Definition und rechtliche Einordnung des Gemeinen Wertes
Der Begriff „Gemeiner Wert“ besitzt im deutschen Recht eine zentrale Bedeutung bei zahlreichen Wertermittlungen sowie in verschiedenen Rechtsgebieten wie dem Steuerrecht, Zivilrecht und Handelsrecht. Unter dem Gemeinen Wert versteht man grundsätzlich den Wert, den ein Wirtschaftsgut im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bei einer Veräußerung erzielen würde. Die präzise Definition und Anwendung des Begriffs wurde über Jahrzehnte hinweg durch Gesetzgebung und Rechtsprechung ausgestaltet und differenziert.
Begriffliche Abgrenzung
Der Gemeine Wert ist abzugrenzen von anderen Wertbegriffen wie dem Marktwert, Teilwert, Verkehrswert, Buchwert oder dem Ertragswert. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist die besondere Betonung des typischen Veräußerungswertes zwischen fiktiven, unabhängigen Dritten unter normalen Bedingungen des Marktes, ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse des Veräußerers oder Erwerbers.
Gemeiner Wert im Steuerrecht
Verankerung im Bewertungsgesetz
Im Steuerrecht findet sich die maßgebliche Definition des Gemeinen Wertes in § 9 des Bewertungsgesetzes (BewG). Dort heißt es:
„Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Außergewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.“
Diese Legaldefinition ist unter anderem maßgeblich bei der Bewertung von Vermögensgegenständen für erbschaft- oder schenkungssteuerliche Zwecke.
Anwendung bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer
Gerade im Rahmen der Erbschafts- und Schenkungsteuer wird der Gemeine Wert als Bewertungskriterium herangezogen, um den Wert von übertragenem Vermögen, Unternehmen oder Immobilien festzustellen. Der Gemeine Wert stellt hierbei sicher, dass die Besteuerung auf einer objektiven und marktnahen Grundlage erfolgt.
Bewertungsmethoden
Die Ermittlung des Gemeinen Wertes erfolgt in der Regel nach vergleichenden Methoden, beispielsweise durch die Heranziehung von Kaufpreisen ähnlicher Wirtschaftsgüter am Markt („Vergleichswertmethode“). Alternativ können das Ertragswert- oder das Sachwertverfahren zur Anwendung kommen, etwa wenn Vergleichspreise nicht vorliegen. Die Wahl der jeweiligen Methode richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Besonderheiten des zu bewertenden Wirtschaftsguts.
Bedeutung bei Umwandlungsvorgängen und unentgeltlichen Übertragungen
In Fällen der unentgeltlichen Übertragung von Unternehmen oder Gesellschaftsanteilen ist der Gemeine Wert als Bemessungsgrundlage für steuerliche Zwecke zentral. Gleiches gilt für Umwandlungsvorgänge (verschiedene Formen der Unternehmensumstrukturierung), bei denen der Wert von Vermögensgegenständen für die steuerliche Behandlung ermittelt werden muss.
Gemeiner Wert im Zivilrecht
Bedeutung im Schadensersatzrecht
Im Zivilrecht spielt der Gemeine Wert insbesondere im Rahmen von Schadensersatzansprüchen eine Rolle. So wird etwa bei Beschädigung oder Zerstörung einer Sache der zu ersetzende Schaden grundsätzlich anhand des Gemeinen Wertes der Sache ermittelt, sofern diese nicht mehr reparabel oder ersetzbar ist.
Anwendung im Sachenrecht
Bei der Durchsetzung von Herausgabeansprüchen oder bei der Berechnung von Nutzungsentschädigungen, beispielsweise nach § 818 Abs. 2 und 3 BGB (Bereicherungsrecht), ist der Gemeine Wert eines Gegenstandes maßgeblich für die Höhe des zu erstattenden Betrages.
Gemeiner Wert im Handelsrecht
Bilanzielle Bewertung
Wirtschaftsgüter werden in handelsrechtlichen Bilanzen unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Gemeinde Wert angesetzt, insbesondere wenn sie aus dem Betriebsvermögen entnommen oder im Rahmen einer Entnahmebesteuerung berücksichtigt werden müssen.
Nach § 253 HGB ist der Ansatz des Gemeinen Wertes zulässig, wenn der beizulegende Zeitwert maßgeblich ist, etwa bei der Bewertung außerplanmäßiger Abschreibungen.
Unterscheidung zu anderen Wertmaßstäben
Während der Buchwert oder historische Anschaffungskosten auf die Vergangenheit Bezug nehmen, knüpft der Gemeine Wert stets an aktuelle Marktverhältnisse an. So werden tatsächliche Entwicklungen im Wert eines Wirtschaftsgutes im Gemeinen Wert zeitnah abgebildet.
Rechtsprechung zum Gemeinen Wert
Der Gemeine Wert ist Gegenstand umfangreicher Rechtsprechung der deutschen Gerichte. Die Gerichte betonen regelmäßig die Bedeutung der objektivierbaren Wertfindung unter weitestgehender Ausklammerung persönlicher oder besonders günstiger beziehungsweise ungünstiger Umstände auf Seiten des Veräußerers oder Erwerbers (beispielsweise BVerwG, Urteil v. 13.11.1980 – 7 C 68/79). Gerichtliche Auseinandersetzungen betreffen dabei vor allem die Auswahl und Anwendung sachgerechter Bewertungsmethoden.
Abgrenzung und Verhältnis zu weiteren Wertbegriffen
Der Gemeine Wert ist nicht deckungsgleich mit dem Verkehrswert (insbesondere im Immobilienverkehr) oder dem Teilwert (speziell im Steuerrecht). Während der Verkehrswert insbesondere im Baugesetzbuch (§ 194 BauGB) verwendet wird, legt das Steuerrecht für spezielle Zwecke den Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zugrunde. Der Gemeine Wert stellt hingegen einen übergeordneten, an Marktpreisen orientierten Wertmaßstab dar.
Internationale Entsprechungen
Der Begriff des Gemeinen Wertes findet in internationalen Rechtsordnungen verschiedene Entsprechungen, etwa im englischen Recht als „Fair Market Value“ oder im US-amerikanischen Steuerrecht ebenfalls als „Fair Market Value“. Die Grundgedanken ähneln sich: Maßgeblich ist stets der zwischen unabhängigen Dritten zu erzielende Marktpreis unter Berücksichtigung normaler Marktverhältnisse.
Zusammenfassung
Der Gemeine Wert ist ein zentrales Bewertungskriterium im deutschen Recht. Ob in steuerlichen, handelsrechtlichen oder zivilrechtlichen Kontexten – stets dient er als objektiver Maßstab zur Wertermittlung von Vermögensgegenständen. Seine exakte Bestimmung richtet sich nach den Anforderungen des jeweiligen Anwendungsbereichs und basiert auf aktuellen Marktbedingungen. Besonderes Gewicht kommt der Ausklammerung individueller, nicht markttypischer Umstände zu, um einen möglichst realitätsnahen, allgemeinen Wert zu ermitteln. Die umfassende Heranziehung in Gesetzgebung und Rechtsprechung unterstreicht die bedeutende Rolle des Gemeinen Wertes im deutschen Rechtssystem.
Häufig gestellte Fragen
Wie wird der Gemeine Wert im rechtlichen Kontext bestimmt?
Die rechtliche Bestimmung des Gemeinen Werts richtet sich grundsätzlich nach den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben, wobei der § 9 Bewertungsgesetz (BewG) eine zentrale Rolle spielt. Hiernach ist der gemeine Wert der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Bewertungsgegenstandes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre, unter Ausschluss ungewöhnlicher oder persönlicher Verhältnisse. Die Beurteilung erfolgt in der Regel nach objektiven Kriterien und orientiert sich an tatsächlich erzielbaren Marktpreisen für vergleichbare Gegenstände oder Rechte. Die Bewertung hat sich dabei an aktuellen Marktbedingungen, Angebot und Nachfrage sowie gegebenenfalls an vorhandenen Preisstatistiken und Kaufpreissammlungen zu orientieren. Persönliche Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer, Liebhaberwerte oder Notverkaufspreise bleiben außer Betracht, um eine möglichst objektive Wertermittlung zu gewährleisten. Spezialregelungen, wie etwa im Bewertungsgesetz, Erbschaftsteuergesetz oder in anderen Spezialgesetzen, können die Methode der Wertermittlung im Detail weiter konkretisieren, etwa durch die Anwendung von Ertrags- oder Vergleichswertverfahren.
Welche rechtlichen Anwendungsbereiche gibt es für den Gemeinen Wert?
Der Gemeine Wert bildet eine zentrale Bezugsgröße in zahlreichen rechtlichen Bereichen. Besonders häufig kommt er bei der Besteuerung nach dem Bewertungsgesetz (BewG) zum Einsatz, beispielsweise bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für Erbschafts- und Schenkungssteuer, Grundsteuer oder Grunderwerbsteuer. Ebenso dient der Gemeine Wert in Fragen der Auseinandersetzung zwischen Gesellschaftern (z. B. im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters), bei Enteignungsverfahren und im Familienrecht, etwa bei der Vermögensaufteilung im Scheidungsverfahren, als Bewertungsmaßstab. Auch im Insolvenzrecht oder bei der Zwangsversteigerung wird zumeist auf den Gemeinen Wert abgestellt, um eine faire und objektive Verteilung von Vermögenswerten zu ermöglichen. Weitere Anwendungsfelder liegen im Bilanzrecht (z. B. bei der Bewertung von Vermögensgegenständen gemäß Handelsgesetzbuch HGB) sowie im öffentlichen Recht bei der Entschädigung von Eingriffen in Eigentumsrechte.
Welche Bedeutung hat der Ausschluss persönlicher oder ungewöhnlicher Verhältnisse?
Aus rechtlicher Sicht ist der Ausschluss persönlicher oder ungewöhnlicher Verhältnisse bei der Ermittlung des Gemeinen Werts essenziell, um eine objektive und am Markt orientierte Bewertung sicherzustellen. Persönliche Verhältnisse liegen vor, wenn etwa der Verkehr zwischen nahen Angehörigen oder verbundenen Unternehmen den Kaufpreis beeinflusst und so keine am Markt übliche Preisbildung stattfindet. Ungewöhnliche Verhältnisse betreffen insbesondere Ausnahmesituationen wie Notverkäufe, Zwangsversteigerungen, spekulative Übertreibungen oder Liebhaberpreise, die erheblich vom regulären Marktwert abweichen. Diese Faktoren dürfen bei der Wertermittlung nicht Berücksichtigung finden, da andernfalls der gemeine Wert als objektives Bewertungskriterium verfälscht würde. Die Einhaltung dieses Grundsatzes wird durch entsprechende Dokumentationspflichten und Gutachtensanforderungen im Gesetz gewährleistet.
Kann der Gemeine Wert gerichtlich überprüft werden?
Ja, die Bewertung des Gemeinen Werts kann im Streitfall gerichtlich überprüft werden. Gerichte sind nicht an die durch Verwaltungsakte oder Gutachten festgelegten Werte gebunden, sondern haben den Gemeinen Wert eigenständig festzustellen und zu würdigen. Hierbei bedienen sie sich regelmäßig öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, die auf Basis der gesetzlichen Vorgaben und anerkannter Bewertungsmethoden ein unparteiisches Gutachten erstellen. Das Gericht prüft anschließend, ob das Gutachten schlüssig, nachvollziehbar und frei von Bewertungsfehlern ist. Parteien können ebenfalls eigene Gutachten einbringen, die im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Die gerichtliche Kontrolle dient der Sicherung der Objektivität und Fairness der Wertermittlung und ist auch im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit, zum Beispiel bei Anfechtung von Steuerbescheiden, regelmäßig relevant.
Wie wird mit fehlenden Marktpreisen beim Gemeinen Wert umgegangen?
Existieren für einen Bewertungsgegenstand keine aktuellen oder vergleichbaren Marktpreise, so sieht das Gesetz alternative Bewertungsmethoden vor. In der Praxis kommen dann insbesondere das Sachwertverfahren oder das Ertragswertverfahren zum Einsatz. Beim Sachwertverfahren wird der Wert bestimmter Gegenstände (z. B. Immobilien) anhand der Wiederbeschaffungskosten unter Berücksichtigung von Alterswertminderung und technischen Gegebenheiten ermittelt. Beim Ertragswertverfahren orientiert sich die Bewertung an den zukünftig erzielbaren Einnahmen, etwa bei vermieteten Immobilien oder Unternehmen, und kapitalisiert diese auf den Bewertungsstichtag. Beide Verfahren werden auf Basis anerkannter Methoden und unter Beachtung gesetzlicher Anforderungen durchgeführt. Die Auswahl der Methode richtet sich nach der Art des Bewertungsgegenstands, dem Zweck der Bewertung und einschlägigen spezialgesetzlichen Vorgaben.
Welche Rolle spielt der Stichtag bei der Ermittlung des Gemeinen Werts?
Der Bewertungsstichtag ist von entscheidender Bedeutung für die rechtliche Ermittlung des Gemeinen Werts, da sämtliche maßgebliche Marktdaten und Umstände auf diesen Zeitpunkt bezogen werden müssen. Änderungen im Marktumfeld, wie Preissteigerungen, Wertverluste oder strukturelle Veränderungen (z. B. durch Baumaßnahmen oder Naturereignisse), nach dem Stichtag, bleiben außer Betracht. Dieser Grundsatz soll die klare zeitliche Abgrenzung und Nachprüfbarkeit der Bewertung gewährleisten und Manipulationen oder Wertverschiebungen vorbeugen. Gesetzlich ist der Stichtag meist explizit geregelt; etwa im Erbschaftsteuerrecht ist es der Todestag des Erblassers, bei Schenkungen der Tag der Übertragung. Verfahrensrechtlich ist darauf zu achten, dass das Bewertungsgutachten alle preisbildenden Faktoren ausschließlich auf den Stichtag bezieht.
Gibt es Unterschiede bei der Bewertung beweglicher und unbeweglicher Sachen?
Ja, im rechtlichen Kontext unterscheidet sich die Bewertung von beweglichen und unbeweglichen Sachen teilweise erheblich. Während für bewegliche Sachen wie Fahrzeuge, Maschinen oder Kunstwerke in der Regel aktuelle Marktpreise, Katalogpreise oder Auktionserlöse als Orientierung dienen, kommen bei Immobilien spezielle Bewertungsverfahren zum Einsatz. Das Bewertungsgesetz und die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) schreiben hierfür etwa das Vergleichswert-, Ertragswert- oder Sachwertverfahren vor, je nach Nutzungsart und Vorliegen von Vergleichsdaten. Für Rechte (z. B. Niessbrauch, Wohnrecht oder Unternehmensanteile) sind weitere spezifische Bewertungsregeln einschlägig. Unabhängig davon ist bei allen Bewertungsgegenständen stets das Prinzip der Marktgängigkeit, der Stichtagsbewertung und die Ausschaltung persönlicher Umstände zu beachten, um den gemeinen Wert juristisch fundiert zu ermitteln.