Legal Lexikon

Gleitzone


Begriffsbestimmung und historische Entwicklung der Gleitzone

Die Gleitzone ist ein Begriff des Sozialversicherungsrechts in Deutschland, der speziell im Zusammenhang mit geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen verwendet wird. Die Regelungen zur Gleitzone wurden geschaffen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigem Arbeitsentgelt in der Sozialversicherung finanziell zu entlasten und zugleich eine vollständige Einbindung in das Sozialversicherungssystem sicherzustellen. Die Gleitzone existierte in ihrer ursprünglichen Form von 2003 bis 2019 und wurde anschließend im Rahmen des „Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung“ (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz) zur sogenannten „Übergangsbereichsregelung“ weiterentwickelt und ausgeweitet.

Die nachfolgende Darstellung betrachtet aus rechtlicher Sicht alle maßgeblichen Regelungsbereiche der Gleitzone beziehungsweise des heutigen Übergangsbereichs.


Anwendungsbereich und Abgrenzung

Geringfügige Beschäftigung und Midijob

Der Begriff Gleitzone bezog sich zunächst auf Beschäftigungsverhältnisse mit einem regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze (Minijob) von 450 Euro, jedoch innerhalb einer gesetzlich festgelegten Höchstgrenze – ursprünglich 850 Euro. Die Beschäftigungsverhältnisse innerhalb dieses Entgeltbereichs wurden als Midijobs bezeichnet. Mit Einführung des Übergangsbereichs 2019 wurde die Entgeltobergrenze auf 1.300 Euro, ab 2023 auf 2.000 Euro monatlich angehoben (§ 20 Abs. 2 SGB IV). Minijobs bleiben hiervon abgegrenzt; hier gelten andere sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen.

Gesetzliche Grundlagen

Die gesetzlichen Regelungen finden sich primär in:

  • Vierten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)
  • Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für die Rentenversicherung
  • Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die Krankenversicherung
  • Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Arbeitslosenversicherung

Sozialversicherungsrechtliche Regelungen

Beiträge zur Sozialversicherung

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bereich der Gleitzone bzw. des Übergangsbereichs zahlen reduzierte Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungszweigen. Ziel ist es, das Nettoeinkommen durch verminderte Beiträge zu erhöhen, während gleichzeitig die vollen Ansprüche in der Sozialversicherung erhalten bleiben. Der Arbeitgeber hingegen zahlt grundsätzlich unverändert den vollen Beitragsanteil.

Beitragsberechnung

Die Beitragsberechnung erfolgt auf Grundlage einer besonderen Formel, die im § 20 Abs. 2 SGB IV geregelt ist. Bemessungsgrundlage für die Arbeitnehmerbeiträge ist ein fiktives Arbeitsentgelt, welches unterhalb des tatsächlichen Bruttoarbeitsentgelts liegt. Für den Arbeitgeber bleibt dagegen das tatsächliche Arbeitsentgelt die Beitragsgrundlage. Damit soll die finanzielle Belastung insbesondere für Arbeitnehmer mit unterdurchschnittlichem Einkommen reduziert werden.

Auswirkungen auf die Rentenversicherung

Die geminderten Beiträge der Arbeitnehmer führen dennoch zu vollen Rentenanwartschaften, da die Beiträge auf das tatsächliche Bruttogehalt berechnet werden. Eine Minderung der späteren Rentenansprüche findet daher nicht statt.

Auswirkungen auf andere Zweige der Sozialversicherung

  • Krankenversicherung: Die mindestbeitragsbasierten Ansprüche (z. B. Krankengeld) richten sich nach dem geminderten Arbeitnehmerbeitrag, der Anspruch auf Sachleistungen bleibt aber unberührt.
  • Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung: Gleiches Prinzip wie in der Krankenversicherung: Der verminderte Beitrag führt nicht zu gekürzten Leistungen.

Meldeverfahren und Versicherungspflicht

Meldeverfahren

Arbeitgeber sind verpflichtet, Arbeitnehmer im Übergangsbereich nach dem DEÜV-Meldeverfahren ordnungsgemäß an die Sozialversicherung zu melden. Besonderheiten hinsichtlich der Beitragsberechnung und -abführung sind zu beachten, insbesondere bei parallelen Beschäftigungen sowie bei regelmäßig schwankendem Arbeitsentgelt.

Versicherungspflicht und Ausnahmetatbestände

Personen im Übergangsbereich unterliegen grundsätzlich der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung. Hiervon bestehen jedoch Ausnahmefälle, etwa bei bestimmten Praktika, kurzfristigen Beschäftigungen oder bei mehreren parallel geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen.


Auswirkung auf Lohnsteuer und soziale Absicherung

Lohnsteuerliche Behandlung

Die Gleitzonenregelung hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Lohnsteuerberechnung, da diese sich stets am steuerpflichtigen Bruttoarbeitslohn orientiert. Allerdings kann das gestiegene Nettoeinkommen indirekt Auswirkungen auf die Steuerprogression, insbesondere bei Überschreiten bestimmter Jahresbruttolohnschwellen, haben.

Soziale Absicherung und arbeitsrechtliche Auswirkungen

Arbeitnehmer im Übergangsbereich sind sozial voll abgesichert. Sie haben grundsätzlich Anspruch auf sämtliche Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung, einschließlich Leistungsansprüchen der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.


Aktuelle Rechtsprechung und Verwaltungspraxis

Regelmäßig gibt es vielfältige Entscheidungen der Sozialgerichte und Hinweise der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur Auslegung der Vorschriften über die Gleitzone beziehungsweise den Übergangsbereich. Besonders relevant sind dabei Fragen zur Anwendbarkeit bei mehreren Beschäftigungen, bei Überschreiten der Entgeltgrenzen sowie zur sachgerechten Umsetzung der beitragsmäßigen Entlastungen im Einzelfall.


Reformen und Ausblick

Die Gleitzone ist ein Ausdruck sozialpolitischer Bemühungen, prekären Beschäftigungsverhältnissen entgegenzuwirken und gleichzeitig sozialversicherungsrechtliche Vollabsicherung sicherzustellen. Die Weiterentwicklung zur Übergangsbereichsregelung und die Anhebung der Entgeltgrenze auf 2.000 Euro zum 1. Januar 2023 zeigen, wie dynamisch diese Regelungen an die Veränderungen des Arbeitsmarktes angepasst werden. Zukünftig ist mit weiterer Anpassung der Entgeltgrenzen und möglichen Änderungen der beitragsmäßigen Entlastungen zu rechnen, unter Berücksichtigung arbeitsmarktpolitischer und sozialversicherungsrechtlicher Erfordernisse.


Literatur und weiterführende Quellen

  • Gesetzestexte: SGB IV, SGB V, SGB VI, SGB III
  • Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS): Informationsbroschüren zur Gleitzone und zum Übergangsbereich
  • Veröffentlichungen der Deutschen Rentenversicherung zur Berechnung von Midijob-Beiträgen
  • Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Beschäftigungsverhältnissen im Übergangsbereich

Mit diesem umfassenden Überblick wird der Begriff der Gleitzone in seiner gesamten rechtlichen Tiefe und in allen praxisrelevanten Auswirkungen beleuchtet.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Regelungen gelten für Beschäftigte in der Gleitzone?

Im deutschen Sozialversicherungsrecht ist die sogenannte Gleitzone, seit Juli 2019 als Übergangsbereich bezeichnet, im § 20 Absatz 2 SGB IV geregelt. Sie betrifft sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit monatlichen Arbeitsentgelten zwischen 520,01 Euro und 2.000 Euro (Stand: Juli 2023). Für diese Arbeitnehmer gelten besondere gesetzliche Bestimmungen, insbesondere was die Ermittlung und den Abzug der Sozialversicherungsbeiträge betrifft. Während Arbeitgeber grundsätzlich stets den vollen Arbeitgeberanteil zahlen, wird für Arbeitnehmer der Beitrag zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nach einer reduzierten beitragspflichtigen Einnahme berechnet, sodass die finanzielle Belastung für das geringere Einkommen gemindert wird. Die jeweilige Berechnung erfolgt nach einer gesetzlich vorgegebenen Formel und ist für jeden Beschäftigten individuell durchzuführen. In Bezug auf Steuerrecht besteht allerdings keine Sonderregelung; das gesamte Entgelt ist steuerpflichtig. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind insbesondere das vierte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sowie spezifische Verordnungen und Rundschreiben der Sozialversicherungsträger.

Wie wirken sich Beschäftigungen in der Gleitzone auf den Versicherungsschutz, insbesondere die Rentenansprüche, aus?

Eine Beschäftigung im Übergangsbereich beeinflusst grundsätzlich nicht die Pflichtversicherung in den Sozialversicherungszweigen. Arbeitnehmer in der Gleitzone sind vollwertige Pflichtmitglieder in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Allerdings reduziert sich der Arbeitnehmeranteil an den Beiträgen zur Rentenversicherung, was im Gegenzug dazu führen kann, dass die Beiträge zur Rentenversicherung und damit auch die darauf beruhenden Rentenanwartschaften geringer ausfallen als bei Zahlung des vollen Beitrags. Dennoch wird für rentenrechtliche Zeiten der tatsächliche Bruttoverdienst angerechnet, wodurch keine Nachteile hinsichtlich der Mindestversicherungszeiten (Wartezeiten) entstehen. Auf Wunsch kann der Arbeitnehmer freiwillig auf die Anwendung der Gleitzonenregelung in der Rentenversicherung verzichten, um höhere Anwartschaften zu erwerben. Ein solcher Verzicht ist der Personalabteilung beziehungsweise dem Arbeitgeber schriftlich anzuzeigen.

Welche Melde- und Nachweispflichten bestehen für Arbeitgeber bei Beschäftigten im Übergangsbereich?

Arbeitgeber trifft die gesetzliche Pflicht, die relevanten Daten zur Entgeltabrechnung und zum Sozialversicherungsstatus korrekt zu melden. Insbesondere müssen sie bei Neueinstellung oder Änderung des Arbeitsentgelts prüfen, ob ein Beschäftigungsverhältnis in der Gleitzone vorliegt, und dies im Meldeverfahren an die Sozialversicherungsträger entsprechend kennzeichnen (Meldegrund „Übergangsbereich“ – Beitragsgruppenschlüssel 2). Darüber hinaus sind für jede Abrechnungsperiode die korrekten beitragspflichtigen Einnahmen individuell zu berechnen und in der Lohnabrechnung separat auszuweisen. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer zudem den Umfang des Versicherungsschutzes sowie die Beitragshöhe transparent erläutern und etwaige Nachweise aufbewahren.

Was passiert, wenn das Arbeitsentgelt die Grenzen der Gleitzone über- oder unterschreitet?

Wird das monatliche Arbeitsentgelt regelmäßig über die Obergrenze von 2.000 Euro erhöht, endet die Anwendung der Gleitzonenregelung, und es gelten die regulären Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die jeweils in voller Höhe abzuführen sind. Beim Unterschreiten der Untergrenze – derzeit 520,01 Euro – wird die Beschäftigung als Minijob eingestuft, der wiederum anderen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen (Geringfügigkeitsrichtlinien) unterliegt. Die Bewertung, ob und wann die Grenze unter- oder überschritten wird, richtet sich nach dem regelmäßigen, nicht dem einmaligen, Arbeitsentgelt. Schwankendes Einkommen innerhalb weniger Monate muss immer auf das Jahr umgelegt und kontrolliert werden, ob ein dauerhafter Verbleib in der Gleitzone vorliegt.

Welche besonderen Bestimmungen gelten für Mehrfachbeschäftigungen innerhalb der Gleitzone?

Wenn ein Arbeitnehmer mehrere Beschäftigungen gleichzeitig ausübt, werden sämtliche Entgelte aus den versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zusammengerechnet, um zu bestimmen, ob das Gesamteinkommen innerhalb der Grenzen des Übergangsbereichs liegt. Dies gilt unabhängig davon, bei wie vielen unterschiedlichen Arbeitgebern der Arbeitnehmer beschäftigt ist. Kommt die Summe der Arbeitsentgelte über die Obergrenze, finden die Regelungen für den Übergangsbereich insgesamt keine Anwendung mehr, und sämtliche Beschäftigungen unterliegen den regulären Beitragssätzen. Arbeitgeber müssen sich gegenseitig über die bestehenden Nebenbeschäftigungen informieren lassen, da andernfalls eine fehlerhafte Einstufung beziehungsweise unzutreffende Beitragsberechnung droht.

Wie ist die Regelung zur freiwilligen Opt-out-Möglichkeit in Bezug auf die Rentenversicherung ausgestaltet?

Arbeitnehmer im Übergangsbereich haben das Recht, durch eine schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber auf die reduzierte Beitragsberechnung bei der Rentenversicherung zu verzichten. Dies bedeutet, dass sie – anstelle des vergünstigten Arbeitnehmeranteils – die regulären Rentenversicherungsbeiträge aus dem tatsächlichen Bruttoarbeitsentgelt zahlen, wodurch sich ihre späteren Rentenansprüche entsprechend erhöhen. Die Erklärung ist unwiderruflich für die Dauer der jeweiligen Beschäftigung abzugeben, kann also nicht für einzelne Monate widerrufen werden. Auch nach einem Arbeitgeberwechsel lebt das Recht auf einen erneuten Verzicht wieder auf.

Wie erfolgt die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge im Übergangsbereich nach der gesetzlichen Formel?

Die beitragspflichtige Einnahme im Übergangsbereich wird durch eine gesetzlich vorgeschriebene Formel im § 20 Abs. 2 SGB IV ermittelt. Für die Jahre 2023/2024 lautet diese Formel:
Beitragspflichtige Einnahme = 1,129843 * (monatliches Entgelt - 520).
Dieses Ergebnis wird auf volle Euro gerechnet und dient als Bemessungsgrundlage für die zu zahlenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Der Arbeitgeber zahlt jedoch stets die Beiträge auf das komplette tatsächliche Entgelt. Diese spezielle Berechnungsweise soll Arbeitnehmer finanziell entlasten und eine sogenannte „Beitragsbelastungsspitze“ verhindern, die im Übergang von Minijob zu regulär versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen auftreten könnte. Die genaue Handhabung und etwaige Anpassungen der Berechnungsformel bestimmen die jeweils geltenden Rechtsverordnungen.