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Gefahr


Begriff und Rechtliche Bedeutung der Gefahr

Der Begriff „Gefahr“ spielt in zahlreichen Rechtsbereichen eine zentrale Rolle. Er dient als fundamentales Element im Polizei- und Ordnungsrecht, im Strafrecht, im Zivilrecht, im Verwaltungsrecht sowie in zahlreichen Spezialgesetzen. Die genaue Definition und die jeweiligen Rechtsfolgen differieren je nach Rechtsgebiet. Im Folgenden wird die rechtliche Bedeutung der Gefahr umfassend erläutert und verschiedene Erscheinungsformen, Typisierungen, sowie Abgrenzungen und Rechtsfolgen dargestellt.


Definition der Gefahr im Recht

Der Begriff der Gefahr beschreibt einen Zustand, in dem bei ungehindertem Ablauf des objektiven Geschehens eine Schädigung von rechtlich geschützten Gütern wahrscheinlich ist. Maßgeblich ist stets eine Prognose ex-ante, das heißt aus vorausschauender Perspektive zum Zeitpunkt der Lagebeurteilung.

Allgemeine Gefahrenbegriffe

  • Abstrakte Gefahr: Eine abstrakte Gefahr liegt vor, wenn ein bestimmter Sachverhalt generell geeignet ist, bei ungehindertem Ablauf zu einer Rechtsgutverletzung zu führen.
  • Konkrete Gefahr: Eine konkrete Gefahr besteht, wenn im Einzelfall eine Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vorliegt, die das bloße abstrakte Risiko übersteigt und den Eintritt eines Schadens als naheliegend erscheinen lässt.

Gefahr in den verschiedenen Rechtsgebieten

Polizei- und Ordnungsrecht

Im Polizei- und Ordnungsrecht ist die Gefahr zentraler Ausgangspunkt für Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Nach vorherrschender Definition ist eine Gefahr ein Zustand, bei dem eine Schädigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Öffentliche Sicherheit umfasst alle Regelungen der Rechtsordnung, den Bestand des Staates sowie die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen.

Arten der Gefahr

  • Konkrete Gefahr: Erforderlich für das Eingreifen der Polizei oder Ordnungsbehörden; Beispiele sind unmittelbar bevorstehende Körperverletzungen oder Brandgefahren.
  • Abstrakte Gefahr: Rechtfertigt in der Regel allgemeine Gefahrenabwehrverordnungen, etwa über die Anleinpflicht von Hunden.
  • Dringende Gefahr: Eine Gefahr für bedeutende Rechtsgüter, bei der besonders schnelles behördliches Handeln notwendig ist.
  • Erhebliche Gefahr: Es droht die Beeinträchtigung von besonders wichtigen Rechtsgütern, wie Leben, Gesundheit oder bedeutende Sachwerte.
  • Gefahr im Verzug: Liegt vor, wenn durch Verzögerung einer Maßnahme ein Schaden eintreten könnte, der nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Strafrecht

Im Strafrecht ist die Gefahr eng mit Delikten wie der fahrlässigen Körperverletzung, dem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion oder der allgemeinen Gefährdung Dritter verknüpft. Typischerweise differenziert das Strafrecht zwischen möglicher (abstrakter) und konkreter Gefahr. Eine Strafbarkeit ist regelmäßig erst bei einer konkreten Gefährdung gegeben, etwa bei den Straßenverkehrsdelikten, wenn Leib oder Leben eines anderen oder bedeutende Sachwerte gefährdet werden.

Zivilrecht

Auch im Zivilrecht ist der Gefahrenbegriff relevant, insbesondere im Sachenrecht (z.B. Gefahrübergang beim Kaufvertrag § 446 BGB), bei Schadensersatzansprüchen und im Bereich der Haftung. Das Gesetz spricht etwa beim Gefahrübergang davon, wann das Risiko des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung einer Sache vom Verkäufer auf den Käufer übergeht.


Rechtliche Auswirkungen und Bedeutung der Gefahr

Gefahr als Eingriffsvoraussetzung

Im Polizei- und Ordnungsrecht ist das Vorliegen einer Gefahr notwendige Voraussetzung für zahlreiche Standardmaßnahmen (z.B. Platzverweis, Sicherstellung, Gewahrsamnahme). Maßnahmen ohne Vorliegen einer Gefahr gelten als rechtswidrig, da ansonsten das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt wäre.

Gefahr beim Gefahrübergang

Im Zivilrecht ist der Zeitpunkt des Gefahrübergangs bedeutend für die Frage, wer das Risiko für den zufälligen Untergang oder die Verschlechterung einer Sache trägt. Beim Versendungskauf beispielsweise geht die Gefahr auf den Käufer über, sobald die Sache an den Transporteur übergeben wird, sofern nicht etwas anderes vereinbart ist.

Gefahr und Schadensersatz

Die spezifische Ausgestaltung des Gefahrenbegriffs entscheidet regelmäßig über die Haftung oder Schadensersatzpflicht. Existierte zum Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung eine konkrete Gefahr, können daraus Ansprüche auf Schadensersatz, Unterlassung oder Beseitigung resultieren.


Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Risiko und Gefahr

Während die Gefahr eine auf Rechtsgüter bezogene Wahrscheinlichkeitsaussage über einen nachteiligen Erfolg ist, beschreibt das Risiko allgemein das Verhältnis von Wahrscheinlichkeit und Ausmaß eines möglichen Schadens. Gefahr ist das rechtliche Essenz des Risikos, sofern sie hinreichend konkretisiert ist und rechtliche Maßnahmen erforderlich macht.

Gefährdungstatbestand

Ein Gefährdungstatbestand im materiellen Recht setzt voraus, dass nicht erst mit Eintritt des Schadens, sondern schon bei Herbeiführung einer konkreten Gefahr Rechtsfolgen, insbesondere Strafbarkeit, ausgelöst werden können (z.B. im Verkehrsrecht: Trunkenheit im Verkehr).


Rechtsprechung und Literatur

Die Auslegung des Gefahrenbegriffs ist häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Die Maßgeblichkeit einer ex-ante-Prognose, die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und die Abgrenzung zu bloßen Belästigungen oder tatsächlichen Schäden gehören zum klassischen Streitpunkt im Behördenhandeln und Gerichtsverfahren. Die Fachliteratur differenziert zudem zwischen verschiedenen Abstufungen wie „dringende Gefahr“, „gegenwärtige Gefahr“ und „erhebliche Gefahr“, um spezifische behördliche Befugnisse und Rechtsfolgen festzulegen.


Fazit

Der Gefahrenbegriff ist ein zentrales Element im deutschen und europäischen Rechtssystem. Seine genaue Definition sowie die Abgrenzung zu anderen Risikolagen entscheidet maßgeblich darüber, unter welchen Voraussetzungen staatliche und private Akteure eingreifen können oder haften. Die Rechtsprechung sowie die einschlägige Literatur differenzieren verschiedene Gefahrenkategorien, die insbesondere im öffentlichen Recht für die Zulässigkeit von Maßnahmen unerlässlich sind. Die sachgerechte Beurteilung und Anwendung des Gefahrenbegriffs ist für Rechtsanwendung und Rechtspraxis essentiell.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt aus rechtlicher Sicht eine „konkrete Gefahr“ vor?

Unter einer „konkreten Gefahr“ wird im deutschen Recht eine Sachlage verstanden, bei der im Einzelfall konkret feststeht, dass bei ungehindertem Verlauf des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden an einem Schutzgut (wie Leben, Gesundheit, Eigentum oder öffentliche Sicherheit und Ordnung) eintreten wird. Maßgeblich ist hierbei das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten, die die Annahme eines Schadenseintritts rechtfertigen. Die Bewertung, ob eine konkrete Gefahr vorliegt, erfolgt anhand des sog. Prognosemaßstabs durch die zuständige Behörde oder das Gericht. Typischerweise wird zwischen dem bloßen Verdacht, dem Gefahrenverdacht, der abstrakten und der konkreten Gefahr unterschieden. Letztere ist für das polizeiliche Einschreiten oder für ordnungsbehördliche Maßnahmen ausschlaggebend, da präventive Eingriffe regelmäßig erst dann zulässig sind, wenn von einer hinreichend bestimmten Gefahr ausgegangen werden kann. Für die Abgrenzung werden objektive Kriterien, wie das Verhalten von Personen, bestehende Umstände und Erfahrungswerte, herangezogen. Rechtlich normiert ist die konkrete Gefahr unter anderem in den allgemeinen Polizeigesetzen der Länder sowie im Bundesrecht.

Welche rechtlichen Pflichten entstehen für Behörden bei Erkennen einer Gefahr?

Erkennt eine zuständige Behörde eine Gefahr – insbesondere eine konkrete Gefahr – ist sie im Rahmen ihrer Aufgabenzuweisung verpflichtet, die erforderlichen und verhältnismäßigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen. Diese Pflicht ergibt sich insbesondere aus den polizeirechtlichen Generalklauseln (§§ 1, 3 PolG der Länder) sowie spezialgesetzlichen Regelungen. Die Auswahl und Intensität der Maßnahmen richten sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das heißt, es dürfen nur solche Eingriffe erfolgen, die geeignet, erforderlich und angemessen sind, um die Gefahr zu beseitigen oder zu minimieren. Wird die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig bekämpft, kann dies zu Amtshaftungsansprüchen führen, wenn dadurch ein Schaden entsteht (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG). Zudem besteht im Rahmen von Beleihungen oder im Verwaltungshelferverhältnis die Möglichkeit, dass auch private Dritte verpflichtet werden können, bestimmte Gefahrenabwehrmaßnahmen zu treffen.

Inwiefern haften Privatpersonen rechtlich, wenn sie eine Gefahr verursachen?

Private Personen, die eine Gefahr verursachen (Störer), können nach den polizeirechtlichen Vorschriften als Verantwortliche herangezogen werden. Grundsätzlich unterscheidet das Gefahrenabwehrrecht zwischen dem Verhaltensstörer (§ 4 PolG; jemand, der die Gefahr durch eigenes Verhalten verursacht) und dem Zustandsstörer (jemand, dessen Sache den gefährlichen Zustand hervorruft). Beide können verpflichtet werden, die Gefahr zu beseitigen oder zu verhindern. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, können im Wege des Verwaltungszwangs unmittelbare Maßnahmen gegen sie getroffen werden (z.B. Ersatzvornahme, Zwangsgeld, unmittelbarer Zwang). Daneben können zivilrechtliche Schadensersatzansprüche (aus § 823 BGB) entstehen, sofern durch die Gefahr ein Rechtsgut Dritter verletzt wird. Strafrechtlich kann die Herbeiführung oder Inkaufnahme einer Gefahr unter Umständen eine strafbare Handlung darstellen (z.B. § 315c StGB – Gefährdung des Straßenverkehrs).

Welche rechtlichen Unterschiede bestehen zwischen „abstrakter“ und „konkreter“ Gefahr?

Eine abstrakte Gefahr beschreibt einen Sachverhalt, bei dem nach allgemeiner Lebenserfahrung und im Rahmen einer generellen Betrachtung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für ein Schutzgut eintreten könnte, ohne dass bereits im Einzelfall ein bestimmtes gefährliches Ereignis vorliegt. Sie begründet insbesondere die Grundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen oder Allgemeinverfügungen durch die Verwaltung (gezielte Prävention). Die konkrete Gefahr hingegen erfordert, dass im Einzelfall tatsächliche Umstände bestehen, die nach pflichtgemäßem Ermessen einen Schadenseintritt als wahrscheinlich erscheinen lassen. Nur letztere legitimiert das unmittelbare Einschreiten der Polizeibehörden und ordnungsrechtliche Eingriffe gegenüber einzelnen Personen. Die rechtliche Qualität der Maßnahmen ist daher eng an die jeweilige Gefahrenstufe gebunden: Während bei einer abstrakten Gefahr in der Regel nur allgemeine Maßnahmen zulässig sind, kann bei konkreter Gefahr gegen spezifische Störer vorgegangen werden.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen zur Gefahrenabwehr gegen Unbeteiligte?

Das sogenannte polizeiliche Notstandsrecht erlaubt ausnahmsweise auch Maßnahmen gegen Nichtstörer (Unbeteiligte), wenn die Abwehr einer erheblichen Gefahr anders nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist und ein polizeilicher Notstand vorliegt (§ 6 PolG oder vergleichbare Regelungen). Voraussetzung ist, dass die Handlung gegenüber dem Nichtstörer zur Gefahrenabwehr absolut unerlässlich ist. Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein, und dem Unbeteiligten ist grundsätzlich ein Ersatz für entstehende Schäden zu gewähren (vgl. Ersatzansprüche nach § 39 PolG oder § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG). Einschränkungen des Grundsatzes, dass grundsätzlich nur Störer zur Verantwortung gezogen werden dürfen, sind dabei eng auszulegen und nur bei gegenwärtiger und nicht anders abwendbarer Gefahr rechtmäßig.

Welche Rechtsmittel stehen Betroffenen bei behördlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen zur Verfügung?

Personen, die von behördlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen (z.B. Platzverweis, Sicherstellung, Ingewahrsamnahme) betroffen sind, können gegen diese Verwaltungsakte die sogenannten Rechtsbehelfe einlegen. Regelmäßig ist der Widerspruch das erste Mittel, sofern nicht Landesrecht oder ein Bundesgesetz etwas anderes vorsieht (§§ 68 ff. VwGO). Wird die Behörde im Eilverfahren um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz ersucht, steht insbesondere der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) oder die einstweilige Anordnung (§ 123 VwGO) zur Verfügung. Im gerichtlichen Hauptsacheverfahren kann Klage zum Verwaltungsgericht erhoben werden. In bestimmten Fällen ist auch ein Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme möglich. Darüber hinaus bestehen Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche, wenn Maßnahmen rechtswidrig oder unverhältnismäßig waren.