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Geisteskrankheit


Begriff und rechtliche Einordnung der Geisteskrankheit

Definition und Abgrenzung

Als Geisteskrankheit wird im rechtlichen Kontext eine erhebliche Störung der geistigen oder seelischen Gesundheit einer Person verstanden, die das Denk-, Steuerungs- und Sozialverhalten der Betroffenen nachhaltig beeinträchtigt. Der Begriff „Geisteskrankheit“ hat im deutschen Recht, insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Strafgesetzbuch (StGB), eine zentrale Bedeutung, wobei eine klare medizinische und rechtliche Differenzierung von anderen psychischen Störungen bzw. Behinderungen erforderlich ist.

Historische Entwicklung des Begriffs

Historisch erfuhr die rechtliche Betrachtung der Geisteskrankheit vielfältige Wandlungen. In früheren Fassungen des BGB und anderer Rechtsnormen wurde „Geisteskrankheit“ häufig als Sammelbegriff für verschiedene psychiatrische Störungsbilder genutzt. Mit der Entwicklung der modernen Psychiatrie und Psychologie hat sich jedoch eine differenzierte Begrifflichkeit herausgebildet. In der heutigen Gesetzgebung hat sich vorwiegend die Terminologie „psychische Störungen“ mit spezifischen Diagnosekriterien (wie sie etwa durch das ICD oder DSM festgelegt sind) durchgesetzt, wenngleich „Geisteskrankheit“ in unterschiedlichen Rechtsvorschriften weiterhin verwendet wird.

Geisteskrankheit im Zivilrecht

Geschäftsfähigkeit und Geisteskrankheit (BGB)

Nach deutschem Zivilrecht (§ 104 Nr. 2 BGB) ist eine Person geschäftsunfähig, wenn sie sich „in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ befindet. Das Gesetz verwendet hierbei den Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit, der der Geisteskrankheit inhaltlich nahekommt, jedoch im Einzelfall diagnoseübergreifend zu verstehen ist.

Maßgeblich ist der Ausschluss der freien Willensbestimmung, der zeitweise („vorübergehend“, etwa bei akuten psychischen Krisen) oder dauerhaft („dauerhaft“, etwa bei schwerer Demenz) vorliegen kann. Geschäftsunfähigkeit verhindert die Wirksamkeit eigener Rechtsgeschäfte nach § 105 Abs. 1 BGB.

Betreuung und Unterbringung

Besteht eine erhebliche Beeinträchtigung durch Geisteskrankheit, kann das Betreuungsgericht gemäß §§ 1814 ff. BGB eine Betreuung anordnen. Bei Fremd- oder Selbstgefährdung können freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1831 BGB möglich sein, wobei stets hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit und gerichtliche Kontrolle gestellt werden.

Ehe- und Familienrechtliche Relevanz

Geisteskrankheit kann Einfluss auf mehrere familienrechtliche Bereiche nehmen. Eine Ehe kann nach §§ 1313 ff. BGB aufgehoben werden, wenn einer der Ehegatten bei Eheschließung aufgrund geisteskrankheitsbedingter Geschäftsunfähigkeit nicht imstande war, die Bedeutung der Eheschließung zu erkennen (§ 1314 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Im Sorgerecht sind bei erkennbarer Geisteskrankheit eines Elternteils gerichtliche Maßnahmen zu prüfen, sofern das Kindeswohl beeinträchtigt ist (§ 1666 BGB).

Geisteskrankheit im Strafrecht

Schuldunfähigkeit

Das StGB regelt in § 20 die Schuldfähigkeit: Wer „bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen tiefgreifender Bewusstseinsstörung, wegen Schwachsinns oder wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“, ist schuldunfähig. Die Geisteskrankheit ist hier umfassender Oberbegriff für die ausgeschlossenen Störungsbilder, insbesondere psychotische und schwer depressive Erkrankungen.

Bei vermindertem Steuerungsvermögen (§ 21 StGB) kann die Strafe gemildert werden. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang eine Geisteskrankheit vorlag, erfolgt auf Basis psychiatrischer Gutachten und gerichtlicher Feststellung.

Maßregeln der Besserung und Sicherung

Bei schuldunfähigen (oder vermindert schuldfähigen) Personen ordnet das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB an. Voraussetzung ist, dass die Person eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und aufgrund ihrer psychischen Erkrankung für die Allgemeinheit gefährlich bleibt.

Geisteskrankheit im öffentlichen Recht

Unterbringungsrecht und Psychisch-Kranken-Gesetze der Länder

Für Menschen mit Geisteskrankheit können aufgrund von Selbst- oder Fremdgefährdung nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen der Bundesländer (z.B. PsychKG) freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet werden. Diese Gesetze regeln die Voraussetzungen, das Verfahren und den gerichtlichen Rechtsschutz sehr detailliert. Eine ärztliche Begutachtung ist in diesen Verfahren zwingend.

Fahrerlaubnis und Geisteskrankheit

Im Straßenverkehrsrecht kann eine bestehende Geisteskrankheit zum Entzug der Fahrerlaubnis nach § 46 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) führen, sofern eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr nicht mehr gewährleistet ist.

Medizinisch-rechtliche Begutachtung der Geisteskrankheit

Bei der Feststellung geisteskrankheitsbedingter Einschränkungen im Rechtsverkehr ist eine qualifizierte medizinisch-psychiatrische Begutachtung erforderlich. Die Beurteilung richtet sich nach dem aktuellen Stand der psychiatrischen Wissenschaft, wobei auch internationale Klassifikationen (wie das ICD-10/11) Berücksichtigung finden. Im Zweifel entscheidet das Gericht nach freier Beweiswürdigung über das Vorliegen einer relevanten Geisteskrankheit.

Terminologische und gesellschaftliche Besonderheiten

Der Begriff „Geisteskrankheit“ wird im Rechtsverkehr zunehmend durch diskriminierungsfreiere Begriffe wie „psychische Krankheit“ oder „psychische Störung“ ersetzt. Dennoch bleibt die Geisteskrankheit als eigenständige Tatsbestandsvoraussetzung in verschiedenen Gesetzen erhalten.

Zusammenfassung

Die rechtliche Bedeutung der Geisteskrankheit ist vielseitig und reicht von Fragen der Geschäftsfähigkeit über die Schuldfähigkeit bis hin zu betreuungsrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Maßnahmen. Es bestehen strenge rechtsstaatliche Anforderungen an die Diagnostik und den Nachweis, um den besonderen Schutz der Grundrechte Betroffener zu gewährleisten. Gesetzliche Regelungen zur Geisteskrankheit finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch, im Strafgesetzbuch, in landesrechtlichen Psychisch-Kranken-Gesetzen und in speziellen Verfahrensordnungen. Die Anwendung und Auslegung des Begriffs bleibt eng an den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft orientiert.


Hinweis: Dieser Artikel vermittelt einen Überblick zur Begrifflichkeit und den rechtlichen Kontexten der Geisteskrankheit und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Für weiterführende Informationen sind die einschlägigen Gesetze sowie weiterführende Literatur zu beachten.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt Geisteskrankheit im Strafrecht?

Im Strafrecht spielt die Geisteskrankheit eine entscheidende Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB). Wenn eine Person zur Tatzeit infolge einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht in der Lage ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wird sie als schuldunfähig angesehen. Dies kann zu einem Freispruch hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Allerdings bedeutet Schuldunfähigkeit nicht automatisch Straffreiheit, da gegebenenfalls die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet werden kann. Die Feststellung erfolgt durch psychiatrische Gutachten, die Art, Schwere und Auswirkungen der Geisteskrankheit detailliert prüfen. Die Gerichte unterliegen hierbei hohen Anforderungen bezüglich der Sachverhaltsaufklärung und der Berücksichtigung der medizinischen Standards.

Wie wird Geisteskrankheit im Zivilrecht bei Verträgen berücksichtigt?

Im Zivilrecht kann eine Geisteskrankheit Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit haben. Nach § 104 Nr. 2 BGB ist eine Person, die sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, geschäftsunfähig. Verträge, die von einer geschäftsunfähigen Person abgeschlossen werden, sind nach § 105 BGB nichtig. Ob eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorliegt, ist häufig Gegenstand medizinischer Begutachtung im gerichtlichen Verfahren. Allerdings kann sich die Geschäftsunfähigkeit auch auf bestimmte Zeiträume oder Situationen beschränken („vorübergehende Störung“), sodass eine differenzierte Einzelfallprüfung erforderlich ist. Diese Rechtslage dient dem Schutz der betroffenen Person, aber auch dem Rechtsverkehr.

Welche Bedeutung hat Geisteskrankheit im Betreuungsrecht?

Im Betreuungsrecht ist Geisteskrankheit häufig Anlass für die Bestellung eines rechtlichen Betreuers gemäß § 1896 BGB. Eine Betreuung kann durch das Betreuungsgericht angeordnet werden, wenn eine volljährige Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die Bestellung des Betreuers dient dem Schutz und der Unterstützung des Betroffenen, wobei der Umfang der Betreuung und die zu regelnden Aufgabenkreise individuell festgelegt werden. Eine Geisteskrankheit allein führt jedoch nicht zwangsläufig zur Einrichtung einer Betreuung, sondern erforderlich ist eine hierdurch bedingte Unfähigkeit zur Besorgung eigener Angelegenheiten. Das Verfahren ist geprägt von der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts sowie der Einbindung ärztlicher Gutachten.

Wie wirkt sich Geisteskrankheit auf das Erbrecht aus?

Geisteskrankheit kann im Erbrecht insbesondere die Testierfähigkeit (§ 2229 BGB) beeinflussen. Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, ist testierunfähig. Die Frage der Testierfähigkeit wird insbesondere dann relevant, wenn das Testament angefochten wird, etwa wegen angeblicher Unwirksamkeit infolge mangelnder Einsichtsfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Die Beweislast für die Testierunfähigkeit trifft grundsätzlich denjenigen, der sich auf die Unwirksamkeit des Testaments beruft. Gerichte greifen häufig auf psychiatrische Gutachten zurück. Eine bloße Geisteskrankheit schließt die Testierfähigkeit nicht zwangsläufig aus, sofern keine Beeinträchtigung der freien Willensbildung nachweisbar ist.

Welche rechtlichen Konsequenzen hat Geisteskrankheit im Familienrecht?

Im Familienrecht kann eine Geisteskrankheit verschiedene Auswirkungen haben, etwa auf Ehefähigkeit (§ 1304 BGB), auf Scheidungsverfahren und auf das Sorgerecht. Wer sich in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, ist nicht ehefähig. Im Scheidungsrecht kann eine Geisteskrankheit als Härtegrund für das Festhalten an der Ehe betrachtet werden oder, je nach Fallgestaltung, die Voraussetzungen einer einverständlichen Trennung beeinflussen. Das Familiengericht kann bei elterlicher Sorge durch einen Elternteil, der an einer schweren Geisteskrankheit leidet und dadurch nicht mehr in der Lage ist, das Wohl des Kindes zu gewährleisten, Maßnahmen treffen, etwa den Entzug des Sorgerechts gemäß § 1666 BGB. Auch im Rahmen des Unterhaltsrechts kann die Leistungsfähigkeit durch die Krankheit beeinflusst werden.

Welche besonderen prozessualen Rechte haben geisteskranke Personen in Gerichtsverfahren?

Personen mit Geisteskrankheiten genießen im Gerichtsverfahren verschiedene Schutzmechanismen. Im Strafprozess kann einem Angeklagten, der an einer schwerwiegenden Geisteskrankheit leidet, ein Pflichtverteidiger bestellt werden (§ 140 StPO), insbesondere wenn Zweifel an dessen Fähigkeit zur eigenen Verteidigung bestehen. Auch im Zivilverfahren können Betroffene durch einen gesetzlichen Vertreter vertreten werden, wenn sie nicht prozessfähig sind. Gerichte müssen bei Hinweisen auf eine mögliche Geisteskrankheit eigenständig tätig werden (Amtsaufklärungspflicht) und etwa die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens veranlassen. Zudem können gerichtliche Anhörungen unter Umständen ausgesetzt werden, falls die Verhandlungsfähigkeit des Betroffenen nicht gegeben ist. Diese Regelungen dienen der effektiven Wahrung der prozessualen Rechte und der gerechten Verfahrensteilnahme der Betroffenen.

Kann eine Geisteskrankheit zur Zwangseinweisung führen, und welche rechtlichen Voraussetzungen gelten?

Eine Zwangseinweisung in eine psychiatrische Einrichtung ist nur unter strengen rechtlichen Voraussetzungen zulässig. Diese richten sich nach den jeweiligen Psychisch-Kranken-Gesetzen der Bundesländer sowie bundesrechtlich insbesondere nach § 1906 BGB. Voraussetzung ist regelmäßig, dass die betroffene Person infolge der Geisteskrankheit eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung darstellt und keine weniger einschneidende Maßnahme zur Abwendung dieser Gefahren zur Verfügung steht. Das Familiengericht entscheidet nach Anhörung des Betroffenen und Einholung eines ärztlichen Gutachtens über die Anordnung und deren Dauer. Die Grundrechte des Betroffenen, speziell das Recht auf Freiheit, sind hierbei zu berücksichtigen, sodass hohe Hürden an die Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der Unterbringung bestehen. Rechte auf Anhörung, gerichtliche Überprüfung und Beschwerdeverfahren sind umfassend gesetzlich geregelt, um den Schutz der Betroffenen sicherzustellen.