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Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen


Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen (HUVÜ): Überblick und Rechtsgrundlagen

Das Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen (HUVÜ), offiziell als das „Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln“ bezeichnet, ist ein völkerrechtliches Abkommen, das im Rahmen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (HCCH) entwickelt wurde. Es bezweckt die Verbesserung der grenzüberschreitenden Durchsetzung und Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen, insbesondere im Bereich der nachehelichen und Kindesunterhaltsansprüche. Das Übereinkommen wurde am 23. November 2007 verabschiedet und ist Teil einer Reihe internationaler Instrumente zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit in Familiensachen.


Entstehung und Zielsetzung

Historischer Hintergrund

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden im Rahmen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht internationale Abkommen zur Regelung grenzüberschreitender familienrechtlicher Angelegenheiten entwickelt. Bereits 1956 und 1973 entstanden Übereinkommen zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen. Das Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen von 2007 stellt die umfassendste und modernste Regelung auf diesem Rechtsgebiet dar und ist eng mit dem zeitgleich verabschiedeten Haager Unterhaltsübereinkommen über internationale Verfahren zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für Kinder (Haager Unterhaltsübereinkommen) verbunden.

Ziel und Anwendungsbereich

Das HUVÜ verfolgt das Ziel, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Unterhaltssachen (insbesondere zwischen Eltern und Kindern sowie Ehegatten) zu vereinfachen und zu beschleunigen. Vorrangig regelt es die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Behörden, um die Rechtsdurchsetzung innerhalb der Vertragsstaaten sicherzustellen. Das Übereinkommen beinhaltet verbindliche Regeln über:

Die Zuständigkeit der Gerichte
Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltstitel
Die Zusammenarbeit der Behörden der Vertragsstaaten


Anwendungsbereich und Geltung

Sachlicher Anwendungsbereich

Das HUVÜ umfasst Unterhaltsansprüche zwischen Kindern und Eltern, zwischen Ehegatten sowie weitere familialrechtliche Ansprüche. Die Definition orientiert sich an den jeweiligen nationalen Unterhaltsgesetzen, wodurch auch erweiterte familiäre Beziehungen (z.B. Großeltern und Enkel) nach innerstaatlichem Recht umfasst sein können.

Räumlicher Geltungsbereich

Das Übereinkommen gilt ausschließlich zwischen den Staaten, die das HUVÜ ratifiziert oder ihm beigetreten sind. Die Geltung erstreckt sich auf den gesamten Rechtsraum des jeweiligen Staates, sofern keine Vorbehalte erklärt wurden.


Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung

Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Das HUVÜ basiert auf dem Grundsatz, dass eine im Ursprungsstaat ergangene Unterhaltsentscheidung in den anderen Vertragsstaaten anzuerkennen und vollstreckbar zu erklären ist, sofern bestimmte formale und materielle Voraussetzungen eingehalten wurden. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, die gegenseitige Leistung von Amtshilfe zu gewährleisten.

Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit

Eine Entscheidung ist in einem anderen Vertragsstaat anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, wenn:

Die Entscheidung von einem zuständigen Gericht erlassen wurde
Die betroffene Person ausreichend rechtliches Gehör erhalten hat
Keine Unvereinbarkeit mit anderer Entscheidung in identischer Sache besteht
Kein offenkundiger Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) vorliegt

Versagungsgründe

Das Übereinkommen führt geschlossene Versagungsgründe auf, wie etwa Verfahrensmängel oder Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des nationalen Rechts.

Verfahren

Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren ist möglichst einfach, schnell und kosteneffizient zu gestalten. Die Staaten sind verpflichtet, zentrale Behörden einzurichten, über die Anträge übermittelt werden können. Formale Anforderungen wie Apostillen und weitere Beglaubigungen sollen nach Möglichkeit entfallen.


Rolle der zentralen Behörden

Aufgaben und Pflichten

Jeder Vertragsstaat bestellt eine zentrale Behörde, die unter anderem folgende Aufgaben wahrnimmt:

Übermittlung und Entgegennahme von Anträgen auf Anerkennung und Vollstreckung
Information und Unterstützung von Antragstellenden
Zusammenwirken mit den zuständigen Gerichten und Behörden
Förderung der freiwilligen Zahlung und Vermittlung von Vereinbarungen


Verhältnis zu anderen internationalen Regelungen

Verhältnis zum europäischen Recht

Das HUVÜ steht im Verhältnis zur Brüssel I-bis-Verordnung und zur EU-Unterhaltsverordnung (EG-Verordnung Nr. 4/2009), die für EU-Mitgliedstaaten maßgeblich ist. In Fällen, in denen sowohl das Übereinkommen als auch EU-Recht anwendbar ist, gehen die spezifischeren EU-Regelungen, insbesondere hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Vollstreckung, dem HUVÜ vor.

Verhältnis zu früheren Haager Übereinkommen

Das Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen von 2007 ersetzt für die Vertragsstaaten frühere Regelungen wie das Haager Übereinkommen von 1958, sofern diese Staaten das neue Übereinkommen ratifiziert haben.


Bedeutung und praktische Auswirkungen

Das HUVÜ ermöglicht eine wesentlich effektivere und rechtsstaatlich geregelte Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im internationalen Kontext. Es stärkt den Schutz minderjähriger und erwachsener Bedürftiger grenzüberschreitend und fördert die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten.

Durch die Einführung klarer, vorhersehbarer und standardisierter Verfahren trägt das Übereinkommen zur Rechtssicherheit für Unterhaltsberechtigte wie -verpflichtete gleichermaßen bei. Es reduziert den Verwaltungsaufwand sowie Hemmnisse, die im internationalen Rechtshilfeverkehr bislang bestanden.


Literatur und Weblinks

Offizieller Text des Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens (HCCH)
Informationen auf der Website des Bundesministeriums der Justiz (Deutschland)
Kommentar zu internationalen Unterhaltsregelungen in „Internationales Privatrecht“ (Münchener Kommentar, aktuelle Auflage)


Hinweis: Die Inhalte dieses Artikels bieten eine umfassende Erläuterung des Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens (HUVÜ) und dienen der allgemeinen Information innerhalb eines Online-Rechtslexikons.

Häufig gestellte Fragen

Welche Zuständigkeiten haben deutsche Behörden bei der Durchsetzung ausländischer Unterhaltstitel im Rahmen des Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens?

Bei der Durchsetzung ausländischer Unterhaltstitel gemäß dem Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen (HUÜ) nehmen deutsche Behörden verschiedene zentrale Rollen ein. Die zentrale Behörde gemäß Artikel 6 HUÜ ist in Deutschland das Bundesamt für Justiz (BfJ). Diese Behörde ist u.a. für die Entgegennahme und Weiterleitung von Anträgen zuständig, welche die Anerkennung, Vollstreckbarkeitserklärung und die Vollstreckung von Unterhaltstiteln betreffen, die aus einem anderen Vertragsstaat stammen. Das BfJ unterstützt die Antragsteller insbesondere bei der Ermittlung des Aufenthalts des Unterhaltspflichtigen, der Identifikation und Lokalisierung von Vermögenswerten sowie bei der Einleitung und Durchführung gerichtlicher Schritte. Rechtlich gesehen sorgt das BfJ somit für die Koordination zwischen dem Antragsteller und den zuständigen Familiengerichten oder Vollstreckungsorganen in Deutschland. Die letztendliche Anerkennung und Vollstreckbarkeitserklärung erfolgt jedoch durch das sachlich und örtlich zuständige Familiengericht (§§ 109 ff. FamFG), wobei bestimmte Verfahrensvorschriften des internationalen Unterhaltsrechts sowie das innerstaatliche Recht Anwendung finden. Die Abwicklung erfolgt grundsätzlich unter Beachtung völkerrechtlicher Verträge, nationaler Ausführungsgesetze und der einschlägigen EU-Verordnungen, sofern diese parallel anwendbar sind.

Welche Unterhaltspflichten werden durch das Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen erfasst?

Das HUÜ regelt die internationale Durchsetzung von Unterhaltspflichten in grenzüberschreitenden Fällen. Im rechtlichen Kontext werden hiervon in erster Linie Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder gegenüber Elternteilen erfasst. Darüber hinaus bezieht das Übereinkommen gemäß Artikel 1 HUÜ auch andere Familienunterhaltspflichten ein, insbesondere solche zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern, sofern das nationale Recht dies vorsieht. Der persönliche Anwendungsbereich kann auf Ansprüche erwachsener Kinder gegenüber ihren Eltern erweitert werden, sofern diese Ansprüche im betreffenden Vertragsstaat gesetzlich anerkannt sind. Ausgeschlossen sind hingegen regelmäßig Unterhaltsansprüche, die aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften oder rein freiwilligen Vereinbarungen resultieren und auf denen keine gerichtliche Entscheidung oder behördliche Anordnung nach nationalem Recht des Ursprungsstaates basiert. Darüber hinaus ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Vollstreckung, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat rechtskräftig, vollstreckbar und im Einklang mit den Mindeststandards des HUÜ ergangen ist.

Wie erfolgt das Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitsverfahren für ausländische Unterhaltstitel in Deutschland unter dem HUÜ?

Die Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Unterhaltstitel wird in Deutschland nach den §§ 108 ff. FamFG durchgeführt, wobei die Bestimmungen des HUÜ vorrangig zu beachten sind. Das Verfahren beginnt mit einem Antrag, in der Regel vermittelt durch die zentrale Behörde. Das Familiengericht prüft, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckbarkeit gemäß Artikel 23 HUÜ vorliegen, insbesondere ob keine anerkennungshindernden Gründe wie etwa Verfahrensmängel, fehlende Zuständigkeit oder ein offensichtlicher Verstoß gegen den deutschen ordre public (öffentliche Ordnung) bestehen. Die Anerkennung kann versagt werden, wenn der Schuldner im Ursprungsverfahren nicht ordnungsgemäß geladen wurde und deshalb seine Verteidigung nicht wahrnehmen konnte. Nach positiver Feststellung folgt die Erklärung der Vollstreckbarkeit, die es ermöglicht, den Titel wie einen deutschen Unterhaltstitel vollstrecken zu lassen. Hierbei richtet sich das weitere Verfahren nach den Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) und des FamFG.

Welche Rolle spielt das ordre public im Rahmen der Anerkennung ausländischer Unterhaltstitel nach dem HUÜ?

Das ordre public, also die öffentliche Ordnung, hat eine zentrale Schutzfunktion im internationalen Recht und wird auch im Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen ausdrücklich angesprochen. Nach Artikel 22 HUÜ kann die Anerkennung oder Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels abgelehnt werden, wenn diese offensichtlich mit den grundlegenden Prinzipien des deutschen Rechts unvereinbar wäre. In der Praxis bedeutet dies, dass insbesondere elementare Grundrechte und Verfahrensgarantien gewahrt sein müssen. Ein häufiges Beispiel ist die ordnungsgemäße Ladung und Anhörung des Schuldners vor Erlass des Unterhaltstitels im Ursprungsstaat. Auch materielle Verstöße gegen unverzichtbare deutsche Wertungen, etwa bei sittenwidrigen oder diskriminierenden Entscheidungen, können zur Versagung führen. Die Anwendung des ordre public muss jedoch eng interpretiert werden, da sie als Ausnahme vom Grundsatz der Anerkennung und Vollstreckung dient.

Welche Voraussetzungen müssen für die internationale Rechtshilfe im Vollstreckungsverfahren nach dem HUÜ erfüllt sein?

Für die internationale Rechtshilfe im Rahmen der Vollstreckung nach dem HUÜ sind verschiedene formelle und materielle Voraussetzungen zu erfüllen. Zunächst muss ein im Ursprungsstaat ergangener Unterhaltstitel vorliegen, der rechtskräftig und vollstreckbar ist. Der Antrag zur Vollstreckung in Deutschland muss über die zentrale Behörde erfolgen und bestimmte im HUÜ und dessen Durchführungsverordnungen aufgeführte Unterlagen enthalten, wie u.a. eine beglaubigte Abschrift des Titels, eine Übersetzung und eine Bescheinigung über die Vollstreckbarkeit (Art. 25 HUÜ). Zudem dürfen keine Verfahrenshindernisse bestehen, z.B. anhängige Rechtsbehelfe oder die Erhebung von Einwendungen des Verpflichteten. Die deutschen Behörden prüfen, ob die Voraussetzungen nach HUÜ erfüllt sind, bevor sie internationale Rechtshilfe leisten, insbesondere um Doppelausführungen oder konkurrierende Zuständigkeiten zu vermeiden.

Wie gestaltet sich das Verhältnis des HUÜ zum europäischen Recht, speziell zur Brüssel IIa-Verordnung und zur Unterhaltsverordnung (EG) Nr. 4/2009?

Das Verhältnis des HUÜ zu europäischen Instrumenten ist klar abgegrenzt, aber in der praktischen Rechtsanwendung von großer Bedeutung. Grundsätzlich haben die EU-Verordnungen, insbesondere die Brüssel IIa-Verordnung (über Ehesachen und elterliche Verantwortung) und die Unterhaltsverordnung (EG) Nr. 4/2009, Vorrang gegenüber völkerrechtlichen Abkommen, sofern sie zwischen den beteiligten EU-Mitgliedstaaten anwendbar sind. Das HUÜ greift vorrangig in solchen Fällen, in denen kein europäischer Bezug besteht, wie etwa bei Sachverhalten zu Drittstaaten. Ist sowohl das HUÜ als auch EU-Recht anwendbar (etwa bei einem Titel aus einem EU-Staat gegenüber einem EU-Staat), bestimmt das europäische Recht die Anerkennung und Vollstreckung. In der gerichtlichen Praxis ist daher stets zu prüfen, welches Regelungsregime Anwendung findet, da dies Auswirkungen auf die erforderlichen Unterlagen, das Verfahren und die Rechtsbehelfe hat.

Gibt es Fristen, die bei der Beantragung der Anerkennung oder Vollstreckung eines Unterhaltstitels nach dem HUÜ zu beachten sind?

Das HUÜ selbst sieht keine ausdrücklichen materiellen Fristen für die Beantragung der Anerkennung oder Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels vor. Jedoch ist zu beachten, dass nach deutschem Recht und je nach Einzelfall Verjährungsfristen für Unterhaltsforderungen Anwendung finden können. Beispielsweise verjähren nach deutschem Recht rückständige Unterhaltsforderungen gemäß § 197 Abs. 2 BGB binnen 30 Jahren, künftige Unterhaltsansprüche unterliegen der regulären dreijährigen Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB. Die Fristberechnung richtet sich nach dem materiellen Recht des Anerkennungsstaates, soweit keine spezialgesetzlichen Regelungen greifen. In der Praxis empfiehlt es sich, Anträge möglichst zeitnah zu stellen, um etwaige Beweisschwierigkeiten oder Verwirkungseinwände zu vermeiden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Bearbeitungszeiten bei der zentralen Behörde oder bei den Gerichten drohen, sodass rechtzeitige Antragstellung geboten ist, insbesondere wenn laufende Unterhaltszahlungen gesichert werden sollen.