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Gefahrstoffrecht


Einleitung: Gefahrstoffrecht

Das Gefahrstoffrecht ist ein zentraler Bestandteil des deutschen und europäischen Arbeits- sowie Umweltschutzrechts. Es befasst sich mit der rechtlichen Regulierung von gefährlichen Stoffen und Gemischen, um Mensch und Umwelt vor möglichen schädlichen Auswirkungen dieser Stoffe zu schützen. Das Gefahrstoffrecht regelt insbesondere Herstellung, Einstufung, Kennzeichnung, Lagerung, Transport, Verwendung und Entsorgung von Gefahrstoffen. Es stellt verbindliche Anforderungen an Unternehmen, Behörden und sonstige mit Gefahrstoffen umgehende Einrichtungen.


Rechtliche Grundlagen des Gefahrstoffrechts

Europäische Rechtsgrundlagen

Die gesetzlichen Vorgaben des Gefahrstoffrechts in Deutschland sind maßgeblich durch europäische Rechtsvorschriften geprägt. Insbesondere die sogenannte REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe sowie die CLP-Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen bilden das Fundament der europäischen Gefahrstoffregulierung.

REACH-Verordnung

Die REACH-Verordnung legt ein umfassendes System zur Registrierung und Bewertung aller in der Europäischen Union in Verkehr gebrachten chemischen Stoffe fest. Hersteller und Importeure sind verpflichtet, umfangreiche Daten zu den Eigenschaften, Risiken und sicheren Verwendungen von Stoffen zu ermitteln und zu dokumentieren.

CLP-Verordnung

Die CLP-Verordnung adaptiert das weltweit einheitliche System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (GHS) und verpflichtet Unternehmen, Stoffe und Gemische nach einheitlichen Kriterien zu kennzeichnen und zu verpacken. Sie sorgt somit für Transparenz und einheitliche Warnhinweise innerhalb des europäischen Binnenmarktes.

Nationale Rechtsgrundlagen

Chemikaliengesetz (ChemG)

Das Chemikaliengesetz (ChemG) bildet das zentrale nationale Regelwerk zur Umsetzung und Ergänzung der europäisch vorgegebenen Anforderungen. Es enthält nationale Vorschriften zu Zulassung, Einstufung, Kennzeichnung und zum Inverkehrbringen von Gefahrstoffen.

Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)

Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) konkretisiert die Pflichten im Umgang mit Gefahrstoffen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie Dritte. Zentrale Regelungsbereiche sind die Gefährdungsbeurteilung, Schutzmaßnahmen, Unterweisungspflichten und Dokumentationsanforderungen.

Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)

Die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) spezifizieren auf dem Stand von Wissenschaft und Technik Maßnahmen zum Schutz vor Gefahrstoffen am Arbeitsplatz. Sie konkretisieren die Vorgaben der Gefahrstoffverordnung und gewährleisten die Arbeitssicherheit in Betrieben.


Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Gefahrstoffe im Sinne des Gefahrstoffrechts

Als Gefahrstoffe gelten nach § 2 Abs. 1 GefStoffV Stoffe und Gemische, die bestimmte gesundheitsschädliche, physikalisch gefährliche oder umweltgefährliche Eigenschaften aufweisen. Insbesondere werden hierzu eingestuft:

  • Explosive, brandfördernde und hochentzündliche Stoffe
  • Giftige, gesundheitsschädliche, reizende, ätzende und sensibilisierende Stoffe
  • Kanzerogene, mutagene oder reproduktionstoxische Stoffe (CMR-Stoffe)
  • Umweltgefährdende Chemikalien

Abgrenzung zu anderen Rechtsbereichen

Das Gefahrstoffrecht grenzt sich insbesondere vom Gefahrgutrecht ab, das den Transport gefährlicher Güter regelt, sowie von speziellen Umwelt- und Immissionsschutzgesetzen. Ferner bestehen Überschneidungen zum Arzneimittelrecht, Lebensmittelrecht sowie Biozid- und Pflanzenschutzmittelrecht.


Pflichten im Umgang mit Gefahrstoffen

Pflichten der Arbeitgeber

Arbeitgeber haben umfassende Pflichten zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Gefahrstoffe. Wesentliche Pflichtelemente sind:

  • Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen (§ 6 GefStoffV)
  • Ergreifen technischer, organisatorischer und persönlicher Schutzmaßnahmen
  • Erstellen von Betriebsanweisungen
  • Unterrichtung und Unterweisung der Beschäftigten
  • Überwachung und regelmäßige Überprüfung von Schutzmaßnahmen

Informationen, Kennzeichnung und Sicherheitsdatenblätter

Hersteller, Importeure und Händler müssen alle relevanten Informationen zu Gefahrstoffen bereitstellen. Dies beinhaltet die Kennzeichnung nach CLP-Verordnung, Bereitstellung von Sicherheitsdatenblättern und die Beachtung besonderer Verpackungsvorschriften.

Anzeige-, Genehmigungs- und Dokumentationspflichten

Für bestimmte Gefahrstoffe und Tätigkeiten ist eine behördliche Anzeige oder Genehmigung erforderlich. Unternehmen müssen zudem ein Gefahrstoffverzeichnis führen und sämtliche erforderlichen Unterlagen dokumentieren sowie behördlichen Stellen auf Verlangen vorlegen.


Überwachung, Kontrolle und Sanktionen

Zuständigkeiten der Behörden

Die Überwachung der Einhaltung der Gefahrstoffvorschriften obliegt hauptsächlich den Behörden des Arbeitsschutzes und der Umweltverwaltung. Diese können Betriebsbesichtigungen durchführen, Proben entnehmen, Maßnahmen anordnen oder den Umgang mit bestimmten Stoffen untersagen.

Ordnungswidrigkeiten und strafrechtliche Konsequenzen

Verstöße gegen das Gefahrstoffrecht gelten als Ordnungswidrigkeiten und sind bußgeldbewehrt (§ 26 ChemG, § 21 GefStoffV). In besonders schweren Fällen – etwa bei vorsätzlicher Gefährdung von Menschenleben – kommen strafrechtliche Sanktionen in Betracht.


Verhältnis zu anderen Regelungsbereichen

Gefahrgutrecht

Das Gefahrstoffrecht wird durch das Gefahrgutrecht ergänzt, das insbesondere den sicheren Transport gefährlicher chemischer Stoffe im öffentlichen Verkehrsraum regelt. Die Schnittstellen betreffen insbesondere Fragen der Kennzeichnung, Verpackung und Dokumentation.

Schnittstellen zu Umwelt-, Abfall- und Gewässerschutzrecht

Gefahrstoffe unterliegen zugleich Anforderungen aus dem Abfallrecht (Kreislaufwirtschaftsgesetz), dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) sowie immissionsschutz- und bodenschutzrechtlichen Vorgaben. Diese Regelungen greifen insbesondere dann, wenn es um die Entsorgung, Lagerung oder das Freisetzen von Gefahrstoffen geht.


Literatur und weiterführende Quellen

  • REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006
  • CLP-Verordnung (EG) Nr. 1272/2008
  • Chemikaliengesetz (ChemG)
  • Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)
  • Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)
  • Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua.de)
  • Umweltbundesamt (umweltbundesamt.de)

Zusammenfassung

Das Gefahrstoffrecht ist ein umfangreiches und komplexes Regelungsgebiet, das ein hohes Maß an staatlicher Kontrolle und Selbstverantwortung aller Beteiligten im Umgang mit gefährlichen Stoffen verlangt. Ziel ist der Schutz von Menschen und Umwelt vor den Risiken chemischer Stoffe unter Berücksichtigung von Wissenschaft und Technik sowie der fortlaufenden Entwicklung internationaler Standards. Unternehmen und Organisationen, die mit Gefahrstoffen arbeiten, sind zu einer Vielzahl von organisatorischen, dokumentarischen und technischen Maßnahmen verpflichtet, deren Umsetzung regelmäßig durch staatliche Überwachungsbehörden überprüft wird.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist eine Gefährdungsbeurteilung nach Gefahrstoffverordnung erforderlich?

Eine Gefährdungsbeurteilung nach der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) ist immer dann zwingend erforderlich, wenn Beschäftigte im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Gefahrstoffen in Kontakt kommen können. Dies gilt unabhängig von der verwendeten Menge oder der Dauer des Umgangs. Die Beurteilung dient dazu, potenzielle Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten systematisch zu identifizieren und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten. Gemäß § 6 GefStoffV hat der Arbeitgeber vor Beginn der Tätigkeit die jeweiligen Tätigkeiten, eingesetzten Gefahrstoffe, Mengen, Expositionsarten, Arbeitsbedingungen, Informationen aus Sicherheitsdatenblättern sowie spezielle Gefährdungen (z.B. krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe) lückenlos zu erfassen und bewertet daraufhin die Risiken durch Einatmen, Hautkontakt oder Verschlucken einschließlich möglicher Brand- und Explosionsgefahren. Auf Grundlage dieser Beurteilung sind Schutzmaßnahmen gemäß dem STOP-Prinzip (Substitution, Technische, Organisatorische und Persönliche Schutzmaßnahmen) zu treffen und deren Wirksamkeit regelmäßig zu überprüfen. Bei Änderung der Arbeitsverfahren, Substitutionen oder neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die Beurteilung zu aktualisieren. Die Ergebnisse müssen schriftlich dokumentiert und für die Behörden auf Verlangen vorgelegt werden.

Wer ist laut Gefahrstoffverordnung für die Kennzeichnung und Lagerung von Gefahrstoffen verantwortlich?

Für die ordnungsgemäße Kennzeichnung und Lagerung von Gefahrstoffen ist in erster Linie der Arbeitgeber rechtlich verantwortlich. Er trägt die Pflicht, sämtliche im Betrieb eingesetzten oder gelagerten Gefahrstoffe gemäß den Bestimmungen der GefStoffV, insbesondere gemäß § 8 und § 9, zu kennzeichnen und sicher aufzubewahren. Die Kennzeichnung der Gefahrstoffe muss auf Grundlage der CLP-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 1272/2008) erfolgen, welche die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung regelt. Dies beinhaltet Gefahrenpiktogramme, Signalwörter, Gefahrenhinweise (H-Sätze), Sicherheitshinweise (P-Sätze) und weitere relevante Angaben. Die Lagerung wiederum ist nach den jeweiligen Gefahrstoffmerkmalen durchzuführen, z.B. brennbare, ätzende oder toxische Stoffe, und muss den Vorgaben der TRGS (Technische Regeln für Gefahrstoffe) entsprechen. Dazu gehören Maßnahmen zur Vermeidung von Vermischungen, Zutrittskontrollen, Belüftung, Lagermengenbeschränkungen und die Verhinderung von Gefährdungen durch unsachgemäße Lagerung. Verstöße können als Ordnungswidrigkeit oder sogar Straftat geahndet werden.

Welche Pflichten bestehen hinsichtlich der Unterweisung von Beschäftigten im Umgang mit Gefahrstoffen?

Gemäß § 14 GefStoffV sind Arbeitgeber verpflichtet, alle Beschäftigten, die mit Gefahrstoffen umgehen oder damit in Berührung kommen können, vor Aufnahme der Tätigkeit und danach mindestens jährlich nachweislich zu unterweisen. Die Unterweisung muss arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogen erfolgen und sich auf die konkreten Gefährdungen, getroffene Schutzmaßnahmen (z. B. persönliche Schutzausrüstung, Notfallmaßnahmen), Verhalten im Umgang mit den betreffenden Gefahrstoffen sowie auf Rechtsgrundlagen stützen. Wichtige Inhalte sind das Erkennen von Gefahrensymbolen, das Lesen von Sicherheitsdatenblättern, Maßnahmen im Gefahrenfall (z.B. Brand, Verschütten, Vergiftung), Erste-Hilfe-Maßnahmen sowie das Verhalten bei Störungen oder Unfällen. Die Unterweisung ist zu dokumentieren und bei wesentlichen Änderungen der Arbeitsabläufe oder nach Unfällen mustergültig zu wiederholen.

Wie und wann sind Sicherheitsdatenblätter gemäß Gefahrstoffrecht bereitzustellen?

Das Gefahrstoffrecht, insbesondere die REACH- und die CLP-Verordnung, verpflichtet Lieferanten (Hersteller, Importeure, Händler) dazu, für jeden als gefährlich eingestuften Gefahrstoff ein Sicherheitsdatenblatt (SDB) kostenlos und in der Amtssprache des Empfängerlandes bereitzustellen. Das SDB muss spätestens zum Zeitpunkt der ersten Lieferung unaufgefordert und aktuell übergeben werden. Unternehmen, die Gefahrstoffe erhalten, sind verpflichtet, die Datenblätter allen betroffenen Mitarbeitern sowie dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit zugänglich zu machen. Die Datenblätter müssen mindestens 16 Abschnitte umfassen, darunter Angaben zu Identifikation, Gefahren, Zusammensetzung, Erste Hilfe, Maßnahmen bei Bränden und Freisetzungen, Handhabung und Lagerung, Expositionskontrolle, Toxikologie und Entsorgung. Änderungen der Angaben sind nachzupflegen und die aktuellste Version den Nutzern zur Verfügung zu stellen.

Welche besonderen Regelungen gelten im Gefahrstoffrecht für krebserzeugende Stoffe?

Für krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe der Kategorien 1A und 1B (CMR-Stoffe) gelten im Gefahrstoffrecht verstärkte Schutzpflichten. Nach § 10 GefStoffV sind diese Stoffe nach Möglichkeit zu ersetzen (Substitutionsgebot). Falls eine Substitution technisch nicht möglich ist, sind zusätzliche Maßnahmen wie geschlossene Systeme, spezielle Absaugvorrichtungen, Zugangsbeschränkungen, besondere Schutzkleidung und Überwachungsvorkehrungen verpflichtend umzusetzen. Darüber hinaus bestehen umfangreiche Informations- und Dokumentationspflichten, wie das Führen eines Gefahrstoffverzeichnisses und einer Expositionsdokumentation (ArbMedVV). Beschäftigte, die exponiert waren, sind nach den normalerweise üblichen Fristen nachgehender arbeitsmedizinischer Vorsorge zuzuführen und das Unternehmen hat die relevanten Unterlagen mindestens 40 Jahre aufzubewahren.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Verstößen gegen das Gefahrstoffrecht?

Verstöße gegen das Gefahrstoffrecht können schwerwiegende rechtliche Konsequenzen für Unternehmen und verantwortliche Personen nach sich ziehen. Bereits Ordnungswidrigkeiten nach § 20 GefStoffV, wie z.B. fehlende Gefährdungsbeurteilungen, Unterweisungen oder falsche Lagerung, können mit empfindlichen Geldbußen bis zu 50.000 Euro geahndet werden. Straftaten liegen insbesondere dann vor, wenn vorsätzlich oder fahrlässig Leben oder Gesundheit von Beschäftigten gefährdet werden (§ 21 GefStoffV), was zu Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder hohen Geldstrafen führen kann. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche und versicherungsrechtlicher Konsequenzen, etwa wenn der Versicherungsschutz wegen grober Fahrlässigkeit entfällt. Behörden können zudem sofortige Betriebsstilllegungen bzw. Untersagungen aussprechen.

Welche Bedeutung haben Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) im rechtlichen Kontext?

Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) konkretisieren als norminterpretierende Richtlinien die Anforderungen des Gefahrstoffrechts, insbesondere der GefStoffV. Sie werden vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) erarbeitet und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bekannt gegeben. Geltung erlangen sie durch Veröffentlichung im Gemeinsamen Ministerialblatt. TRGS geben den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse wieder. Rechtsverbindlich werden sie, indem vermutungsweise angenommen wird, dass bei Einhaltung der TRGS die Pflichten aus der GefStoffV erfüllt sind (sogenannte Vermutungswirkung). Abweichungen sind zulässig, wenn nachgewiesen wird, dass mindestens gleichwertige Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Behörden und Gerichte greifen in Streitfällen regelmäßig auf die TRGS zur Auslegung der Rechtsnormen zurück.