Begriff und Rechtsgrundlagen der herrenlosen Sachen
Herrenlose Sachen sind ein zentrales Thema im Sachenrecht und beschreiben bewegliche oder unbewegliche Objekte, die keinem Eigentümer zugeordnet sind. Der Begriff „herrenlose Sache“ leitet sich aus dem Fehlen eines berechtigten Eigentumsanspruchs ab. In Deutschland ist das Schicksal herrenloser Sachen insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt.
Definition und Abgrenzung
Eine Sache im Sinne des § 90 BGB ist jeder körperliche Gegenstand. Als herrenlos werden Sachen bezeichnet, die entweder bislang keinem Eigentümer zugeordnet waren (ursprünglich herrenlose Sachen) oder deren Eigentumsvorbehalt durch Eigentumsaufgabe (Dereliktion) oder aus anderen Gründen weggefallen ist (derelinquierte Sachen).
Herrenlosigkeit ist dabei als rechtlicher Zustand zu verstehen, in dem eine Sache keiner natürlichen oder juristischen Person rechtlich als Eigentümer zugeordnet werden kann. Abzugrenzen sind herrenlose Sachen von verlorenen, vergessenen oder widerrechtlich entzogenen Gegenständen, bei denen zwar kein unmittelbarer Besitzer, wohl aber weiterhin ein Eigentümer existiert.
Ursprüngliche Herrenlosigkeit
Ursprüngliche Herrenlosigkeit liegt vor, wenn Sachen von Anfang an keinem Eigentum zugeordnet waren. Typische Beispiele sind wilde Tiere in freier Natur nach § 960 BGB sowie bisher ungenutztes Land.
Dereliktion und nachträgliche Herrenlosigkeit
Eine nachträgliche Herrenlosigkeit kann durch die Aufgabe des Eigentums eintreten, die sogenannte Dereliktion nach § 959 BGB. Hierzu muss der Eigentümer klar und eindeutig den Willen äußern, auf sein Eigentum zu verzichten, was regelmäßig durch eine äußere Handlung, wie das Wegwerfen eines Gegenstandes, geschieht.
Gesetzliche Regelungen und Vorschriften
Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält verschiedene Schlüsselnormen zum Umgang mit herrenlosen Sachen, die insbesondere im Abschnitt über das Eigentum an beweglichen Sachen geregelt sind.
Eigentumserwerb an herrenlosen Sachen
Bewegliche Sachen
Nach § 958 Abs. 1 BGB kann jeder das Eigentum an einer herrenlosen, beweglichen Sache durch Aneignung erwerben. Voraussetzung hierfür ist die Inbesitznahme der Sache durch den Erwerber mit dem Willen, diese als eigene zu behalten. Hierbei wird zwischen Fund- und Aneignungsrecht differenziert. Ist eine Sache nicht verloren, sondern herrenlos, ist für den Erwerb kein weiterer Rechtsakt wie etwa ein Fundanzeigeverfahren erforderlich.
Unbewegliche Sachen
Beim Erwerb von herrenlosen Grundstücken oder Immobilien gelten nach § 928 Abs. 2 BGB gesonderte Vorschriften. Wenn ein Grundstück herrenlos wird, fällt dieses gemäß § 928 Abs. 2, § 928 Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätzlich dem Fiskus, also dem jeweiligen Bundesland oder Bund, als Eigentümer zu.
Sonderfälle: Tiere, Naturschätze, Kulturgüter
Wilde Tiere
Wilde Tiere sind herrenlos, solange sie sich in Freiheit befinden, § 960 BGB. Werden sie gefangen oder gezähmt, gehen sie in das Eigentum desjenigen über, der sie hält. Entkommen sie wieder und gewinnen ihre natürliche Freiheit zurück, werden sie erneut herrenlos.
Bodenschätze
Nach dem Bundesberggesetz gehören bestimmte Bodenschätze dem Eigentümer des Grundstücks, während andere (Bergfreie Bodenschätze) herrenlos sind und durch Anzeige gewonnen werden können.
Kulturgüter und archäologische Funde
Für archäologische Funde existieren besondere Regelungen in den Denkmalschutzgesetzen der Länder. Häufig werden solche Funde mit ihrer Entdeckung eigentumsrechtlich dem Staat zugeordnet, um diese Kulturgüter zu schützen.
Rechtsfolgen der Herrenlosigkeit
Aneignungsrecht und Schutzvorschriften
Das Recht, sich eine herrenlose Sache anzueignen, kann in bestimmten Fällen durch Vorschriften des Umweltschutzes, Tierschutzgesetzes oder des Denkmalschutzes eingeschränkt werden. Insbesondere dürfen Funde aus Naturschutzgebieten oder denkmalgeschützte Gegenstände nicht einfach angeeignet oder entfernt werden.
Abgrenzung zu Fund- und Verlustsachen
Verlorene oder vergessene Sachen sind nicht herrenlos, sondern ermöglichen im deutschen Recht lediglich einen gutgläubigen Erwerb nach einem Fundanzeigeverfahren (§§ 965 ff. BGB). Der Erwerb einer Sache als Finder ist erst nach Ablauf von sechs Monaten und unter Einhaltung bestimmter Vorschriften möglich. Im Gegensatz zur herrenlosen Sache ist der Aneignungserwerb hier nicht unmittelbar gegeben.
Strafrechtliche Relevanz
Die Aneignung einer tatsächlich nicht herrenlosen Sache im Irrglauben, es handle sich um eine solche, kann rechtlich problematisch sein und unter Umständen eine Unterschlagung oder Diebstahl darstellen.
Verfahren und Praxis
Eigentumsaufgabe (Dereliktion) im Alltag
Die Eigentumsaufgabe erfordert, dass die Aufgabehandlung für Dritte erkennbar ist. Das bloße Ablegen oder Wegwerfen von beweglichen Sachen im öffentlichen Raum gilt nach allgemeiner Meinung als Dereliktion, soweit nicht besondere Schutzvorschriften, etwa Abfallrecht, entgegenstehen.
Fiskalerwerb bei Grundstücken
Wird das Eigentum an einem Grundstück aufgegeben, geht dieses auf das jeweilige Bundesland oder den Bund über. Eine private Aneignung ist ausgeschlossen, was der ordnungspolitischen Kontrolle und langfristigen Sicherung des Grundbesitzes dient.
Internationale Aspekte
Das Konzept der Herrenlosigkeit ist nicht ausschließlich auf deutsche Rechtsordnungen beschränkt. In vielen europäischen Ländern und im angloamerikanischen Recht finden sich vergleichbare Regelungen, häufig auch im Zusammenhang mit sogenanntem „Unausgesetztem Eigentum“ oder „Res Nullius“. Unterschiede ergeben sich vor allem bei Grundstücken und Kulturgütern.
Literatur und weiterführende Quellen
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Bundesberggesetz (BBergG)
- Denkmalschutzgesetze der Länder
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar (verschiedene Auflagen)
- Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Dieser Artikel bietet eine umfassende Übersicht über den Begriff der herrenlosen Sachen im deutschen Recht, dessen rechtliche Einordnung sowie relevante Nebengebiete. Die Lektüre eignet sich zur fundierten Wissensbasis im Kontext von Sachenrecht und Eigentumserwerb.
Häufig gestellte Fragen
Wem steht das Eigentum an herrenlosen Sachen nach deutschem Recht zu?
Herrenlose Sachen, auch als res nullius bezeichnet, sind Gegenstände, die keinem Eigentümer zuzuordnen sind oder deren Eigentum bewusst aufgegeben wurde (§ 959 BGB). Sobald eine Sache herrenlos geworden ist, etwa durch Aufgabe des Eigentums (Dereliktion), steht sie grundsätzlich jedem zur Aneignung offen (§ 958 Abs. 1 BGB). Das bedeutet, dass diejenige Person Eigentümer wird, die den Besitz an der herrenlosen Sache mit dem Willen zur Eigentumserschaffung ergreift. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt: Für bestimmte Arten von herrenlosen Sachen, wie etwa Bodenschätze, Wildtiere oder Fische, gelten Sonderregelungen, sodass die Aneignung z. B. dem Staat oder dem jeweiligen Jagdausübungsberechtigten vorbehalten sein kann. Auch für bestimmte Abfälle oder verlorene Sachen bestehen im Einzelfall besondere gesetzliche Vorgaben, unter anderem aus dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) oder Fundrecht.
Welche Rechtsfolgen ergeben sich aus der Aneignung einer herrenlosen Sache?
Mit der Aneignung einer herrenlosen Sache durch eine besitzergreifende Handlung und den Willen zur Eigentumsbegründung tritt der unmittelbare Eigentumserwerb nach § 958 Abs. 1 BGB ein. Die Aneignung erfordert weder einen besonderen Erwerbstatbestand noch eine Einigung mit einem Vorbesitzer, da ein solcher nicht (mehr) existiert. Die neueigentümerische Stellung entsteht originär. Allerdings kann es Folgeprobleme geben, wenn Rechte Dritter, wie etwa Pfandrechte oder dingliche Sicherungsrechte, bestehen geblieben sind. Typischerweise erlöschen solche Rechte allerdings mit dem Verlust des Eigentums. Von besonderer Bedeutung sind zudem öffentlich-rechtliche Schranken, etwa Umwelt- oder Denkmalschutzbestimmungen, die einer Aneignung im Einzelfall entgegenstehen können.
Können bewegliche und unbewegliche Sachen gleichermaßen herrenlos werden?
Grundsätzlich können sowohl bewegliche (§ 90 BGB) als auch unbewegliche Sachen (wie Grundstücke, § 94 BGB) herrenlos werden. In der Praxis ist jedoch vor allem von beweglichen Sachen die Rede, da Grundstücke sachenrechtlich besonders geschützt sind und ihre Aufgabe an besondere Bedingungen geknüpft ist (§ 928 BGB). Die Eigentumsaufgabe an einem Grundstück setzt z. B. einen Grundbuchantrag und eine Löschung im Grundbuch voraus sowie oft die Annahme durch den Fiskus des Bundeslandes (§ 928 Abs. 2 BGB). Im Gegensatz dazu reicht bei beweglichen Sachen der Verzicht auf Besitz und Eigentumswillen, um die Herrenlosigkeit zu begründen (§ 959 BGB).
Was unterscheidet herrenlose Sachen von verlorenen oder liegengebliebenen Sachen?
Herrenlose Sachen unterscheiden sich rechtlich deutlich von verlorenen oder vergessenen Sachen. Bei Letzteren besteht weiterhin Eigentum eines Dritten, sodass eine Aneignung als verbotene Eigenmacht gegebenenfalls strafbar ist (§ 246 StGB, Unterschlagung). Gemäß § 965 ff. BGB ist ein Finder verpflichtet, eine Fundsache anzuzeigen und ggf. abzugeben. Erst nach Ablauf von sechs Monaten nach Anzeige beim Fundbüro und wenn sich der Eigentümer nicht meldet, kann ein Eigentumserwerb durch den Finder eintreten (§ 973 BGB). Im Gegensatz dazu ist die Aneignung herrenloser Sachen nach sofortiger Besitzergreifung und entsprechendem Willen möglich, da keinerlei fremdes Eigentum mehr besteht.
Unterliegen herrenlose Sachen gesetzlichen Beschränkungen bei ihrer Aneignung?
Trotz des eigentlichen Grundsatzes der Aneignungsfreiheit unterliegen herrenlose Sachen in bestimmten Fällen gesetzlichen oder vertraglichen Beschränkungen. Für Abfälle sieht das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) oftmals eine obligatorische Überlassung an die Entsorgungsträger (Kommunen) vor. Auch forstrechtliche und jagdrechtliche Regelungen ermöglichen nicht ohne Weiteres die Aneignung von Wild, Holz oder anderen Produkten, wenn sie herrenlos erscheinen. Für Kulturgüter oder archäologisch bedeutsame Gegenstände existieren in einzelnen Bundesländern spezielle Vorschriften, wonach etwa eine automatische Eigentumsübertragung auf das Land oder den Staat erfolgt (§ 984 BGB).
Welche Pflichten treffen den Finder einer herrenlosen Sache?
Im Grunde bestehen beim Auffinden einer tatsächlich herrenlosen Sache keine Fundpflichten, da kein Eigentümer zu benachrichtigen ist (§ 965 BGB findet keine Anwendung). Allerdings müssen alle geltenden öffentlichen Ordnungsvorschriften oder Spezialgesetze beachtet werden. Im Gegensatz hierzu besteht bei Fundsachen nach wie vor die Pflicht zur Anzeige und Aushändigung an die zuständigen Behörden. Auch bei vermeintlicher Herrenlosigkeit empfiehlt sich im Zweifel eine rechtliche Überprüfung, um nicht irrtümlich fremdes Eigentum anzutasten.
Wann erlischt das Eigentum an einer Sache und wie wird diese herrenlos?
Das Eigentum an einer beweglichen Sache erlischt gemäß § 959 BGB mit der Aufgabe des Besitzes und des Eigentumswillens (Dereliktion). Dies geschieht ausdrücklich oder durch eindeutige konkludente Handlungen, die den Willen dokumentieren, das Eigentum für immer aufzugeben. Bei Grundstücken ist eine Aufgabe komplizierter, da sie neben einer Verzichtserklärung des Eigentümers eine Eintragung im Grundbuch und ggf. eine Annahmeerklärung des Fiskus voraussetzt. Erst nach vollständiger Durchführung dieser Schritte gilt ein Grundstück als herrenlos im Sinne des Gesetzes.