Definition und rechtlicher Rahmen des Güteverfahrens
Das Güteverfahren ist ein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren, das sowohl im Zivilprozessrecht als auch in anderen Teilgebieten des deutschen Rechts eine bedeutende Rolle spielt. Durch das Güteverfahren sollen rechtliche Streitigkeiten möglichst frühzeitig, effizient und einvernehmlich beigelegt werden, um so eine gerichtliche Entscheidung zu vermeiden oder zumindest das Gerichtsverfahren zu verkürzen. Das Güteverfahren ist Teil der sogenannten alternativen Streitbeilegungsmechanismen und ist insbesondere in der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) sowie in verschiedenen Spezialgesetzen geregelt.
Historische Entwicklung des Güteverfahrens
Der Ursprung des Güteverfahrens reicht zurück bis in die frühen Formen des Schiedswesens im Mittelalter, als Streitigkeiten häufig durch Vermittler (Gütestellen) schon vor der Einschaltung öffentlicher Gerichte geregelt wurden. Mit der Einführung der ZPO im Jahr 1877 wurden Strukturen für eine gütliche Einigung vor und während des Gerichtsverfahrens geschaffen. In der Folge wurde das Güteverfahren fortlaufend weiterentwickelt und insbesondere durch das „Mediationsgesetz“ von 2012 gestärkt.
Rechtliche Grundlagen und gesetzliche Regelungen
Das Güteverfahren in der Zivilprozessordnung (ZPO)
Die ZPO sieht verschiedene Formen des Güteverfahrens vor. Insbesondere vor Klageerhebung ist in bestimmten Fällen eine Güteverhandlung oder ein Güteverfahren verpflichtend vorgeschrieben (§ 15a EGZPO). Darüber hinaus kann das Gericht im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis gemäß § 278 ZPO jederzeit auf eine gütliche Einigung der Parteien hinwirken (sog. Güteverhandlung).
Außergerichtliche Gütestellen
Das Güteverfahren kann sowohl bei staatlichen als auch bei außergerichtlichen Gütestellen durchgeführt werden. Außergerichtliche Gütestellen sind häufig bei den Landesjustizverwaltungen, Schlichtungsstellen oder anerkannten Gütestellen von Körperschaften des öffentlichen Rechts angesiedelt. Grundvoraussetzung ist jeweils die Anerkennung der Gütestelle seitens der Landesjustizverwaltung.
Mediation und andere Formen der Streitbeilegung
Das Güteverfahren ist von anderen Formen der alternativen Streitbeilegung abzugrenzen, insbesondere von der Mediation und dem Schiedsverfahren. Während beim Schiedsverfahren die Parteien einen verbindlichen Schiedsspruch durch Schiedsrichter erhalten, ist das Güteverfahren stets auf eine freiwillige Einigung gerichtet. Die Mediation wiederum zeichnet sich durch die umfassende Freiwilligkeit und Selbstbestimmung der Parteien aus, wobei der Mediator keiner Entscheidungskompetenz ausgestattet ist.
Ablauf und Verfahrensgestaltung des Güteverfahrens
Einleitung des Verfahrens
Das Güteverfahren wird entweder auf Initiative einer Partei oder aufgrund gesetzlicher Verpflichtung eingeleitet. Die Einleitung erfolgt durch einen schriftlichen Antrag bei einer zuständigen Gütestelle unter Angabe des Streitgegenstandes und der beteiligten Parteien.
Rolle und Aufgaben der Gütestelle
Die Gütestelle übernimmt die Organisation der Verfahrensführung, setzt Termine an, lädt die Parteien und leitet die gütlichen Verhandlungen. Ziel ist es, durch Vermittlung oder Schlichtung eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die Gütestelle kann hierzu Vorschläge unterbreiten und fördernd auf die Streitparteien einwirken.
Verhandlung und Einigung
Das Güteverfahren ist darauf ausgerichtet, innerhalb einer oftmals kurzen Frist (in der Regel drei Monate) einen außergerichtlichen Vergleich herbeizuführen. Ein wichtiger Aspekt ist die Vertraulichkeit der Verhandlungen. Kommt eine Einigung zustande, stellt die Gütestelle über die getroffene Vereinbarung eine Niederschrift aus. Diese kann auf Antrag als vollstreckbarer Vergleich gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anerkannt werden.
Scheitern des Güteverfahrens
Scheitert das Güteverfahren oder lehnt eine Partei eine Teilnahme ab, stellt die Gütestelle hierüber eine Bescheinigung aus. Diese ist oftmals Voraussetzung für die Zulässigkeit einer späteren Klage vor Gericht, sofern ein obligatorisches Güteverfahren vorgeschrieben war (§ 15a EGZPO).
Bedeutung, Anwendungsbereiche und Vorteile des Güteverfahrens
Bedeutung im deutschen Rechtssystem
Das Güteverfahren dient der Entlastung der Justiz und fördert die Eigenverantwortlichkeit der Parteien bei der Konfliktlösung. Es ist in vielen Lebensbereichen von praktischer Bedeutung, insbesondere bei nachbarschaftsrechtlichen Streitigkeiten, Ansprüchen aus dem Bürgerlichen Recht oder in Fällen mit wiederholt auftretenden Massenschäden (z.B. beim Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, VSBG).
Obligatorisches und fakultatives Güteverfahren
Während das Zivilprozessrecht in manchen Bundesländern eine obligatorische Teilnahme am Güteverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung für bestimmte Klagen vorsieht (z.B. Nachbarschaftsstreitigkeiten, Ehrschutzklagen), ist in anderen Fällen ein freiwilliger Gang zum Güteverfahren möglich.
Vorteile des Güteverfahrens
Zu den wichtigsten Vorteilen gehören die Kosten- und Zeitersparnisse, eine erhöhte Zufriedenheit der Parteien durch Eigenbeteiligung an der Lösung sowie die Schonung des sozialen Friedens. Die Vertraulichkeit des Verfahrens bietet zusätzlichen Schutz der Privatsphäre.
Rechtswirkungen und Folgen des Güteverfahrens
Wirkung einer erzielten Einigung
Eine im Güteverfahren getroffene Einigung ist grundsätzlich rechtsverbindlich und kann als vollstreckbarer Titel ausgestaltet werden. Sie entfaltet dieselbe Wirkung wie ein gerichtlicher Vergleich.
Keine Hemmung der Verjährung
Die Einleitung des Güteverfahrens kann gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Verjährung hemmen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere muss der Antrag ordnungsgemäß eingereicht sein und es darf kein missbräuchliches Verhalten vorliegen.
Kosten des Güteverfahrens
Die Kosten richten sich meist nach dem Streitwert und sind in der Gebührenordnung der jeweiligen Gütestelle geregelt. Im Vergleich zum gerichtlichen Verfahren sind die Kosten üblicherweise geringer.
Gesetzliche Grundlagen im Überblick
- §§ 278 ff. ZPO (Gütliche Erledigung des Rechtsstreits)
- § 15a EGZPO (Obligatorisches Güteverfahren)
- § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (Vollstreckbarer Vergleich)
- § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB (Hemmung der Verjährung)
- Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG)
Güteverfahren im internationalen Kontext
Auch auf europäischer Ebene finden sich vergleichbare Verfahren zur alternativen Streitbeilegung, etwa im Rahmen der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (ADR-Richtlinie). Ziel ist eine Harmonisierung und Förderung außergerichtlicher Streitlösungen in grenzüberschreitenden Streitigkeiten.
Fazit
Das Güteverfahren stellt ein bedeutsames Instrument der außergerichtlichen Streitbeilegung im deutschen Recht dar. Seine rechtlichen Regelungen sind auf eine frühzeitige und einvernehmliche Lösung von Konflikten ausgelegt, wobei sowohl die Wirtschaftlichkeit als auch die Eigenverantwortlichkeit der Parteien im Mittelpunkt stehen. Durch die Möglichkeit, eine vollstreckbare Einigung zu erzielen und Verjährungsfristen zu hemmen, bietet das Güteverfahren praxisnahe Vorteile und spielt eine zentrale Rolle bei der Entlastung der Gerichte.
Häufig gestellte Fragen
Welche Möglichkeiten bestehen für die Parteien, ein Güteverfahren im rechtlichen Rahmen einzuleiten?
Im rechtlichen Kontext kann ein Güteverfahren grundsätzlich auf verschiedene Weise eingeleitet werden. Einerseits ist die freiwillige Einleitung durch die Parteien außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens möglich, indem sie sich gemeinsam auf einen neutralen Gütestelle einigen und einen Antrag auf Durchführung eines Güteverfahrens stellen. Andererseits existieren gesetzliche Regelungen, welche in bestimmten Fällen ein obligatorisches Güteverfahren (z.B. nach § 15a EGZPO oder landesrechtlichen Vorschriften) als Zulässigkeitsvoraussetzung für Klagen vorsehen. In diesen Konstellationen müssen die Parteien vor Klaghebung nachweisen, dass ein Schlichtungs- oder Güteverfahren durchgeführt wurde oder die Durchführung gescheitert ist. Die Einleitung erfolgt üblicherweise schriftlich bei der jeweiligen Gütestelle, die dann das Verfahren organisiert. Zudem können Gerichte im Rahmen eines Rechtsstreits anregen oder anordnen, dass zunächst ein Güteversuch unternommen wird, womit ein gerichtliches Güteverfahren eingeleitet wird.
Inwiefern beeinflusst das Güteverfahren Fristen und Verjährungen?
Das Güteverfahren hat eine wesentliche Auswirkung auf Fristen und insbesondere auf Verjährungen im rechtlichen Sinne. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB wird die Verjährung eines Anspruchs gehemmt, sobald das Güteverfahren eingeleitet wurde, vorausgesetzt, es handelt sich um eine anerkannte Gütestelle oder eine nach landesrechtlichen Vorschriften eingerichtete Schlichtungsstelle. Die Hemmung dauert an, bis das Verfahren beendet ist. Zudem können bestimmte Fristen (wie Klagefristen) durch die Durchführung eines Güteverfahrens verlängert oder unterbrochen werden, wobei die Parteien dies stets nachweisen müssen. Die genaue Auswirkung auf die Fristbemessung hängt von der rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Grundlage und der Form des Verfahrens ab. Eine korrekte Dokumentation des Verfahrensbeginns ist für den Nachweis der Hemmung entscheidend.
Welche Rolle spielt die anwaltliche Vertretung im Güteverfahren?
Parteien können im Güteverfahren rechtlich vertreten sein, wobei die anwaltliche Vertretung keine Pflicht, jedoch in komplexeren Fällen sinnvoll ist. Im vorgerichtlichen Güteverfahren besteht kein Anwaltszwang, während im gerichtlichen Güteverfahren vor einem Landgericht gemäß § 78 ZPO der Anwaltszwang gilt. Ein Anwalt kann bei der rechtlichen Beurteilung, der Formulierung von Anträgen und bei der Vorbereitung und Durchführung der Güteverhandlung unterstützen sowie die Einhaltung materiell- und prozessrechtlicher Vorgaben gewährleisten. Zudem kann er die Prozessrisiken abschätzen und auf die Wahrung möglicherweise betroffener Fristen und die richtige Antragstellung achten. In manchen spezialgesetzlichen Schlichtungsverfahren ist ein Anwalt vorgeschrieben.
Welche rechtlichen Wirkungen hat eine im Güteverfahren getroffene Einigung?
Kommt es im Güteverfahren zu einer Einigung, handelt es sich rechtlich um einen außergerichtlichen Vergleich. Die Parteien können eine solche Einigung in einer schriftlichen Vergleichsvereinbarung festhalten. Diese kann, je nach Ausgestaltung und Zuständigkeit der Gütestelle, eine vollstreckbare Urkunde im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO darstellen – insbesondere, wenn sie durch einen öffentlichen oder gerichtlich bestellten Gütestellenleiter beurkundet wird. Erfüllt die Einigung nicht die Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit, hat sie zumindest die zivilrechtliche Bindungswirkung eines Vertrages. Sie kann dann bei Nichteinhaltung vor Gericht eingeklagt werden. Die Einigung entfaltet grundsätzlich keine Bindung gegenüber Nichtbeteiligten und ist auch nicht öffentlich-rechtlich wirksam, sofern keine besonderen Vorschriften greifen.
Wie verhält sich das Güteverfahren zum gerichtlichen Verfahren und welche Wechselwirkungen bestehen?
Das Güteverfahren steht im rechtlichen Kontext entweder als vorgeschaltete Stufe vor einem gerichtlichen Verfahren oder als Alternativverfahren nebeneinander. Es dient häufig der Entlastung der Justiz und der Erarbeitung einer einvernehmlichen, außergerichtlichen Lösung. Das Ergebnis des Güteverfahrens beeinflusst das gerichtliche Verfahren maßgeblich: Eine erfolgreiche Einigung erledigt den Streit und verhindert ein Gerichtsverfahren – gegebenenfalls werden laufende Prozesse durch Rücknahme oder Erledigterklärung beendet. Scheitert das Güteverfahren, kann der Rechtsstreit regelmäßig vor Gericht fortgesetzt werden; das durchgeführte Güteverfahren ist dann oftmals eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage. Zudem wird, wie oben beschrieben, die Verjährung während des Güteverfahrens gehemmt. Die Verfahrensregeln der ZPO finden auf das Güteverfahren grundsätzlich keine Anwendung, es sei denn, es wird im gerichtlichen Kontext durchgeführt.
Wann ist ein Güteverfahren gesetzlich zwingend vorgeschrieben?
Ein Güteverfahren ist rechtlich zwingend vorgeschrieben, wenn dies ausdrücklich durch gesetzliche Regelung angeordnet ist. Beispielhaft nennt § 15a EGZPO Konstellationen, in denen bestimmte Nachbarschaftsstreitigkeiten, Ehrschutzklagen oder geringfügige Forderungen vor Klageerhebung in einem Rechtsstreit zunächst einem Güteverfahren bei einer anerkannten Gütestelle unterzogen werden müssen. Zudem haben zahlreiche Bundesländer eigene Schlichtungsgesetze erlassen, die weitere Fallgruppen vorsehen. Die Missachtung der Verpflichtung zur Durchführung eines Güteverfahrens führt zur Unzulässigkeit der Klage, bis die Obliegenheit erfüllt bzw. nachgewiesen ist, dass das Verfahren gescheitert ist oder die Durchführung unmöglich ist. Auch in speziellen Rechtsgebieten wie dem Arbeitsrecht oder dem Familienrecht bestehen teilweise zwingende Schlichtungs- oder Gütepflichten.
Welche Kosten fallen im Zusammenhang mit einem Güteverfahren an und wer trägt diese?
Im rechtlichen Kontext richten sich die Kosten eines Güteverfahrens nach der jeweiligen Gebührenordnung der Gütestellen, die entweder gesetzlich geregelt, öffentlich-rechtlich anerkannt oder privat organisiert sind. Die Kosten variieren je nach Streitwert, Aufwand und Anbieter. In gerichtlichen Güteverfahren sind die Kosten Teil der allgemeinen Gerichtskosten. Im außergerichtlichen Bereich werden die Kosten in der Regel von den Parteien gemeinsam getragen, wobei abweichende Regelungen im Einzelfall oder durch eine Parteivereinbarung möglich sind. Im Falle einer Einigung können die Parteien die Kostenaufteilung wirksam vereinbaren, andernfalls gilt häufig eine hälftige Teilung. In bestimmten gesetzlichen Konstellationen besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stellen, um die Kostenlast zu mindern. Die individuellen Kostenrisiken sollten stets vor Einleitung des Verfahrens geprüft werden.
Welchen Einfluss hat das Güteverfahren auf die Beweislast und die gerichtliche Verwertung von Ergebnissen?
Im Rahmen eines Güteverfahrens gelten im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren keine festen Beweislastregeln nach der ZPO. Vielmehr steht die einvernehmliche Konfliktlösung, häufig im Wege mündlicher Verhandlungen oder Mediation, im Vordergrund. Werden im Güteverfahren dennoch Beweise erhoben oder Stellungnahmen abgegeben, haben diese keine unmittelbare Bindungswirkung für ein späteres Gerichtsverfahren. Insbesondere sind Äußerungen oder Zugeständnisse, die im Rahmen des Einigungsversuchs gemacht wurden, in der Regel nicht gerichtsverwertbar, insbesondere wenn sie unter dem Schutz der Vertraulichkeit stehen. Es bleibt jedoch möglich, dass die im Güteverfahren erarbeiteten Unterlagen oder Fakten indirekt in das gerichtliche Verfahren einfließen, sofern sie unabhängig erneut eingebracht werden. Die Parteien sollten daher die Verfahrensgestaltung und Verschwiegenheitspflichten berücksichtigen.