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Gemeinsames Europäisches Asylsystem


Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS)

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) bezeichnet den rechtlichen und politischen Rahmen der Europäischen Union (EU), der die Asylverfahren, den Schutz von Asylsuchenden und die Anerkennung von Flüchtlingsstatus in den Mitgliedstaaten einheitlich regelt. Ziel ist die Schaffung gemeinsamer Mindeststandards, um ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten und sogenannte „Asylwanderungen“ innerhalb der EU zu verhindern. Die Entwicklung des GEAS erfolgte im Zuge des Amsterdamer Vertrags (1999) und wird fortlaufend durch eine Vielzahl von Rechtsakten sowie durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) konkretisiert und weiterentwickelt.


Rechtsgrundlagen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

Primärrechtliche Grundlagen

Die zentrale Rechtsgrundlage für das GEAS findet sich in den Artikeln 67 und 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Art. 78 AEUV verpflichtet die EU zur Entwicklung einer gemeinsamen Asylpolitik, die im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sowie anderen einschlägigen internationalen Abkommen steht.

Sekundärrechtliche Rechtsakte (Rechtsinstrumente des GEAS)

Das GEAS basiert auf verschiedenen verbindlichen Rechtsakten:

  1. Dublin-Verordnung (aktuell Verordnung (EU) Nr. 604/2013, Dublin III):

Regelt die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats.

  1. Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU, Asylverfahrensrichtlinie – APR):

Legt gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes fest.

  1. Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU, „Qualifikationsrichtlinie“ – QR):

Definiert Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und des subsidiären Schutzes.

  1. Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU – Aufnahmerichtlinie):

Bestimmt Mindeststandards für die Aufnahmebedingungen von Antragstellenden.

  1. Eurodac-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 603/2013):

Errichtet ein Zentrales Fingerabdruck-Identifizierungssystem zur Unterstützung der Dublin-Verordnung.

Sonstige relevante Regelungen

Neben den obigen Hauptrechtsakten existieren weitere Vorschriften, wie etwa sekundärrechtliche Durchführungsrechtsakte, sowie Vereinbarungen mit Drittstaaten, z.B. das EU-Türkei-Abkommen. Die Reform des GEAS (sogenanntes „GEAS-Paket“) befindet sich gegenwärtig im Umsetzungsprozess (Stand 2024).


Systematik und Zielsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

Einheitlichkeit und Mindeststandards

Das GEAS verfolgt das Ziel, eine Angleichung der nationalen Asylsysteme hinsichtlich der Aufnahmebedingungen, Verfahren und Schutzstandards zu gewährleisten. Unterschiede zwischen nationalen Regelungen sollen so reduziert werden, um Diskriminierung vorzubeugen und einheitliche Schutzstandards zu sichern.

Solidarität und Verantwortungsverteilung

Ein zentrales Element ist die sogenannte „solidarische Verantwortung“ der Mitgliedstaaten. Das Dublin-System regelt, welcher Mitgliedstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags verantwortlich ist. Dies basiert in der Regel auf dem ersten EU-Staat, den ein Antragsteller betritt. Im Rahmen der GEAS-Reform wird eine adaptierte Lastenverteilung angestrebt, um die Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen zu entlasten.

Effektiver Rechtsschutz und Verfahrensgarantien

Das GEAS verpflichtet die Mitgliedstaaten, effektiven Rechtsschutz für Asylsuchende zu gewährleisten. Dazu zählen u.a. das Recht auf Anhörung, rechtliches Gehör, Übersetzungshilfen sowie der Zugang zu Beratungen. Die Einhaltung dieser Rechte wird durch den EuGH und die Kommission überwacht.


Die zentralen Elemente des GEAS im Detail

Dublin-System

Das nach der irischen Hauptstadt Dublin benannte System dient zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für einen Asylantrag. Die Kriterien bauen auf dem „Ersteintrittsprinzip“ auf, ergänzt durch humanitäre Erwägungen, Familienzusammenführung sowie medizinische Gründe.

Asylverfahren und Rechtsschutz

Die Asylverfahrensrichtlinie sieht ein abgestuftes System von Verfahrensgarantien vor. Jede ablehnende Entscheidung muss begründet und einem effektiven Rechtsbehelf zugänglich sein. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, dem Antragsteller während des gesamten Verfahrens eine menschenwürdige Behandlung zu gewährleisten.

Schutzformen: Flüchtlingsstatus und subsidiärer Schutz

Die Qualifikationsrichtlinie unterscheidet zwischen Flüchtlingsschutz (im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention) und subsidiärem Schutz für Personen, denen bei Rückkehr ernsthafter Schaden drohen würde. Die Richtlinie bestimmt außerdem die Rechte, die aus beiden Schutzformen erwachsen, etwa hinsichtlich Aufenthalt und sozialer Leistungen.

Aufnahmebedingungen

Die Aufnahmerichtlinie setzt Mindeststandards hinsichtlich Unterbringung, Verpflegung, medizinischer Versorgung und Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt für Antragstellende. Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen zulässig.

Eurodac-System

Das Eurodac-System ermöglicht den Abgleich von Fingerabdrücken asylsuchender Personen. Dies unterstützt die Feststellung, ob ein Asylantrag in einem anderen Staat gestellt wurde, und dient der Vermeidung sogenannter „Mehrfachanträge“.


Reformbestrebungen und aktuelle Entwicklungen

Stand Juni 2024 wird das GEAS fortlaufend reformiert. Die Reformvorschläge umfassen insbesondere:

  • Einführung eines verpflichtenden Solidaritätsmechanismus
  • Überarbeitung der Dublin-Verordnung („Dublin IV“)
  • Bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse Schutzbedürftiger und Minderjähriger
  • Verbesserungen hinsichtlich Verfahrensgarantien
  • Verschärfte Maßnahmen gegen sogenannten Asylmissbrauch

Das Ziel dieser Reformen ist eine ausgewogenere Verteilung von Verantwortung und Solidarität innerhalb der EU sowie eine Steigerung der Effizienz der Verfahren.


Kritische Aspekte und Herausforderungen

Umsetzung und Harmonisierung

Trotz der verbindlichen Vorgaben bestehen Schwierigkeiten bei der Vereinheitlichung der Asylpraxis. Unterschiede in der Umsetzung der Richtlinien und die variierende Qualität der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten stellen eine der größten Herausforderungen dar.

Rechtsdurchsetzung und Sanktionen

Die Europäische Kommission kann Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten, die gegen das GEAS verstoßen. Zudem hat die Rechtsprechung des EuGH maßgeblich zur Präzisierung der bestehenden Regelungen beigetragen.

Außengrenzschutz und Zusammenarbeit mit Drittstaaten

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Abwehr von Sekundärmigration und die Zusammenarbeit mit Transit- und Herkunftsstaaten, etwa durch Rückübernahmeabkommen und gezielte Hilfsprogramme.


Bedeutung und Ausblick

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem bildet das Kernstück der harmonisierten Asylpolitik in der Europäischen Union. Seine vollständige Umsetzung und Weiterentwicklung ist entscheidend für funktionierende Schutzmechanismen, die Einhaltung menschenrechtlicher Standards und die Aufrechterhaltung eines solidarischen Umgangs mit Flüchtlingsschutz innerhalb Europas.


Literaturhinweis
Für eine vertiefende Auseinandersetzung empfiehlt sich die Konsultation der genannten Richtlinien und Verordnungen im offiziellen EU-Rechtsportal („Eur-Lex“), der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie einschlägiger Fachpublikationen zur EU-Asylpolitik und zu den völkerrechtlichen Grundlagen des Flüchtlingsschutzes.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielen EU-Verordnungen und -Richtlinien im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem?

Im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) bilden EU-Verordnungen und -Richtlinien das rechtliche Fundament, das die Mindeststandards für Asylverfahren, Aufnahmebedingungen und den Schutz von Asylsuchenden in allen Mitgliedstaaten verbindlich festlegt. Verordnungen wie die Dublin-III-Verordnung (604/2013/EU) regeln beispielsweise, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Richtlinien, wie die Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU), die Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) und die Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU), setzen Standards bezüglich der Anerkennung von Flüchtlings- und subsidiärem Schutzstatus, regeln die Verfahrensgarantien und legen Mindestanforderungen für die Aufnahmebedingungen fest. Während Verordnungen unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gelten, müssen Richtlinien national umgesetzt werden, was teilweise zu Abweichungen in der Praxis führen kann. Die Kombination dieser Instrumente soll gewährleisten, dass Asylsuchende in der EU vergleichbaren Schutz und vergleichbare Verfahren genießen, unabhängig vom Ort der Antragstellung.

Wie ist die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Prüfung von Asylanträgen rechtlich geregelt?

Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Bearbeitung von Asylanträgen ist primär durch die sogenannte Dublin-III-Verordnung geregelt. Diese Verordnung legt eine Hierarchie von Kriterien fest, anhand derer festgestellt wird, welcher Mitgliedstaat für einen bestimmten Asylantrag zuständig ist. Maßgebliche Kriterien beinhalten die familiäre Situation des Asylsuchenden, die Erteilung eines Visums oder einer Aufenthaltsgenehmigung sowie das erstmalige Überschreiten einer EU-Außengrenze. Ziel ist es, Mehrfachanträge zu vermeiden und sicherzustellen, dass jeder Antrag in einem Mitgliedstaat geprüft wird. Die Verordnung sieht zudem ein Überstellungsverfahren vor, durch das Asylsuchende in den zuständigen Mitgliedstaat überführt werden können, wobei auch Schutzmechanismen gegen unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gemäß Art. 4 der EU-Grundrechtecharta bestehen.

Welche rechtlichen Mindeststandards gelten für Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden?

Die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende werden durch die EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) geregelt. Diese schreibt verbindlich fest, dass Asylsuchende Anspruch auf eine würdige Unterbringung, Verpflegung, Kleidung und Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Zudem gewährleistet die Richtlinie den Zugang zu Rechtsberatung, Information über das Verfahren und – nach neun Monaten – unter bestimmten Bedingungen auch einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Besondere Schutzvorschriften gelten für schutzbedürftige Personen wie Minderjährige, Opfer von Menschenhandel und traumatisierte Asylsuchende. Die Richtlinie definiert auch die Bedingungen für die Inhaftierung von Asylbewerbern, etwa dass diese nur als letztes Mittel und unter Berücksichtigung der Menschenrechte erfolgen darf.

Welche Verfahrensgarantien müssen die Mitgliedstaaten bei Asylverfahren gewährleisten?

Die Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) schreibt eine Vielzahl von Verfahrensgarantien vor, um die Rechte von Asylsuchenden zu schützen. Dazu zählen insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör, das Recht auf eine individuelle und unparteiische Prüfung des Antrags sowie der Zugang zu einem Dolmetscher und rechtlicher Beratung. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Asylsuchende in einer für sie verständlichen Sprache über das Verfahren und ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Zudem besteht das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen ablehnende Entscheidungen, der in der Regel vor einem Gericht eingelegt werden kann. Besondere Vorschriften bestehen für sogenannte beschleunigte Verfahren und offensichtlich unbegründete Anträge.

Wie ist das Verhältnis zwischen nationalen Asylregelungen und dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem?

Die rechtlichen Vorgaben des GEAS sind für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich und gehen nationalem Recht im Konfliktfall grundsätzlich vor (Vorrang des EU-Rechts). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ihre nationalen Asylgesetze in Einklang mit den europäischen Richtlinien und Verordnungen zu bringen, wobei sie jedoch bei der Umsetzung von Richtlinien einen gewissen Handlungsspielraum (Handlungsspielraum bei der Umsetzung von Mindeststandards) besitzen. Verordnungen hingegen gelten unmittelbar und ohne weitere Transformation ins nationale Recht. Regelverstöße gegen das EU-Asylrecht können von der Kommission im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens geahndet werden; betroffene Einzelpersonen können sich zudem vor nationalen Gerichten oder sogar dem EuGH auf bestimmte Rechte aus EU-Recht berufen.

Welche Rechtsmittel stehen Asylsuchenden zur Verfügung, wenn ihr Antrag abgelehnt wurde?

Nach der Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) müssen sämtliche Mitgliedstaaten ein wirksames und zugängliches Rechtsbehelfssystem sicherstellen. Asylsuchenden steht nach einer ablehnenden Entscheidung grundsätzlich das Recht zu, Widerspruch oder Klage bei einer unabhängigen (gerichtlichen) Instanz einzulegen. Das Rechtsmittel muss – abhängig von nationalen Verfahren – suspensive Wirkung haben, d. h. eine aufschiebende Wirkung gegen Abschiebung bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung. Zudem stehen Asylsuchenden Unterstützung durch rechtliche Beratung, Zugang zu Übersetzungsdiensten und ggf. unentgeltlicher Rechtsbeistand zu, insbesondere wenn sie über keine ausreichenden eigenen Mittel verfügen. In Ausnahmefällen kann auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden, wenn eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention behauptet wird.

Wie wird der Zugang zum Asylverfahren für Schutzsuchende an den Außengrenzen der EU gewährleistet?

Der Zugang zum Asylverfahren wird rechtlich durch die EU-Grundrechtecharta, die Genfer Flüchtlingskonvention und die einschlägigen EU-Richtlinien und -Verordnungen geschützt. Mitgliedstaaten sind verpflichtet, an ihren Außengrenzen die Möglichkeit zur Stellung eines Asylantrags sicherzustellen und Ankommende über ihre Rechte zu informieren. Es bestehen detaillierte Regelungen bezüglich der Erstaufnahme, Befragungen und Überstellungen. Grenzverfahren dürfen dabei nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen durchgeführt werden, um eine effektive Überprüfung der Schutzbedürftigkeit und die Wahrung der Verfahrensrechte zu gewährleisten. Pushbacks und systematische Verweigerung des Zugangs sind unionsrechtlich und völkerrechtlich verboten und können zu Vertragsverletzungsverfahren führen.