Herkunftsstaat, sicherer – Begriff, rechtliche Grundlagen und Bedeutung
Definition des sicheren Herkunftsstaates
Der Begriff „sicherer Herkunftsstaat“ bezeichnet im Asyl- und Aufenthaltsrecht Staaten, in denen nach gesetzlicher Einschätzung weder Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung stattfindet. Bewerberinnen und Bewerber aus solchen Staaten wird grundsätzlich unterstellt, dass ihr Asylantrag unbegründet ist, es sei denn, sie können individuelle Verfolgungsgründe darlegen. Die Einordnung als sicherer Herkunftsstaat erfolgt nicht willkürlich, sondern basiert auf politischen, rechtlichen und tatsächlichen Prüfkriterien, die durch nationale und europäische Vorschriften geregelt werden.
Nationale Rechtsgrundlagen
Gesetzliche Verankerung in Deutschland
In Deutschland ist das Konzept des sicheren Herkunftsstaates zentral im Asylgesetz (AsylG) geregelt. Nach § 29a AsylG kann der Asylantrag von Staatsangehörigen eines als sicher eingestuften Herkunftsstaats als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, sofern keine konkreten individuellen Gründe gegen die allgemeine Einschätzung sprechen. Die Liste sicherer Herkunftsstaaten ist im Anhang II zum Asylgesetz enthalten und wird per Gesetz beziehungsweise durch parlamentarischen Beschluss regelmäßig angepasst.
Voraussetzungen der Einstufung
Ein Staat kann gemäß § 29a Abs. 2 AsylG als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden, wenn auf Grundlage der Rechtslage, Rechtsanwendung und allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet ist, dass in diesem Staat für die dortigen Staatsangehörigen sowie für Staatenlose, die sich dort gewöhnlich aufhalten, keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention stattfindet. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere der Schutz vor Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie Existenz freier und fairer Rechtsprechungsmechanismen.
Aufnahme und Änderung der Liste
Über die Aufnahme eines Staates in die Liste sicherer Herkunftsstaaten entscheidet der Deutsche Bundestag, zuständig ist hierbei insbesondere das Bundesministerium des Innern. Die Liste wird regelmäßig überprüft und bei sich ändernden Umständen angepasst. Grundlage für die Überprüfung liefern Berichte internationaler Organisationen und eigener diplomatischer Vertretungen.
Europäische Rechtsgrundlagen
Asylverfahrensrichtlinie (EU)
Die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten ist auch auf europäischer Ebene geregelt, insbesondere in der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie). Artikel 36 bis 39 regeln die Voraussetzungen, unter denen Mitgliedstaaten bestimmte Länder als sicher einstufen dürfen. Die Kriterien umfassen u.a. die Verpflichtung des jeweiligen Staates zur Achtung der Menschenrechte, zum Schutz vor Verfolgung sowie zur Einhaltung des Non-Refoulement-Prinzips.
Gemeinsame EU-Liste und nationale Zuständigkeiten
Die Europäische Union kann ergänzend zur nationalen Liste eine gemeinsame EU-weite Liste sicherer Herkunftsstaaten festlegen. Aktuell handelt es sich dabei jedoch um Empfehlungen, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Nationale Gesetzgeber haben das Recht, eigene zusätzliche Listen zu führen, solange die unionsrechtlichen Mindeststandards eingehalten werden.
Rechtliche Auswirkungen für Asylsuchende
Verfahren und Beweislast
Asylsuchende aus einem als sicher eingestuften Herkunftsstaat unterliegen einem beschleunigten Asylverfahren. Sie müssen substantiiert darlegen und glaubhaft machen, dass sie im Einzelfall dennoch von Verfolgung oder ernsthafter Gefahr bedroht sind. Die Beweislast liegt hierbei grundsätzlich auf Seiten der Antragstellenden.
Rechtsschutzmöglichkeiten
Auch bei Zugehörigkeit zu einem sicheren Herkunftsstaat bleibt Betroffenen der Rechtsweg offen. Sie können Rechtsmittel gegen die ablehnende Entscheidung der Asylbehörde einlegen. Allerdings gelten für den Widerspruch und die Klage verkürzte Fristen (meist eine Woche) und eine eingeschränkte aufschiebende Wirkung. Außerdem erfolgt die Unterbringung bis zur Bestehensklärung in speziellen Aufnahmeeinrichtungen, um eine zeitnahe Rückführung zu ermöglichen.
Ausnahmen und besondere Schutzgruppen
Ausnahmen vom Grundsatz der sicheren Herkunft bestehen für besonders schutzbedürftige Gruppen wie Minderjährige, traumatisierte Personen oder Personen, die aufgrund individueller Merkmale abweichend von der Mehrheit der Bevölkerung dennoch von Verfolgung bedroht sind (z. B. ethnische, religiöse, sexuelle Minderheiten).
Kritische Einordnung und verfassungsrechtliche Grenzen
Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat die rechtliche Zulässigkeit und die verfassungsrechtlichen Schranken der Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten wiederholt konkretisiert. Wesentliche Anforderungen bestehen insbesondere an die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsstaat, die regelmäßig überprüft werden müssen. Es dürfen keine strukturellen Menschenrechtsverletzungen und keine systematische Gefahr von Verfolgung bestehen.
Internationale Kritik und menschenrechtliche Bedenken
International wird die Praxis der sicheren Herkunftsstaaten regelmäßig kritisch diskutiert. Kritiker führen an, dass auch in offiziell sicheren Staaten Gruppen von Personen spezifisch verfolgt werden könnten. Die Pauschalwirkung der Einstufung könne daher im Einzelfall zu unzureichendem Schutz führen. International anerkannte Standards, insbesondere die der Genfer Flüchtlingskonvention und Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), setzen hier maßgebliche Mindestanforderungen.
Übersicht und Liste sicherer Herkunftsstaaten (Deutschland, Stand Juni 2024)
Aktuelle Liste gemäß Anlage II AsylG
- Albanien
- Bosnien und Herzegowina
- Ghana
- Kosovo
- Montenegro
- Nordmazedonien
- Senegal
- Serbien
Diese Liste wird fortlaufend entsprechend der weltweiten Lage angepasst.
Bedeutung im asyl- und migrationsrechtlichen Kontext
Die Einordnung als sicherer Herkunftsstaat hat erhebliche Bedeutung für das Migrations- und Asylwesen in Europa und insbesondere in Deutschland. Sie ermöglicht ein schnelleres Verfahren und eine effizientere Steuerung migrationspolitischer Prozesse. Gleichzeitig ist eine genaue Kontrolle der allgemeinen und individuellen Verhältnisse im Herkunftsstaat zentral, um menschenrechtliche Standards einzuhalten und individuelle Schutzansprüche jederzeit zu gewährleisten.
Literatur und weiterführende Informationen
- Asylgesetz (AsylG)
- Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie)
- Genfer Flüchtlingskonvention
- Berichte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
- Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Asylrecht
Zusammengefasst: Der sichere Herkunftsstaat ist ein rechtlicher Begriff, der das Asylverfahren wesentlich prägt. Seine Einstufung basiert auf strengen rechtlichen und tatsächlichen Kriterien zum Schutz der Menschenrechte und unterliegt laufender Überprüfung. Die rechtlichen Auswirkungen betreffen insbesondere die Verfahrensbeschleunigung, die Beweislastverteilung sowie die Möglichkeiten des Rechtsschutzes. Dabei bleibt die individuelle Prüfung und der umfassende Flüchtlingsschutz oberster Maßstab der rechtlichen Umsetzung.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Kriterien führen dazu, dass ein Herkunftsstaat als „sicherer Herkunftsstaat“ eingestuft wird?
Ein Herkunftsstaat gilt nach deutschem und europäischem Recht als „sicherer Herkunftsstaat“, wenn davon ausgegangen werden kann, dass dort für die Bürgerinnen und Bürger des Landes generell weder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention noch Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Die rechtliche Grundlage für die Einstufung ergibt sich in Deutschland aus § 29a Asylgesetz (AsylG) sowie dem Artikel 16a Absatz 3 des Grundgesetzes (GG). Zentral ist, dass sowohl die Gesetzgebung, die allgemeine politische Lage und die tatsächliche Anwendung des Rechts im Herkunftsstaat die Annahme rechtfertigen, dass in der Regel keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen stattfindet. Die Europäische Union gibt in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) weitere verbindliche Vorgaben zur Beurteilung der Sicherheit. Die Entscheidung über die Aufnahme oder Streichung eines Staates von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten trifft in Deutschland der Gesetzgeber, also der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.
Welche rechtlichen Folgen hat die Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat für Asylanträge von Personen aus diesem Staat?
Wird ein Herkunftsstaat als sicher eingestuft, hat dies erhebliche Auswirkungen auf das Asylverfahren von Antragstellenden aus diesem Land. Ihr Asylantrag wird als „offensichtlich unbegründet“ behandelt, sofern nicht besondere individuelle Gründe geltend gemacht werden können. Die relevante Norm hierfür ist § 29a AsylG. Das bedeutet insbesondere, dass die Betroffenen im Verfahren eine erhöhte Darlegungspflicht haben: Sie müssen glaubhaft machen, dass sie in ihrem konkreten Einzelfall entgegen der generellen Sicherheit des Staates dennoch einer Verfolgung ausgesetzt waren oder wären. Zudem wird das Asylverfahren beschleunigt durchgeführt und Widerspruch und Klage gegen ablehnende Bescheide haben keine aufschiebende Wirkung (§ 36 AsylG), was zur Folge hat, dass die Abschiebung regelmäßig sehr zeitnah erfolgen kann.
Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Betroffene, gegen die Einstufung ihres Herkunftsstaates als sicher vorzugehen?
Die Einstufung eines Herkunftsstaates als sicher erfolgt durch Gesetz und kann nicht individuell im Asylverfahren angegriffen werden. Betroffene können allerdings gegen die Ablehnung ihres Asylantrages, der mit der Begründung der sicheren Herkunft erfolgte, Rechtsmittel – insbesondere Klage vor dem Verwaltungsgericht – einlegen. Sie müssen dabei substantiiert darlegen, dass für sie persönlich eine Gefahr besteht, die im Herkunftsstaat nicht allgemein, sondern individuell gegeben ist. Eine Überprüfung der gesetzlichen Einstufung als sicherer Herkunftsstaat selbst kann nur auf europarechtlicher Ebene, beispielsweise durch ein Vertragsverletzungsverfahren oder vor dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Normenkontrolle, erfolgen.
Können bestimmte Personengruppen im „sicheren Herkunftsstaat“ dennoch asylberechtigt sein?
Ja, rechtlich ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass auch Personen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ asylberechtigt sein können. Das Gesetz geht lediglich von einer gesetzlichen Regelvermutung aus, die im Einzelfall widerlegt werden kann. Daher kann etwa bei nachgewiesener individueller Verfolgung (z. B. aufgrund besonderer Merkmale wie Sexualität, Religion oder persönlicher politischer Betätigung) dennoch Schutz nach dem Asylgesetz, der Genfer Flüchtlingskonvention oder subsidiärer Schutzstatus gewährt werden. Dies entspricht insbesondere dem unionsrechtlichen Herkunftsländerprinzip, das individuelle Risiken berücksichtigt.
Wer überprüft die aktuelle Sicherheitslage und wie erfolgt eine mögliche Änderung der Einstufung als sicher?
Die Überprüfung der Sicherheitslage erfolgt sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene fortlaufend durch staatliche Stellen. In Deutschland sind das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt die zentralen Stellen, die politische und menschenrechtliche Entwicklungen beobachten. Relevante Informationen können auch durch Berichte unabhängiger internationaler Organisationen (wie die UNHCR) oder NGOs einfließen. Eine Änderung der rechtlichen Einstufung erfolgt durch ein Gesetzgebungsverfahren: Der Gesetzgeber kann einen Staat von der Liste streichen, wenn begründete Zweifel an dessen Sicherheit im aufenthaltsrechtlichen Sinne bestehen. Dabei ist wiederum die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat erforderlich.
Welche Bedeutung hat die Einordnung als sicherer Herkunftsstaat im Kontext des europäischen Asylrechts?
Die Europäische Union sieht in ihrer Asylverfahrensrichtlinie einheitliche Kriterien zur Definition sicherer Herkunftsstaaten vor (Richtlinie 2013/32/EU, insbesondere Art. 36 ff.). Die Einstufung eines Herkunftsstaates als sicher führt dazu, dass Mitgliedstaaten die Asylverfahren von Antragstellern aus diesen Staaten nach einem sogenannten beschleunigten Verfahren abwickeln dürfen. Zudem besteht eine gegenseitige Anerkennung von Listen sicherer Herkunftsstaaten jedoch nur eingeschränkt, da EU-Mitgliedstaaten eigene nationale Listen führen können. Rechtsmittel wie Beschwerden auf europarechtlicher Ebene bleiben aber auch dabei gewahrt.
Können Änderungen in der politischen oder menschenrechtlichen Lage Einfluss auf den Status eines sicheren Herkunftsstaates haben?
Ja. Die rechtliche Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ist keine statische, sondern eine dynamische Kategorie und unterliegt der fortlaufenden Überprüfung. Verschlechtert sich die politische oder menschenrechtliche Lage im betreffenden Staat signifikant, etwa durch neue Konflikte, systematische Verfolgung bestimmter Gruppen oder einen deutlichen Anstieg von Menschenrechtsverletzungen, können sowohl nationale Regierung als auch das Parlament ein Verfahren zur Streichung des Landes von der Liste einleiten. Die rechtlichen Grundlagen und Prüfmechanismen stellen sicher, dass der Schutz vor Rückführung in unsichere Verhältnisse jederzeit aufrecht erhalten bleibt.