Begriff und Wesen der Gestaltungsklage
Die Gestaltungsklage ist eine besondere Klageart im deutschen Zivilprozessrecht. Ihr wesentliches Merkmal besteht darin, dass durch das ergehende Gerichtsurteil unmittelbar ein rechtlicher Zustand begründet, aufgehoben oder verändert wird (§ 894 ZPO analog). Im Gegensatz zu Leistungs- oder Feststellungsklagen zielt die Gestaltungsklage nicht darauf ab, bestehende Rechte oder Pflichten festzustellen oder auf Erfüllung von Ansprüchen hinzuwirken, sondern unmittelbar auf die Herbeiführung einer neuen Rechtslage.
Gestaltungsklagen kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn für bestimmte Rechtsverhältnisse die gesetzliche Anordnung gilt, dass deren Änderung, Begründung oder Aufhebung nur durch richterliche Entscheidung erfolgen kann. Typische Anwendungsbereiche ergeben sich hauptsächlich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sowie aus anderen zivilrechtlichen Nebengesetzen.
Rechtsgrundlagen der Gestaltungsklage
Allgemeine Regelungen
Die Gestaltungsklage ist als Klageart im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, sondern ergibt sich aus der dogmatischen Einordnung verschiedener materiell-rechtlicher Gestaltungsrechte in Verbindung mit den prozessualen Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgeblich ist, dass für bestimmte Gestaltungsakte ein Gestaltungsrecht besteht, das im Wege der gerichtlichen Entscheidung ausgeübt werden kann oder muss.
Dogmatische Unterscheidung zu anderen Klagearten
Die Gestaltungsklage unterscheidet sich maßgeblich von der Leistungs- und der Feststellungsklage:
- Leistungsklage: Ziel ist die Verurteilung des Beklagten zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen.
- Feststellungsklage: Bezweckt die gerichtliche Feststellung eines zwischen den Parteien bestehenden oder nicht bestehenden Rechtsverhältnisses (§ 256 ZPO).
- Gestaltungsklage: Führt unmittelbar durch Urteil zur Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses.
Voraussetzungen der Gestaltungsklage
Prozessuale Voraussetzungen
Für die Zulässigkeit einer Gestaltungsklage sind allgemeine Prozessvoraussetzungen maßgeblich:
- Zuständigkeit des Gerichts: Das sachlich und örtlich zuständige Gericht muss angerufen werden.
- Parteifähigkeit und Prozessfähigkeit: Die Parteien müssen entsprechend den §§ 50 ff. ZPO parteifähig und prozessfähig sein.
- Rechtsschutzinteresse: Es muss ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Änderung des Rechtsverhältnisses bestehen.
Daneben ist zu beachten, dass das Bestehen eines zugrunde liegenden Gestaltungsrechts notwendig ist.
Materiell-rechtliche Voraussetzungen
Materiell-rechtlich muss das jeweils geltend gemachte Gestaltungsrecht bestehen, und zwar in der durch Gesetz oder Vertrag vorgesehenen Form. Typische Fälle ergeben sich aus Vorschriften, die eine auflösend oder begründend wirkende gerichtliche Entscheidung anordnen.
Anwendungsbereiche der Gestaltungsklage
Ehescheidung (§§ 1564 ff. BGB)
Die wohl bekannteste Gestaltungsklage ist die Scheidungsklage nach deutschem Familienrecht. Das Gesetz ordnet in § 1564 BGB an, dass die Ehe nur durch richterliche Entscheidung auf Antrag eines oder beider Ehegatten geschieden werden kann. Das Urteil hat konstitutive Wirkung; die Ehe endet erst mit Rechtskraft der Entscheidung.
Anfechtungsklage im Erbrecht (§ 2081 BGB)
Im Erbrecht ist die Anfechtungsklage gegen letztwillige Verfügungen ein typisches Beispiel. Das Gericht kann durch Urteil ein Testament für unwirksam erklären oder aufheben, so dass eine neue Rechtslage entsteht.
Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG)
Im Arbeitsrecht stellt die Kündigungsschutzklage nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) eine Gestaltungsklage dar, soweit das Gericht mit rechtsgestaltender Wirkung feststellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung beendet wurde, sondern weiterhin besteht.
Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen (§ 246 AktG, § 243 AktG)
Im Gesellschaftsrecht erlangt die Gestaltungsklage Bedeutung bei der Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen, insbesondere in Aktiengesellschaften. Das Urteil kann die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses herbeiführen.
Rechtswirkungen der Gestaltungsklage
Konstitutive Wirkung
Kennzeichnend für das Urteil einer Gestaltungsklage ist die konstitutive (rechtsbegründende, rechtsgestaltende) Wirkung. Das heißt, die mit Klage verfolgte Rechtsänderung tritt erst mit Rechtskraft des Urteils ein (§ 705 ZPO).
Ex-nunc-Wirkung
Die Wirkung des Gestaltungsausspruchs entfaltet sich grundsätzlich ex nunc, also ab Rechtskraft und nicht rückwirkend, es sei denn, das Gesetz ordnet ausdrücklich eine abweichende Regelung an (z. B. im Erbrecht ex tunc).
Besonderheiten und Abgrenzungen
Unterschied zu Rechtsgeschäften
Die Gestaltungsklage ist von einseitigen Rechtsgeschäften zu unterscheiden, durch die eine Gestaltung des Rechtsverhältnisses außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erfolgen kann (z. B. Kündigung, Rücktritt, Anfechtung). Die Gestaltungsklage ist nur dort erforderlich, wo das Gesetz für die Wirksamkeit eine gerichtliche Entscheidung verlangt oder zulässt.
Wechselwirkung mit weiteren Klagearten
Mitunter ist eine Kombination von Klagearten möglich und sinnvoll, etwa bei einer Leistungs- oder Feststellungsantrag in Verbindung mit einer Gestaltungsklage (sog. Klagehäufung, §§ 260, 263 ZPO).
Fristen und Verfahrensbesonderheiten
Die Ausübung von Gestaltungsrechten kann an Fristen gebunden sein, beispielsweise im Erb- oder Gesellschaftsrecht. Die Einhaltung dieser Fristen ist meist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Gestaltungsklage.
Das Verfahren richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln der ZPO. Im Familienrecht und anderen Spezialgebieten gelten gegebenenfalls verfahrensspezifische Sonderregeln.
Internationale Aspekte
Im internationalen Privatrecht (IPR) können Fragen über die Zulässigkeit und Anerkennung der Gestaltungsklage auftreten, insoweit als das maßgebliche anwendbare Recht (national oder EU-weit) für bestimmte Gestaltungsklagen Voraussetzungen aufstellt oder deren Wirkung anerkennt.
Literatur und weiterführende Hinweise
- Zöller, ZPO, Kommentar zur Zivilprozessordnung
- Musielak/Voit, ZPO
- Brox/Walker, Zivilprozessrecht
- Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
- Thomas/Putzo, ZPO
Zusammenfassung
Die Gestaltungsklage ist eine bedeutsame Klageart im deutschen Zivilprozessrecht und dient der gerichtlichen, unmittelbaren Änderung eines bestehenden Rechtsverhältnisses. Die Voraussetzungen, rechtlichen Grundlagen und Wirkungsweisen sind in einer Vielzahl zivilrechtlicher Teilgebiete relevant und verlangen eine differenzierte Beurteilung im Einzelfall. Die wichtigsten kennzeichnenden Merkmale sind ihre konstitutive Wirkung und die gesetzlich vorgeschriebene gerichtliche Mitwirkung zur Herbeiführung einer Rechtsveränderung. Ihr Einsatz ist insbesondere in Familien-, Arbeits-, Erb- und Gesellschaftsrecht von großer Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Parteien sind bei einer Gestaltungsklage typischerweise parteifähig?
Bei einer Gestaltungsklage sind parteifähig grundsätzlich alle natürlichen und juristischen Personen, also Menschen sowie Unternehmen, Vereine, Stiftungen oder auch Behörden, sofern sie rechtsfähig sind. Die Partei muss in der Lage sein, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, da die Gestaltungsklage kraft gerichtlicher Entscheidung ein Rechtsverhältnis unmittelbar verändert, begründet oder beendet. Minderjährige oder betreute Personen benötigen hierfür gegebenenfalls einen gesetzlichen Vertreter. Weiterhin ist zu beachten, dass bei Streitgenossenschaften auch mehrere Personen auf einer oder auf beiden Seiten beteiligt sein können, sofern sie eine einheitliche Rechtslage betrifft. In bestimmten Fällen, etwa bei der Anfechtungsklage im Gesellschaftsrecht, können und müssen zusätzlich formell Beteiligte – zum Beispiel Gesellschaftsmitglieder – einbezogen werden. Ist eine Person aufgrund von Geschäftsunfähigkeit, Insolvenz oder aufgrund eines anderen gesetzlichen Grundes nicht parteifähig, schlägt dies auf die Wirksamkeit der Klage durch. Insgesamt prüft das Gericht die Parteifähigkeit in jeder Instanz von Amts wegen, um sicherzustellen, dass die Prozessführung ordnungsgemäß erfolgen kann.
Welche Rolle spielt das Rechtsschutzbedürfnis bei einer Gestaltungsklage?
Das Rechtsschutzbedürfnis ist bei jeder Gestaltungsklage zwingende Prozessvoraussetzung. Das Gericht prüft, ob das klägerische Begehren nicht bereits auf einem anderen, einfacheren Weg durchsetzbar ist oder ob ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung besteht. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt insbesondere dann, wenn die Gestaltung schon durch eine einvernehmliche Erklärung der Parteien erfolgen könnte oder wenn außergerichtlich keine ernsthaften Anhaltspunkte für einen Streit über das zugrundeliegende Rechtsverhältnis bestehen. Insbesondere im Falle von Ehescheidungsklagen, Anfechtungsklagen oder bestimmten gesellschaftsrechtlichen Klagen ist zu hinterfragen, ob zunächst außergerichtliche Mittel oder spezifische Vorverfahren (z.B. Schlichtung, Güteverfahren) vorgeschrieben oder zumindest zumutbar sind. Das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses führt zur Unzulässigkeit der Klage und zur Klageabweisung.
Welche Arten von Gestaltungsklagen gibt es im deutschen Zivilrecht?
Im deutschen Zivilrecht zählen zu den Gestaltungsklagen insbesondere die Anfechtungsklage (§§ 119 ff. BGB), die Aufhebungsklage (beispielsweise nach § 142 BGB oder im Gesellschaftsrecht ifm. §§ 133 ff. HGB), die Ehescheidungsklage (§ 1564 BGB), die Klage auf Auflösung einer Gesellschaft, die Feststellung von Vaterschaft oder Abstammung (§ 1599 BGB), die Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) und weitere. Allen diesen Klagen gemeinsam ist, dass durch die gerichtliche Entscheidung unmittelbar eine Rechtsänderung herbeigeführt wird – es handelt sich also nicht um bloße Leistungs- oder Feststellungsklagen. Im öffentlichen Recht ist die Gestaltungswirkung etwa bei der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage gegeben, die Verwaltungsakte aufhebt (§ 113 VwGO).
Welche prozessualen Besonderheiten bestehen bei der Gestaltungsklage?
Gestaltungsklagen unterliegen im Zivilprozess den allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), weisen aber bestimmte Besonderheiten auf. Entscheidend ist, dass die Klage auf die Vornahme einer richterlichen Rechtsgestaltung gerichtet sein muss, etwa die Auflösung, Änderung oder Begründung eines Rechtsverhältnisses. Voraussetzung ist meist ein konkreter Klageantrag, der eindeutig erkennen lässt, welche Rechtsfolge begehrt wird (z.B. Scheidung, Auflösung, Anfechtung). In bestimmten Fällen ist zudem der Nachweis besonderer Zulässigkeitsvoraussetzungen wie Fristen oder Vorverfahren erforderlich – beispielsweise muss eine Anfechtungsklage binnen einer bestimmten Frist nach Kenntniserlangung erhoben werden (§ 121 BGB). Der Urteilsspruch wirkt unmittelbar auf das betroffene Rechtsverhältnis; in vielen Fällen ist die Gestaltungsklage daher nicht durch Urteil mit Vollstreckungsklausel, sondern bereits durch die Rechtskraft der Entscheidung wirksam (z.B. bei einer Ehescheidung).
Wie wirkt ein stattgebendes Urteil einer Gestaltungsklage?
Das stattgebende Urteil einer Gestaltungsklage wirkt unmittelbar rechtsgestaltend und verändert das zugrunde liegende Rechtsverhältnis mit Rechtskraft der Entscheidung. Dies bedeutet, dass die vorgenommene Rechtsänderung sich nicht nur auf die Parteien unmittelbar auswirkt, sondern – je nach Rechtsgebiet – gegebenenfalls auch gegenüber Dritten entfaltet wird (absolute Wirkung, z. B. die Nichtigkeit einer Ehe oder die Feststellung einer Vaterschaft). In der Regel ist für die Wirksamkeit kein weiterer Vollstreckungsakt erforderlich, da das Rechtsverhältnis durch die gerichtliche Entscheidung „gestaltet”, also begründet, geändert oder aufgehoben wird. Die Entscheidungswirkung tritt entweder mit der Verkündung oder – wie in vielen Familiensachen – mit Rechtskraft des Urteils ein. Ausnahmen hiervon bestehen, wenn das Gesetz spezielle Regelungen vorsieht (z. B. Erfordernis einer gerichtlichen Mitteilung an das Standesamt).
Was sind typische Streitpunkte bei der Gestaltungsklage im gerichtlichen Verfahren?
Häufige Streitpunkte bei Gestaltungsklagen entstehen hinsichtlich der Zulässigkeit (etwa Fristversäumnisse oder fehlendes Rechtsschutzbedürfnis), der Aktiv- oder Passivlegitimation (also welche Partei zur Klage berechtigt oder verpflichtet ist), sowie hinsichtlich des Streitgegenstandes, der präzise zu bestimmen ist. Auch prozessuale Besonderheiten wie die Einhaltung vorgelagerter Einigungsversuche oder der korrekte Antrag können problematisch sein. In der Sache wird typischerweise über die Voraussetzungen der jeweils geltend gemachten Gestaltungsnorm gestritten, z.B. über das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes, den Umfang der Auflösungstatbestände oder die Tatsachen, die eine richterliche Gestaltung rechtfertigen. Besonders komplex sind diese Fragestellungen in gesellschaftsrechtlichen, familienrechtlichen oder arbeitsrechtlichen Verfahren, da hier zahlreiche materiellrechtliche und prozessuale Spezialnormen zu beachten sind.
Welche Fristen gelten für die Erhebung einer Gestaltungsklage?
Die Gestaltungswirkung kann vielfach nur innerhalb gesetzlicher Fristen geltend gemacht werden. Diese Fristen sind je nach Art der Gestaltungsklage äußerst unterschiedlich geregelt: Für die Anfechtung von Willenserklärungen gelten beispielsweise die Fristen des BGB (§ 121 BGB: unverzüglich nach Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund; § 124 BGB: bei arglistiger Täuschung spätestens ein Jahr nach Entdeckung). Im Familienrecht sind für die Ehescheidung oder Anfechtung der Ehe bestimmte Trennungszeiten einzuhalten. Bei arbeitsrechtlichen Gestaltungsklagen, wie etwa der Kündigungsschutzklage, gilt eine Klagefrist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung (§ 4 KSchG). Wird eine Frist versäumt, führt dies regelmäßig zur Unzulässigkeit der Klage. Es handelt sich ausnahmslos um Ausschlussfristen, die nicht verlängert werden können, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Die sorgfältige Beachtung der jeweiligen Fristsetzung ist für den Erfolg einer Gestaltungsklage daher von essenzieller Bedeutung.