Begriff und Bedeutung der Gewere
Die Gewere ist ein aus dem mittelalterlichen deutschen Recht stammender Begriff, der den rechtlichen Zustand der tatsächlichen Gewalt oder des Besitzes über eine Sache kennzeichnet. Im mittelalterlichen Grundstücks- und Sachenrecht hatte die Gewere eine zentrale Bedeutung für den Schutz und Erwerb von Eigentum und Besitzrechten. Sie bildet das historische Fundament für das heutige Besitzrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Die Gewere ist eng verwandt mit dem Besitzbegriff, unterscheidet sich allerdings in Einzelheiten insbesondere in Bezug auf die Art der Rechtssicherung und die rechtstechnische Umsetzung.
Historische Entwicklung der Gewere
Ursprung im Mittelalter
Die Gewere entstand im Hochmittelalter im Rahmen des feudalen Lehns- und Sachenrechts. Ursprünglich war sie ein rein tatsächlicher Zustand, der mit bestimmten Rechtsfolgen belegt war. Durch die Entwicklung des Landrechts wurde die Gewere zum grundlegenden Besitzschutzinstrument, da das Eigentum oder andere Rechte an Grundstücken meist nur über die tatsächliche Gewalt gesichert werden konnten.
Wandel und Aufnahme ins moderne Recht
Mit der Kodifikation moderner Privatrechte, insbesondere durch das BGB, wurde die Gewere durch den juristischen Begriff des Besitzes ersetzt. Dennoch sind zahlreiche Institute und Regelungen des Besitzrechts heute noch vom Gewere-Begriff beeinflusst, insbesondere in Fragen der Besitzschutzklagen und der Tradition im Sachenrecht.
Rechtsdogmatik der Gewere
Definition und Abgrenzung
Die Gewere ist im Wesentlichen die tatsächliche Gewalt einer Person über eine Sache unter dem Schutz der Rechtsordnung gegen Eingriffe Dritter. Im Gegensatz zum Eigentum, das ein umfassendes Herrschaftsrecht über eine Sache beschreibt, bezieht sich die Gewere ausschließlich auf die nach außen erkennbare Innehabung der Sache. Charakteristisch ist der Schutz des Besitzstandes unabhängig von materiellen Eigentumsrechten.
Unterschied zum modernen Besitzbegriff
Während der heute gebräuchliche Besitzbegriff nach § 854 BGB die tatsächliche Sachherrschaft voraussetzt, umfasste die Gewere im historischen Verständnis auch öffentlich-rechtliche Elemente, z.B. im Zusammenhang mit der Aufnahme ins Gewerebuch bei Immobilien (vgl. Grundbuch heute).
Rechtliche Bedeutung der Gewere
Erwerb der Gewere
Der Erwerb der Gewere war im mittelalterlichen Recht mit bestimmten Rechtsakten verbunden, wie der Übergabe (Tradition) der Sache oder symbolischen Handlungen (z.B. Auflassung bei Grundstücken). Durch diese Übergabe wurde die mit der Gewere verbundene Besitzschutzfunktion ausgelöst. Nur wer im Gewere stand, war berechtigt, bestimmte Klagen zu erheben und sich gegen rechtswidrige Eingriffe zur Wehr zu setzen.
Wirkung und Schutz der Gewere
Die Gewere vermittelte insbesondere folgende Rechte:
- Bestandschutz: Die bisherige Gewere sollte gegen unrechtmäßige Entziehung durch Dritte geschützt werden.
- Rechtsschutz: Der Inhaber der Gewere konnte im Fall einer Störung rechtliche Schritte (den sog. „Gewereprozess“) einleiten, um die Wiedereinräumung oder Sicherung seines Besitzstandes zu verlangen.
- Gutglaubensschutz: Unter bestimmten Voraussetzungen konnte auch ein gutgläubiger Erwerber in die Gewere gelangen und Schutz genießen.
Gewere und Besitzschutzklagen
Der Gewereprozess
Im mittelalterlichen Recht war der Gewereprozess das zentrale Verfahren zum Schutz des Besitzstandes. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde überprüft, ob jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt im Gewere stand und ob ihm der Besitz widerrechtlich entzogen worden war. Ein positiver Nachweis der bisherigen Gewere reichte oftmals für eine erfolgreiche Rückgabe aus, ohne dass das Eigentumsrecht bewiesen werden musste.
Fortentwicklung zu heutigen Besitzschutzklagen
Das heutige deutsche Recht kennt in §§ 861, 862 BGB die sogenannten Besitzschutzansprüche, die unmittelbar auf das Institut der Gewere zurückgehen. Auch hier steht der Schutz des tatsächlichen Besitzstandes im Mittelpunkt, unabhängig von etwaigen Eigentumsrechten.
Gewere im Sachenrecht und Grundstücksrecht
Grundstücksgewere und Grundbuch
Besondere Bedeutung erlangte die Gewere im Zusammenhang mit Grundstücken. Die sogenannte Grundstücksgewere wurde durch Eintragung in das Gewerebuch, den Rechtsvorgänger des heutigen Grundbuchs, dokumentiert. Diese Eintragung war Voraussetzung für den unmittelbaren Rechtsschutz und den öffentlichen Glauben an den Besitzstand.
Bedeutung für den Besitzbegriff im BGB
Die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Gewere findet sich in heutiger Form in den Begriffen unmittelbarer und mittelbarer Besitz (§ 868 BGB) wieder. Auch die Sicherung des Besitzstandes durch die Übergabe oder die Registrierung sind moderne Übernahmen des mittelalterlichen Geweresystems.
Gewere im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen
In anderen europäischen Rechtstraditionen finden sich vergleichbare Institute: Das französische Recht etwa kennt die „possession“, das englische Common Law die „possession“ und „seisin“, die ähnlich wie die Gewere den Schutz der tatsächlichen Innehabung vorsehen.
Zusammenfassung: Bedeutung der Gewere im modernen Recht
Die Gewere ist ein zentrales historisches Institut des deutschen Sachenrechts, das die tatsächliche Innehabung einer Sache unter rechtlichem Schutz stellte. Sie begründete umfassende Besitzrechte und wurde durch verschiedene Klageformen geschützt. Das heutige Besitzrecht im BGB ist in Struktur und Funktion wesentlich von der Gewere geprägt. Kenntnisse dieses Begriffs ermöglichen das Verständnis für zahlreiche sachenrechtliche Regelungen und die geschichtliche Entwicklung des Eigentums- und Besitzschutzes im deutschen Recht.
Quellenhinweis:
Die Darstellung folgt der gängigen rechtswissenschaftlichen Literatur (z.B. Staudinger, BGB; MüKoBGB; historische Rechtslexika; Quellen des deutschen Rechts). Einzelfragen sind zudem in speziellen Kommentierungen zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Recht behandelt.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist in Deutschland berechtigt, ein Gewerbe anzumelden?
In Deutschland ist grundsätzlich jede natürliche Person, juristische Person (z.B. GmbH, AG) oder Handelsgesellschaft (z.B. oHG, KG) berechtigt, ein Gewerbe anzumelden, sofern sie geschäftsfähig ist. Natürliche Personen müssen mindestens 18 Jahre alt und unbeschränkt geschäftsfähig sein; Minderjährige benötigen die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter und die Genehmigung des Familiengerichts. Juristische Personen wie GmbH oder AG können durch ihre Vertretungsorgane (z.B. Geschäftsführer, Vorstand) ein Gewerbe anmelden. Darüber hinaus müssen sowohl deutsche Staatsangehörige als auch EU-Bürger und – unter Einhaltung bestimmter Auflagen – Drittstaatsangehörige, etwa durch eine Aufenthaltserlaubnis mit Berechtigung zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit, das Recht zur Gewerbeanmeldung erhalten. Spezielle Berufsgruppen (z.B. Apotheker, Handwerker) unterliegen ggf. zusätzlichen berufs- und gewerberechtlichen Voraussetzungen, etwa der Nachweispflicht besonderer Qualifikationen oder Zuverlässigkeitsprüfungen. In jedem Fall gilt, dass keine sogenannten Untersagungsgründe (wie etwa erhebliche Vorstrafen oder Schulden bei der öffentlichen Hand) vorliegen dürfen, die nach § 35 GewO eine Gewerbeuntersagung rechtfertigen würden.
Welche gesetzlichen Pflichten ergeben sich nach der Gewerbeanmeldung?
Nach der Anmeldung eines Gewerbes entstehen eine Vielzahl gesetzlicher Pflichten. Zunächst besteht gegenüber dem Gewerbeamt eine Mitteilungspflicht hinsichtlich jeder relevanten Änderung, beispielsweise des Geschäftssitzes, der Tätigkeit oder der Rechtsform. Weiterhin werden automatische Mitteilungen an das Finanzamt, die zuständige Industrie- und Handelskammer (IHK) bzw. Handwerkskammer (HWK) und ggf. die Berufsgenossenschaften ausgelöst, mit denen gesonderte Anmelde- und Meldepflichten einhergehen. Die ordnungsgemäße Buchführung und Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen nach den Vorgaben des Handelsgesetzbuches (HGB) oder der Abgabenordnung (AO) gehört ebenso zu den gesetzlichen Pflichten, wie die Entrichtung von Steuern (Einkommensteuer, Gewerbesteuer, ggf. Umsatzsteuer) und Abgaben. Für bestimmte Gewerbearten, insbesondere im Bereich des Bewachungsgewerbes, der Gastronomie oder des Handwerks, bestehen zusätzliche Anzeige-, Genehmigungs- und Qualifikationspflichten (etwa nach § 34a GewO oder der Handwerksordnung [HwO]). Verstöße gegen diese Pflichten können mit Bußgeldern, einem Entzug der Gewerbeerlaubnis oder strafrechtlichen Konsequenzen geahndet werden.
Unter welchen Voraussetzungen kann ein Gewerbe untersagt werden?
Ein Gewerbe kann gemäß § 35 Gewerbeordnung (GewO) untersagt werden, wenn der Gewerbetreibende die für den Betrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Ausübende wiederholt gegen gewerbe- und steuerrechtliche Vorschriften verstößt, erhebliche Rückstände bei Steuern und Sozialabgaben bestehen oder strafrechtliche Verurteilungen im Zusammenhang mit der Ausübung eines Gewerbes vorliegen. Auch ein Schutz der Allgemeinheit oder Dritter kann eine Untersagung begründen, beispielsweise bei erheblicher Belästigung oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Untersagung erfolgt regelmäßig nach vorheriger Anhörung durch die zuständige Behörde und ist in der Regel schriftlich zu begründen. Gegen die Untersagung kann innerhalb einer vorgegebenen Frist Widerspruch eingelegt und notfalls Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden.
Was ist der Unterschied zwischen erlaubnisfreien und erlaubnispflichtigen Gewerben?
Erlaubnisfreie Gewerbe sind solche, für deren Ausübung keine gesonderte behördliche Genehmigung erforderlich ist; es genügt die Gewerbeanmeldung bei der zuständigen Behörde. Typische Beispiele sind der Einzelhandel oder Dienstleistungen wie freier Handel mit Waren aller Art (ausgenommen verbotene oder beschränkt zugelassene Waren). Für erlaubnispflichtige Gewerbe hingegen ist neben der Gewerbeanmeldung eine Genehmigung oder Erlaubnis durch eine Fachbehörde notwendig, beispielsweise bei Bewachungsunternehmen, Gaststätten, Maklern, Versicherungsvermittlern oder Handwerken nach Anlage A der Handwerksordnung. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis umfassen Nachweise über persönliche Zuverlässigkeit, geordnete Vermögensverhältnisse und ggf. sachliche oder fachliche Qualifikationen. Die genaue Regelung und der Umfang der Nachweispflicht ergeben sich jeweils aus spezialgesetzlichen Vorschriften (z.B. § 34c GewO für Makler).
Welche Möglichkeiten bestehen für die Übertragung, Veräußerung oder Stilllegung eines Gewerbes?
Die Übertragung oder Veräußerung eines Gewerbebetriebs unterliegt in Deutschland bestimmten rechtlichen Rahmenbedingungen. Bei einer Veräußerung durch Verkauf oder Erbschaft müssen sowohl der bisherige als auch der neue Gewerbetreibende eine entsprechende Mitteilung beim Gewerbeamt machen; der Erwerber muss das Gewerbe zudem selbst anmelden, sofern keine Rechtsnachfolge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (etwa bei Umwandlungen) vorliegt. Die Stilllegung eines Gewerbes ist ebenfalls anzeigepflichtig; hierzu ist eine formlose Anzeige bei der zuständigen Behörde ausreichend, wobei das genaue Stilllegungsdatum anzugeben ist. Für spezielle Gewerbearten, insbesondere solche, die einer Erlaubnispflicht unterliegen, können zusätzliche Anforderungen bestehen, beispielsweise die Rückgabe von Erlaubnisurkunden oder das Nachmelden von Restverpflichtungen gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern. Steuerrechtlich müssen zudem finale Erklärungen zur Beendigung des Gewerbebetriebs beim Finanzamt abgegeben werden.
Wie wird die Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden geprüft?
Die Prüfung der Zuverlässigkeit erfolgt durch die zuständigen Behörden (in der Regel das Gewerbeamt) unter Einbeziehung unterschiedlicher Informationsquellen. Es werden Auskünfte aus dem Bundeszentralregister (polizeiliches Führungszeugnis), dem Gewerbezentralregister und relevanten Schuldnerverzeichnissen eingeholt. Für bestimmte Gewerbearten wird zusätzlich ein Auszug aus dem Insolvenzregister verlangt. Die Behörde prüft insbesondere, ob rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen, Verstöße gegen gewerberechtliche Vorschriften oder erhebliche Steuerschulden vorliegen. Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit sind bei erlaubnispflichtigen Gewerben (z.B. Bewachungsgewerbe, Gaststätten) regelmäßig strenger als bei erlaubnisfreien Tätigkeiten. Die Überprüfung erfolgt zudem nicht nur bei der Anmeldung, sondern kann auch während der Gewerbeausübung wiederholt durchgeführt werden, insbesondere bei Verdacht auf Fehlverhalten oder im Rahmen laufender Kontrollen.