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Gewerkschaft, arbeitsrechtliche

Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinn: Begriff und Funktion

Eine Gewerkschaft ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit dem Ziel, ihre wirtschaftlichen, sozialen und beruflichen Interessen zu bündeln und kollektiv zu vertreten. Kernaufgaben sind insbesondere die Aushandlung von Tarifverträgen, die Beteiligung an der Gestaltung von Arbeitsbedingungen sowie die Wahrnehmung kollektiver Rechte im Betrieb und gegenüber Arbeitgeberverbänden. Gewerkschaften handeln eigenständig, unabhängig von Arbeitgebern und staatlichen Stellen, und wirken auf einen geordneten Interessenausgleich im Arbeitsleben hin.

Rechtsnatur und Organisation

Rechtsstellung und Unabhängigkeit

Gewerkschaften sind in der Regel als privatrechtliche Vereine organisiert. Sie sind überbetrieblich tätig, dauerhaft angelegt und demokratisch strukturiert. Wesentlich ist ihre Unabhängigkeit von Arbeitgebern und staatlichen Institutionen. Um Tarifverträge abschließen zu können, benötigen sie die Fähigkeit, die Interessen ihrer Mitglieder wirksam zu bündeln und durchzusetzen. Dazu gehört eine hinreichende Mitgliederbasis, organisatorische Stabilität sowie die Ausrichtung auf branchen- oder berufsübergreifende Tätigkeit.

Mitgliedschaft, Beiträge und Datenschutz

Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Niemand darf wegen einer Mitgliedschaft, Nichtmitgliedschaft oder Tätigkeit für eine Gewerkschaft benachteiligt oder bevorzugt werden. Gewerkschaften finanzieren sich überwiegend durch Mitgliedsbeiträge. Angaben zur Mitgliedschaft sind besonders schutzbedürftig; ihre Verarbeitung unterliegt strengen datenschutzrechtlichen Grundsätzen. Leistungen für Mitglieder können je nach Satzung unterschiedliche Unterstützungsangebote umfassen.

Interne Strukturen

Gewerkschaften verfügen typischerweise über Ebenen auf Orts-, Bezirks-, Landes- und Bundesebene. Tarifpolitische Entscheidungen werden in dafür gebildeten Gremien (z. B. Tarifkommissionen) vorbereitet. Vertrauensleute oder vergleichbare betriebliche Ansprechpartner fördern die Verbindung zwischen Belegschaften und Gewerkschaft. Entscheidungen erfolgen nach den Satzungsregeln, die eine demokratische Willensbildung gewährleisten.

Gewerkschaft und Tarifvertrag

Tarifautonomie und Inhalte von Tarifverträgen

Tarifverträge werden zwischen Gewerkschaften und einzelnen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden geschlossen. Sie regeln typischerweise Entgelte, Arbeitszeit, Urlaub, Eingruppierung, Zuschläge, betrieblichen Gesundheitsschutz sowie Verfahren zur Konfliktlösung. Tarifverträge enthalten regelmäßig einen schuldrechtlichen Teil (Regelungen zwischen den Tarifparteien, z. B. Friedenspflicht) und einen normativen Teil (unmittelbare und verbindliche Regelungen für die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse). Sie sind zeitlich befristet; nach Ablauf können bestimmte Regelungen bis zu einer Neuregelung fortwirken.

Tarifbindung und Geltungsbereich

Tarifgebunden sind in der Regel gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte und Arbeitgeber, die einem Arbeitgeberverband angehören oder den Tarifvertrag direkt abgeschlossen haben. Tarifverträge können unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Branche oder Region erweitert werden und gelten dann auch für Nichtmitglieder. Arbeitsverträge können auf Tarifverträge Bezug nehmen. Günstigere einzelvertragliche Regelungen zugunsten der Beschäftigten können tarifliche Untergrenzen überschreiten.

Tarifpluralität und betriebliche Anwendung

Kommt es in einem Betrieb zu mehreren, inhaltlich kollidierenden Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften, greifen gesetzliche Vorgaben zur betrieblichen Ordnung der Tariflandschaft. Maßgeblich ist typischerweise, welcher Tarifvertrag in der konkreten betrieblichen Arbeitsorganisation die stärkere Anbindung aufweist. Ziel ist es, widersprüchliche Regelungen im selben Arbeitsbereich zu vermeiden.

Gewerkschaftliche Betätigungsrechte im Betrieb

Zugang, Information und Betätigung

Gewerkschaften dürfen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit den Beschäftigten in Kontakt treten. Der Zugang zum Betrieb erfolgt im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber unter Beachtung betrieblicher Belange, insbesondere von Sicherheit, Arbeitsabläufen und Geheimhaltung. Informations- und Werbemaßnahmen sind im Rahmen des geordneten Betriebsablaufs zulässig.

Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung

Der Betriebsrat ist eine eigenständige betriebliche Interessenvertretung und von Arbeitgebern unabhängig. Gewerkschaften können bei Betriebsratswahlen unterstützen und Kandidaturen fördern, ohne die Selbstständigkeit des Betriebsrats zu berühren. Zusammenarbeit dient der Abstimmung zwischen betrieblicher Mitbestimmung und tariflicher Regelungsebene.

Benachteiligungsverbot und Schutz von Amtsträgern

Beschäftigte dürfen wegen ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit oder -tätigkeit weder benachteiligt noch bevorzugt werden, etwa bei Einstellung, Beförderung oder Arbeitszuweisung. Personen, die gewerkschaftliche Aufgaben wahrnehmen, genießen einen verstärkten Schutz vor Beeinträchtigungen, einschließlich erweiterten Kündigungsschutzes im gesetzlichen Rahmen.

Arbeitskampf: Streik und weitere Maßnahmen

Streik als kollektives Druckmittel

Der Streik ist ein kollektives, zeitweiliges Niederlegen der Arbeit zur Durchsetzung tariflicher Ziele. Formen sind unter anderem Warnstreiks, Vollstreiks und Erzwingungsstreiks. In der Regel wird ein Streik von einer Gewerkschaft getragen und dient dem Abschluss eines Tarifvertrags. Während eines rechtmäßigen Streiks ruhen die Hauptleistungspflichten; Entgeltansprüche gegenüber dem Arbeitgeber entfallen für die Dauer der Teilnahme.

Aussperrung und weitere Mittel

Als Reaktion auf Arbeitskampfmaßnahmen kann eine Aussperrung erfolgen, bei der Arbeitgeber Beschäftigte zeitweilig von der Arbeit ausschließen. Weitere Mittel auf Arbeitnehmerseite sind abgestufte Aktionen wie Informations- und Protestmaßnahmen. In systemrelevanten Bereichen sind Notdienste sicherzustellen, um unverhältnismäßige Beeinträchtigungen zu vermeiden.

Rechtliche Grenzen

Arbeitskampfmaßnahmen sind an den Zweck gebunden, tarifliche Regelungen zu erreichen. Während der Laufzeit von Tarifverträgen besteht hinsichtlich geregelter Inhalte regelmäßig Friedenspflicht. Spontane, nicht von einer Gewerkschaft getragene Arbeitsniederlegungen sind rechtlich besonders eingeordnet und können abweichend bewertet werden. Straf- und zivilrechtliche Schutzgüter, wie Eigentum und betriebliche Sicherheit, sind auch im Arbeitskampf zu achten.

Besonderheiten in einzelnen Bereichen

Öffentlicher Dienst

Im öffentlichen Dienst werden für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eigenständige Tarifwerke verhandelt. Beschäftigte mit besonderem Statusrecht, wie Beamtinnen und Beamte, unterliegen gesonderten Regelungen, die Arbeitskampfmaßnahmen einschränken. Die Interessenvertretung orientiert sich an den speziellen Anforderungen staatlicher Aufgabenwahrnehmung.

Konfessionelle Träger und Tendenzbetriebe

Träger mit besonderer Prägung, insbesondere kirchliche Einrichtungen, verfügen über eigenständige Ordnungen der Arbeitsbeziehungen. Dabei gelten Besonderheiten hinsichtlich der Ausgestaltung kollektiver Regelungen und der Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen. Koalitionsrechte bestehen, können aber abweichend umgesetzt werden.

Internationale und europäische Bezüge

Gewerkschaften wirken in internationalen Verbünden zusammen und sind in transnationalen Gremien präsent, etwa in europäischen Betriebsstrukturen. Grenzüberschreitende Liefer- und Wertschöpfungsketten beeinflussen zunehmend die Tarif- und Arbeitskampfstrategie. Mindeststandards und Leitlinien auf internationaler Ebene wirken ergänzend.

Abgrenzungen und verwandte Begriffe

Gewerkschaft und Arbeitgeberverband

Gewerkschaften vertreten die Interessen der Beschäftigten, Arbeitgeberverbände die der Unternehmen. Beide Seiten sind Tarifpartner und verhandeln auf Augenhöhe über kollektive Arbeitsbedingungen.

Gewerkschaft und Berufsverband

Berufsverbände vertreten fachliche oder berufspolitische Anliegen bestimmter Berufsgruppen. Sie können Interessenarbeit leisten, ohne zwingend Tarifverträge abschließen zu können. Gewerkschaften sind auf den Abschluss und die Durchsetzung kollektiver Arbeitsbedingungen ausgerichtet.

Praktische Bedeutung

Gewerkschaften prägen in vielen Branchen Löhne, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen. Flächentarifverträge setzen branchenweite Standards; Haustarifverträge regeln Besonderheiten einzelner Unternehmen. Tarifliche Regelungen fördern Transparenz, Planbarkeit und einen strukturierten Ausgleich der Interessen. Arbeitsverträge können auf Tarifverträge Bezug nehmen und so deren Regelungen in das einzelne Arbeitsverhältnis einbinden.

Häufig gestellte Fragen

Was ist eine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinn?

Eine Gewerkschaft ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Beschäftigten zur kollektiven Wahrnehmung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsinteressen. Sie handelt überbetrieblich, ist auf Dauer angelegt und befähigt, Tarifverträge zu verhandeln und durchzusetzen.

Wodurch wird ein Tarifvertrag wirksam und wen bindet er?

Ein Tarifvertrag entsteht durch Abschluss zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband. Er bindet in der Regel gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte sowie tarifgebundene Arbeitgeber. Durch Erweiterung oder Bezugnahmeklauseln kann seine Wirkung auf weitere Arbeitsverhältnisse erstreckt werden.

Dürfen Beschäftigte wegen Gewerkschaftszugehörigkeit benachteiligt werden?

Benachteiligungen oder Bevorzugungen wegen Gewerkschaftszugehörigkeit, -tätigkeit oder -freiheit sind unzulässig. Das gilt für Einstellung, Arbeitsbedingungen, Versetzung, Beförderung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Wann ist ein Streik zulässig?

Streiks müssen auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet sein und werden in der Regel von einer Gewerkschaft getragen. Während der Laufzeit eines Tarifvertrags besteht hinsichtlich geregelter Materien regelmäßig Friedenspflicht. Arbeitskampfmaßnahmen unterliegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Gilt ein Tarifvertrag auch für Nichtmitglieder?

Grundsätzlich bindet ein Tarifvertrag Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft und tarifgebundene Arbeitgeber. Er kann durch staatliche Erweiterung oder durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auch auf Nichtmitglieder wirken.

Welche Rolle spielt die Gewerkschaft im Verhältnis zum Betriebsrat?

Der Betriebsrat ist die betriebliche Interessenvertretung und unabhängig. Gewerkschaften wirken auf tariflicher Ebene und können Betriebsratswahlen unterstützen. Beide Ebenen ergänzen sich, bleiben jedoch organisatorisch getrennt.

Darf die Gewerkschaft den Betrieb betreten?

Gewerkschaftsvertreter dürfen den Betrieb zur Wahrnehmung gewerkschaftlicher Aufgaben betreten, abgestimmt mit dem Arbeitgeber und unter Beachtung von Sicherheit, Ordnung des Betriebs und Geheimhaltungspflichten.

Was bedeutet Friedenspflicht?

Friedenspflicht bezeichnet die Verpflichtung, während der Laufzeit eines Tarifvertrags zu den darin geregelten Themen keine Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen. Sie dient der Stabilität und Verlässlichkeit tariflicher Regelungen.