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Grad der Behinderung


Definition und rechtlicher Rahmen des Grads der Behinderung

Der Grad der Behinderung (abgekürzt: GdB) ist ein zentraler Begriff des deutschen Sozialrechts und beschreibt das Ausmaß der körperlichen, geistigen, seelischen oder Sinnesbeeinträchtigung einer Person in Zehnergraden von 20 bis 100. Der GdB bildet die Grundlage für verschiedene Nachteilsausgleiche und besondere sozialrechtliche Ansprüche. Die Regelungen hierzu sind vor allem im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) verankert.


Gesetzliche Grundlagen

SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Das SGB IX dient der Verbesserung der Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen und beruflichen Leben. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX gilt eine Person als behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der GdB ist dabei das Maß für die Schwere der Behinderung.

Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)

Die Feststellung des GdB erfolgt auf Grundlage der Versorgungsmedizin-Verordnung, in welcher die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (§§ 1-3 VersMedV) geregelt sind. Die Anlage zu § 2 VersMedV enthält konkrete Richtlinien zur Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit bestimmten Gesundheitsstörungen.


Verfahren der Feststellung

Antragstellung

Der GdB wird auf Antrag durch die jeweils zuständigen Versorgungsämter oder Landesämter für soziale Dienste festgestellt. Die Antragstellung ist formlos möglich, erfolgt jedoch in der Praxis meist über spezielle Antragsformulare der Ämter. Erforderlich sind dabei medizinische Nachweise wie Arztberichte, Gutachten oder Entlassungsberichte.

Ermittlung des GdB

Die Ämter holen ärztliche Unterlagen ein, prüfen diese und beurteilen die Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigungen auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Beurteilung der Funktionsstörungen anhand der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Es wird nicht die Summe einzelner Behinderungen gebildet, sondern der Grad der Gesamtbeeinträchtigung festgestellt.

Kombinierte Beeinträchtigungen

Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, wird der GdB nicht arithmetisch addiert. Vielmehr ist die Gesamtauswirkung zu beurteilen. Dabei richten sich die Behörden nach dem höchsten Einzel-GdB und berücksichtigen Art und Schwere weiterer Einschränkungen.


Rechtliche Bedeutung und Nachteilsausgleiche

Schwerbehindertenausweis

Ab einem GdB von 50 gilt eine Person in Deutschland als schwerbehindert nach § 2 Abs. 2 SGB IX und hat Anspruch auf den sogenannten Schwerbehindertenausweis. Personen mit einem GdB von 30 oder 40 können unter bestimmten Voraussetzungen durch Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen besondere Rechte beantragen (§ 2 Abs. 3 SGB IX).

Sozialrechtliche Nachteilsausgleiche

Der festgestellte Grad der Behinderung ist Grundlage für zahlreiche Nachteilsausgleiche und Sonderregelungen, unter anderem:

  • Zusatzurlaub (§ 208 SGB IX)
  • Kündigungsschutz (§§ 168 ff. SGB IX)
  • Anspruch auf Teilzeitarbeit (§ 164 Abs. 5 SGB IX)
  • Steuerliche Vergünstigungen (u. a. § 33b Einkommensteuergesetz)
  • Vergünstigungen im Bereich Mobilität (zum Beispiel Parkerleichterungen, Befreiung von Rundfunkbeiträgen)

Die Art und der Umfang dieser Nachteilsausgleiche können sich durch weitere Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis, etwa „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit), „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung), „H“ (Hilflosigkeit) oder „Bl“ (Blindheit), je nach Einzelfall noch erweitern.


Widerspruch und Klageverfahren

Rechtsbehelfe gegen die Feststellung

Gegen die Feststellung des GdB oder das Nichtanerkennen bestimmter Gesundheitsbeeinträchtigungen kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch bei der zuständigen Behörde eingelegt werden (§§ 83 ff. SGG). Sollte der Widerspruch erfolglos bleiben, besteht die Möglichkeit der Klage vor dem Sozialgericht.

Nachprüfungsverfahren

Die Feststellung des GdB kann auf Antrag jederzeit überprüft werden, insbesondere wenn sich der Gesundheitszustand verschlechtert oder verbessert hat. Die Behörde kann auch von Amts wegen Änderungen vornehmen, sofern neue medizinische Erkenntnisse vorliegen.


Einstufungstabellen und Bewertungskriterien

Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sehen standardisierte Bewertungskriterien für verschiedene Behinderungsformen vor:

  • GdB 20 bis 40: Mäßige bis erhebliche Funktionsbeeinträchtigung ohne erhebliche Einschränkung der allgemeinen Teilhabe.
  • GdB 50 bis 70: Schwere Funktionsbeeinträchtigung mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensführung.
  • GdB 80 bis 100: Extrem schwere Beeinträchtigung mit weitreichender Hilfsbedürftigkeit und schwerster Einschränkung der Teilhabe.

Die genaue Festsetzung erfolgt anhand medizinischer Befunde zu Art, Schwere und Dauer der Störungen.


Europarechtliche und internationale Bezüge

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat sich Deutschland verpflichtet, die Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auch auf internationaler Ebene zu gewährleisten. Die nationalen Regelungen zum GdB sind mit diesen Vorgaben abzugleichen und fortlaufend weiterzuentwickeln.


Fazit

Der Grad der Behinderung ist ein maßgebliches Kriterium für die Bestimmung der Schwere einer Beeinträchtigung und bildet die Grundlage für zahlreiche Teilhabe- und Nachteilsausgleichsleistungen im deutschen Sozialrecht. Die Feststellung basiert auf klar kodifizierten medizinischen und rechtlichen Vorgaben. Durch seine umfassende sozialrechtliche Bedeutung sichert der GdB Menschen mit Behinderung weitreichende Rechte und Schutzmaßnahmen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Häufig gestellte Fragen

Welche Unterlagen werden für die Feststellung des Grades der Behinderung benötigt?

Für die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach deutschem Recht müssen Betroffene beim zuständigen Versorgungsamt bzw. der zuständigen Behörde einen Antrag stellen. Dem Antrag müssen sämtliche medizinischen Unterlagen beigelegt werden, die den Gesundheitszustand umfassend dokumentieren. Dazu zählen ärztliche Atteste, Diagnosen, Berichte von Fachärzten, Krankenhausentlassungsberichte, Therapieprotokolle sowie Untersuchungsbefunde. Die Unterlagen sollten sowohl die Diagnosen als auch die funktionellen Auswirkungen der Erkrankungen oder Beeinträchtigungen beschreiben. Besonders wichtig sind Berichte über die Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung sowie Angaben zu Therapien und deren Erfolgsaussichten. Die Behörde kann, wenn erforderlich, weitere medizinische Stellungnahmen durch Amtsärzte oder Gutachter einholen. Alle Anlagen sind vollständig und möglichst aktuell einzureichen, da unvollständige Unterlagen zu Verzögerungen oder sogar zur Ablehnung des Antrags führen können.

Wie wird der Grad der Behinderung konkret errechnet und welche rechtlichen Grundlagen gelten?

Der Grad der Behinderung wird in Deutschland auf Basis der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) sowie der darin enthaltenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze bewertet. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen der einzelnen Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Dabei werden die jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Wert zwischen 20 und 100 bewertet, gestaffelt in Zehnerschritten. Ist mehr als eine Einschränkung vorhanden, wird nicht addiert, sondern eine Gesamtwürdigung vorgenommen, wobei Wechselwirkungen und Überschneidungen der Beeinträchtigungen berücksichtigt werden. Die genaue Einschätzung erfolgt anhand medizinischer Gutachten und ist stets an die gesetzlichen Vorgaben der §§ 69 ff. SGB IX und die konkretisierenden Anlagen der VersMedV gebunden.

Wie lange dauert das Feststellungsverfahren und welche Fristen sind zu beachten?

Die Dauer des Feststellungsverfahrens ist gesetzlich nicht genau festgelegt, da sie maßgeblich vom Umfang der Gesundheitsstörungen, der Vollständigkeit der beigefügten Unterlagen und der Bearbeitungsdauer der Behörde abhängt. In der Praxis beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit zwischen zwei und vier Monaten. Sind zusätzliche medizinische Gutachten notwendig, kann sich die Entscheidung verzögern. Gesetzliche Fristen für die Bearbeitung existieren nicht, wohl aber besteht gemäß § 17 Abs. 1 SGB I ein allgemeiner Anspruch auf zügige Erledigung. Gegen eine Verschleppung des Verfahrens kann im Extremfall über eine Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) vorgegangen werden, wenn nach sechs Monaten keine Entscheidung getroffen wurde. Nach Erhalt des Bescheides gilt eine Widerspruchsfrist von einem Monat.

Kann der Grad der Behinderung überprüft oder geändert werden?

Ja, der Grad der Behinderung ist nicht zwangsläufig dauerhaft festgesetzt. Auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen kann eine Überprüfung beziehungsweise eine Neufeststellung erfolgen. Dies ist beispielsweise möglich, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert oder verbessert hat. Die rechtliche Grundlage hierfür ist insbesondere § 48 SGB X („Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten“). Im Fall eines Antrages auf Verschlimmerung muss die Behinderung neu ärztlich begutachtet und bewertet werden. Die Überprüfungsentscheidung wird wiederum durch einen schriftlichen Bescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gegeben. Die Betroffenen haben erneut die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen, falls sie den Bescheid für unrichtig halten.

Welche Rechte und Nachteilsausgleiche sind mit dem Grad der Behinderung verbunden?

Ab einem bestimmten GdB ergeben sich gemäß Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) zahlreiche Nachteilsausgleiche, beispielsweise im Bereich des Steuerrechts, des Arbeitsrechts und der Sozialleistungen. Ab einem GdB von 50 gilt die anerkannte Person als schwerbehindert und hat Anspruch auf spezielle Schutzrechte (wie besonderer Kündigungsschutz, Zusatzurlaub, Arbeitgeberausgleichsabgabe, kostenlose oder ermäßigte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs etc.). Auch bereits ab einem GdB von 30 ist eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen möglich, was insbesondere für den Arbeitsplatz relevant ist (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Steuerfreibeträge für Behinderte sind gestaffelt nach GdB (§ 33b EStG). Die konkrete Ausgestaltung der Rechte und Nachteilsausgleiche hängt vom festgestellten GdB und gegebenenfalls anerkannten Merkzeichen ab.

Was ist bei einem Widerspruch gegen den Feststellungsbescheid des GdB zu beachten?

Sollte der Bescheid über die Feststellung des GdB aus Sicht der antragstellenden Person fehlerhaft sein, kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch eingelegt werden (§ 84 SGG). Der Widerspruch ist bei der ausstellenden Behörde schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen und sollte eine nachvollziehbare Begründung sowie möglichst neue medizinische Unterlagen enthalten. Wird dem Widerspruch ganz oder teilweise nicht stattgegeben, erlässt die Behörde einen Widerspruchsbescheid. Gegen diesen kann innerhalb eines Monats Klage beim zuständigen Sozialgericht erhoben werden. Das Widerspruchsverfahren ist kostenfrei. Während des gesamten Verfahrens gelten die Regelungen des SGB IX und des SGG (Sozialgerichtsgesetz).

Wie werden Merkzeichen vergeben und welche rechtliche Relevanz haben sie?

Merkzeichen (wie „G“ für erhebliche Gehbehinderung, „aG“ für außergewöhnliche Gehbehinderung, „H“ für Hilflosigkeit, „Bl“ für Blindheit, etc.) werden im Rahmen des GdB-Feststellungsverfahrens vergeben, wenn die medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen der Versorgungsmedizin-Verordnung erfüllt sind. Die Zuerkennung der Merkzeichen ist mit bestimmten Nachteilsausgleichen oder Rechten verbunden, z.B. einer Parkerleichterung, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr oder steuerlichen Vergünstigungen. Die genaue rechtliche Relevanz ergibt sich aus spezialgesetzlichen Regelungen, etwa im Kraftfahrzeugsteuergesetz oder im Sozialgesetzbuch. Die Ausstellung erfolgt auf Antrag und bedarf der Einzelfallprüfung durch die zuständige Behörde. Gegen die Ablehnung eines Merkzeichens kann innerhalb eines Monats Widerspruch erhoben werden.