Begriff und Rechtsstellung der Gemeindevertretung
Die Gemeindevertretung ist das zentrale Organ der kommunalen Selbstverwaltung in zahlreichen deutschen Bundesländern und bildet die gesetzgebende Ebene einer Gemeinde. Sie ist ein kollegiales Gremium, das von den Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde in regelmäßigen Abständen direkt gewählt wird. Die genaue Bezeichnung sowie Aufgaben und Kompetenzen der Gemeindevertretung können je nach Bundesland differieren. Häufig sind Begrifflichkeiten wie Stadtverordnetenversammlung, Gemeinderat, Stadtrat oder Ratsversammlung gebräuchlich.
Rechtsgrundlagen
Kommunale Selbstverwaltung
Die Gemeindevertretung findet ihre rechtliche Grundlage in den jeweiligen Landesverfassungen und speziell in den Kommunalverfassungen der Bundesländer, beispielsweise in den Gemeindeordnungen (z. B. GO NRW, GemO BW, HGO). Über Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ist das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung und damit die Stellung der Gemeindevertretung bundesverfassungsrechtlich abgesichert.
Gemeindeordnung
Die Gemeindeordnung des jeweiligen Bundeslandes regelt Zusammensetzung, Kompetenzen und Wahlmodalitäten der Gemeindevertretung. Zudem normiert sie die Rechte und Pflichten der Mitglieder der Gemeindevertretung und die Organisation ihrer Sitzungen.
Zusammensetzung und Wahl
Wahlverfahren
Die Mitglieder der Gemeindevertretung werden nach demokratischen Grundsätzen für eine festgelegte Wahlperiode gewählt. Die Durchführung der Wahl erfolgt nach den Vorgaben des Kommunalwahlrechts des jeweiligen Bundeslandes, zumeist im Verhältnis- oder Mehrheitswahlsystem. Wahlberechtigt sind in der Regel alle Einwohner der Gemeinde, die das aktive Wahlrecht besitzen.
Mandatsdauer und Mandatsniederlegung
Die Amtszeit der Gemeindevertretung beträgt je nach Landesrecht zwischen vier und sechs Jahren. Eine vorzeitige Niederlegung des Mandats durch ein einzelnes Mitglied oder der Verlust des Mandats (z. B. durch Amtsunfähigkeit, Tod oder Verlust der Wählbarkeit) ist in der Gemeindeordnung geregelt.
Zahl und Status der Mitglieder
Die Anzahl der Mitglieder richtet sich nach der Einwohnerzahl der Gemeinde. Sie sind in der Regel ehrenamtlich tätig und erhalten eine Aufwandsentschädigung, deren Höhe in der Hauptsatzung der Gemeinde festgelegt wird. Mitglieder der Gemeindevertretung sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und üben ihr Mandat frei aus.
Aufgaben und Zuständigkeiten
Legislative Funktion
Die Gemeindevertretung beschließt die kommunalen Satzungen und Ordnungen, wie etwa die Hauptsatzung, Bebauungspläne oder Gebührensatzungen. Sie ist somit das oberste Beschlussorgan der Gemeinde und trifft Grundsatzentscheidungen.
Kontrolle der Verwaltung
Ein wesentliches Aufgabenfeld ist die Kontrolle der Gemeindeverwaltung sowie des Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin. Zu diesem Zweck kann die Gemeindevertretung Ausschüsse einsetzen und Berichte sowie Auskünfte verlangen.
Haushaltshoheit
Die Gemeindevertretung beschließt über den Haushaltsplan, die Haushaltssatzung und die Finanzplanung der Gemeinde. Sie hat damit ein zentrales Mitbestimmungsrecht in allen finanzrelevanten Angelegenheiten.
Wahl und Abwahl des Bürgermeisters
In einigen Bundesländern obliegt der Gemeindevertretung die Wahl und Abwahl des Bürgermeisters (so z. B. in Hessen und Schleswig-Holstein), während in anderen Modellen der Bürgermeister direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird.
Organisation und Arbeitsweise
Sitzungen und Beschlussfassung
Die Gemeindevertretung tagt in regelmäßigen, öffentlich zugänglichen Sitzungen, soweit nicht gesetzlich begründete Ausnahmen vorliegen. Die Einberufung erfolgt nach Maßgabe der Hauptsatzung, die Tagesordnung muss rechtzeitig bekanntgegeben werden.
Beschlussfähigkeit und Abstimmungen
Die Beschlussfähigkeit der Gemeindevertretung ist bei Anwesenheit der festgestellten Mindestzahl von Mitgliedern gegeben (i. d. R. die absolute Mehrheit). Beschlüsse werden durch offene Abstimmung getroffen, es sei denn, die Gemeindeordnung sieht geheime Abstimmung für bestimmte Gegenstände vor.
Ausschüsse
Zur Vorbereitung von Entscheidungen und zur vertieften fachlichen Beratung können ständige oder temporäre Ausschüsse eingerichtet werden. Beispiele sind Haupt- und Finanzausschuss, Bauausschuss oder Sozialausschuss. Die Aufgabenbereiche der Ausschüsse sind in der Hauptsatzung geregelt.
Rechte und Pflichten der Mitglieder
Informations- und Beteiligungsrechte
Mitglieder der Gemeindevertretung verfügen über umfassende Informations- und Antragsrechte. Sie können Anfragen an die Verwaltung stellen, Anträge in die Gemeindevertretung einbringen und sind zur Beteiligung an den Sitzungen verpflichtet.
Verschwiegenheitspflicht und Mitwirkungsverbot
Mitglieder sind zur Verschwiegenheit über nichtöffentliche Angelegenheiten verpflichtet und müssen in Fällen persönlicher Interessenskonflikte von der Beratung und Beschlussfassung ausgeschlossen bleiben (Mitwirkungsverbot nach § 22 GO NRW u. ä.).
Transparenz und Öffentlichkeit
Durch die Sitzungsöffentlichkeit und die Veröffentlichung von Niederschriften wird Transparenz gegenüber der Bürgerschaft gewährleistet.
Unterschiede nach Bundesländern
Obwohl das Grundprinzip der Gemeindevertretung bundesweit anerkannt ist, bestehen landesspezifische Unterschiede hinsichtlich:
- Bezeichnung des Organs (Gemeinderat, Stadtverordnetenversammlung, Ratsversammlung)
- Umfang der Kompetenzen und Aufgabenbereiche
- Modalitäten der Bürgermeisterwahl
- Einrichtung und Befugnisse der Ausschüsse
- Stimmrecht und Zusammensetzung
Detaillierte Regelungen sind der jeweiligen Gemeinde- bzw. Kommunalordnung zu entnehmen.
Gemeindevertretung im Verhältnis zu weiteren Organen
Verhältnis zum Bürgermeister
Die Gemeindevertretung steht in einem systematischen Gegengewicht zum Bürgermeister und zur Verwaltung. Während die Gemeindevertretung die politische Willensbildung der Gemeinde repräsentiert, ist der Bürgermeister für die Ausführung der Beschlüsse und die laufenden Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung verantwortlich.
Zusammenarbeit mit anderen Organen
Weitere Organe der Gemeinde, wie etwa der Gemeindevorstand oder verschiedene Beiräte, arbeiten eng mit der Gemeindevertretung zusammen. Ihre Rechte und Pflichten werden durch die jeweiligen Gemeindeordnungen bestimmt.
Rechtsschutz und gerichtliche Kontrolle
Beschlüsse der Gemeindevertretung unterliegen der gerichtlichen Kontrolle, insbesondere in Form der Kommunalverfassungsstreitigkeit. Betroffene können die Rechtmäßigkeit von Handlungen oder Unterlassungen der Gemeindevertretung vor den Verwaltungsgerichten überprüfen lassen.
Literatur und weiterführende Gesetze
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG), Art. 28
- Gemeindeordnungen der Länder (z. B. GO NRW, GemO BW, HGO)
- Kommunalwahlgesetze und -verordnungen der Länder
Die Gemeindevertretung bildet das Rückgrat der kommunalen Selbstverwaltung und gewährleistet, dass die lokalen Angelegenheiten demokratisch und transparent entschieden werden. Ihr Aufbau und die mit ihr verbundenen Verfahren sind Ausdruck gelebter Demokratie auf unterster Staatsebene.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist wahlberechtigt zur Gemeindevertretung?
Das Wahlrecht zur Gemeindevertretung ist in der Regel in den Kommunalwahlgesetzen der jeweiligen Bundesländer geregelt. Allgemein gilt, dass wahlberechtigt alle deutschen Staatsangehörigen und im Gebiet der Europäischen Union wohnhaften EU-Bürgerinnen und -Bürger sind, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet haben und ihren Hauptwohnsitz seit mindestens drei Monaten in der betreffenden Gemeinde haben. Die Eintragung ins Wählerverzeichnis ist dabei Voraussetzung. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sind in der Regel Personen, denen durch richterliche Entscheidung das Wahlrecht aberkannt wurde. Bei Kommunalwahlen können die genauen Bedingungen variieren, etwa hinsichtlich des Mindestalters oder der Fristen des Wohnsitzes, wobei sich die jeweilige Gemeindeordnung nach den landesrechtlichen Bestimmungen richtet.
Wie wird die Gemeindevertretung rechtlich einberufen und konstituiert?
Die Einberufung der konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung erfolgt im Anschluss an eine ordnungsgemäß durchgeführte Wahl aufgrund der gesetzlich festgelegten Vorschriften, zumeist durch den bisherigen Bürgermeister beziehungsweise die Bürgermeisterin. Die Einladung muss den Mitgliedern mit einer angemessenen Frist unter Angabe der Tagesordnung übersandt werden. Die Sitzung ist grundsätzlich öffentlich, sofern nicht ausnahmsweise rechtliche Gründe, beispielsweise der Datenschutz, entgegenstehen. In der ersten Sitzung werden die gewählten Vertreter verpflichtet, der Vorsitz wird gewählt, falls er nicht kraft Amtes besteht, und die Geschäftsordnung kann bestätigt oder neu gefasst werden. Die genaue Organisation richtet sich nach der jeweiligen Gemeindeordnung und der kommunalen Hauptsatzung.
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für die Beschlussfassung in der Gemeindevertretung?
Die Gemeindevertretung ist beschlussfähig, wenn mindestens die gesetzlich oder durch Geschäftsordnung vorgeschriebene Mindestanzahl an Mitgliedern, das sogenannte Quorum, anwesend ist. Die Beschlussfassung erfolgt in der Regel durch einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder, sofern das Gesetz oder die Hauptsatzung keine qualifizierte Mehrheit vorschreiben. Über personelle Angelegenheiten wird meist in geheimer Abstimmung entschieden. Rechtswidrige Beschlüsse können durch die Kommunalaufsicht beanstandet oder durch Anfechtungsklage überprüft werden. Alle Beschlüsse sind zu protokollieren, das Protokoll ist in einem festgelegten Verfahren zu genehmigen und aufzubewahren.
Welche Rechte und Pflichten haben Mitglieder der Gemeindevertretung aus rechtlicher Sicht?
Mitglieder der Gemeindevertretung besitzen, gestützt auf die jeweiligen Gemeindeordnungen, umfassende Mitwirkungsrechte, darunter Antrags-, Rede-, Stimm- und Fragerechte. Sie sind zur Teilnahme an den Sitzungen verpflichtet und müssen sich für die Gremienarbeit vorbereiten. Darüber hinaus unterliegen sie dem Verbot der Interessenkollision (Befangenheit) und der Schweigepflicht über nicht öffentliche Angelegenheiten. Für die Ausübung ihres Mandats genießen sie den Schutz vor Benachteiligungen im Arbeitsverhältnis und unterliegen einem besonderen Ehrenamtsstatus. Rechte, wie Auskunftsansprüche gegenüber der Verwaltung, werden durch Rechtsmittel abgesichert.
Wie ist das Verfahren bei der Abwahl von Mitgliedern der Gemeindevertretung geregelt?
Die Abwahl von Mitgliedern der Gemeindevertretung ist rechtlich nur in Ausnahmefällen und nach den Vorgaben der jeweiligen Landes- oder Kommunalgesetze möglich. Meistens bedürfen solche Verfahren eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses der Gemeindevertretung oder, in seltenen Fällen, eines Bürgerentscheids. Ein Anlass können schwerwiegende Pflichtverletzungen, dauernde Verhinderung oder das Vorliegen eines wichtigen Grundes sein, der eine weitere Ausübung des Amtes unzumutbar erscheinen lässt. Vor der Beschlussfassung ist dem betroffenen Mitglied rechtliches Gehör zu gewähren, und er oder sie kann Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen. Die Entscheidung kann anschließend einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden.
Welche Kontroll- und Mitwirkungsrechte besitzt die Gemeindevertretung gegenüber der Verwaltung?
Die Gemeindevertretung hat das umfassende Recht, die gesamte Gemeindeverwaltung zu kontrollieren und deren Tätigkeiten zu überwachen. Hierzu stehen ihr Prüfungs- und Akteneinsichtsrechte zur Verfügung, die durch die Rechtsordnung der jeweiligen Gemeindeordnung abgesichert werden. Außerdem kann sie Untersuchungs- und Sonderausschüsse einsetzen, die spezifische Fragestellungen prüfen. Die Verwaltung ist verpflichtet, der Gemeindevertretung auf Verlangen Informationen zu liefern und Anfragen zu beantworten. Schließlich kann die Gemeindevertretung durch Erlass von Satzungen, Haushaltsplänen und anderen grundlegenden Entscheidungen maßgeblich auf das Verwaltungshandeln einwirken.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen zur Auflösung der Gemeindevertretung?
Die Befugnis zur Auflösung der Gemeindevertretung kann gesetzlich vorgesehen sein und ist in den meisten Kommunalverfassungen auf außergewöhnliche Situationen beschränkt, beispielsweise bei grober Pflichtverletzung seitens der Gemeindevertretung oder anhaltender Beschlussunfähigkeit. Die Auflösung geschieht in der Regel durch eine Entscheidung der Kommunalaufsicht oder durch einen erfolgreichen Bürgerentscheid. Nach der Auflösung wird eine Neuwahl veranlasst, deren Modalitäten und Fristen gesetzlich geregelt sind. Die Verwaltung wird bis zur Neuwahl durch kommissarisch eingesetzte Organe geführt. Einspruchs- und Rechtsschutzmöglichkeiten stehen den Mitgliedern offen, um gegen eine nach ihrer Auffassung rechtswidrige Auflösung vorzugehen.