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Hilfe in besonderen Lebenslagen


Begriff und Bedeutung von Hilfe in besonderen Lebenslagen

Hilfe in besonderen Lebenslagen ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Sozialrechts und beschreibt staatliche Unterstützungsleistungen für Menschen, die sich in außergewöhnlichen, mit herkömmlichen Mitteln nicht zu bewältigenden Notlagen befinden. Diese Hilfen richten sich insbesondere an Personen, die durch Ereignisse, Schicksale oder soziale Umstände unter erheblichem sozialen oder gesundheitlichen Druck stehen und besonderen Unterstützungsbedarf haben. Sie sind im Kern darauf ausgerichtet, individuelle Notlagen zu beheben, die durch die allgemeinen Sozialhilferegelungen nicht oder nicht ausreichend abgedeckt werden.

Die rechtlichen Grundlagen für die Hilfe in besonderen Lebenslagen finden sich insbesondere im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), hier vor allem im Dritten Kapitel. Ergänzend kommen auch weitere spezialgesetzliche Regelungen sowie landesspezifische Ausführungsvorschriften in Betracht.


Rechtsgrundlagen der Hilfe in besonderen Lebenslagen

Sozialgesetzbuch XII (SGB XII)

Das SGB XII bildet die zentrale Grundlage für die Organisation und Durchführung der Hilfe in besonderen Lebenslagen. Neben den allgemeinen Vorschriften zu den Aufgaben der Sozialhilfe (§§ 1-3 SGB XII) regeln vor allem §§ 67 ff. SGB XII die einzelnen Anspruchsarten, Voraussetzungen und Verfahrensweisen.

Anwendungsbereich

Hilfe in besonderen Lebenslagen wird gewährt, wenn eine Situation nicht durch den Regelbedarf der Sozialhilfe (insbesondere Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) erfasst wird. Zu den erfassten Lebenssituationen zählen insbesondere:

  • Hilfe zur Gesundheit (§§ 47-52 SGB XII)
  • Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen (§§ 53-60 SGB XII, heute weitgehend durch das SGB IX geregelt)
  • Hilfe zur Pflege (§§ 61-66 SGB XII)
  • Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67-69 SGB XII)
  • Hilfe in anderen Lebenslagen (§ 73 SGB XII)

Damit grenzt sich die Hilfe in besonderen Lebenslagen klar von den allgemeinen Lebenssituationen ab, für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Hilfe zum Lebensunterhalt vorgesehen sind.


Einzelne Leistungen im Detail

Hilfe zur Gesundheit

Die Hilfe zur Gesundheit umfasst Leistungen, die erforderlich sind, um Krankheit zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder deren Verschlimmerung zu verhüten (§§ 47-52 SGB XII). Sie entspricht hinsichtlich ihres Leistungsumfangs prinzipiell der gesetzlichen Krankenversicherung, kann jedoch auch Angehörigen gewährt werden, die nicht gesetzlich versichert sind.

Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen

Die Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII (seit 2020 überwiegend im SGB IX geregelt) dient dazu, behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Zu den Leistungen zählen zum Beispiel Hilfen zu einer angemessenen Schul-, Berufs- oder Hochschulbildung sowie Beiträge zur Teilhabe am Arbeitsleben und an der Gesellschaft.

Hilfe zur Pflege

Nach §§ 61 ff. SGB XII besteht Anspruch auf Hilfe zur Pflege für Personen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung dauerhaft pflegebedürftig sind und die notwendigen Pflegeleistungen nicht aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Familie aufbringen können. Die Leistungen umfassen sowohl häusliche als auch stationäre Pflege.

Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten

Im Mittelpunkt dieser Leistung steht die Unterstützung von Menschen, die sich in außergewöhnlichen sozialen Problemlagen befinden, wie z. B. bei Wohnungslosigkeit, Suchtproblemen oder nach Haftentlassung. Ziel ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, die Sicherung des Lebensunterhalts, die Stabilisierung der individuellen Lebenssituation und die Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67-69 SGB XII).

Hilfe in anderen Lebenslagen

Unter § 73 SGB XII werden weitere, nicht ausdrücklich geregelte Hilfen erfasst, die zur Sicherung der sozialen Teilhabe erforderlich sein können, etwa zur Überwindung von Erschwernissen nach Naturkatastrophen oder bei außergewöhnlichen Unglücksfällen.


Anspruchsvoraussetzungen und Verfahren

Subsidiaritätsprinzip

Die Hilfe in besonderen Lebenslagen ist nachrangig gegenüber Leistungen anderer Sozialleistungsträger (z. B. Kranken- oder Pflegekasse) sowie gegenüber eigenverantwortlicher Selbsthilfe und Angehörigenleistungen. Erst wenn diese Möglichkeiten erschöpft sind, sind die Sozialhilfeträger zur Leistungserbringung verpflichtet (§ 2 SGB XII).

Bedürftigkeitsprüfung

Ein Anspruch besteht grundsätzlich nur bei nachgewiesener Bedürftigkeit. Neben dem Einkommen und Vermögen des Hilfeempfängers werden auch das seiner unterhaltspflichtigen Angehörigen sowie mögliche vorrangige Ansprüche gegen Dritte berücksichtigt (§§ 19 ff., 27 ff. SGB XII).

Antragsverfahren

Die Hilfen in besonderen Lebenslagen werden auf Antrag bei dem zuständigen Träger der Sozialhilfe (in der Regel der kommunale Sozialhilfeträger oder das örtliche Sozialamt) beantragt. Die Bearbeitung erfolgt im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nach den Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X).

Besonderheiten bei der Rückzahlungspflicht

Teilweise sind Leistungen als Darlehen zu gewähren oder unter Rückforderungsvorbehalt (§ 91 SGB XII), wenn in absehbarer Zeit eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu erwarten ist oder eine besondere Notlage über eine kurzfristige Unterstützung hinaus keine dauerhaft entgeltfreie Hilfe rechtfertigt.


Abgrenzung zu anderen Sozialleistungen

Hilfe in besonderen Lebenslagen unterscheidet sich von den allgemeinen existenzsichernden Sozialleistungen vor allem durch ihren spezifischen Anlassbezug und ihre Einzelfallorientierung. Während Leistungen wie Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt regelmäßig und pauschal gewährt werden, ist die Hilfe in besonderen Lebenslagen stets an individuelle Beurteilungen und besondere Sachverhalte gebunden.

Sie unterscheidet sich auch von Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II bzw. Bürgergeld), welche auf Erwerbsfähige abzielen, sowie von spezialgesetzlichen Leistungen (z. B. der gesetzlichen Unfallversicherung).


Finanzierung und Trägerschaft

Die Finanzierung der Hilfe in besonderen Lebenslagen erfolgt im Wesentlichen aus Mitteln der Kommunen und Länder. Träger sind in der Regel die kreisfreien Städte, Landkreise oder in Einzelfällen auch überörtliche Sozialhilfeträger.


Rechtsschutz und Widerspruchsverfahren

Gegen Entscheidungen der Sozialhilfeträger steht den Antragstellenden ein umfassender Rechtsschutz zu. Dies umfasst das Widerspruchsverfahren nach SGB X und gegebenenfalls die Anrufung der Sozialgerichte gemäß SGG (Sozialgerichtsgesetz).


Reformen und Ausblick

Die Hilfe in besonderen Lebenslagen wird fortlaufend weiterentwickelt. Insbesondere im Kontext der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) und der Reform der Eingliederungshilfe durch das Bundesteilhabegesetz haben sich die inhaltlichen und organisatorischen Schwerpunkte in den letzten Jahren gewandelt. Zukünftige Reformen setzen verstärkt auf personenzentrierte Hilfen und auf die Stärkung des Grundsatzes der individuellen Bedarfsermittlung.


Literatur

  • Schlegel/Voelzke, Kommentar zum SGB XII, aktuelle Ausgabe
  • Cremer, Der Sozialhilferecht-Kommentar, aktuelle Ausgabe
  • Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), Praxis der Sozialhilfe, aktuelle Ausgabe

Weblinks


Schlagworte: Hilfe in besonderen Lebenslagen, Sozialhilfe, Sozialgesetzbuch XII, SGB XII, Anspruchsvoraussetzungen, Bedürftigkeitsprüfung, Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Gesundheit, Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, SGB XII Reform


(Dieser Artikel dient der umfassenden Information zu den rechtlichen Grundlagen, Voraussetzungen und Abläufen der Hilfe in besonderen Lebenslagen im deutschen Sozialrecht.)

Häufig gestellte Fragen

Wer ist im rechtlichen Sinne berechtigt, Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem SGB XII zu beantragen?

Personen, die sich in besonderen Lebenslagen befinden und unterstützungsbedürftig sind, haben gemäß §§ 17 ff. SGB XII einen Anspruch auf Hilfe in besonderen Lebenslagen. Dazu zählen insbesondere Personen, die eine Behinderung haben, von einer Behinderung bedroht sind oder in einer besonderen sozialen Notlage (wie Wohnungslosigkeit, Suchtproblematiken oder häusliche Gewalt) leben. Rechtsgrundsätzlich sind sowohl Deutsche als auch Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland antragsberechtigt, wobei für bestimmte Leistungen weitere aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen (z.B. Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis). Bei minderjährigen oder betreuten Personen ist der gesetzliche Vertreter antragsberechtigt. Eine Bedürftigkeitsprüfung zählt zu den zentralen Voraussetzungen; das bedeutet, eigene Einkünfte und das verwertbare Vermögen sind vorrangig einzusetzen, soweit sie die jeweils geltenden Freibeträge übersteigen.

Welche Arten von Hilfe in besonderen Lebenslagen regelt das SGB XII konkret?

Das SGB XII unterscheidet verschiedene Arten der Hilfe in besonderen Lebenslagen. Hierzu zählen insbesondere die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (§§ 53-60a SGB XII), die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts (§§ 70-73 SGB XII), die Altenhilfe (§§ 71 SGB XII), die Blindenhilfe (§ 72 SGB XII), die Hilfe in anderen außergewöhnlichen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) und die Übernahme von Bestattungskosten (§ 74 SGB XII). Jede dieser Hilfsarten hat gesonderte Anspruchsvoraussetzungen, gesetzliche Ausgestaltungen sowie eine eigene Rechtsfolge bezüglich Umfang, Dauer und Art der Unterstützung, die sich am individuellen Bedarf orientiert und besonders auf eine möglichst selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben abzielt.

Wie erfolgt die Beantragung von Hilfe in besonderen Lebenslagen und welche Nachweise sind erforderlich?

Die Beantragung erfolgt grundsätzlich schriftlich beim zuständigen Sozialhilfeträger (in der Regel dem örtlichen Sozialamt). Laut § 16 SGB I genügt ein formloser Antrag, jedoch können die Behörden verlangen, dass Antragsformulare verwendet und bestimmte Nachweise vorgelegt werden. Zu den üblichen Nachweisen zählen: Personalausweis oder Pass, Nachweise über Einkommen und Vermögen (Gehaltsabrechnungen, Kontoauszüge, Sparguthaben), Nachweise zur aktuellen Lebenssituation (z.B. ärztliche Gutachten, Schwerbehindertenausweis, Unterlagen zur Wohnsituation, Nachweise über Betreuung oder Pflegebedürftigkeit). Darüber hinaus kann bei speziellen Hilfen (z.B. Blindenhilfe) ein Nachweis der spezifischen Beeinträchtigung durch fachärztliche Bescheinigungen oder Amtsärztliche Gutachten erforderlich sein. Die Amtsermittlung geht dem Ermittlungsgrundsatz nach (§ 20 SGB X), das heißt, die Behörde prüft von Amts wegen den Sachverhalt umfassend.

Welche Leistungen werden bei Hilfe in besonderen Lebenslagen rechtlich gewährt?

Die Hilfen umfassen sowohl Geldleistungen als auch Sach- und Dienstleistungen. Gesetzlich normiert sind u.a.: Kostenübernahmen (z.B. für betreutes Wohnen, Pflegeeinrichtungen, Assistenzleistungen), Kosten für notwendige Umbauten, Hilfsmittel, Förderung der Mobilität, Hilfe zur Tagesstrukturierung, Beratung und Unterstützung bei behördlichen Angelegenheiten, sowie bei besonderen Bedürfnissen z.B. bei Blindenhilfe ein monatlicher Geldbetrag zur Teilhabe. Die Art und Höhe der jeweiligen Leistung richten sich nach dem individuellen Bedarf und sind im Zweifelsfall durch Gutachten oder Stellungnahmen nachzuweisen. Maßgeblich für den Umfang ist das Prinzip der Angemessenheit und Notwendigkeit, wie es in § 9 SGB XII expliziert wird.

Welche Rolle spielt der Nachranggrundsatz bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen?

Der Nachranggrundsatz (§ 2 SGB XII) besagt, dass Sozialhilfe grundsätzlich nur dann gewährt wird, wenn der Hilfesuchende seinen Bedarf nicht durch eigenes Einkommen und Vermögen oder durch vorrangige Sozialleistungen (wie etwa Leistungen der Krankenkasse, Pflegeversicherung, Arbeitsförderung, Rentenversicherung oder Unterhaltsleistungen) decken kann. Die Prüfung erfolgt im Rahmen der Antragstellung und erstreckt sich auf sämtliche im Einzelfall möglichen Eigenmittel und Fremdmittel. Leistungen werden – sofern vorrangige Ansprüche oder Hilfen beispielsweise nach dem SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) bestehen – subsidiär und ergänzend erbracht.

Gibt es Möglichkeiten des Widerspruchs und Rechtsbehelfe, wenn eine beantragte Hilfe in besonderen Lebenslagen abgelehnt wird?

Ja, gegen ablehnende Bescheide oder gegen den Umfang der gewährten Hilfe können Rechtsbehelfe eingelegt werden. Das bedeutet, nach dem Zugang eines Bescheides besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift bei der entscheidenden Behörde Widerspruch einzulegen (§ 84 SGG). Bei Zurückweisung des Widerspruchs steht der Klageweg zum Sozialgericht offen (§ 87 SGG). Zusätzlich besteht in bestimmten Fällen Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz, wenn eine Entscheidung dringlich ist oder bei drohender Gefährdung existenzieller Bedürfnisse. Es gelten die allgemeinen Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), insbesondere geregelt in den §§ 78-109 SGG.

Können Rückforderungen oder Sanktionen im Kontext von Hilfe in besonderen Lebenslagen erfolgen?

Ja, gemäß §§ 45, 48 SGB X sowie § 50 SGB X ist eine Rückforderung von bereits gewährten Leistungen möglich, wenn diese durch falsche Angaben, Verschweigen wesentlicher Tatsachen oder durch rechtswidrige Verwaltungsakte erschlichen wurden. Auch nachträgliche Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse, etwa durch Einkommenserzielung oder Vermögenszuwachs, können zu einer Aufhebung oder Anpassung der bewilligten Leistungen führen. Darüber hinaus sind Sanktionen bzw. Kürzungen möglich, wenn zumutbare Mitwirkungspflichten (§§ 60ff. SGB I) verletzt werden. In solchen Fällen wird die Leistung gemindert oder ganz versagt, solange die Verpflichtung nicht nachgeholt wird. Empfänger sind verpflichtet, sämtliche Änderungen unverzüglich der Behörde anzuzeigen.