Begriff und rechtliche Einordnung der Gehaltsfortzahlung
Unter Gehaltsfortzahlung versteht man im deutschen Arbeitsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers, das Entgelt eines Arbeitnehmers auch dann weiterzuzahlen, wenn dieser aus bestimmten Gründen – insbesondere wegen Krankheit, Feiertagen oder im Rahmen des Mutterschutzes – nicht arbeitet. Die Gehaltsfortzahlung stellt eine bedeutende Säule des Arbeitnehmerschutzes dar und findet ihre rechtliche Grundlage hauptsächlich im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sowie in weiteren Rechtsnormen, wie dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) und dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG).
Abgrenzung von verwandten Begriffen
Die Gehaltsfortzahlung ist von ähnlichen arbeitsrechtlichen Ansprüchen abzugrenzen, wie etwa der Lohnzahlung bei Annahmeverzug (§ 615 BGB), der Vergütungsfortzahlung bei Kurzarbeit oder der Zahlung von Krankengeld durch die Krankenkasse. Während das Krankengeld einen Sozialversicherungsanspruch darstellt, ist die Gehaltsfortzahlung ein originärer arbeitsrechtlicher Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber.
Anspruchsvoraussetzungen der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall
Gesetzliche Grundlagen
Die wichtigste Norm für die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall ist § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer das Entgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen weiterzuzahlen, sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
Voraussetzungen im Einzelnen
Die wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen sind:
- Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit: Die Arbeitsunfähigkeit muss durch eine Krankheit verursacht sein.
- Kein Verschulden des Arbeitnehmers: Die Erkrankung darf nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig selbst herbeigeführt worden sein (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG).
- Mindestens vierwöchige ununterbrochene Beschäftigung: Der Arbeitnehmer muss mindestens vier Wochen ohne Unterbrechung im Arbeitsverhältnis stehen (§ 3 Abs. 3 EFZG).
- Unverzügliche Anzeige und Nachweis: Bereits bei Arbeitsunfähigkeitsbeginn ist der Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer zu informieren (§ 5 Abs. 1 EFZG). Ein ärztliches Attest darf spätestens ab dem vierten Krankheitstag verlangt werden.
Dauer und Umfang der Gehaltsfortzahlung
Die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall ist auf maximal sechs Wochen pro Krankheitsfall begrenzt. Eine sogenannte Ersterkrankung und eine eventuell darauf folgende Folgeerkrankung werden unterschiedlich behandelt, sofern ein erneuter Anspruch auf Gehaltsfortzahlung entstehen kann.
Das fortzuzahlende Arbeitsentgelt umfasst alle festen und regelmäßig gezahlten Bestandteile des Gehalts. Einmalzahlungen, wie etwa Weihnachtsgeld, sind grundsätzlich nicht umfasst.
Sonderformen der Gehaltsfortzahlung
Gehaltsfortzahlung an Feiertagen
Gemäß § 2 EFZG hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltzahlung für Arbeitszeit, die wegen eines gesetzlichen Feiertags ausfällt, soweit der Feiertag auf einen für den Arbeitnehmer regulären Arbeitstag fällt. Die Höhe der fortzuzahlenden Vergütung entspricht dem gewöhnlichen Arbeitsentgelt.
Gehaltsfortzahlung im Mutterschutz
Das Mutterschutzgesetz sieht während des Beschäftigungsverbots nach §§ 3 ff. MuSchG eine Gehaltsfortzahlung vor, wobei der Arbeitgeber die Lohnzahlung übernimmt und von der Krankenkasse mittels Umlageverfahren (U2-Umlage) entlastet wird. Der Arbeitnehmerin steht das sogenannte Mutterschaftsgeld zu, dessen Höhe sich nach dem durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt richtet.
Gehaltsfortzahlung beim bezahlten Urlaub
Während des Erholungsurlaubs besteht nach § 11 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ein Anspruch auf Fortzahlung des Durchschnittsverdienstes. Die Berechnung erfolgt auf Grundlage des durchschnittlich in den letzten 13 Wochen vor Urlaubsbeginn gezahlten Arbeitsentgelts.
Gehaltsfortzahlung beim Annahmeverzug des Arbeitgebers
Kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung aus Gründen, die in der Sphäre des Arbeitgebers liegen, nicht erbringen, besteht gem. § 615 BGB weiterhin Anspruch auf Arbeitslohn.
Folgen und Grenzen der Gehaltsfortzahlung
Entfallen des Anspruchs
Der gesamte Anspruch auf Entgeltfortzahlung kann entfallen, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig selbst herbeigeführt hat. Auch bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit innerhalb kurzer Zeit infolge derselben Krankheit bestehen gesetzlich Einschränkungen, insbesondere hinsichtlich der Entgeltfortzahlungsdauer.
Rückforderung und Anrechnung
Bereits gezahltes Entgelt kann im Ausnahmefall vom Arbeitgeber zurückverlangt werden, etwa wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat. Eine Anrechnung anderer Leistungen wie Krankengeld erfolgt hingegen erst nach Ablauf der sechs Wochen Entgeltfortzahlung.
Tarifvertragliche und gesetzliche Besonderheiten
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen können die Ansprüche auf Gehaltsfortzahlung modifizieren und ausweiten. Die gesetzlichen Mindestvorgaben dürfen jedoch nicht unterschritten werden.
Besondere Konstellationen und Problemstellungen
Erkrankung während des Urlaubs
Erkrankt ein Arbeitnehmer während des genehmigten Erholungsurlaubs und weist dies ordnungsgemäß nach (ärztliches Attest), werden die durch Arbeitsunfähigkeit ausgefallenen Urlaubstage nicht auf den Jahresurlaub angerechnet (§ 9 BUrlG). Für diesen Zeitraum besteht Gehaltsfortzahlungsanspruch gem. § 3 EFZG.
Wiedererkrankung und Blockfristen
Bei einer erneuten Erkrankung innerhalb von zwölf Monaten wegen derselben Krankheit beginnt keine neue Sechs-Wochen-Frist, außer der Arbeitnehmer war zwischenzeitlich mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Erkrankung arbeitsunfähig (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG).
Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte der Gehaltsfortzahlung
Die fortgezahlte Vergütung im Rahmen der Gehaltsfortzahlung unterliegt der Lohnsteuer und ist beitragspflichtig in der Sozialversicherung. Eine Ausnahme stellt das Mutterschaftsgeld dar: Während der Mutterschutzzeit wird das Entgelt aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt und ist teilweise beitragsfrei gestellt.
Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die Anzeige- und Nachweispflichten
Kommt der Arbeitnehmer seinen Anzeige- und Nachweispflichten nicht nach, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern, bis die erforderlichen Angaben erbracht sind. Bei wiederholten Pflichtverletzungen ist eine Abmahnung möglich.
Literaturhinweise und Quellen
- Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)
- Mutterschutzgesetz (MuSchG)
- Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 611a, 615
- Bundesarbeitsgericht, laufende Rechtsprechung
Hinweis: Dieser Artikel bietet eine umfassende Übersicht der gesetzlichen Regelungen zur Gehaltsfortzahlung und grenzt diese von verwandten Zahlungsansprüchen ab. Eine individuelle Beurteilung kann je nach Sachverhalt abweichen, insbesondere bei Tarifverträgen oder abweichenden Betriebsvereinbarungen.
Häufig gestellte Fragen
Wann besteht im rechtlichen Sinne ein Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall?
Ein Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall besteht nach deutschem Arbeitsrecht gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), wenn ein Arbeitnehmer infolge einer unverschuldeten Krankheit arbeitsunfähig ist. Voraussetzung ist unter anderem, dass das Arbeitsverhältnis bereits mindestens vier Wochen ununterbrochen bestanden hat. Außerdem darf die Arbeitsunfähigkeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig durch den Arbeitnehmer selbst herbeigeführt worden sein, wie es etwa bei Trunkenheit am Arbeitsplatz oder bei riskanten Sportarten der Fall sein kann. Die Anspruchsdauer beträgt grundsätzlich bis zu sechs Wochen für denselben Krankheitsfall; bei wiederkehrenden Erkrankungen wird genau geprüft, ob ein neuer Anspruch entsteht oder ob es sich um einen fortgesetzten Krankheitsfall handelt.
Wann beginnt und wie lange dauert der Zeitraum der Gehaltsfortzahlung?
Die Gehaltsfortzahlung beginnt rechtlich mit dem ersten Tag der attestierten Arbeitsunfähigkeit und endet spätestens mit Ablauf des sechswöchigen Zeitraums, sofern keine neue Anspruchsgrundlage entsteht. Zu beachten ist, dass sogenannte „Wartezeit-Tage“, also Krankheitstage innerhalb der ersten vier Wochen eines neuen Beschäftigungsverhältnisses, nicht zu einer Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber führen, sondern gegebenenfalls zu einem Krankengeldanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung. Sollte innerhalb von zwölf Monaten dieselbe Krankheit erneut auftreten, muss geprüft werden, ob ein neuer Anspruch entsteht oder der fortlaufende Anspruch bereits verbraucht wurde. Besonderheit: Bei aufeinanderfolgenden unterschiedlichen Erkrankungen kann der Anspruch auf Entgeltfortzahlung jeweils neu beginnen, sofern keine Überschneidung der Krankheiten vorliegt.
Gelten für Teilzeitkräfte und Minijobber dieselben Regelungen zur Gehaltsfortzahlung?
Aus rechtlicher Sicht gilt das Entgeltfortzahlungsgesetz grundsätzlich für alle Arbeitnehmer, gleichgültig ob sie in Vollzeit, Teilzeit oder im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses (Minijob) angestellt sind. Für Minijobber ist jedoch zusätzlich zu prüfen, ob sie unter den persönlichen Geltungsbereich des EFZG fallen, also im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig sind. Scheinselbstständige oder freie Mitarbeiter sind ausgenommen. Auch bei mehreren parallelen Beschäftigungen wird jeder Anspruch gesondert für jedes Arbeitsverhältnis betrachtet und gewährt.
Was geschieht bei einer erneuten Erkrankung innerhalb des gleichen Jahres?
Im rechtlichen Kontext ist entscheidend, ob es sich bei der erneuten Erkrankung um dieselbe Krankheit handelt oder um eine neue Diagnose. Bei einer neuen Krankheit beginnt der Anspruch von bis zu sechs Wochen Gehaltsfortzahlung erneut, vorausgesetzt, die Arbeitsunfähigkeit wird nahtlos durch eine andere, unabhängige Krankheit abgelöst. Kommt es jedoch zu einer fortdauernden oder wiederkehrenden Erkrankung mit demselben medizinischen Hintergrund innerhalb von zwölf Monaten, ist der Zeitraum der Gehaltsfortzahlung auf insgesamt sechs Wochen begrenzt, sofern dazwischen keine Unterbrechung der Arbeitsfähigkeit von mehr als sechs Monaten lag.
Wie wird die Höhe der Gehaltsfortzahlung berechnet?
Die Berechnung der Gehaltsfortzahlung richtet sich nach dem sogenannten regelmäßigen Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne Arbeitsunfähigkeit erhalten hätte (§ 4 Abs. 1 EFZG). Hierzu gehören das Grundgehalt, tarifliche Zuschläge, regelmäßige Überstunden (wenn sie arbeitsvertraglich geschuldet sind oder regelmäßig anfallen), Sachbezüge und vermögenswirksame Leistungen. Einmalzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld bleiben außer Betracht, sofern sie nicht während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit anfallen und sonst anteilig gezahlt würden. Im Fall von variablen Gehaltsbestandteilen, etwa bei Provisionslohn, wird ein Durchschnitt aus den letzten 13 Wochen oder zwölf Monaten herangezogen.
Nachweispflichten: Welche gesetzlichen Vorgaben sind bei der Krankmeldung zu beachten?
Rechtlich gesehen ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Dauert die Erkrankung länger als drei Kalendertage, muss spätestens am darauffolgenden Arbeitstag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt werden. Der Arbeitgeber ist berechtigt, bereits ab dem ersten Krankheitstag ein Attest zu verlangen, wenn dies arbeitsvertraglich, tariflich oder durch eine Weisung vorgesehen ist. Werden die Anzeige- und Nachweispflichten verletzt, kann dies zu einer Leistungsfreiheit des Arbeitgebers führen, d. h., der Anspruch auf Gehaltsfortzahlung entfällt im Extremfall vollständig.
Besteht ein Anspruch auf Gehaltsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls?
Handelt es sich um einen Arbeitsunfall, gelten im Grundsatz dieselben Voraussetzungen wie bei einer sonstigen Arbeitsunfähigkeit nach dem EFZG. Der Arbeitgeber ist demnach verpflichtet, das Arbeitsentgelt bis zur Dauer von sechs Wochen weiterzuzahlen. Erst im Anschluss daran tritt die gesetzliche Unfallversicherung mit der Zahlung eines Verletztengeldes ein. Anders stellt es sich lediglich bei grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls dar; in diesen Fällen kann die Anspruchsberechtigung auf Gehaltsfortzahlung eingeschränkt oder ausgeschlossen sein.