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Hinterziehungszinsen


Begriff und rechtliche Einordnung von Hinterziehungszinsen

Hinterziehungszinsen sind ein spezifischer Teil des deutschen Steuerrechts und stellen eine finanzielle Folge bei Steuerhinterziehungen dar. Sie werden auf verkürzte Steuern erhoben und bezwecken sowohl den Ausgleich eines durch die verspätete Steuerzahlung erlangten Zinsvorteils als auch die nachhaltige Abschreckung vor rechtswidrigem Verhalten gegenüber der Finanzverwaltung. Die rechtliche Grundlage für die Hinterziehungszinsen findet sich im § 235 der Abgabenordnung (AO).

Gesetzliche Grundlagen

§ 235 Abgabenordnung (AO)

Die maßgebliche Vorschrift ist der § 235 AO. Demnach entstehen Hinterziehungszinsen, wenn Steuern durch eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO verkürzt oder Steuervorteile zu Unrecht erlangt wurden. Die Zinsfestsetzung erfolgt dabei unabhängig von einem Strafverfahren oder einer eventuell verhängten Geld- oder Freiheitsstrafe. Die Erhebung von Hinterziehungszinsen ist somit eine steuerliche Nebenleistung und keine Strafe im strafrechtlichen Sinne.

Abgrenzung zu anderen Zinsarten

Es bestehen grundlegende Unterschiede zu anderen steuerlichen Zinsen, insbesondere den Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO. Während Nachzahlungszinsen den Ausgleich für eine verspätete Steuerzahlung regeln, haben Hinterziehungszinsen einen zusätzlichen repressiven Charakter: Sie sollen das Steueraufkommen vor rechtswidrigen Handlungen schützen und Steuerdelikte unattraktiver machen.

Voraussetzungen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen

Tatbestand der Steuerhinterziehung

Voraussetzung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen ist das Vorliegen einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO. Dies setzt das vorsätzliche Verkürzen von Steuern oder das Erlangen ungerechtfertigter Steuervorteile voraus. Die Festsetzung der Zinsen erfolgt daher regelmäßig im Rahmen von Prüfungen, Selbstanzeigen oder Ermittlungsverfahren, sobald eine Steuerverkürzung aufgedeckt wird. Ein Steuerverkürzungstatbestand reicht aus, ein gerichtliches Urteil ist nicht erforderlich. Die Festsetzung kann und wird oft durch die Finanzbehörde selbst erfolgen.

Verjährung der Festsetzung

Die Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen entspricht gemäß § 239 AO der für die zugrunde liegende Steuer hinter der Tat der Steuerhinterziehung. Sie beträgt grundsätzlich zehn Jahre. Die Frist beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer hinterzogen wurde.

Berechnung und Umfang der Hinterziehungszinsen

Zinssatz

Der Zinssatz beträgt gemäß § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 0,5 Prozent für jeden vollen Monat, also 6 Prozent pro Jahr. Die Berechnung beginnt mit dem Eintritt der Steuerverkürzung beziehungsweise des ungerechtfertigt erlangten Steuervorteils. Die Zinsen werden auf den verkürzten Steuerbetrag bis zu dessen Begleichung berechnet.

Umfang und Veranlagung

Hinterziehungszinsen fallen bis zum Ablauf des Tages an, an dem die Finanzbehörde Kenntnis von der Steuerverkürzung erlangt hat und die Steuern zurückgefordert oder nachgefordert werden. Sie erfassen somit regelmäßig erhebliche Zeiträume und können zu deutlichen finanziellen Mehrbelastungen führen. Die Festsetzung und Erhebung erfolgen durch schriftlichen Bescheid und sind eigenständig anfechtbar.

Rechtliche Besonderheiten und Verfahrensfragen

Eigenständige Nebenleistung

Hinterziehungszinsen sind Bestandteil der steuerlichen Nebenleistungen gemäß § 3 Abs. 4 AO. Sie stehen unabhängig von etwaigen Strafverfahren und können auch im Anschluss an ein etwaiges Urteil festgesetzt werden. Ihre Festsetzung bedarf keiner vorherigen Verurteilung oder eines Strafbefehls.

Zusammentreffen mit Nachzahlungszinsen

Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO werden für denselben Zeitraum nicht erhoben, für den bereits Hinterziehungszinsen festgesetzt wurden; eine Doppelerhebung ist daher ausgeschlossen (vgl. § 235 Abs. 4 AO).

Billigkeitserlass und Einwendungen

Die Finanzbehörde kann von der Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach den Maßgaben des § 227 AO absehen, soweit die Einziehung unbillig wäre. Häufig wird dies in Fällen berücksichtigt, in denen keine Steuerhinterziehung im eigentlichen Sinne vorliegt oder besondere individuelle Umstände eine Erhebung unzumutbar erscheinen lassen. Einwendungen gegen die Festsetzung können im Wege des Einspruchsverfahrens geltend gemacht werden.

Unterschiede im internationalen Kontext

Das Konzept der Hinterziehungszinsen ist spezifisch für das deutsche Steuerrecht. In anderen Rechtssystemen bestehen vergleichbare Regelungen meist unter anderen Begrifflichkeiten und mit abweichenden rechtlichen und zivilrechtlichen Voraussetzungen.

Bedeutung und praktische Folgen

Hinterziehungszinsen sollen den strukturellen Vorteil ausgleichen, welcher dem Steuerschuldner durch eine Steuerhinterziehung entsteht, zugleich jedoch steuerliche Integrität fördern und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherstellen. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung der Steuergerechtigkeit und dienen als steuerrechtliches Korrektiv bei Steuerverkürzungen.

Literaturhinweise und weiterführende Quellen

  • § 235 Abgabenordnung (AO)
  • Bundesministerium der Finanzen: Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO)
  • Literatur: Tipke/Lang, Steuerrecht; Klein, Abgabenordnung

Dieser Beitrag liefert eine umfassende und detaillierte Darstellung zum Thema Hinterziehungszinsen gemäß den aktuellen rechtlichen Bestimmungen der Abgabenordnung und unter besonderer Berücksichtigung steuerrechtlicher Abläufe und verfahrensrechtlicher Aspekte.

Häufig gestellte Fragen

Wie lange können Hinterziehungszinsen festgesetzt werden?

Die Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen richtet sich nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO), konkret nach § 228 AO i.V.m. § 169 AO. Bei Steuerhinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre (§ 376 Abs. 1 AO). Die Frist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 AO). Wenn die Steuerfestsetzung zunächst unterbleibt, weil die Steuer verkürzt oder die Steuererstattung zu Unrecht erlangt wurde, beginnt die Frist erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben, die zur Verkürzung geführt haben, bekannt wird. Das bedeutet, die Festsetzungsfrist wird von dem Zeitpunkt an gerechnet, ab dem das Finanzamt Kenntnis von der Tat erlangt. Nach Ablauf dieser Frist ist die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nicht mehr zulässig, unabhängig davon, ob die Steuerforderung noch besteht.

Unterliegt die Festsetzung von Hinterziehungszinsen einer besonderen Verjährung?

Ja, neben der Festsetzungsfrist unterliegen Hinterziehungszinsen nach § 228 AO auch der Zahlungsverjährung gem. §§ 228, 229 AO. Das bedeutet, dass nach Ablauf der Festsetzungsfrist zunächst keine Festsetzung mehr erfolgen kann und nach Ablauf der Zahlungsverjährung auch kein Vollzug mehr möglich ist. Die Zahlungsverjährung beträgt grundsätzlich fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit, kann jedoch etwa durch Vollstreckungsmaßnahmen oder Stundung gehemmt oder unterbrochen werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei Betrug oder anderen vorsätzlichen Handlungen die Verjährungsregelungen unter bestimmten Voraussetzungen erweitert werden können.

Müssen Hinterziehungszinsen zwingend parallel mit der Steuer festgesetzt werden?

Nein, die Festsetzung der Hinterziehungszinsen ist ein eigenständiger Verwaltungsakt, der grundsätzlich unabhängig von der Festsetzung oder Nachforderung der Steuer erfolgen kann. Die Hinterziehungszinsen werden regelmäßig mit dem sogenannten Zinsbescheid angefordert, der außerhalb oder zusammen mit dem Steuerbescheid ergehen kann. Dies ist möglich, weil die Festsetzung der Zinsen nach einer Steuerhinterziehung nicht an die Steuerfestsetzung zu koppeln ist, sondern selbständig festgesetzt und angefochten werden kann (§ 233a AO in Verbindung mit § 235 AO).

Kann gegen einen Zinsbescheid über Hinterziehungszinsen Einspruch eingelegt werden?

Ja, der Bescheid über Hinterziehungszinsen stellt einen selbständigen Verwaltungsakt dar und kann somit mit dem Einspruch nach § 347 AO angefochten werden. Der Einspruch muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Zinsbescheids beim zuständigen Finanzamt eingehen. Durch den Einspruch wird das Besteuerungsverfahren bezüglich der Zinsfestsetzung in die Überprüfung gebracht. Lehnt das Finanzamt den Einspruch ab, bleibt die Möglichkeit einer Klage vor dem Finanzgericht. Dabei kann sowohl die Rechtmäßigkeit der Festsetzung als auch deren Höhe überprüft werden.

Ist eine Aussetzung der Vollziehung bei Hinterziehungszinsen möglich?

Auch gegenüber Hinterziehungszinsen kann ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 361 AO gestellt werden, wenn gegen den Zinsbescheid Einspruch eingelegt wurde. Die AdV wird gewährt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung bestehen oder eine unbillige Härte vorliegt. Das Finanzamt kann die Vollziehung des angefochtenen Bescheids ganz oder teilweise aussetzen. Wird der Antrag auf AdV abgelehnt, kann auch hierüber gerichtlicher Rechtsschutz beim Finanzgericht im Wege des Eilverfahrens beantragt werden.

Ist es möglich, Hinterziehungszinsen zu erlassen oder zu stunden?

Ein Erlass der Hinterziehungszinsen ist nur in besonderen Ausnahmefällen nach § 227 AO möglich, etwa wenn die Einziehung der Zinsen nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Ein bloßer Verweis auf finanzielle Schwierigkeiten reicht regelmäßig nicht aus. Auch die Stundung von Hinterziehungszinsen kann nach § 222 AO beantragt werden, wenn die sofortige Einziehung eine erhebliche Härte bedeuten würde und die Ansprüche durch die Stundung nicht gefährdet werden. Die Entscheidung über einen Erlass oder eine Stundung liegt im Ermessen der Finanzbehörde und ist an strenge Voraussetzungen geknüpft.

In welcher Höhe werden Hinterziehungszinsen berechnet und ab welchem Zeitpunkt laufen sie?

Die Höhe der Hinterziehungszinsen ist gesetzlich in § 235 AO geregelt und beträgt sechs Prozent pro Jahr, wobei die Zinsen taggenau berechnet werden. Maßgeblicher Zeitraum für die Verzinsung ist der Zeitraum zwischen dem Tag, an dem die Steuer wegen der Hinterziehung ursprünglich zu zahlen gewesen wäre, und dem Tag, an dem sie tatsächlich entrichtet wurde. Die Zinsen werden in vollen Monaten gerechnet, wobei ein angefangener Monat als voller Monat gilt. Eine taggenaue Berechnung erfolgt nur im Hinblick auf die Gesamtzahl der vollen Monate. Die Höhe bleibt auch dann bestehen, wenn zwischenzeitlich andere steuerliche Verzinsungssätze (z.B. bei Nachzahlungszinsen) gesetzlich herabgesetzt wurden; für Hinterziehungszinsen gelten weiterhin die 6 % p.a.