Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Verwaltungsrecht»Gemeindeverfassung

Gemeindeverfassung


Definition und Bedeutung der Gemeindeverfassung

Die Gemeindeverfassung bezeichnet das rechtliche Grundgefüge, die konstitutionellen Regelungen sowie die organisatorische und funktionale Ordnung einer Gemeinde als Grundlage ihrer Selbstverwaltung. Sie konkretisiert die kommunale Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und regelt insbesondere den Aufbau, die Zuständigkeiten, die Ausgestaltung der Organe, die Willensbildung sowie das Verwaltungsverfahren innerhalb einer Gemeinde. Die Gemeindeverfassung ist ein zentraler Bestandteil des Kommunalrechts und findet ihren Ursprung sowohl in der bundesrechtlichen Vorgabe als auch in den Landesgesetzen der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland.

Rechtsquellen der Gemeindeverfassung

Bundesrechtliche Grundlagen

Die grundsätzliche Verankerung der gemeindlichen Selbstverwaltung ist in Art. 28 Abs. 2 GG geregelt. Hier wird den Gemeinden das Recht garantiert, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Ausgestaltung dieser Selbstverwaltung im Detail bleibt den Bundesländern überlassen.

Landesrechtliche Ausgestaltung

Die Bundesländer konkretisieren die Vorgaben des Grundgesetzes durch eigene Kommunalverfassungen, die üblicherweise in sogenannten Gemeindeordnungen (GO) oder Kommunalverfassungsgesetzen geregelt sind. Jede dieser Rechtsnormen definiert im Einzelnen das Gemeindeverfassungsrecht im jeweiligen Land.

Inhalt und Struktur der Gemeindeverfassung

Aufbau der Gemeindeorgane

Die Kommunalverfassung unterscheidet regelmäßig zwischen Hauptorganen und weiteren Organen der Gemeinde. Zu den wesentlichen Elementen gehören:

Gemeinderat: Das Hauptorgan der Gemeinde, dem die Beschlussfassung über Gemeindeangelegenheiten obliegt.
Hauptverwaltungsbeamte: In der Regel Bürgermeister oder Oberbürgermeister, welche je nach Bundesland direkt von der Bevölkerung gewählt werden oder vom Gemeinderat bestimmt werden.
* Fachausschüsse und beratende Gremien: Zur Vorbereitung und Durchführung von Ratsbeschlüssen.

Organisationsmodelle

In Deutschland existieren unterschiedliche Gemeindeverfassungsmodelle, maßgeblich prägend sind:

Bürgermeisterverfassung (Magistratsverfassung)

Insbesondere in Hessen und Teilen anderer Bundesländer verbreitet, wobei dem Bürgermeister eine starke Leitungskompetenz zukommt und der Magistrat kollektive Entscheidungsbefugnisse besitzt.

Ratsverfassung (Süddeutsche Ratsverfassung)

Vorherrschend in Bayern, Baden-Württemberg und weiteren süddeutschen Bundesländern. Hier steht der Gemeinderat im Mittelpunkt der Willensbildung, während der Bürgermeister als Vorsitzender agiert, ohne ein kollektives Leitungsorgan.

Norddeutsche Ratsverfassung

Beispielsweise in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, mit variierenden Rollenverteilungen zwischen Rat und Hauptverwaltungsbeamtem.

Aufbau und Zusammensetzung

Die Gemeindeorgane werden entweder durch unmittelbare Wahl der Bürgerinnen und Bürger, mittelbare Wahl oder Bestellung gebildet. Die rechtlichen Regelungen zu Wahlrecht, Amtszeit, Verantwortlichkeiten und Kontrollmechanismen finden sich detailliert in der jeweiligen Gemeindeordnung des Bundeslandes.

Aufgaben und Zuständigkeiten nach der Gemeindeverfassung

Im Rahmen ihrer Verfassung sind Gemeinden zur Wahrnehmung der eigenen und übertragenden Angelegenheiten (übertragene Aufgaben aus Bundes- oder Landesrecht) verpflichtet. Die Zuständigkeitsteilung, Kontroll- und Mitwirkungsrechte sowie Verfahren zur Aufhebung oder Anfechtung von Ratsentscheidungen sind ebenfalls Teil der Gemeindeverfassung.

Demokratieprinzip und Transparenz

Die Gemeindeverfassung setzt die Prinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene um. Sie verpflichtet die Gemeinde zu öffentlich-rechtlicher Kontrolle, Mitbestimmung und ermöglicht Bürgerbegehren, Bürgerentscheide sowie weitere Instrumente direkter Demokratie.

Entwicklung und Rechtsvergleich

Historisch unterlag die Gemeindeverfassung vielfältigen Wandlungen. Die heutige Ausgestaltung ist Ergebnis einer langen Entwicklung, die von der preußischen Städteordnung über die Weimarer Gemeindeverfassung bis zur kommunalen Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Föderalismusreform reicht. International bestehen im europäischen Kontext vergleichbare Modelle, da das Prinzip kommunaler Selbstverwaltung auch auf europarechtlicher Ebene – etwa in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung – anerkannt ist.

Bedeutung in der Rechtsprechung

Die Rechtsprechung von Bundes- und Landesverfassungsgerichten konkretisiert die Reichweite der kommunalen Selbstverwaltung, das Verhältnis zwischen lokalen Entscheidungen und übergeordneten Rechtsnormen sowie die Abgrenzung der Gemeindeautonomie.

Zusammenfassung

Die Gemeindeverfassung stellt das rechtliche Fundament jeder deutschen Gemeinde dar. Sie normiert Organisationsstrukturen, Aufgabenverteilung, Verfahren, Beteiligungsrechte und steht im Mittelpunkt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Ihre Ausgestaltung variiert je nach Landesrecht, folgt jedoch bundesweit verbindlichen Grundsätzen. Die Kenntnis ihrer Regelungen ist wesentlich für die rechtskonforme Organisation des kommunalen Gemeinwesens.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist für die Ausarbeitung und Änderung der Gemeindeverfassung zuständig?

Die Zuständigkeit für die Ausarbeitung und Änderung der Gemeindeverfassung liegt im Regelfall beim örtlichen Gemeindeorgan, das nach Landesrecht hierfür vorgesehen ist, typischerweise dem Gemeinderat (auch Stadtverordnetenversammlung oder Rat der Gemeinde genannt). Die konkreten Abläufe und Befugnisse bestimmen sich nach den jeweiligen Gemeindeordnungen der Bundesländer, da das Kommunalrecht in Deutschland Sache der Länder ist. Häufig bedarf die Änderung der Gemeindeverfassung einer qualifizierten Mehrheit des Gemeinderats, um grundlegende Strukturveränderungen ausreichend demokratisch abzusichern. Hinzu kommen bisweilen Öffentlichkeitspflichten, wie das Auslegen des Entwurfs oder das Einräumen einer Anhörungsfrist für die Einwohner. Die letztliche Wirksamkeit einer neuen oder geänderten Gemeindeverfassung tritt nach ihrer öffentlichen Bekanntmachung und gegebenenfalls der Genehmigung durch die Kommunalaufsicht ein. Die Fachaufsichtsbehörden der Länder können zudem eine Kontrolle der Rechtskonformität durchführen, um etwaige Kompetenzenüberschreitungen oder Verstöße gegen höherrangiges Recht zu verhindern.

Welche rechtlichen Grundsätze müssen bei der Gestaltung der Gemeindeverfassung beachtet werden?

Die Ausgestaltung der Gemeindeverfassung ist zwingend an die Beachtung höherrangigen Rechts gebunden, insbesondere an die Vorgaben des Grundgesetzes (vor allem Art. 28 GG), des jeweiligen Landesverfassungsrechts sowie des einschlägigen Kommunalrechts (Gemeindeordnungen). Zentrale Grundsätze sind die demokratische Legitimation der Gemeindeorgane, die rechtsstaatliche Ordnung der Entscheidungsprozesse, die Allgemeinheit und Gleichheit der Wahlen, die Wahrung des Selbstverwaltungsrechts und der Ausschluss einer eigenmächtigen Selbstermächtigung kommunaler Organe. Die Verfassung der Gemeinde darf die Beteiligungsrechte von Einwohnern und Bürgern (zum Beispiel durch Einwohneranträge oder Bürgerbegehren) unter im Landesrecht bestimmten Voraussetzungen nicht unzulässig einschränken. Außerdem sind Vorgaben zur Organisation, zu Kontrollmechanismen, Transparenz und zur Übertragung bzw. Delegation von Aufgaben festgesetzt. Verstöße gegen diese Grundsätze führen zur Nichtigkeit betroffener Regelungen.

Können die Einwohner einer Gemeinde Einfluss auf die Gemeindeverfassung nehmen?

Die Einflussmöglichkeiten der Einwohner auf die Gemeindeverfassung sind im Wesentlichen durch die Bestimmungen der jeweiligen Gemeindeordnung und der Gemeindeverfassung selbst bestimmt. Allgemein haben stimmberechtigte Einwohner (in der Regel wahlberechtigte Bürger) das Recht, durch die Wahl der Gemeindevertretung mittelbar Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus sehen viele Landesgesetze Mitwirkungs-, Anhörungs- oder Beteiligungsrechte, wie Bürgerbegehren, Bürgerentscheide oder Einwohneranträge vor, die auch Veränderungen an der Gemeindeverfassung zum Gegenstand haben können. Die konkreten Formen der Beteiligung (zum Beispiel Einberufung einer Versammlung, schriftliche Eingaben oder Petitionen) variieren je nach Bundesland und Gemeindegröße. In Gemeinden mit besonderem Status (etwa Stadtstaaten oder kreisfreien Städten) können teils weitergehende direkte Mitwirkungsrechte bestehen.

Was passiert, wenn Regelungen der Gemeindeverfassung gegen höherrangiges Recht verstoßen?

Sofern einzelne Bestimmungen der Gemeindeverfassung gegen höherrangiges Recht – sei es Verfassungsrecht, einfaches Landesrecht oder Bundesrecht – verstoßen, sind sie unwirksam bzw. nichtig. Dies kann im Vorfeld im Rahmen der Kommunalaufsicht durch Beanstandung oder Nichtgenehmigung erkannt werden. Erfolgt die Beanstandung nicht rechtzeitig, kann im Nachgang ein gerichtliches Verfahren zur Klärung eingeleitet werden, meist vor den Verwaltungsgerichten. In einigen Bundesländern existieren spezielle kommunalverfassungsrechtliche Beschwerdemechanismen. Im Falle der festgestellten Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht ist der betroffene Regelungsteil unbeachtlich, während die übrige Verfassung prinzipiell fortgilt (Teilnichtigkeit). Die Gemeinde ist dann verpflichtet, die nichtigen Regelungen zu korrigieren und entsprechend anzupassen.

Welche Rolle spielt die Kommunalaufsicht in Bezug auf die Gemeindeverfassung?

Die Kommunalaufsicht übernimmt eine zentrale Kontrollfunktion hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Gemeindeverfassung. Sie prüft, ob die Verfassungsgebung und -änderung den einschlägigen rechtlichen Anforderungen entsprechen und kann Anordnungen erlassen, um Abweichungen zu korrigieren. In bestimmten Fällen – vor allem bei grundlegenden Änderungen – ist für das Wirksamwerden einer neuen Gemeindeverfassung oder entsprechender Satzungsänderungen die ausdrückliche Genehmigung oder Nichtuntersagung durch die Aufsichtsbehörde erforderlich. Die Kommunalaufsicht kann diesbezüglich Einsicht in die Beratungsprotokolle, Beschlussvorlagen und Bekanntmachungen nehmen. Bei Rechtsverstößen ist sie berechtigt, Beanstandungen auszusprechen, eine Rücknahme von Beschlüssen anzuordnen und im äußersten Fall sogar Ersatzvornahmen zu veranlassen. Ihr Handeln ist dabei am Maßstab der Rechtsaufsicht (nicht der Zweckmäßigkeit) ausgerichtet.

Sind Unterschiede in der Gemeindeverfassung zwischen den einzelnen Bundesländern zulässig?

Ja, Unterschiede in der Ausgestaltung der Gemeindeverfassung zwischen den einzelnen Bundesländern sind nicht nur zulässig, sondern ausdrücklich vorgesehen, da das Kommunalverfassungsrecht in Deutschland Sache der Länder ist (Art. 28 Abs. 2 GG). Die Landesgesetzgeber haben daher erhebliche Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Organisation, der Kompetenzen und der Beteiligungsformen der Gemeindeorgane. So existieren verschiedene Verfassungstypen wie das Bürgermeister-, Magistrats- oder Ratsverfassungssystem, aber auch Mischformen. Ebenso differieren die Mitbestimmungsrechte der Einwohner, Quoren für Bürgerbegehren und Regelungen zur Transparenz. Die einzige Bindung besteht daran, dass demokratische Grundsätze, rechtsstaatliche Mindeststandards und das Recht auf Selbstverwaltung gemäß Grundgesetz und Landesverfassungen gewahrt bleiben müssen.

Inwiefern kann die Gemeindeverfassung Gegenstand gerichtlicher Überprüfung sein?

Die Gemeindeverfassung sowie darauf gestützte Regelungen können gerichtlich überprüft werden, insbesondere wenn behauptet wird, dass sie gegen höherrangiges Recht verstoßen oder in individuellen Rechtspositionen eingreifen. Die Verwaltungsgerichte sind hierbei in der Regel zuständig. Anlass dafür ist häufig die Klage eines Betroffenen, der sich auf eine Verletzung seiner Rechte (zum Beispiel Beteiligungsrechte, Wahlrechte oder Gleichheitsrechte) beruft. Auch kommunale Organe selbst können teils im Rahmen von Organstreitverfahren die Gültigkeit einzelner Regelungen überprüfen lassen. Die gerichtliche Kontrolle erstreckt sich sowohl auf formelle (zum Beispiel Beschlussfähigkeit, ordnungsgemäße Bekanntmachung) als auch auf materielle Aspekte (zum Beispiel Vereinbarkeit mit Landesgesetz oder Grundgesetz). Ist die Unwirksamkeit einer Regelung festgestellt, sind alle darauf gründenden Maßnahmen ebenfalls rechtswidrig.