Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Agrarrecht»Genetische Ressourcen

Genetische Ressourcen


Begriff und Definition der Genetischen Ressourcen

Genetische Ressourcen sind gemäß internationaler und nationaler Rechtsvorschriften Bestandteile biologischer Vielfalt, die genetisch wirksame Informationen enthalten und einen tatsächlichen oder potentiellen Wert für die Menschheit besitzen. Im juristischen Kontext bezieht sich der Begriff insbesondere auf pflanzliche, tierische oder mikrobiologische Materialien, welche funktionale Erbeigenschaften übertragen und folglich für die Landwirtschaft, Medizin, Biotechnologie und Forschung von erheblicher Bedeutung sind.

Rechtsgrundlagen der Genetischen Ressourcen

Völkerrechtliche Rahmenbedingungen

Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD)

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, kurz: CBD) von 1992 definiert genetische Ressourcen in Artikel 2 als „genetisches Material von tatsächlichem oder potentiellem Wert“. Das Abkommen legt zudem die staatliche Souveränität über genetische Ressourcen und deren Nutzung fest und fordert einen fairen Vorteilsausgleich für die Nutzung dieser Ressourcen (Access and Benefit-Sharing, ABS). Es setzt den Grundstein für zahlreiche daran anknüpfende Regelwerke.

Nagoya-Protokoll

Das Nagoya-Protokoll von 2010 konkretisiert die ABS-Bestimmungen der CBD und regelt die Zugangsvoraussetzungen zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich auf internationaler Ebene. Es normiert umfassend die rechtlichen Verpflichtungen bezüglich Identifizierung, Dokumentation, der Einholung einer informierten Zustimmung (Prior Informed Consent, PIC) sowie die Vereinbarung von Bedingungen für die Nutzung und Verwertung.

Europarechtliche Regelungen

Auch auf Ebene der Europäischen Union existieren verbindliche Vorgaben. Die Verordnung (EU) Nr. 511/2014 implementiert die Vorgaben des Nagoya-Protokolls und verpflichtet Nutzer und Anbieter von genetischen Ressourcen zur Einhaltung detaillierter Sorgfalts- und Nachweispflichten.

Deutsches Recht und nationale Umsetzung

Deutschland hat die Vorgaben des Nagoya-Protokolls in das nationale Recht überführt. Hierfür wurde das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie weitere Ausführungsbestimmungen erlassen. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) fungiert als zuständige Behörde für die Kontrolle der Umsetzung und Einhaltung der rechtlichen Anforderungen.

Schutz und Nutzung genetischer Ressourcen

Eigentumsrechte und souveräne Staatenrechte

Im Zentrum der rechtlichen Regelung genetischer Ressourcen steht das Prinzip der staatlichen Souveränität. Staaten bestimmen, zu welchen Bedingungen genetische Ressourcen aus ihrem Staatsgebiet entnommen, erforscht oder verwertet werden dürfen. Dabei ist die Anerkennung von traditionellem Wissen sowie die faire Beteiligung indigener und lokaler Gemeinschaften an Nutzen und Vorteilen zu gewährleisten.

Zugang und Vorteilsausgleich (Access and Benefit-Sharing, ABS)

Der Zugang zu genetischen Ressourcen ist international und national an formalisierte Zustimmungs- und Vertragserfordernisse gebunden. Die Nutzung setzt meist voraus:

  • Die Einholung einer informierten Zustimmung (Prior Informed Consent, PIC) des Ressourcenbesitzers
  • Eine Absprache der Nutzungsbedingungen in einer vertraglichen Vereinbarung (Mutually Agreed Terms, MAT)
  • Die Beteiligung an den durch Nutzung generierten Vorteilen (beispielsweise durch Teilen von Erträgen aus Entwicklungen, Lizenzen oder Technologien)

Geistiges Eigentum und Patente auf genetische Ressourcen

Die rechtliche Behandlung genetischer Ressourcen im Patentrecht ist komplex. Während die Ressourcen selbst nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) grundsätzlich nicht patentierbar sind, können daraus gewonnene Erfindungen, etwa biotechnologische Erzeugnisse oder Verfahren, unter strengen Voraussetzungen einem patentrechtlichen Schutz unterliegen, wenn sie eine technische Lehre und Neuheit aufweisen.

In vielen Staaten ist die Offenlegung des Ursprungs genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens im Rahmen von Patentanmeldeverfahren verpflichtend.

Pflichten und Sanktionen

Sorgfaltspflichten der Nutzer

Organisationen und Personen, die genetische Ressourcen erforschen oder kommerziell nutzen, unterliegen strengen Prüfungs- und Dokumentationspflichten. Diese umfassen:

  • Nachweis der Legitimität des Ressourcenbezugs
  • Dokumentation der Herkunft und Nutzungsbedingungen
  • Einhaltung der Vereinbarungen mit Ursprungsstaaten und lokalen Gemeinschaften
  • Meldung und Berichtspflichten gegenüber zuständigen nationalen Behörden

Sanktionen bei Verstößen

Die Missachtung der gesetzlichen Vorgaben – insbesondere bei Zugang, Nutzung oder Vorteilsausgleich – kann in zahlreichen Ländern empfindliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies reicht von Bußgeldern über die Untersagung der Nutzung bis hin zu Schadensersatzforderungen und dem Entzug von Fördermitteln.

Bedeutung traditioneller Rechte und Wissensschutz

Der Umgang mit traditionellem Wissen im Zusammenhang mit genetischen Ressourcen ist zunehmend Gegenstand rechtlicher Regulierung. So verlangen CBD und Nagoya-Protokoll eine explizite Einbeziehung indigener Bevölkerungsgruppen bei der Nutzung von Wissen um genetische Ressourcen, einschließlich klarer Beteiligungs-, Mitentscheidungs- und Vorteilsregelungen.

Bedeutung für Forschung, Entwicklung und Wirtschaft

Genetische Ressourcen sind elementar für den Fortschritt in den Bereichen Agrarwirtschaft, Pharmaindustrie, Umwelttechnologie und Biotechnologie. Entsprechend ist die Kenntnis und die Einhaltung nationaler und internationaler Vorgaben für Unternehmen, Forschungseinrichtungen und andere Nutzer unverzichtbar, um Haftungsrisiken und Strafzahlungen zu vermeiden.


Fazit:
Genetische Ressourcen sind im Mittelpunkt weitreichender und komplexer Regelungen des internationalen und nationalen Rechts. Der sachgerechte und rechtmäßige Umgang mit ihnen erfordert insbesondere die Beachtung von Zugangsvoraussetzungen, Vorteilsausgleich, Sorgfalts- und Offenlegungspflichten sowie Respekt gegenüber traditionellen Rechten. Verstöße gegen diese Standards können umfassende rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen gelten für den Zugang zu genetischen Ressourcen?

Der Zugang zu genetischen Ressourcen ist vorrangig durch internationale Abkommen wie das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) und das Nagoya-Protokoll geregelt. Diese sehen vor, dass genetische Ressourcen grundsätzlich dem souveränen Recht des Ursprungsstaates unterliegen. Wer genetische Ressourcen für Forschung, Entwicklung oder kommerzielle Zwecke nutzen möchte, benötigt in der Regel eine informierte vorherige Zustimmung („prior informed consent“, PIC) des jeweiligen Landes und muss mit dem Ursprungsstaat gerechte und ausgewogene Vorteilsausgleichsvereinbarungen („mutually agreed terms“, MAT) schließen. Die jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetze können dabei umfangreiche administrative Anforderungen vorsehen, zum Beispiel die Pflicht zur Offenlegung der beabsichtigten Nutzung, Dokumentationspflichten sowie Melde- und Berichtspflichten gegenüber den Behörden. In der Europäischen Union etwa regelt die Verordnung (EU) Nr. 511/2014 die Pflichten der Nutzer zur Einhaltung dieser internationalen Vorgaben; auf nationaler Ebene in Deutschland ist dies im Nagoya-Protokoll-Ausführungsgesetz (Nagoya-AusfG) umgesetzt.

Inwieweit betrifft das Nagoya-Protokoll die Nutzung genetischer Ressourcen aus Drittländern?

Das Nagoya-Protokoll verpflichtet Vertragsstaaten dazu, nationale Rechtsvorschriften für den Zugang zu genetischen Ressourcen und den Vorteilsausgleich zu etablieren beziehungsweise zu beachten. Für Nutzer in der EU beziehungsweise in Deutschland bedeutet dies, dass sie beim Zugriff auf genetische Ressourcen aus einem anderen Vertragsstaat des Protokolls die jeweiligen nationalen Zugangs- und Nutzungsvorschriften dieses Landes einhalten müssen. Das schließt insbesondere die Erteilung einer Nutzungserlaubnis unter den Bedingungen von PIC und MAT ein. Die Nachweisführung hierüber obliegt dem Nutzer: Wird beispielsweise ein Patentantrag gestellt oder Forschungsergebnisse veröffentlicht, können Offenlegungs- oder Transparenzpflichten gelten. Bei Nichteinhaltung drohen sowohl zivil- als auch strafrechtliche Sanktionen, wie sie im jeweiligen nationalen Recht vorgesehen sind.

Welche Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen?

Der Vorteilsausgleich („access and benefit sharing“, ABS) ist ein zentrales Element der Regelungen zu genetischen Ressourcen. Dabei müssen Nutzer von genetischen Ressourcen den Ursprungsstaat beziehungsweise die lokalen Gemeinschaften am erzielten Nutzen beteiligen. Der Vorteilsausgleich kann finanzieller Art (z.B. Lizenzgebühren, Teilhabe an Gewinnen) oder nicht-finanzieller Art sein (z.B. Kapazitätsaufbau, Technologietransfer, Zugang zu Forschungsergebnissen). Die Bedingungen werden in MAT vertraglich festgehalten. Nach EU-Recht besteht eine ausdrückliche Dokumentations- und Nachweispflicht, die sicherstellen soll, dass die Bedingungen des Vorteilsausgleichs eingehalten werden. Ein Verstoß dagegen kann Sanktionen nach sich ziehen, die – je nach nationaler Umsetzung – von Bußgeldern bis hin zum Entzug von Nutzungsrechten reichen.

Welche genetischen Ressourcen sind vom rechtlichen Schutz ausgeschlossen oder unterliegen Sonderregelungen?

Nicht alle genetischen Ressourcen unterliegen denselben rechtlichen Bestimmungen. Vom Geltungsbereich des Nagoya-Protokolls ausgenommen sind beispielsweise menschliche genetische Ressourcen. Auch für Ressourcen, die aus Gebieten außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit stammen (etwa die hohe See), gelten besondere oder derzeit noch nicht abschließend geregelte Vorschriften. Für landwirtschaftliche Nutzpflanzen existiert zudem der Internationale Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA), welcher spezielle Zugangsmöglichkeiten und ABS-Regelungen für bestimmte Kulturpflanzen vorsieht („Multilaterales System“). Nationale Gesetze können zusätzliche Ausnahmen oder Sonderregelungen enthalten, z.B. für traditionelle Nutzung durch indigene Gemeinschaften.

Wie sieht die rechtliche Situation bei digitalen Sequenzinformationen (DSI) genetischer Ressourcen aus?

Digitale Sequenzinformationen stellen im rechtlichen Kontext ein aktuelles und kontrovers diskutiertes Thema dar. Nach derzeitiger Auslegung des Nagoya-Protokolls sind nur physische genetische Ressourcen umfasst. Einige Vertragsstaaten und Wissenschaftsorganisationen fordern jedoch, digitale Abbildungen von Erbinformationen rechtlich gleichzustellen. In der Praxis bedeutet dies, dass für die Nutzung von DSI (z.B. Gensequenzen, im Internet verfügbare Datenbanken) derzeit häufig keine ABS-Verpflichtungen bestehen, gleichwohl es internationale Bestrebungen zur Ausweitung des Anwendungsbereichs gibt. Nationale Gesetze können diese Lücke unterschiedlich handhaben; eine globale harmonisierte Regelung steht aus.

Welche Melde- und Nachweispflichten bestehen für Nutzer genetischer Ressourcen?

Nutzer genetischer Ressourcen sind verpflichtet, den rechtmäßigen Zugang sowie die Einhaltung der Vorteilsausgleichsbedingungen dokumentieren und nachweisen zu können. In der EU etwa muss dies über das „Due Diligence“-System erfolgen: Dabei haben Nutzer – etwa bei der Entwicklung eines Markprodukts oder bei der Einreichung eines Patentantrags – gegenüber der zuständigen Behörde (in Deutschland: Bundesamt für Naturschutz, BfN) eine sogenannte Sorgfaltserklärung („Due Diligence Declaration“) abzugeben. Diese Erklärung umfasst Angaben über die Herkunft der genetischen Ressource, die eingeholten Genehmigungen (PIC) und die getroffenen ABS-Vereinbarungen (MAT). Unternehmen und Forschungseinrichtungen müssen entsprechende Nachweise mindestens 20 Jahre aufbewahren. Bei fehlender oder fehlerhafter Dokumentation drohen Sanktionen und Nutzungsverbote.

Können genetische Ressourcen patentiert werden und unterliegen sie dem Patentrecht?

Genetische Ressourcen als solche sind in den meisten Rechtssystemen nicht patentierbar, insbesondere natürliche, unveränderte Sequenzen. Patenten können jedoch auf Erfindungen mit Bezug zu genetischen Ressourcen – etwa gentechnisch veränderte Organismen, synthetisch erzeugte Sequenzen oder spezielle Anwendungen – beansprucht werden, sofern die gesetzlichen Patentierbarkeitsvoraussetzungen (Neuheit, erfinderische Tätigkeit, gewerbliche Anwendbarkeit) erfüllt sind. Im Rahmen eines Patentantrags besteht vielfach eine Offenlegungspflicht hinsichtlich der Herkunft der verwendeten genetischen Ressourcen („Disclosure of Origin“), die nach internationalem Recht (insbesondere dem CBD und dem Nagoya-Protokoll) verlangt werden kann. Die Nichteinhaltung dieser Offenlegungspflicht kann zur Unwirksamkeit des Patents führen oder zum Entzug bereits erteilter Patente.