Begriff und rechtliche Einordnung
Hilfe in besonderen Lebenslagen bezeichnet einen Sammelbegriff für Unterstützungen der Sozialhilfe, die auf außergewöhnliche soziale Problemlagen reagieren. Ziel ist die Stabilisierung der Lebensverhältnisse, die Sicherung grundlegender Lebensführung und die (Re‑)Integration in ein selbstbestimmtes, möglichst eigenständiges Leben.
Historische Entwicklung und heutige Terminologie
Der Begriff stammt aus dem früheren Bundessozialhilfegesetz. Im heutigen System der Sozialhilfe (Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – SGB XII) wird inhaltlich zwischen zwei Bereichen unterschieden: der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und der Hilfe in anderen Lebenslagen. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich gleichwohl die Bezeichnung „Hilfe in besonderen Lebenslagen” gehalten, wenn Unterstützungen gemeint sind, die über den üblichen Lebensunterhalt hinausgehen.
Systematische Stellung im Sozialrecht
Die Leistungen zählen zur Sozialhilfe und sind gegenüber vorrangigen Ansprüchen aus anderen Sozialleistungssystemen nachrangig. Zuständig sind regelmäßig die örtlichen oder überörtlichen Träger der Sozialhilfe. Sie kooperieren mit freien Trägern, Diensten und Einrichtungen, um bedarfsgerechte Hilfen zu erbringen.
Tatbestandsvoraussetzungen und Zielgruppen
Besondere soziale Schwierigkeiten
Adressatinnen und Adressaten sind Personen, deren Lebensverhältnisse durch besondere soziale Schwierigkeiten geprägt sind und die diese aus eigener Kraft nicht überwinden können. Dazu zählen insbesondere Obdach- und Wohnungslosigkeit oder deren drohender Eintritt, Entlassung aus geschlossenen Einrichtungen mit fehlender sozialer Einbindung, Erfahrungen mit häuslicher oder vergleichbarer Gewalt, massive Überschuldung mit existenziellen Folgewirkungen, komplexe Mehrfachproblemlagen im sozialen Umfeld sowie vergleichbare Situationen, die eine umfassende sozialarbeiterische Unterstützung erfordern.
Andere Lebenslagen
Dieser Bereich umfasst Unterstützungen bei spezifischen Bedarfslagen außerhalb des laufenden Lebensunterhalts. Dazu gehören insbesondere Hilfen zur Weiterführung des Haushalts bei vorübergehender Ausfalllage, besondere Hilfen im Alter, Blindenhilfe sowie die Übernahme bestimmter, sozialhilferechtlich anerkannter Kosten in Ausnahmesituationen wie etwa Bestattungen, soweit die Tragung solcher Lasten nicht zumutbar ist.
Ausschlüsse und Schnittstellen
Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsrecht erhalten, unterliegen einem eigenen Leistungssystem. Schnittstellen bestehen zudem zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, zur Rehabilitation und Teilhabe, zur Kinder- und Jugendhilfe, zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zum Wohnungswesen. Leistungen können nebeneinander stehen, wenn unterschiedliche Bedarfslagen abgedeckt werden.
Leistungsarten und Inhalte
Persönliche Hilfen (soziale Dienste)
- Sozialberatung, Case Management und Koordination der Hilfen
- Erstellung und Fortschreibung von Hilfeplänen mit konkreten Zielen
- Begleitung bei Behörden- und Institutionenkontakten
- Vermittlung in medizinische, psychosoziale und rehabilitative Angebote
- Stabilisierung des Alltags, Aufbau von Tagesstruktur und Wohnfähigkeit
- Unterstützung beim Erhalt von Wohnraum oder beim Übergang in eigenes Wohnen
Sach- und Geldleistungen
- Unterbringung in Einrichtungen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten (z. B. Notunterkünfte, Übergangswohnheime)
- Leistungen zur Ausstattung oder Wiederherstellung eines Haushalts in begründeten Fällen
- Übernahme notwendiger, in der besonderen Lebenslage begründeter Aufwendungen, soweit gesetzlich vorgesehen
Einrichtungen und Dienste
Leistungen werden häufig durch spezialisierte Einrichtungen und Dienste erbracht, etwa Not- und Schutzunterkünfte, Wohnheime, betreute Wohnformen, Tagesstätten oder streetwork-nahe Angebote. Die Sozialhilfeträger schließen hierzu regelmäßig Vereinbarungen mit Leistungsanbietern, die Qualitätsvorgaben, Leistungsinhalte und Vergütung regeln.
Verfahren und Mitwirkung
Zugang und Antragstellung
Der Zugang erfolgt in der Regel über einen Antrag beim zuständigen Sozialhilfeträger. In akuten Notsituationen ist auch ein sofortiges Tätigwerden möglich. Die Entscheidung ergeht als Verwaltungsakt und umfasst Art, Umfang und Dauer der Hilfe.
Bedarfsermittlung und Hilfeplanung
Die Bedarfslage wird individuell erhoben. Üblich ist ein strukturiertes Verfahren mit Hilfeplanung, das Problemlagen, Ziele, Maßnahmen, Verantwortlichkeiten und Überprüfungszeitpunkte festhält. Der Hilfebedarf wird regelmäßig überprüft und bei veränderter Lage angepasst.
Mitwirkung, Datenverarbeitung und Kooperation
Die Leistungsberechtigten wirken an der Aufklärung der Sachlage mit. Sozialdaten dürfen nur im gesetzlich zugelassenen Umfang erhoben, verarbeitet und übermittelt werden. Eine enge Kooperation zwischen Trägern und Diensten dient der Koordination unterschiedlicher Leistungen.
Dauer, Überprüfung, Beendigung
Die Hilfen sind am individuellen Bedarf ausgerichtet, befristet oder fortlaufend und werden beendet, wenn die besondere Lebenslage überwunden ist oder andere Leistungssysteme vorrangig greifen.
Finanzierung und Anrechnung
Nachrangigkeit
Sozialhilfe ist nachrangig. Vorrangige Ansprüche gegenüber anderen Leistungsträgern, Dritten oder auf Selbsthilfe sind zu berücksichtigen. Leistungen werden grundsätzlich nur insoweit erbracht, als der Bedarf nicht anderweitig gedeckt ist.
Einkommen, Vermögen und Unterhalt
Einkommen und Vermögen werden nach den gesetzlichen Maßgaben berücksichtigt. Zumutbare Eigenmittel sind vor Inanspruchnahme öffentlicher Mittel einzusetzen. Unterhaltsansprüche gegenüber Angehörigen können einbezogen werden, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist.
Kostenerstattung zwischen Trägern
Treffen mehrere Leistungssysteme zusammen, erfolgt die Abgrenzung und Erstattung der Kosten nach den hierfür geltenden Regeln. Ziel ist eine eindeutige Zuständigkeit und lückenlose Hilfe.
Rechtsschutz und Kontrolle
Entscheidung und Ermessensausübung
Die Entscheidung des Sozialhilfeträgers ergeht schriftlich. Je nach Leistungsart bestehen gebundene oder ermessensgeleitete Elemente. Ermessensentscheidungen sind am gesetzlichen Zweck, am individuellen Bedarf und am Gleichbehandlungsgrundsatz auszurichten.
Rechtsbehelfe
Gegen ablehnende oder einschränkende Bescheide stehen die üblichen verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe offen. Die Fristen, Formanforderungen und die aufschiebende Wirkung richten sich nach den allgemeinen Regeln.
Qualitätssicherung
Leistungsanbieter unterliegen Qualitäts- und Vergütungsvereinbarungen. Sozialhilfeträger überwachen die Einhaltung und prüfen Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen.
Abgrenzungen zu nahegelegenen Leistungen
Gegenüber Grundsicherung für Arbeitsuchende
Die Sicherung des Lebensunterhalts obliegt dem Grundsicherungssystem für Arbeitsuchende, soweit Erwerbsfähigkeit besteht. Hilfen in besonderen Lebenslagen zielen auf die Bewältigung außergewöhnlicher sozialer Problemlagen und können neben Leistungen zum Lebensunterhalt stehen, wenn unterschiedliche Bedarfe betroffen sind.
Gegenüber Rehabilitation und Teilhabe
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe werden vorrangig von dafür zuständigen Trägern erbracht. Hilfen in besonderen Lebenslagen können ergänzend wirken, insbesondere bei sozialer Stabilisierung.
Gegenüber Kinder- und Jugendhilfe
Für Minderjährige und deren Familien sind vorrangig Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe einschlägig. Bei volljährigen Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten ist die Sozialhilfe zuständig, soweit keine spezielleren Leistungen greifen.
Gegenüber Pflegeleistungen
Hilfebedarfe aufgrund Pflegebedürftigkeit werden primär durch Pflegeversicherung und ergänzend durch Sozialhilfe im Pflegebereich gedeckt. Hilfen in besonderen Lebenslagen betreffen demgegenüber besondere soziale Problemlagen.
Häufig gestellte Fragen
Was umfasst der Begriff „Hilfe in besonderen Lebenslagen” im heutigen Recht?
Gemeint sind Unterstützungen der Sozialhilfe, die über den gewöhnlichen Lebensunterhalt hinausgehen. Dazu gehören die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten sowie die Hilfe in anderen Lebenslagen wie die Weiterführung des Haushalts, besondere Hilfen im Alter, Blindenhilfe und die Übernahme bestimmter Kosten in Ausnahmesituationen.
Wer ist für die Leistungen zuständig?
Zuständig sind die örtlichen oder überörtlichen Träger der Sozialhilfe. Sie erbringen Leistungen selbst oder über vertraglich gebundene Dienste und Einrichtungen.
Besteht ein Anspruch oder handelt es sich um Ermessensleistungen?
Je nach Leistungsart bestehen gebundene und ermessensgeleitete Anteile. Maßgeblich sind der individuelle Bedarf, der gesetzliche Leistungszweck und die Grundsätze der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit.
Welche Rolle spielen Einkommen und Vermögen?
Einkommen und Vermögen werden grundsätzlich berücksichtigt. Zumutbare Eigenmittel sind einzusetzen, bevor öffentliche Mittel beansprucht werden. Ausnahmen und Schonvorschriften ergeben sich aus den gesetzlichen Regelungen der Sozialhilfe.
Können Leistungen neben Bürgergeld oder Grundsicherung bezogen werden?
Ja, wenn unterschiedliche Bedarfslagen bestehen. Die Sicherung des Lebensunterhalts erfolgt über die dafür zuständigen Systeme; Hilfen in besonderen Lebenslagen adressieren zusätzliche, außergewöhnliche soziale Problemlagen.
Wie wird der individuelle Bedarf festgestellt?
Der Träger erhebt die persönliche Situation und erstellt in der Regel einen Hilfeplan. Dieser enthält Ziele, Maßnahmen und Prüftermine und wird fortgeschrieben, wenn sich die Lage ändert.
Wie lange werden die Leistungen gewährt?
Die Dauer richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Leistungen sind regelmäßig befristet oder werden fortlaufend gewährt, solange die besondere Lebenslage besteht und eine sozialhilferechtliche Zuständigkeit vorliegt.