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Gewerkschaft, arbeitsrechtliche


Begriff und Rechtsgrundlagen der Gewerkschaft im Arbeitsrecht

Definition der Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Kontext

Eine Gewerkschaft ist im arbeitsrechtlichen Sinne ein freiwilliger Zusammenschluss von Arbeitnehmern, dessen Ziel die Wahrung und Förderung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen ist. Gewerkschaften handeln insbesondere für ihre Mitglieder gegenüber Arbeitgebern und deren Verbänden – vor allem durch den Abschluss von Tarifverträgen, Unterstützung bei Arbeitskämpfen und durch die Einflussnahme auf Gesetzgebung, Rechtsprechung und gesellschaftliche Rahmenbedingungen.

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG)

Die grundlegende Rechtsgrundlage für die Tätigkeit von Gewerkschaften bildet Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG). Hier ist die sogenannte Koalitionsfreiheit verankert, die Arbeitnehmern und Arbeitgebern das Recht gibt, Vereine und Gesellschaften zu bilden zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Diese Koalitionsfreiheit schützt sowohl die Gründung und Betätigung von Gewerkschaften als auch den Beitritt und das Verbleiben in Gewerkschaften.

Tarifautonomie

Das Grundgesetz garantiert durch die Koalitionsfreiheit auch die Tarifautonomie. Dies bedeutet das Recht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, ohne staatliche Einflussnahme Tarifverträge auszuhandeln und abzuschließen. Die Tarifautonomie gilt als Ausdruck der Privatautonomie im Arbeitsleben.

Merkmale und rechtlicher Status von Gewerkschaften

Rechtsform

Gewerkschaften sind meist als nichtrechtsfähige Vereine nach §§ 21 ff. BGB organisiert. Sie können aber auch die Form eines eingetragenen Vereins (e. V.) wählen. Trotz ihrer Form verfügen sie über die Fähigkeit, Tarifverträge im eigenen Namen zu schließen, da ihnen für den Bereich des Arbeitsrechts eine eigene Rechtsfähigkeit zugeschrieben wird.

Gewerkschaftsbegriff im Arbeitsrecht

Im Rahmen der arbeitsrechtlichen Dogmatik ist eine Organisation nur dann als Gewerkschaft im Rechtssinn anerkannt, wenn sie folgende Funktionen erfüllt:

  • Unabhängigkeit von Arbeitgeberverbänden und staatlichen Stellen
  • Durchsetzungsfähige Organisation mit demokratischer Willensbildung
  • Bereitstellung von individueller und kollektiver Rechtsvertretung für Mitglieder
  • Ernsthaftigkeit im Hinblick auf die Tarifgestaltung und gegebenenfalls Arbeitskampffähigkeit (Streikfähigkeit)

Aufgaben und Rechte von Gewerkschaften

Tarifverhandlungen und Abschluss von Tarifverträgen

Die zentrale Aufgabe besteht im Abschluss von Tarifverträgen mit Arbeitgebern und deren Verbänden. Tarifverträge regeln insbesondere Arbeitsentgelte, Arbeitszeiten, Urlaubsansprüche sowie weitere Arbeitsbedingungen. Die Fähigkeit zum Tarifabschluss ist ein zentrales Kennzeichen von Gewerkschaften und wird als sog. Tarifmächtigkeit bezeichnet.

Arbeitskampfmaßnahmen

Gewerkschaften haben das Recht, zur Durchsetzung tariflicher Forderungen Arbeitskampfmaßnahmen – insbesondere Streik – zu organisieren. Das Recht auf Streik ist grundgesetzlich geschützt, unterliegt jedoch bestimmten Regeln der Verhältnismäßigkeit und Friedenspflicht, solange ein Tarifvertrag gilt.

Rechtsschutz und Unterstützung

Gewerkschaften bieten ihren Mitgliedern Unterstützung bei arbeitsrechtlichen Problemen, insbesondere bei Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber. Dazu gehören Beratung, Prozessvertretung und finanzielle Hilfe in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten.

Mitbestimmung und Einflussnahme

Gewerkschaften wirken an der betrieblichen Mitbestimmung mit, zum Beispiel über die Wahl und Unterstützung von Betriebsräten. Darüber hinaus nehmen sie durch die Mitwirkung in sozialpolitischen Gremien Einfluss auf die Gesetzgebung und allgemeine Arbeitsbedingungen.

Rechtliche Voraussetzungen und Anerkennung der Gewerkschaftseigenschaft

Abgrenzung zu anderen Vereinigungen

Nicht jede Arbeitnehmervereinigung gilt automatisch als Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne. Die Anerkennung als Gewerkschaft setzt voraus, dass die Organisation

  • eine gewisse Organisationstiefe und Ernsthaftigkeit in der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen aufweist,
  • über eine strukturierte Mitgliederbasis verfügt,
  • unabhängig ist und darauf ausgerichtet ist, Tarifverträge zu verhandeln und gegebenenfalls Arbeitskämpfe zu führen.

Die Feststellung der Gewerkschaftseigenschaft obliegt in Streitfällen den Arbeitsgerichten.

Tarifzuständigkeit

Die Gewerkschaft muss für eine bestimmte Berufsgruppe oder Branche „tariffähig“ sein. Diese Tariffähigkeit ist Voraussetzung dafür, dass sie Tarifverträge wirksam abschließen kann (§ 2 TVG – Tarifvertragsgesetz).

Rechte und Pflichten von Gewerkschaften im Betrieb

Betätigungsrecht im Betrieb

Nach § 2 Abs. 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) steht Gewerkschaften das Recht zu, im Betrieb tätig zu werden und Versammlungen oder Sprechstunden abzuhalten. Arbeitgeber sind verpflichtet, diese Betätigung nicht zu behindern und haben Gewerkschaftsbeauftragten unter bestimmten Voraussetzungen den Zugang zum Betrieb zu gestatten.

Schutz vor Benachteiligung

Einzelne Arbeitnehmer dürfen wegen ihrer Mitgliedschaft, Tätigkeit oder Nichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Diese Schutzmechanismen ergeben sich aus § 612a BGB (Benachteiligungsverbot) und § 75 BetrVG.

Gewerkschaften im europäischen und internationalen Kontext

Europäische Grundrechte

Auch auf europäischer Ebene ist die Vereinigungsfreiheit als Grundrecht geschützt, insbesondere durch Art. 12 Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Internationale Rechtsquellen

Internationale Abkommen, insbesondere die Übereinkommen 87 und 98 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), schützen die Vereinigungsfreiheit und das kollektive Recht auf Tarifverhandlungen weltweit. Deutschland hat diese Übereinkommen ratifiziert und umgesetzt.

Ende und Wegfall der Gewerkschaftseigenschaft

Verliert eine Arbeitnehmervereinigung die maßgeblichen Merkmale, kann sie auch ihre Gewerkschaftseigenschaft und damit die Tarifmächtigkeit verlieren. Die Arbeitsgerichte prüfen dies im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, etwa über die Tariffähigkeit oder -zuständigkeit.


Zusammenfassung

Gewerkschaften sind unverzichtbare Akteure im Arbeitsrecht. Sie genießen besonderen rechtlichen Schutz und Rechte, insbesondere hinsichtlich Tarifautonomie, Arbeitskampf und betrieblicher Mitbestimmung. Die Anerkennung und Ausübung der Gewerkschaftsfunktionen sind rechtlich umfassend geregelt und sichern die Durchsetzung kollektiver Arbeitnehmerinteressen, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene. Die rechtlichen Rahmenbedingungen wirken sich maßgeblich auf das Arbeitsverhältnis, Tarifwesen und die betriebliche Zusammenarbeit aus.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte haben Arbeitnehmer bei der Gründung einer Gewerkschaft?

Arbeitnehmer genießen bei der Gründung einer Gewerkschaft umfassenden rechtlichen Schutz, der sich aus den Bestimmungen des Grundgesetzes (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ableitet. Insbesondere das Koalitionsrecht garantiert nicht nur die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, sondern auch das Recht, eine solche zu gründen. Arbeitgeber dürfen die Gründung weder aktiv verhindern noch Arbeitnehmer benachteiligen, die an einer Gründung beteiligt sind. Der Kündigungsschutz spielt hierbei eine entscheidende Rolle: Arbeitnehmer, die sich im Rahmen der Gründung engagieren, können nur unter erschwerten Bedingungen gekündigt werden, insbesondere wenn die Kündigung im Zusammenhang mit der gewerkschaftlichen Tätigkeit steht (§ 15 KSchG, § 612a BGB). Außerdem dürfen keine Repressalien, wie etwa Versetzungen, Abmahnungen oder indirekte Benachteiligungen am Arbeitsplatz erfolgen. Verstöße gegen diese Schutzbestimmungen können zu arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen und Schadensersatzansprüchen für die Betroffenen führen. Bereits der Versuch der Beeinträchtigung kann arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Arbeitgeber nach sich ziehen.

Wie kann eine Gewerkschaft Tarifverhandlungen mit Arbeitgebern aufnehmen?

Damit eine Gewerkschaft Tarifverhandlungen aufnehmen kann, muss sie tariffähig sein, das heißt, sie muss eine ausreichende Mächtigkeit, Organisationsstruktur und Durchsetzungsfähigkeit besitzen. Tarifverhandlungen finden gemäß Tarifvertragsgesetz (TVG) zwischen tariffähigen Gewerkschaften und Arbeitgebern bzw. deren Verbänden statt. Der Ablauf beginnt mit der Einbringung von Forderungen seitens der Gewerkschaft, gefolgt von Sondierungsgesprächen, Verhandlungsterminen und gegebenenfalls Schlichtungsverfahren. Ein rechtliches Erfordernis ist, dass die Gewerkschaft ordnungsgemäß repräsentiert wird und für den jeweiligen Wirtschaftszweig bzw. die Berufe zuständig ist. Die Teilnahme an Tarifverhandlungen ist unabhängig von der Zahl der Mitglieder, solange die Gewerkschaft als sozial mächtig und tariffähig eingestuft wird. Das Scheitern der Verhandlungen kann das Recht zum Arbeitskampf (Streik, Aussperrung) eröffnen. Die Ergebnisse der Verhandlungen werden abschließend in einem Tarifvertrag fixiert, der für die jeweiligen Parteien verbindlich ist und im Tarifregister beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales einzutragen ist.

Haben Gewerkschaftsmitglieder besonderen Kündigungsschutz?

Gewerkschaftsmitglieder an sich genießen keinen allgemeinen Sonderkündigungsschutz allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft. Ausnahmen gelten jedoch für bestimmte Funktionen innerhalb der Gewerkschaft, insbesondere für Betriebsratsmitglieder, Vertrauensleute oder Tarifkommissionsmitglieder, die durch ihre Tätigkeit in den Schutzbereich des § 15 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) fallen und vor ordentlicher Kündigung weitgehend geschützt sind. Darüber hinaus stellt § 612a BGB sicher, dass deren Mitgliedschaft und Tätigkeit in der Gewerkschaft nicht zu einer Benachteiligung führen dürfen (sog. Maßregelungsverbot). Sollte eine Kündigung oder Maßnahme nachweislich durch die gewerkschaftliche Tätigkeit motiviert sein, ist diese in der Regel unwirksam und kann arbeitsgerichtlich angefochten werden.

Welche Informations- und Mitbestimmungsrechte haben Gewerkschaftsvertreter im Betrieb?

Gewerkschaften besitzen umfassende Informationsrechte, insbesondere wenn sie tariflich vertreten oder im Betrieb tätig sind (§§ 2, 74 BetrVG). Ihnen steht das Recht auf Zugang zum Betrieb zu, um Mitglieder zu betreuen oder Informationen zu sammeln. Im Rahmen der Mitbestimmung sind Gewerkschaften bei der Bildung, Zusammensetzung und Wahl von Betriebsräten zu beteiligen und können Kandidaten für die Wahl stellen (§ 14 BetrVG). Sie sind zudem berechtigt, an Betriebsversammlungen teilzunehmen und dort zu sprechen (§ 46 BetrVG). Rechtlich besteht jedoch kein Anspruch auf Mitsprache bei unternehmerischen Entscheidungen außerhalb tarifgebundener Angelegenheiten; dies ist in erster Linie Aufgabe des Betriebsrats. Die Mitwirkung der Gewerkschaften konzentriert sich auf tarifpolitische, soziale und personelle Angelegenheiten, sofern sie im Tarifvertrag geregelt sind oder ihre Mitglieder betreffen.

Wie wirken sich Tarifverträge auf nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer aus?

Tarifverträge gelten unmittelbar und zwingend für diejenigen Arbeitnehmer, die Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sind und bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber arbeiten (§ 3 TVG). Für nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer entfalten Tarifverträge grundsätzlich keine direkte Wirkung. Allerdings werden deren Bedingungen häufig durch sogenannte Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag übernommen (Allgemeinverbindlicherklärung außen vor gelassen), sodass sie faktisch von den Tarifbedingungen profitieren. Des Weiteren ist es üblich, dass Arbeitgeber die tariflichen Konditionen aus Gründen der Betriebsfriedenheit auch auf Nicht-Mitglieder anwenden, um Ungleichbehandlung und Unruhe zu vermeiden. Im Falle einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG erstreckt sich der Tarifvertrag auch auf bislang nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer und auf alle Arbeitgeber der betreffenden Branche.

In welchem Umfang dürfen Gewerkschaften zu Arbeitskämpfen (z.B. Streik) aufrufen?

Das Aufrufen zu Arbeitskämpfen, insbesondere zu Streiks, ist ein wesentliches Recht der Gewerkschaften und durch Art. 9 GG sowie das Grundrecht der Tarifautonomie geschützt. Rechtlich zulässig sind Arbeitskämpfe jedoch nur dann, wenn sie zur Durchsetzung tarifvertraglicher Regelungen eingesetzt werden (sog. tariflich legitimierter Arbeitskampf), und wenn sie von einer tariffähigen Gewerkschaft getragen werden. Wilde Streiks oder Arbeitskämpfe ohne gewerkschaftliche Leitung sind rechtswidrig und können arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung nach sich ziehen. Auch nach dem Pflichtenkreis der Friedenspflicht (während laufender Tarifverträge) dürfen keine Arbeitskämpfe für bereits tariflich geregelte Inhalte geführt werden. Die Beteiligung an rechtmäßigen Streiks darf arbeitsrechtlich nicht sanktioniert werden; Lohnansprüche für die Dauer des Streiks ruht (§ 615 BGB analog), während der Versicherungsschutz (z.B. Krankenversicherung) bestehen bleibt.

Können Arbeitgeber Gewerkschaftsarbeit im Betrieb verbieten oder einschränken?

Arbeitgeber sind nach geltendem Recht nicht befugt, Gewerkschaftsarbeit im gesetzlich zulässigen Rahmen zu verbieten oder einzuschränken (§ 2 Abs. 2 BetrVG, Art. 9 Abs. 3 GG). Die Gewerkschaft hat im Betrieb ein Zugangsrecht, muss aber betriebliche Abläufe beachten und darf den Betriebsfrieden nicht stören. Einschränkungen sind nur ausnahmsweise zulässig, etwa zum Schutz berechtigter betrieblicher Interessen (z. B. Sicherheitsbestimmungen, Vertraulichkeitserfordernisse), wobei stets eine Güterabwägung mit dem Koalitionsrecht vorzunehmen ist. Gewerkschaftsvertreter dürfen Informationsmaterial aushängen und Mitglieder in angemessener Weise werben. Verstöße gegen diese Rechte durch den Arbeitgeber können gerichtliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen.