Begriff und Grundgedanke des Handelsbuchs
Das Handelsbuch ist der Teil der Finanzinstrumente und Waren eines Instituts, der mit der Absicht gehalten wird, aus kurzfristigen Preis- und Zinsbewegungen Gewinne zu erzielen oder Handels- und Vermittlungsgeschäfte zu ermöglichen. Es umfasst insbesondere Positionen, die aktiv gehandelt, laufend bewertet und risikomäßig gesteuert werden. Das Handelsbuch ist ein aufsichtsrechtliches Konzept und dient der getrennten Behandlung von Positionen, die marktnah bewirtschaftet werden, gegenüber langfristig gehaltenen Beständen im sogenannten Anlagebuch.
Die Kernidee besteht darin, Handelsbestände eigenständig zu identifizieren, täglich zum aktuellen Marktpreis zu bewerten und für die daraus resultierenden Marktpreisrisiken besondere Kapital- und Organisationsanforderungen zu erfüllen. Diese Trennung soll die Stabilität des Finanzsystems fördern und sicherstellen, dass Institute die aus Handelsaktivitäten entstehenden Risiken angemessen abdecken.
Abgrenzung zum Anlagebuch
Kriterium der Handelsabsicht
Eine Position gehört in der Regel in das Handelsbuch, wenn eine dokumentierte Handelsabsicht besteht. Diese zeigt sich etwa durch aktive Vermarktung, kurzfristige Haltedauer, laufendes Risikomanagement auf Marktdatenbasis und die Einbindung in den Handelsbetrieb.
Haltehorizont und Absicherung
Positionen mit langfristiger Zielsetzung, stabilen Zahlungsströmen und ohne aktive Vermarktung werden typischerweise dem Anlagebuch zugeordnet. Absicherungsgeschäfte können je nach Zielsetzung und dokumentierter Strategie dem Handels- oder Anlagebuch zugeordnet sein, müssen jedoch konsistent und nachvollziehbar geführt werden.
Typische Handelsbuch-Positionen
Häufig im Handelsbuch anzutreffen sind Aktien, Anleihen, Devisen, Rohstoffe, börsliche und außerbörsliche Derivate (z. B. Futures, Forwards, Optionen, Swaps), Wertpapierfinanzierungsgeschäfte (z. B. Wertpapierleihe, Pensionsgeschäfte) und Handelsbestände aus der Kundenorderabwicklung.
Abgrenzung zu Nicht-Handelsbuch-Positionen
Nicht zum Handelsbuch zählen üblicherweise strategische Beteiligungen, langfristige Kreditforderungen ohne Handelsabsicht, immaterielle Vermögenswerte sowie Positionen, deren Bewertung nicht verlässlich marktnah möglich ist oder die nicht dem aktiven Handel dienen.
Rechtlicher Rahmen und Zuständigkeiten
Aufsichtliche Einordnung in Deutschland und der EU
In Deutschland und der Europäischen Union wird das Handelsbuch durch bankaufsichtliche Vorgaben geregelt. Zuständig für Aufsicht und Auslegung sind nationale Behörden wie die Finanzaufsicht und die Zentralbank, auf europäischer Ebene werden Leitlinien und technische Standards koordiniert. Die Vorgaben gelten für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, abhängig von Größe, Geschäftsmodell und Handelsaktivität.
Internationale Standards
Wesentliche Grundlage bilden internationale Standards zum Marktrisiko, die in der EU in verbindliches Aufsichtsrecht umgesetzt sind. Die Weiterentwicklung der Regeln (häufig unter der Bezeichnung grundlegende Überarbeitung des Handelsbuchs) prägt die Anforderungen an Abgrenzung, Messmethoden, Stresstests und Offenlegung.
Verhältnis zur Rechnungslegung
Das Handelsbuch ist ein aufsichtsrechtliches Konzept und nicht identisch mit der bilanziellen Klassifizierung nach Rechnungslegungsstandards. Gleichwohl bestehen enge Bezüge: Handelsbuchpositionen werden in der Regel zum beizulegenden Zeitwert bewertet. Abweichungen zwischen Aufsichtsrecht und Bilanzierung sind möglich und erfordern abgestimmte Prozesse.
Zulässige und unzulässige Positionen
Finanzinstrumente und Waren
Zum Handelsbuch können Finanzinstrumente und Waren gehören, die kurzfristig gehandelt werden und deren Marktwert verlässlich bestimmbar ist. Dazu zählen auch verbriefte Strukturen und komplexe Derivate, sofern eine angemessene Bewertung und Risikomessung gewährleistet ist.
Handels- und Vermittlungsgeschäfte
Positionen aus der Kundenorderabwicklung, Market-Making, Eigenhandel und Arbitrage sind typischerweise einbezogen. Bestände, die vorwiegend dem Halten bis zur Endfälligkeit oder strategischen Zwecken dienen, sind grundsätzlich ausgeschlossen.
Saldierung, Netting und Konsolidierung
Die Behandlung von Saldierung und Netting folgt vertraglichen und aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Auf Gruppenebene sind konsolidierte Handelsbuchangaben maßgeblich; Intra-Gruppen-Positionen können je nach Regelwerk unterschiedlich berücksichtigt werden.
Bewertungs- und Dokumentationspflichten
Tägliche Bewertung zum beizulegenden Zeitwert
Handelsbuchpositionen sind laufend auf Basis aktueller Marktpreise oder marktnaher Bewertungsmodelle zu bewerten. Für weniger liquide Instrumente sind robuste Bewertungsverfahren, Validierungen und Preisquellenkontrollen erforderlich.
Bewertungsanpassungen und Unsicherheiten
Unsicherheiten in der Bewertung werden durch Anpassungen berücksichtigt, etwa für Modellrisiken, Liquiditätsabschläge, Ausfall- und Finanzierungskomponenten oder operationelle Aspekte. Ziel ist eine vorsichtige, realitätsnahe Abbildung des beizulegenden Zeitwerts.
Dokumentation, Governance und Kontrolle
Die Abgrenzung des Handelsbuchs, Bewertungsmethoden, Preisquellen, Sicherungsbeziehungen und Limitstrukturen sind umfassend zu dokumentieren. Unabhängige Kontrollfunktionen, klare Zuständigkeiten und regelmäßige Überprüfungen sind erforderlich.
Risiko- und Eigenmittelanforderungen
Marktpreisrisiken
Das Handelsbuch unterliegt Kapitalanforderungen für Zinsänderungs-, Aktien-, Währungs- und Rohwarenrisiken sowie für Ausfall- und Migrationsrisiken von Handelsbuchpositionen. Auch Residual- und Optionsrisiken werden adressiert.
Standardisierte und modellbasierte Ansätze
Zur Ermittlung der Eigenmittelanforderungen stehen standardisierte Verfahren und genehmigungspflichtige Modellansätze zur Verfügung. Modellansätze erfordern strenge Voraussetzungen, Validierungen und fortlaufende Überwachung.
Stresstests, Backtesting und Zuordnung der Gewinne/Verluste
Institute führen regelmäßige Stresstests durch und prüfen die Angemessenheit ihrer Modelle anhand historischer Daten. Die Zuordnung von Gewinnen und Verlusten zwischen Frontoffice und Risikomodellen wird fortlaufend abgeglichen.
Liquiditätshorizonte und Handelsbeschränkungen
Für verschiedene Risikofaktoren gelten differenzierte Liquiditätshorizonte, die in die Kapitalanforderungen einfließen. Handelsbeschränkungen und Limits begrenzen Konzentrations- und Modellrisiken.
Reporting- und Meldepflichten
Aufsichtliche Meldungen
Institute berichten regelmäßig Handelsbuchdaten an die zuständigen Behörden, darunter Bestands- und Risikokennzahlen, Bewertungs- und Modellinformationen sowie Ergebnisse aus Tests und Validierungen.
Offenlegung
Über öffentlich zugängliche Offenlegungsberichte informieren Institute über Zusammensetzung, Risiken, Methoden und Kapitalanforderungen des Handelsbuchs. Ziel ist Transparenz für Marktteilnehmer.
Organisations- und Prozessanforderungen
Abgrenzung und Neuaufnahme von Positionen
Die Entscheidung, ob eine Position in das Handelsbuch aufgenommen wird, folgt festgelegten Kriterien und einer nachvollziehbaren Dokumentation. Änderungen der Zuordnung sind nur in eng begrenzten Fällen zulässig und werden transparent nachvollzogen.
Interne Richtlinien und Funktionstrennung
Verbindliche interne Richtlinien definieren Zuständigkeiten, Limits, Bewertungsverfahren und Eskalationswege. Eine wirksame Funktionstrennung zwischen Handel, Risikocontrolling, Bewertung und Abwicklung ist zentral.
IT-Systeme und Datenqualität
Leistungsfähige Systeme unterstützen Kursversorgung, Bewertung, Aggregation, Limitüberwachung und Meldungen. Datenqualität, Historisierung und Nachvollziehbarkeit sind wesentliche Anforderungen.
Interne Revision und externe Prüfung
Die interne Revision beurteilt regelmäßig Prozesse, Kontrollen und die Einhaltung der Vorgaben. Externe Prüfungen beziehen Methoden, Modelle, Bewertungen und Offenlegungen in die Beurteilung ein.
Grenzfälle und Sonderthemen
Kleinere Handelsbücher und Schwellenwerte
Für Institute mit sehr geringem Handelsvolumen existieren vereinfachte Regeln und Schwellenwerte. Wird ein Schwellenwert überschritten, gelten umfassendere Anforderungen; bei Unterschreiten können Erleichterungen greifen.
Strukturierte Produkte und Verbriefungen
Komplexe Instrumente können dem Handelsbuch zugeordnet werden, erfordern jedoch besondere Sorgfalt bei Bewertung, Datenverfügbarkeit und Risikomessung. Zusätzliche Kapitalanforderungen können entstehen.
Handelsbestände in Stressphasen
In Marktstressszenarien steigen Anforderungen an Bewertung, Liquidität und Risikoüberwachung. Vorgaben zur Stabilität der Klassifizierung zielen darauf ab, prozyklische Effekte zu begrenzen.
Absicherung zwischen Handels- und Anlagebuch
Absicherungen über Buchgrenzen hinweg sind möglich, unterliegen jedoch strikten Anforderungen an Dokumentation, Wirksamkeitsprüfung und Konsistenz der Methoden.
Sanktionen und Folgen von Verstößen
Aufsichtsrechtliche Maßnahmen
Bei Verstößen gegen Handelsbuchvorgaben kommen aufsichtliche Maßnahmen in Betracht, etwa zusätzliche Kapitalaufschläge, Einschränkungen von Geschäftsaktivitäten, Anforderungen an Governance oder organisatorische Auflagen.
Auswirkungen auf Eigenmittel und Geschäftsbetrieb
Fehlerhafte Abgrenzung, unzureichende Bewertung oder mangelhafte Kontrollen können zu erhöhten Kapitalanforderungen, Korrekturen in der Berichterstattung und Reputationsrisiken führen.
Häufig gestellte Fragen
Gehören alle Derivate automatisch in das Handelsbuch?
Nein. Derivate werden dem Handelsbuch zugeordnet, wenn eine dokumentierte Handelsabsicht besteht oder sie Handelsaktivitäten unterstützen. Derivate, die ausschließlich langfristige Positionen im Anlagebuch absichern und nicht handelnd bewirtschaftet werden, können außerhalb des Handelsbuchs geführt werden, sofern die Zuordnung konsistent und nachvollziehbar ist.
Kann eine einmal getroffene Handelsbuchzuordnung später geändert werden?
Eine spätere Umwidmung ist nur in eng begrenzten Fällen zulässig. Sie setzt eine nachvollziehbare Begründung, transparente Dokumentation und die Einhaltung der aufsichtlichen Vorgaben voraus. Rein ergebnisgetriebene Umwidmungen sind ausgeschlossen.
Wie wird das Handelsbuch täglich bewertet, wenn kein Marktpreis vorliegt?
Fehlen verlässliche Marktpreise, kommen marktorientierte Bewertungsmodelle zum Einsatz. Diese müssen mit geeigneten Eingangsparametern gespeist, unabhängig validiert und durch Bewertungsanpassungen für Unsicherheiten ergänzt werden.
Welche Risiken des Handelsbuchs sind kapitalrelevant?
Relevante Risiken umfassen Zinsänderungs-, Aktien-, Währungs- und Rohwarenrisiken sowie Ausfall- und Migrationsrisiken von Handelsbuchpositionen. Zusätzlich werden Options- und Residualrisiken berücksichtigt.
Gibt es Erleichterungen für Institute mit geringem Handelsvolumen?
Ja. Für Institute mit Handelsaktivitäten unterhalb bestimmter aufsichtsrechtlicher Schwellenwerte sind vereinfachte Anforderungen möglich. Bei Überschreiten der Schwellenwerte greifen umfassendere Regeln.
Wie verhält sich das Handelsbuch zur bilanziellen Klassifizierung?
Die aufsichtsrechtliche Handelsbuchzuordnung ist von der bilanziellen Einstufung zu unterscheiden. In vielen Fällen überschneiden sich die Konzepte, sie sind jedoch nicht deckungsgleich und folgen unterschiedlichen Zielsetzungen.
Welche Rolle spielen Stresstests im Handelsbuch?
Stresstests prüfen die Widerstandsfähigkeit der Handelsbuchpositionen gegenüber extremen, aber plausiblen Marktereignissen. Die Ergebnisse fließen in Risikolimits, Kapitalplanung und aufsichtliche Beurteilungen ein.