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Gemeinsame Fischereipolitik


Begriff und Rechtsgrundlagen der Gemeinsamen Fischereipolitik

Die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) ist das spezifische Regelwerk der Europäischen Union (EU), das die Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung der lebenden aquatischen Ressourcen innerhalb der EU koordiniert und steuert. Ziel der GFP ist es, die Fischerei nachhaltig zu gestalten, die Meeresumwelt zu schützen und den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt in den Küstenregionen Europas zu fördern. Die GFP stellt ein integratives System mit eigenen materiell-rechtlichen, institutionellen und verfahrensrechtlichen Strukturen dar, das die Souveränität der Mitgliedstaaten in diesem Politikfeld maßgeblich beschränkt.

Historische Entwicklung

Die Gemeinsame Fischereipolitik hat sich seit ihrem Ursprung in den 1970er Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Bereits mit den Römischen Verträgen wurde die Grundlage für eine gemeinsame Agrarpolitik geschaffen, zu der später auch die Seefischerei hinzutrat. Die heute gültige Rechtsgrundlage für die GFP findet sich in den Art. 38 bis 44 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Wesentliche Reformen erfolgten insbesondere 1983, 2002 und 2013. Die derzeit geltende Rahmenverordnung ist die Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame Fischereipolitik.

Institutionelle und rechtliche Ausgestaltung der GFP

Primärrechtliche Grundlagen

Die GFP basiert systematisch auf dem AEUV, insbesondere auf folgenden Regelungen:

  • Art. 3 Abs. 1 lit. d AEUV: Ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Bewahrung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik.
  • Art. 38-44 AEUV: Grundlegende Bestimmungen zu Zielen, Maßnahmen und Durchsetzung der Politik.

Diese Bestimmungen verleihen der EU in spezifischen Fragen der Fischereipolitik umfassende Regelungskompetenzen.

Sekundärrechtliche Regelungen

Wesentliche Details werden über Verordnungen und Beschlüsse konkretisiert, insbesondere durch:

  • Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 (GFP-Rahmenverordnung): Definiert Ziele, Grundsätze und rechtliche Instrumente der GFP.
  • Durchführungsverordnungen, delegierte Rechtsakte sowie mehrjährige Bewirtschaftungspläne: Regelungen zu Fangquoten, technischen Maßnahmen, Kontrolle, Marktmechanismen und Subventionen.

Zuständigkeiten und institutionelle Struktur

Die GFP wird durch mehrere Institutionen getragen:

  • Europäische Kommission: Initiativrecht, Umsetzung und Überwachung (insbesondere durch die Generaldirektion für Maritime Angelegenheiten und Fischerei).
  • Rat der Europäischen Union: Beschlussfassung zu zentralen Maßnahmen und Festlegung von Fangmengen (Total Allowable Catches, TACs).
  • Europäisches Parlament: Mitentscheidungsrecht in der Gesetzgebung.
  • Europäischer Gerichtshof: Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Politik.

Wesentliche Rechtsinstrumente und Regelungsmechanismen

Zugang zu den Fischbeständen

Gemäß Art. 5 der GFP-Rahmenverordnung haben die Mitgliedstaaten grundsätzlich gleicher Zugang zu allen Gewässern der Union, wobei Ausnahmen in den Küstenzonen bis zu 12 Seemeilen zugunsten der Küstenstaaten gelten.

Fangquoten und Bewirtschaftungssysteme

Die GFP etabliert das Quoten- und TAC-System als zentrales Instrument des Ressourcenschutzes:

  • Jährliche Fangquoten (TAC): Festlegung zulässiger Gesamtfangmengen pro Art und Gebiet.
  • Zuteilung an einzelne Mitgliedstaaten: Aufteilung der TACs nach dem Grundsatz der relativen Stabilität der jeweiligen nationalen Flotten.
  • Mehrjährige Managementpläne: Vorbeugende und langfristig angelegte Bewirtschaftung auf wissenschaftlicher Grundlage (u.a. Maximum Sustainable Yield-Prinzip, MSY).

Technische Maßnahmen

Um Überfischung und ökologische Schäden zu verhindern, werden verschiedene technische Vorgaben normiert, etwa

  • Mindestmaschenweiten der Netze
  • Mindestanlandegrößen
  • Schließung von Fanggebieten zu bestimmten Saisons

Kontrollmechanismen und Durchsetzung

Die GFP sieht umfangreiche Kontroll- und Sanktionsmechanismen zur Einhaltung der Vorschriften vor:

  • EU-Kontrollverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1224/2009): Schaffung eines flächendeckenden Kontroll- und Informationssystems
  • Gemeinsame Fischereiüberwachungszentrale
  • Ahndung von Verstößen durch nationale Behörden und Koordinierung der Durchsetzung auf EU-Ebene

Marktordnung und Subventionspolitik

Zur wirtschaftlichen Stabilisierung und Fairness im Binnenmarkt enthält die GFP ein eigenständiges Marktregelungssystem:

  • Gemeinsame Marktorganisation für Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse (Verordnung (EU) Nr. 1379/2013)
  • Fonds für Meeres- und Fischereipolitik (EMFF): Finanzierung von Strukturhilfen für nachhaltige Fischerei und aquatische Umweltmaßnahmen

Umweltrechtliche und internationale Bezüge

Umwelt- und Naturschutz

Die GFP ist eng mit naturschutzrechtlichen Zielsetzungen verzahnt; sie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Bewahrung biologischer Vielfalt und zur Einhaltung von Verpflichtungen aus internationalen Umweltabkommen (z. B. OSPAR-, CBD- und FAO-Übereinkommen).

Außenbeziehungen und internationale Fischereiabkommen

Die GFP erstreckt sich auch auf die Beziehungen zu Drittstaaten und internationale Organisationen, etwa durch

  • Beteiligung der EU an regionalen Fischereiabkommen (z. B. ICCAT, NEAFC)
  • Fischereiabkommen mit Drittstaaten zwecks Zugangs zu Fanggebieten

Die EU verhandelt und schließt solche Abkommen eigenständig im Rahmen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit.

Rechtswirkungen und Auswirkungen auf die nationalen Rechtsordnungen

Vorrang und Umsetzung

Die Vorschriften der GFP sind in weiten Teilen unmittelbar anwendbar (insbesondere bei Verordnungen) und genießen Anwendungsvorrang. Nationale Regelungen sind mit dem Unionsrecht abzustimmen und bei Widerspruch unangewendet zu lassen.

Sanktionen und Rechtschutzmechanismen

Verstöße gegen die GFP werden nach nationalem Recht verfolgt, unterliegen aber auch unionsrechtlichem Rechtsschutz (z. B. Klagen vor dem EuGH, Vertragsverletzungsverfahren).

Kritik, Reformbedarf und aktuelle Entwicklungen

Wesentliche Kritikpunkte an der GFP adressieren teilweise unzureichende Nachhaltigkeit, Überkapazitäten der Flotten, Schwierigkeiten in der Kontrolle und soziale Auswirkungen in den Küstenregionen. Die laufende Reformdebatte befasst sich insbesondere mit:

  • Weiterentwicklung nachhaltiger Bewirtschaftungsmodelle (Kreislaufwirtschaft, Ökosystemansatz)
  • Ausbau der Digitalisierung in der Kontrolle
  • Integration von Klimazielen und verbesserte Beteiligung der Fanggemeinschaften

Zusammenfassung

Die Gemeinsame Fischereipolitik der Europäischen Union ist ein komplexes, umfassend normiertes System zur nachhaltigen Verwaltung der aquatischen Ressourcen. Sie basiert auf verbindlichen unionsrechtlichen Vorgaben und reicht von Ressourcenschutz über Marktordnung bis hin zu internationalen Beziehungen und Umweltziele. Die GFP stellt ein zentrales Element der europäischen Meerespolitik dar und gewährleistet sowohl rechtliche Einheitlichkeit als auch Schutz und Entwicklung der Fischereiwirtschaft im Einklang mit ökologischen Zielvorgaben.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist für die Ausarbeitung und Durchsetzung der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) rechtlich zuständig?

Die rechtliche Zuständigkeit für die Ausarbeitung und Umsetzung der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) obliegt primär den Organen der Europäischen Union, insbesondere der Europäischen Kommission, dem Rat der Europäischen Union sowie dem Europäischen Parlament. Die Kommission nimmt im Rahmen der GFP die Rolle der Exekutive ein und unterbreitet Gesetzesvorschläge zur Regelung von Fangquoten, technischen Maßnahmen sowie zur Markt- und Strukturpolitik im Fischereisektor. Rat und Parlament beschließen diese im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren auf Grundlage von Art. 43 Abs. 2 AEUV. Die Durchsetzung der GFP erfolgt jedoch in geteilter Zuständigkeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten. Während die Kommission zu Kontrollzwecken eigene Inspektionen vornehmen kann, tragen gem. Art. 5 der Kontrollverordnung (EU) Nr. 1224/2009 die Mitgliedstaaten die Hauptverantwortung für die Überwachung, Kontrolle und Ahndung von Verstößen. Die Harmonisierung dieser Maßnahmen wird durch ein umfangreiches Sekundärrecht geregelt, das insbesondere Kontroll-, Sanktions- und Meldepflichten detailliert normiert. Darüber hinaus kann der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen seiner Auslegungskompetenz (Art. 267 AEUV) für die Einheitlichkeit der GFP-Rechtsauslegung sorgen.

Welche Rolle spielen Verordnungen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik?

Im Bereich der GFP sind Verordnungen das zentrale Instrument zur rechtlichen Regelung und unmittelbaren Anwendung in den Mitgliedstaaten. Zur Durchsetzung einer gemeinsamen Politik erlässt der Rat der EU, meist auf Vorschlag der Europäischen Kommission, sogenannte Basisverordnungen, die die Grundzüge der GFP festlegen (z. B. Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 über die GFP). Ergänzt wird dieses Gerüst durch zahlreiche Durchführungs- und delegierte Rechtsakte, die insbesondere Fangquoten (Total Allowable Catches, TACs), Mindestmaße, technische Vorschriften für Ausrüstung, Kontrollmaßnahmen sowie Marktorganisationen regeln. Diese Verordnungen sind gemäß Art. 288 AEUV in allen Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, ohne dass es einer nationalen Umsetzungsmaßnahme bedarf. Die rechtliche Verbindlichkeit und Unmittelbarkeit gewährleistet ein einheitliches Maß an Fischereiregelungen in der gesamten Union und verhindert regulatorische Schlupflöcher.

Welche rechtlichen Folgen hat ein Verstoß gegen GFP-Vorschriften?

Ein Verstoß gegen Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik hat sowohl unionsrechtliche als auch innerstaatliche Konsequenzen. Unionsrechtlich sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 2 der Kontrollverordnung (EU) Nr. 1224/2009 verpflichtet, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gegen natürliche oder juristische Personen zu verhängen, die gegen GFP-Bestimmungen verstoßen. Diese Sanktionen reichen von Geldbußen über die Aussetzung von Fischereilizenzen bis hin zum Einzug von Erträgen aus illegaler Fischerei. Die Kommission kann zudem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV gegen Mitgliedstaaten einleiten, die systematisch oder wiederholt Versäumnisse bei der Kontrolle oder Sanktionierung an den Tag legen. Zusätzlich kommen bei schweren Verstößen EU-einheitliche Sanktionsmechanismen zur Anwendung, wie etwa die Schwarze Liste für Schiffe oder Reeder. Vor nationalen Gerichten kann es ferner zu verwaltungs- oder strafrechtlichen Verfahren kommen, wobei die Mitgliedstaaten die Anforderungen der EU-Regularien einhalten müssen.

Inwiefern beschränkt das GFP-Recht nationale Gesetzgebungskompetenzen?

Das Recht der Gemeinsamen Fischereipolitik stellt in weiten Teilen eine ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union dar; dies ist aus Art. 3 Abs. 1 lit. d AEUV („Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der GFP“) ableitbar. Den Mitgliedstaaten bleibt in diesem Bereich kaum normativer Spielraum, da sie durch die unmittelbare Geltung der Verordnungen an einheitliche Regelungen gebunden sind. Nur sofern und soweit Sekundärrecht dies ausdrücklich vorsieht (z. B. in Bezug auf technische Maßnahmen in Küstengewässern gemäß Art. 20 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1380/2013), sind nationale Regelungen zulässig – diese müssen jedoch mit dem Unionsrecht vereinbar sein und dürfen das Erreichen der GFP-Ziele nicht gefährden. Darüber hinaus bleibt den Mitgliedstaaten ausschließlich die Durchführung, Überwachung und ggf. ergänzende Sanktionierung im Rahmen der durch das Unionsrecht eröffneten Spielräume.

Wie können Streitigkeiten über GFP-Vorschriften rechtlich geklärt werden?

Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung von GFP-Vorschriften können zunächst durch die Anrufung nationaler Gerichte geklärt werden, wobei diese im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 267 AEUV den EuGH anrufen können, wenn Fragen der Auslegung oder Gültigkeit von EU-Recht streitig sind. Die Kommission kann zudem Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten, sollten diese etwa die GFP nicht ordnungsgemäß umsetzen oder Verstöße nicht ahnden. Im Streitfall zwischen Mitgliedstaaten ist ebenfalls der EuGH zuständig (vgl. Art. 259 AEUV). Darüber hinaus sieht das innerstaatliche Recht in den Mitgliedstaaten Rechtsbehelfe und Klagemöglichkeiten gegen individuelle Verwaltungsakte, wie Entzug einer Fischereilizenz oder Verhängung von Sanktionen, vor – diese Verwaltungsstreitverfahren unterliegen jedoch stets den unionsrechtlichen Vorgaben an effektiven Rechtsschutz und Gleichbehandlung.

Welche Kontrollmechanismen existieren auf EU-Ebene zur Durchsetzung der GFP?

Die GFP sieht umfassende Kontrollmechanismen auf EU-Ebene vor, die durch die Kontrollverordnung (EU) Nr. 1224/2009 und die Errichtung der Europäischen Fischereiaufsichtsagentur (EFCA, Verordnung (EG) Nr. 768/2005) umgesetzt werden. Die EFCA unterstützt die nationale Fischereiaufsicht, koordiniert länderübergreifende Kontrollaktionen und übernimmt Inspektionen auf See sowie in Häfen. Zudem führen die Mitgliedstaaten elektronische Aufzeichnungssysteme, Meldepflichten und satellitengestützte Überwachung (Vessel Monitoring System, VMS) ein, um sämtliche Fischereiaktivitäten transparent und nachverfolgbar zu machen. Die Kommission kann als ultima ratio eigenständige Kontrollen durchführen oder Mitgliedstaaten bei schweren Defiziten vorübergehend die Zuteilung von Fangquoten kürzen. Alle Kontrollmechanismen sind verbindlich in den Mitgliedstaaten umzusetzen und unterliegen der laufenden Evaluierung durch die Kommission.

Welche Bedeutung haben internationale Abkommen im Rahmen der GFP?

Internationale Abkommen sind integraler Bestandteil der GFP und werden völkerrechtlich von der EU ausgehandelt (Art. 218 AEUV), z.B. Abkommen mit Drittstaaten über Zugangsrechte zu Fischbeständen oder im Rahmen regionaler Fischereiorganisationen (RFMOs). Der Abschluss solcher Abkommen liegt ausschließlich in der Kompetenz der EU und ihre Bestimmungen werden durch die EU-Verordnungen in das Unionsrecht transformiert und sind damit für die Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich. Die Durchführung dieser Abkommen hat Vorrang vor nationalem Recht und kann bestehende nationale sowie innergemeinschaftliche Regelungen durch spezielle Vorschriften etwa über Fangmengen, Meldepflichten und Kontrollmaßnahmen ergänzen oder erweitern. Die Einhaltung dieser Abkommen ist sowohl durch internationale Streitschlichtungsmechanismen als auch durch den EuGH überprüfbar.