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Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben


Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben: Definition und Bedeutung

Die “Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben” ist ein zentraler Begriff im deutschen Sozialrecht und beschreibt Leistungen, die Menschen mit Behinderung oder von Behinderung bedrohten Personen ermöglichen, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben gleichberechtigt teilzuhaben. Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich vor allem aus dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Ziel dieser Leistungen ist es, Benachteiligungen auszugleichen und die soziale Inklusion sicherzustellen.

Rechtsgrundlagen der Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben

SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Das SGB IX regelt umfassend die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Rehabilitation und Teilhabe. Die “Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben” wird als eine Form der Leistungen zur sozialen Teilhabe verstanden (§ 76 SGB IX). Sie umfasst Hilfen, die geeignet und erforderlich sind, um Menschen mit Behinderungen die Teilnahme an Gemeinschaftsleben sowie kulturellen Aktivitäten zu ermöglichen.

SGB XII – Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten

Im SGB XII ist die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben explizit als Bestandteil der Eingliederungshilfe (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) geregelt. Sie ergänzt weitere Leistungen zur sozialen Teilhabe, wie Hilfen im Bereich der Mobilität, Kommunikation oder Selbstversorgung. Ziel ist es, die soziale Isolation zu verhindern und gesellschaftliche Integration zu fördern.

Bundesteilhabegesetz (BTHG) und UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG), in Kraft getreten zum 1. Januar 2017, stärkt die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, indem es Leistungsberechtigten mehr individuelle Rechte zuschreibt und die §§ 76 ff. SGB IX entsprechend ausgestaltet. Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland über die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet, die volle Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben sicherzustellen und Diskriminierungen zu verhindern.

Leistungsberechtigter Personenkreis

Anspruchsberechtigte

Leistungsberechtigt sind Personen, die wesentlich körperlich, geistig oder seelisch behindert oder davon bedroht sind. Ein Anspruch besteht unabhängig vom Alter; Kinder, Jugendliche und Erwachsene können die Hilfe beanspruchen, sofern die Teilhabebeeinträchtigung vorliegt.

Feststellung des Bedarfs

Der konkrete Bedarf an Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben wird durch eine individuelle Bedarfsermittlung nach den Vorgaben des SGB IX festgestellt. Neben dem Umfang der Einschränkung werden persönliche Wünsche sowie das Umfeld des Leistungsberechtigten berücksichtigt.

Leistungsinhalte und praktische Ausgestaltung

Arten der Hilfen

Die Leistungen umfassen insbesondere:

  • Hilfen zur Teilnahme an Veranstaltungen des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens (z. B. Theaterbesuche, Vereinsmitgliedschaften, Teilnahme an Sportveranstaltungen)
  • Unterstützung beim Zugang zu kulturellen Einrichtungen (z. B. Museen, Bibliotheken)
  • Assistenzleistungen, Begleitdienste und Mobilitätshilfen für die Teilnahme am sozialen Leben
  • Finanzierung von Kursen, Freizeitangeboten und Veranstaltungen zur Förderung der sozialen Integration

Finanzierung und Zuständigkeit

Leistungsträger sind je nach Lebenslage und Art der Behinderung die Träger der Eingliederungshilfe (z. B. Kommunen, Sozialämter, Jugendämter). Die Hilfe erfolgt in der Regel als Sachleistung, kann aber auch als Geldleistung oder in Form eines persönlichen Budgets erbracht werden.

Voraussetzungen und Einschränkungen

Die Hilfen müssen notwendig und wirtschaftlich sein. Der Leistungsumfang richtet sich nach dem individuellen Bedarf, wobei insbesondere auf die Vermeidung von Mehrfachförderungen (Subsidiaritätsprinzip) geachtet wird. Eine Einkommens- und Vermögensprüfung nach § 136 SGB IX findet je nach Leistungsart statt.

Bedeutung im Kontext der sozialen Inklusion

Die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben erfüllt eine wesentliche Funktion im Integrationsprozess von Menschen mit Behinderungen oder sozialen Schwierigkeiten. Sie trägt dazu bei, gesellschaftliche Barrieren abzubauen, Diskriminierung zu vermeiden und die Chancengleichheit zu fördern. Durch die rechtliche Verankerung werden hindernisfreie Zugänge geschaffen und Diskriminierung vorbeugend begegnet.

Verfahren zur Leistungsbeantragung und Rechtsschutz

Antragstellung

Die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben ist beim zuständigen Rehabilitationsträger schriftlich oder mündlich zu beantragen. Der individuelle Bedarf wird durch ein Teilhabeplanverfahren nach §§ 19 und 117 SGB IX ermittelt.

Widerspruchs- und Klageverfahren

Wird ein Antrag abgelehnt oder nur teilweise bewilligt, steht den Leistungsberechtigten das Recht auf Widerspruch und gegebenenfalls Klage vor den Sozialgerichten offen (§ 54 SGG). Bei dringenden Fällen kann eine einstweilige Anordnung beantragt werden.

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Mit dem Inkrafttreten des BTHG und der Umsetzung der UN-BRK gewinnt die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben weiterhin an Bedeutung. Die zukünftige Entwicklung ist geprägt von der weiteren Ausgestaltung der individuellen Teilhabeplanung, der Verbesserung barrierefreier Zugänge sowie der Digitalisierung von Antragsverfahren.


Zusammenfassung:
Die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben ist ein zentrales sozialrechtliches Instrument zur Förderung von gesellschaftlicher Inklusion und kultureller Teilhabe von Menschen mit Behinderungen oder sozialen Benachteiligungen. Sie ist im SGB IX und SGB XII geregelt und wird durch das BTHG weiter gestärkt. Die Durchführung erfolgt bedarfsorientiert und individuell, mit dem Ziel, soziale Isolation zu verhindern und die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist gesetzlich anspruchsberechtigt auf Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben?

Anspruchsberechtigt auf Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben sind gemäß § 76 SGB IX insbesondere Menschen mit Behinderungen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe gemäß §§ 90 ff. SGB IX leistungsberechtigt sind. Voraussetzung ist, dass sie aufgrund ihrer Behinderung wesentlich in der Fähigkeit eingeschränkt sind, am gemeinschaftlichen oder kulturellen Leben gleichberechtigt teilzunehmen. Die Hilfe betrifft dabei sowohl Kinder, Jugendliche als auch Erwachsene. Ausschlaggebend ist eine Feststellung nach § 99 SGB IX, wonach eine Behinderung per se nicht reicht, sondern eine erhebliche Teilhabeeinschränkung vorliegen muss. Zuständige Träger sind hierbei die örtlichen oder überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe nach dem jeweiligen Landesgesetz. Geregelt wird die Anspruchsvoraussetzung zudem durch das Prinzip der Nachrangigkeit (§ 91 SGB IX), sodass Eigenmittel, vorrangige Sozialleistungen oder Leistungen Dritter vorrangig in Anspruch zu nehmen sind.

Welche Leistungen werden im Rahmen der Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben gewährt?

Leistungsansprüche umfassen den Zugang und die Teilnahme an bestehenden gesellschaftlichen, sozialen sowie kulturellen Angeboten. Hierzu zählen gemäß § 76 Abs. 1 SGB IX z.B. die Begleitung zu Veranstaltungen (Theater, Kino, Konzerte, Museen), die Übernahme von Kosten für Freizeit-, Bildungs- oder Sportangebote, die Bereitstellung von Assistenz zur Teilhabe an Vereinsleben oder Treffen, Unterstützung bei Ferien- oder Freizeitfahrten, Finanzierung von Mitgliedsbeiträgen oder Fahrtkosten, sofern diese zwingend für die Teilhabe erforderlich sind. Auch können Hilfsmittel bewilligt werden, wenn diese für die Teilnahme am sozialen oder kulturellen Leben notwendig sind. Ausgeschlossen sind hingegen Leistungen, die bereits Teil des Regelbedarfs nach dem SGB XII sind, oder die durch andere Sozialleistungsträger gedeckt werden.

Nach welchem Verfahren erfolgt die Antragstellung und Bewilligung solcher Leistungen?

Die Antragstellung richtet sich nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrens nach SGB IX und SGB X. Der Antrag kann schriftlich, elektronisch (sofern der Träger dies vorsieht) oder in Ausnahmefällen mündlich gestellt werden. Es empfiehlt sich, alle relevanten Unterlagen (ärztliche Gutachten, Nachweise der Behinderung, konkrete Bedarfe) beizufügen. Der zuständige Träger prüft gemäß § 108 SGB IX die Anspruchsvoraussetzungen, beteiligt den Antragsteller am Verwaltungsverfahren und führt ggf. ein Teilhabeplanverfahren (§ 19 SGB IX) durch. Es erfolgt eine individuelle Bedarfsfeststellung sowie eine Prüfung, ob die beantragte Leistung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Träger haben einen Bescheid zu erlassen. Die Fristen zur Bearbeitung richten sich nach § 14 SGB IX, in der Regel beträgt die Bearbeitungsdauer drei Wochen, bei Einbindung anderer Leistungsträger bis zu zwei Monate.

Besteht ein Recht auf Wahl und Mitbestimmung hinsichtlich der einzelnen Leistungen?

Grundsätzlich haben Leistungsberechtigte gemäß § 8 SGB IX das Recht, zwischen verschiedenen gleichartigen Leistungen und Leistungserbringern zu wählen und mitzubestimmen, soweit keine unbilligen Mehrkosten entstehen (§ 9 SGB IX). Dies umfasst etwa die Entscheidung, welche kulturelle oder gemeinschaftliche Veranstaltung besucht oder welches Freizeitangebot genutzt werden soll, sofern die Notwendigkeit für die Teilhabe besteht und der Kostenrahmen angemessen bleibt. Träger sind verpflichtet, die Wünsche der leistungsberechtigten Person zu berücksichtigen, sofern sie im Rahmen des Angemessenen liegen und der Zweck der Eingliederungshilfe erfüllt wird.

Gibt es Ausschlussgründe oder Einschränkungen bei der Gewährung dieser Leistungen?

Ausschlussgründe bestehen zum einen allgemein in der subsidiären Ausgestaltung der Eingliederungshilfe: Leistungen werden nachrangig gegenüber anderen Sozialleistungen (z. B. Leistungen der Pflegeversicherung oder der gesetzlichen Krankenversicherung) erbracht, vgl. § 91 SGB IX. Auch Eigenmittel und zumutbare Selbsthilfe sind vorrangig zu verwenden. Einschränkungen erfolgen zudem, wenn die beantragten Angebote nicht der Teilhabezielerreichung dienen oder keine ausreichende Notwendigkeit für die Teilhabe am jeweiligen Angebot besteht. Regelmäßig wird in der Praxis auch geprüft, ob die begehrte Leistung zumutbar ist und nicht unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht. Leistungen, die allgemein üblich und mit dem Regelbedarf abgedeckt sind (z.B. normale Eintrittspreise bei Veranstaltungen), sind in der Regel ausgeschlossen, sofern keine notwendige Mehrleistung im Zusammenhang mit der Behinderung besteht.

Wie erfolgt die Finanzierung solcher Leistungen, insbesondere im Hinblick auf Einkommens- und Vermögensgrenzen?

Bei der Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben gelten die besonderen Regelungen zur Einkommens- und Vermögensanrechnung nach Kapitel 3 des SGB XII, konkret § 135 SGB IX i.V.m. §§ 136-141 SGB IX. In vielen Fällen ist für die spezielle Hilfe zur sozialen Teilhabe die Anrechnung von Einkommen und Vermögen ausgeschlossen oder es gilt ein erhöhter Schonbetrag. Für Kinder und Jugendliche entfällt regelmäßig die Vermögensanrechnung der Eltern. Erwachsene Leistungsberechtigte müssen jedoch oberhalb der festgelegten Freigrenzen mit eigenem Einkommen/Vermögen zu den Kosten beitragen. Die exakte Anwendung richtet sich nach der jeweiligen Leistungsform sowie der individuellen wirtschaftlichen Situation.

Welche Mitwirkungspflichten bestehen gegenüber dem Leistungsträger?

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, gemäß §§ 60 ff. SGB I sowie § 62 SGB IX, alle relevanten Angaben zu machen, notwendige Nachweise einzureichen, Veränderungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen und an ärztlichen sowie sonstigen erforderlichen Untersuchungen mitzuwirken. Kommen sie diesen Pflichten nicht nach, kann dies zur Ablehnung, Einstellung oder Rückforderung der Leistungen führen. Darüber hinaus ist die zweckentsprechende Verwendung der bewilligten Leistungen nachzuweisen, etwa durch Einreichung von Belegen oder Zutrittsnachweisen zu Veranstaltungen.