Rechtsbegriff „Herausgabe des Kindes“ – Definition und Bedeutung
Die Herausgabe des Kindes ist ein zentraler Begriff im deutschen Familienrecht. Er beschreibt den Anspruch einer Person darauf, ein Kind von einer anderen Person herausverlangt zu können, wenn diese das Kind ohne rechtlichen Grund bei sich hält. Die Thematik ist in erster Linie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt und betrifft insbesondere Fälle, in denen die elterliche Sorge, das Umgangsrecht oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht betroffen sind. Der Anspruch auf Herausgabe des Kindes erhält besondere Relevanz bei Trennungen, Scheidungen, sorgerechtlichen Auseinandersetzungen sowie in Fällen der Kindesentziehung.
Gesetzliche Grundlagen der Herausgabe des Kindes
§ 1632 BGB – Herausgaberecht der Eltern
Die maßgeblichen Regelungen zur Herausgabe des Kindes finden sich in § 1632 BGB. Dieser regelt, dass die Inhaber der elterlichen Sorge das Recht haben, die Herausgabe des Kindes von jeder Person zu verlangen, die das Kind ohne rechtmäßigen Grund bei sich hält. Die Norm unterscheidet vier verschiedene Herausgabeansprüche:
- Absatz 1: Herausgabeanspruch aufgrund der elterlichen Sorge,
- Absatz 2: Herausgabeanspruch zur Ausübung des Umgangsrechts,
- Absatz 3: Anspruch auf Herausgabe zur selbstständigen Bestimmung des Aufenthalts,
- Absatz 4: Herausgabeanspruch der Pflegepersonen.
Sorgerecht und Aufenthaltsbestimmungsrecht
Das Recht zur Herausgabe des Kindes steht grundsätzlich den sorgeberechtigten Elternteilen zu. Maßgeblich hierfür ist das Sorgerecht, bestehend aus Personen- und Vermögenssorge, insbesondere aber das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht einem Elternteil oder einer dritten Person übertragen, steht nur dieser Person der Anspruch auf Herausgabe zu.
Verfahrensrechtliche Aspekte und Durchsetzung
Antrag auf Herausgabe beim Familiengericht
Möchte der sorgeberechtigte Elternteil die Herausgabe des Kindes erreichen und verweigert eine andere Person die Herausgabe, kann beim zuständigen Familiengericht ein Antrag gestellt werden (§ 1671 BGB, § 1684 BGB, §§ 23, 151 FamFG). Dieser Antrag erfolgt im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens, um eine schnelle Entscheidung zu ermöglichen.
Anhörung des Kindes und Beteiligter
Das Familiengericht ist verpflichtet, das betroffene Kind, sofern dies seinem Wohl nicht widerspricht und ihm entwicklungsgemäß möglich ist, persönlich anzuhören. Auch die Beteiligten – etwa die Eltern oder Pflegepersonen – werden angehört.
Zwangsvollstreckung der Herausgabe
Wird die Herausgabe des Kindes durch gerichtlichen Beschluss angeordnet, so kann die Vollstreckung nach §§ 88 ff. FamFG erfolgen. Hierbei kann das Gericht Zwangsgeld, Zwangshaft oder unmittelbaren Zwang (z. B. durch Einschaltung des Gerichtsvollziehers und ggf. der Polizei) anordnen, wobei besondere Schutzmechanismen zu beachten sind, um das Kindeswohl zu wahren.
Kindesentziehung und strafrechtliche Aspekte
Straftatbestand der Kindesentziehung
Die unrechtmäßige Vorenthaltung eines Kindes von der sorgeberechtigten Person kann den Straftatbestand der Kindesentziehung (§ 235 StGB) erfüllen. Strafbar ist nicht nur der sorgeberechtigte Elternteil, sondern jede Person, die das Kind unter Bruch des berechtigten Aufenthaltsbestimmungsrechts festhält oder entzieht.
Anspruchsberechtigte Personen
Elternteile
Grundsätzlich sind die Eltern gemeinschaftlich oder einzeln anspruchsberechtigt, je nach Ausgestaltung des Sorgerechts und des Aufenthaltsbestimmungsrechts.
Pflegepersonen und Dritte
Leitet das Gericht einen Teil der elterlichen Sorge (z. B. Aufenthaltsbestimmungsrecht) auf eine Pflegeperson, das Jugendamt oder Dritte über, so steht auch diesen der Anspruch auf Herausgabe zu.
Kindeswohl als Maßstab
Bedeutung des Kindeswohls
Die Herausgabeentscheidung steht stets unter dem Primat des Kindeswohls (§ 1697a BGB). Das Familiengericht prüft, ob eine Herausgabe tatsächlich im Interesse des Kindes liegt. In besonderen Ausnahmefällen kann von einer Herausgabe abgesehen oder eine Umgangsbegleitung angeordnet werden.
Umgang mit internationalen Herausgabefällen
Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ)
Kommt es zur internationalen Kindesentziehung, greifen häufig die Regelungen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Dies verpflichtet Vertragsstaaten, unrechtmäßig aus dem Heimatstaat verbrachte oder zurückgehaltene Kinder zurückzuführen und so eine schnelle Rückführung zu ermöglichen.
Beendigung des Herausgabeanspruchs
Der Anspruch auf Herausgabe entfällt, sobald das Kind volljährig wird, das Sorgerecht anderweitig geregelt oder dem Antragsteller entzogen wird beziehungsweise im Falle einer gerichtlichen Entscheidung, die den Aufenthalt anderweitig festlegt.
Fazit
Die Herausgabe des Kindes ist ein vielschichtiger Rechtsbegriff im Familienrecht, der verschiedene Anspruchsgrundlagen, formale Anforderungen und besondere Berücksichtigung des Kindeswohls umfasst. Die gerichtliche Durchsetzung stellt hohe Anforderungen an Schnelligkeit, Verhältnismäßigkeit und Sensibilität gegenüber betroffenen Kindern und Eltern. Das Ziel sämtlicher Regelungen bleibt der bestmögliche Schutz und das Wohl des Kindes.
Häufig gestellte Fragen
Was kann ich tun, wenn der andere Elternteil unser gemeinsames Kind nicht herausgibt?
Wenn ein Elternteil das gemeinsame Kind nach einer Umgangs- oder Sorgerechtsregelung nicht wie vereinbart oder durch gerichtlichen Beschluss vorgesehen herausgibt, bestehen mehrere rechtliche Möglichkeiten. Zunächst empfiehlt es sich, den Kontakt zum anderen Elternteil zu suchen und an die getroffene Vereinbarung oder die gerichtliche Entscheidung zu erinnern. Führt dies nicht zum Erfolg, kann beim zuständigen Familiengericht ein Antrag auf Herausgabe des Kindes nach § 1632 Abs. 1 BGB gestellt werden. Im Rahmen eines solchen Verfahrens prüft das Gericht, ob ein Herausgabeanspruch besteht und erlässt gegebenenfalls eine Anordnung, das Kind herauszugeben. Gegen den Elternteil, der das Kind zurückhält, können Zwangsmittel gemäß § 89 FamFG verhängt werden, beispielsweise Zwangsgeld oder sogar Zwangshaft. In akuten Fällen, etwa wenn eine Kindeswohlgefährdung droht, kann ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt werden, damit schnell über die Herausgabe entschieden wird. Unterstützend kann das Jugendamt beigezogen werden, das zu vermitteln versucht oder den Sachverhalt dem Gericht mitteilt. Bei konkretem Verdacht der Kindesentziehung kann zudem Strafanzeige nach § 235 StGB erstattet werden.
Welche Rolle spielt das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei der Herausgabe des Kindes?
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist ein Teil des Sorgerechts und umfasst das Recht, den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Dieses Recht ist zentral bei der Frage der Herausgabe: Nur der Elternteil, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht gerichtlich zugesprochen wurde, darf über den Aufenthalt des Kindes entscheiden und insbesondere das Kind vom anderen Elternteil herausverlangen. Besteht gemeinsames Sorgerecht und damit auch ein gemeinsames Aufenthaltsbestimmungsrecht, dürfen beide Eltern gleichermaßen über den Aufenthalt bestimmen, solange keine gerichtliche Regelung oder eine anderweitige Einigung getroffen wurde. Im Streitfall muss ein Gericht darüber befinden, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht – und damit das Herhausgaberecht – allein zusteht. Gerichtliche Herausgabeanordnungen sind für beide Elternteile bindend, und ein Verstoß dagegen kann zu familiengerichtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen führen.
Kann das Kind selbst entscheiden, bei wem es leben möchte?
Je älter das Kind ist, desto mehr Gewicht wird seinem Willen im familiengerichtlichen Verfahren eingeräumt. Nach § 159 FamFG ist das Kind in Verfahren, die seinen Aufenthalt betreffen, anzuhören, regelmäßig ab etwa dem 14. Lebensjahr. Ausschlaggebend für das Gericht ist jedoch immer das Kindeswohl. Der Kindeswille ist nur dann bestimmend, wenn er frei gebildet und wohlüberlegt erscheint und dem Kindeswohl nicht entgegensteht. Bei kleineren Kindern oder bei erkennbarer Beeinflussung durch einen Elternteil wird der Wille weniger stark gewertet. Am Ende entscheidet das Gericht, unabhängig vom Kindeswunsch, im Sinne des Kindeswohls, und kann dementsprechend auch eine Herausgabe anordnen, die nicht dem Wunsch des Kindes entspricht.
Was passiert, wenn die Herausgabe trotz gerichtlicher Anordnung verweigert wird?
Verweigert ein Elternteil die Herausgabe des Kindes trotz einer bindenden gerichtlichen Anordnung, kann das Familiengericht Zwangsmittel nach § 89 FamFG verhängen. Dies umfasst die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld oder sogar Zwangshaft gegen den widerstrebenden Elternteil. In besonderen Fällen kann das Gericht das Jugendamt oder das Gerichtsvollzieherbüro mit der tatsächlichen Herausgabe des Kindes beauftragen. Wiederholte Zuwiderhandlungen können strafrechtliche Konsequenzen nach § 235 StGB (Entziehung Minderjähriger) nach sich ziehen. Die Missachtung gerichtlicher Anordnungen hat neben rechtlichen auch nachteilige Auswirkungen bei späteren weiteren Sorgerechtsverfahren.
Welche Bedeutung hat das Jugendamt bei Fällen der Kind-Herausgabe?
Das Jugendamt nimmt im Zusammenhang mit Herausgabestreitigkeiten eine vermittelnde und unterstützende Rolle ein. Es kann an Gesprächen teilnehmen, Vorschläge für den Umgang unterbreiten, bei der Vermittlung zwischen den Eltern helfen und das Familiengericht entsprechend beraten. Bei Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls wird das Jugendamt dem Gericht gegenüber Stellung nehmen und ggf. Schutzmaßnahmen anregen. Direkt gegen den Willen eines sorgeberechtigten Elternteils kann das Jugendamt das Kind nur bei akuter Gefahr in Obhut nehmen, wobei dann umgehend das Familiengericht eingeschaltet wird.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen, wenn ich eigenmächtig das Kind bei der anderen Partei abhole?
Wer ein Kind ohne Einverständnis des anderen sorgeberechtigten Elternteils und ohne rechtliche Grundlage (etwa einen gerichtlichen Herausgabe-Titel) abholt, handelt unter Umständen rechtswidrig. Dabei kann sowohl eine Verletzung des elterlichen Sorgerechts als auch eine strafbare Kindesentziehung nach § 235 StGB vorliegen. Das Familiengericht kann diese Handlung bei späteren Verfahren als schwerwiegenden Verstoß gegen das Wohl des Kindes und die Loyalitätspflichten der Eltern werten, was negativen Einfluss auf künftige Sorgerechtsentscheidungen haben kann. Zur Rechtsdurchsetzung empfiehlt sich stets der offizielle Weg über das Gericht.
Kann auch eine dritte Person zur Herausgabe des Kindes verpflichtet werden?
Ja, auch Dritte (z.B. Großeltern, Pflegeeltern oder sonstige Bezugspersonen), bei denen sich das Kind widerrechtlich aufhält, können zur Herausgabe des Kindes verpflichtet werden gemäß § 1632 Abs. 1 BGB. Die Herausgabeanordnung ergeht dann ebenfalls durch das Familiengericht. Voraussetzung ist, dass der Herausgabeverlangende tatsächlich sorgeberechtigt ist und kein rechtlicher oder tatsächlicher Hinderungsgrund (z.B. Kindeswohlgefährdung) entgegensteht. Bei Weigerung können auch gegenüber Dritten Zwangsmittel zur Durchsetzung angeordnet werden.