höherversicherung strengere Anforderungen. Häufig sind neue Gesundheitsnachweise notwendig; zudem gibt es besondere Regelungen für die Anrechnung von Wartezeiten und die Berechnung der Versicherungsprämie.
Haftpflichtversicherung
In der Haftpflichtversicherung kann eine Höherversicherung dazu dienen, das Risiko von Schadenersatzforderungen in geänderter Höhe abzudecken.
Sonderformen
Dynamische Höherversicherung
Eine Variante ist die dynamische Höherversicherung, bei der die Versicherungssumme regelmäßig, etwa jährlich, in einem vertraglich festgelegten Umfang ohne erneute Gesundheitsprüfung oder Einzelantrag erhöht wird.
Anpassungen infolge gesetzlicher Verpflichtungen
Bereits gesetzlich vorgeschriebene Mindestversicherungssummen (z. B. bei bestimmten Haftpflichtversicherungen) können durch eine Höherversicherung überschritten werden, wenn der Vertrag dies ausdrücklich vorsieht.
Bedeutung und Risiken
Die Höherversicherung zählt zu den zentralen Instrumenten, um den Versicherungsschutz an veränderte Bedürfnisse anzupassen. Sie birgt jedoch auch gewisse Risiken, insbesondere die Gefahr der Überversicherung und damit einhergehende Prämienmehrbelastungen.
Fazit
Die Höherversicherung ermöglicht eine flexible Anpassung bestehender Versicherungsverträge an geänderte Werte und Bedürfnisse. Ihre rechtliche Ausgestaltung ist im detaillierten Zusammenspiel zwischen gesetzlichen Bestimmungen und individuellen Vertragsklauseln geregelt. Versicherungsnehmende sollten die Voraussetzungen, Grenzen und Folgen einer Höherversicherung sorgfältig prüfen, um einen angemessenen und wirksamen Schutz sicherzustellen. Insbesondere ist auf Überversicherung und Prämienhöhe zu achten, um Nachteile im Leistungsfall zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Muss der Versicherer einer Höherversicherung zustimmen?
Im rechtlichen Kontext ist zu beachten, dass eine Höherversicherung – also die nachträgliche Erhöhung der Versicherungssumme bei einem bereits bestehenden Versicherungsvertrag – grundsätzlich die Zustimmung des Versicherers erfordert. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Versicherungsvertragsrechts kommt jede Vertragsänderung, insbesondere jene, die das versicherte Risiko erhöht oder den Leistungsumfang erweitert, nicht einseitig, sondern nur im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer zustande. Der Versicherer prüft in der Regel die Erhöhung auf Grundlage einer neuerlichen Risikoeinschätzung, was sowohl Angaben zum versicherten Objekt als auch zur bisherigen Schadenshistorie beinhalten kann. Er ist nicht verpflichtet, der Höherversicherung zuzustimmen. Eine Ablehnung kann insbesondere dann erfolgen, wenn das erhöhte Risiko für den Versicherer nicht tragbar erscheint oder die aktuelle Schadenslage keine Versicherung zu vertretbaren Konditionen zulässt. Die Auflagen zur Höherversicherung sowie das Verfahren sind zudem in den Versicherungsbedingungen (Allgemeine Versicherungsbedingungen, AVB) des jeweiligen Versicherers geregelt.
Können bei der Höherversicherung neue Gesundheits- oder Risikoangaben verlangt werden?
Wird eine Höherversicherung beantragt, ist der Versicherer aus rechtlicher Sicht berechtigt, neue oder aktualisierte Angaben zur Risikosituation einzufordern. Dies ist insbesondere bei Personenversicherungen wie Lebensversicherungen, Berufsunfähigkeitsversicherungen oder privaten Krankenversicherungen relevant. Der Versicherer kann beispielsweise aktuelle Gesundheitsfragen stellen oder eine ärztliche Untersuchung verlangen, wenn das Risiko durch die Erhöhung erheblich steigt. Diese neue Risikoprüfung ist rechtlich zulässig und dient dem Schutz des Kollektivs aller Versicherungsnehmer, da die Versicherungsbedingungen üblicherweise ausdrücklich vorsehen, dass für die neue Deckungssumme die Risikoprüfung erneut erfolgt. Gibt der Versicherungsnehmer dabei unvollständige oder wahrheitswidrige Angaben, kann das zu rechtlichen Konsequenzen bis hin zur Anfechtung des Versicherungsvertrags führen.
Ab wann gilt der erhöhte Versicherungsschutz?
Der zeitliche Beginn des höheren Versicherungsschutzes richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben (§§ 1, 2 VVG) sowie nach den individuellen Vereinbarungen des Versicherungsvertrags. Eine Höherversicherung gilt in der Regel erst dann, wenn der Versicherer der Änderung ausdrücklich zugestimmt und der Versicherungsnehmer etwaige erhöhte Beiträge bezahlt hat. Meist erfolgt die Wirksamkeit ab dem im Nachtrag oder in der Bestätigung genannten Termin, frühestens jedoch mit Zugang der Annahmeerklärung des Versicherers. Für zwischenzeitlich entstandene Schäden, also vor Wirksamwerden der Höherversicherung, besteht kein Anspruch auf die erhöhte Versicherungssumme.
Können für die Höherversicherung andere oder neue Prämien und Bedingungen vereinbart werden?
Im Zuge einer Höherversicherung ist der Versicherer rechtlich berechtigt, die Prämie an das gestiegene Risiko anzupassen. Dies erfolgt nach vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben (§ 40 VVG, Beitragsanpassungsklauseln). Der Versicherer kann auch zusätzliche Bedingungen oder Ausschlüsse für die erhöhte Summe festlegen, beispielsweise höhere Selbstbehalte, geänderte Gefahrenausschlüsse oder besondere Sicherungsauflagen. Diese Differenzierung ist im Rahmen der Vertragsfreiheit gestattet, muss jedoch dem Versicherungsnehmer transparent mitgeteilt und von diesem angenommen werden. Erst bei beiderseitigem Einverständnis kommen die neuen Bedingungen und Prämien zur Anwendung.
Wie werden bestehende Wartezeiten oder Karenzzeiten bei einer Höherversicherung behandelt?
Bei einer Höherversicherung ist zu unterscheiden, ob und inwieweit bereits laufende Fristen wie Wartezeiten oder Karenzzeiten (beispielsweise in der privaten Kranken- oder Berufsunfähigkeitsversicherung) erneut zu laufen beginnen. Rechtlich ist es zulässig und üblich, diese Fristen für die Erhöhung der Versicherungssumme neu zu starten. Das bedeutet, dass für den Teil der Erhöhung eine „neue“ Wartezeit gilt, während für den ursprünglich versicherten Betrag die bisherigen Fristen weiterlaufen. Die Details sollten in den jeweiligen AVB geregelt sein; andernfalls gelten die gesetzlichen Vorgaben des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).
Kann eine Höherversicherung rückwirkend abgeschlossen werden?
Nach deutschem Recht ist eine rückwirkende Höherversicherung grundsätzlich ausgeschlossen. Eine versicherungsrechtliche Leistungszusage für einen Zeitraum, in dem ein erhöhtes Risiko bestanden hat, ohne dass der Versicherer hiervon Kenntnis hatte und die damit verbundene Prämie vereinnahmen konnte, wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht vereinbar. Verstöße dagegen können zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen und im schlimmsten Fall als versuchter Versicherungsbetrug gewertet werden. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei nachweisbaren Verwaltungsfehlern, können rückwirkende Anpassungen zulässig sein – dies bedarf jedoch der ausdrücklichen schriftlichen Übereinkunft beider Vertragsparteien.
Kann der Versicherer die Höherversicherung nachträglich widerrufen?
Vom rechtlichen Standpunkt kann der Versicherer eine bereits genehmigte Höherversicherung grundsätzlich nicht einseitig widerrufen. Eine Ausnahme bilden falsche, unvollständige oder arglistig verschuldete Angaben des Versicherungsnehmers im Rahmen der Risikoprüfung, die ein Anfechtungs- oder Rücktrittsrecht (§§ 19-22 VVG) begründen können. Weiterhin kann ein Widerruf dann möglich sein, wenn die erhöhten Beiträge nicht fristgerecht gezahlt werden oder sich nachträglich Umstände ergeben, die das Risiko unzumutbar machen. Die genauen Voraussetzungen sind regelmäßig den Versicherungsbedingungen und den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zu entnehmen.