Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Erbrecht»Gattungsvermächtnis

Gattungsvermächtnis


Gattungsvermächtnis im deutschen Erbrecht

Begriff und rechtliche Einordnung

Das Gattungsvermächtnis ist ein spezifisches Institut im deutschen Erbrecht, das in den §§ 2155 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt ist. Es handelt sich dabei um eine Form des Vermächtnisses, bei dem der Erblasser dem Begünstigten („Vermächtnisnehmer“) nicht einen individuell bestimmten Gegenstand, sondern einen aus einer Gattung bestimmten Gegenstand zuwendet. Im Gegensatz zum Stückvermächtnis ist beim Gattungsvermächtnis lediglich die Art, nicht aber das konkrete Stück bestimmt. Beispielsweise kann der Erblasser bestimmen, dass der Vermächtnisnehmer „ein Kraftfahrzeug der Marke XY“ oder „100 Aktien der Gesellschaft Z“ erhalten soll.

Abgrenzung zu anderen Vermächtnisarten

Stückvermächtnis

Das Stückvermächtnis bezieht sich auf einen individuell bestimmten Gegenstand (z. B. „mein Oldtimer Mercedes mit dem Kennzeichen …“). Demgegenüber fehlt beim Gattungsvermächtnis die individuelle Bestimmung, sodass sich mehrere konkrete Gegenstände für die Erfüllung eignen.

Wahlschuld als Sonderfall

Teilweise überschneidet sich das Gattungsvermächtnis in der Praxis mit der Wahlschuld. Der Erblasser kann bestimmen, dass der Vermächtnisnehmer aus einer Vielzahl von Gegenständen wählen darf oder der Verpflichtete (in der Regel der Erbe) das Wahlrecht besitzt.

Gesetzliche Grundlagen

Kerngesetze

  • § 2155 Abs. 1 BGB definiert das Gattungsvermächtnis ausdrücklich.
  • § 243 BGB regelt, welche Anforderungen an die Gattung zu stellen sind (Gattungsschuld).
  • Die Vorschriften zu Vermächtnisansprüchen (§§ 2174 ff. BGB) finden ebenfalls Anwendung.

Entstehung und Erwerb des Anspruchs

Beim Gattungsvermächtnis erwirbt der Vermächtnisnehmer mit dem Erbfall einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den mit dem Vermächtnis Beschwerten (regelmäßig den Erben) auf Übereignung eines Gegenstands der bestimmten Gattung. Ein automatischer Eigentumserwerb tritt dabei nicht ein. Der konkrete Gegenstand ist vom Erben gemäß den Vorgaben des § 243 Abs. 1 BGB auszuwählen und zu leisten. Dabei muss ein Exemplar mittlerer Art und Güte geleistet werden. Erst mit Übereignung (beispielsweise nach §§ 929 ff. BGB bei beweglichen Sachen) erlangt der Vermächtnisnehmer Eigentum.

Reichweite und Grenzen der Auswahl

Bestimmung durch den Verpflichteten

In der Regel hat der beschwerte Erbe das Recht und die Pflicht, den zu leistenden Gegenstand aus der Gattung auszuwählen und zu übereignen. Dabei ist der Grundsatz der „mittleren Art und Güte“ zu beachten. Überlässt der Erblasser einem Dritten die Bestimmung des zu übereignenden Gegenstands (§ 2155 Abs. 2 BGB), richten sich Rechtsfolgen nach den Normen über die Bestimmung der Leistung (§ 315 BGB).

Konkretisierung der Gattungsschuld

Eine Konkretisierung erfolgt, wenn der Schuldner das zur Leistung seinerseits Erforderliche getan hat (§ 243 Abs. 2 BGB). Im Falle von Speziesverlust oder Untergang einer Gattungssache gilt das Prinzip, dass die Gattung nicht untergeht.

Modifikation durch Testamentsauslegung

Im Einzelfall kann durch Testamentsauslegung (§ 133 BGB) ermittelt werden, ob tatsächlich ein Gattungsvermächtnis im Rechtssinne oder ein Stückvermächtnis vorliegt. Entscheidend ist der erkennbare Wille des Erblassers. Werden nähere Bestimmungsmerkmale für den Gegenstand benannt, kann dies zu einer individuellen Konkretisierung und damit zu einem Stückvermächtnis führen.

Rechtsfolgen und Ansprüche des Vermächtnisnehmers

Der Vermächtnisnehmer erwirbt gegen den Erben einen Anspruch auf Übereignung eines Gegenstands der genannten Gattung. Kommt der Erbe diesem Anspruch nicht nach, kann der Vermächtnisnehmer gemäß §§ 2181, 280, 286 BGB Ersatzansprüche geltend machen. Überdies können Ansprüche auf Schadensersatz bei Verschlechterung der erhaltenen Sache oder Fehlleistung entstehen.

Sonderfragen in Bezug auf das Gattungsvermächtnis

Vorratsschuld und Surrogat

Das Gattungsvermächtnis birgt Besonderheiten bezüglich des Vorrats beim Erben: Ist kein Gegenstand der betreffenden Gattung im Nachlass vorhanden, hat der beschwerte Erbe dennoch die Gattung zu beschaffen und das Vermächtnis zu erfüllen (Vorratsschuld). Auch bei Surrogation (Ersatzbeschaffung) kann das Gattungsvermächtnis seine Wirkung entfalten.

Auswirkung der Teilunmöglichkeit

Sofern die Beschaffung des Gegenstands aus der Gattung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, kommt es zur Teilunmöglichkeit und damit ggf. zur Anpassung bzw. zum Erlöschen des Anspruchs.

Steuerliche Würdigung

Im Hinblick auf die Erbschaftsteuer wird das Gattungsvermächtnis wie andere Vermächtnisse behandelt. Für die erbschaftsteuerliche Bewertung ist der gemeine Wert der zugewendeten Gattungssache maßgeblich. Einzelheiten regeln das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG).

Internationales Privatrecht

Im internationalen Kontext ist zu beachten, welches Erbrecht zur Geltung kommt. Nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) und dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) entscheidet das Erbstatut über die Wirksamkeit und Rechtsfolgen des Gattungsvermächtnisses.

Zusammenfassung

Das Gattungsvermächtnis ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Erbrechts und kennzeichnet sich dadurch, dass dem Vermächtnisnehmer ein Gegenstand bestimmter Gattung zugesprochen wird. Es unterliegt zahlreichen gesetzlichen Vorgaben, die sowohl die Auslegung, die Erfüllung als auch die Rechtsfolgen betreffen. Die korrekte Handhabung des Gattungsvermächtnisses ist essentiell, um Streitigkeiten zwischen Erblasser, Erben und Vermächtnisnehmer zu vermeiden und eine rechtskonforme Nachlassabwicklung zu gewährleisten.

Häufig gestellte Fragen

Wer kann als Vermächtnisnehmer bei einem Gattungsvermächtnis eingesetzt werden?

Als Vermächtnisnehmer eines Gattungsvermächtnisses kann jede natürliche oder juristische Person in Betracht kommen, die nach deutschem Erbrecht rechtsfähig ist und eine Vermögenszuwendung empfangen darf. Dazu zählen Privatpersonen, gemeinnützige Organisationen, Unternehmen, aber auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, etwa Gemeinden oder Stiftungen. Voraussetzung ist, dass der Vermächtnisnehmer im Zeitpunkt des Erbfalls existent und vermögensfähig ist. Minderjährige Vermächtnisnehmer erhalten das Vermächtnis ggf. durch ihren gesetzlichen Vertreter verwaltet. Auch mehrere Personen können gemeinschaftlich als Vermächtnisnehmer eines einheitlichen Gattungsvermächtnisses bestimmt werden, wobei im Zweifel davon auszugehen ist, dass sie zu gleichen Teilen berechtigt sind, sofern der Erblasser keine anderweitigen Teilungsanordnungen getroffen hat.

Wie erfolgt die Auswahl eines konkreten Gegenstands bei einem Gattungsvermächtnis?

Im Falle eines Gattungsvermächtnisses ist in der Regel eine Gattung gemäß § 243 BGB bestimmt (zum Beispiel: „ein Auto“, „100 Aktien einer bestimmten Gesellschaft“). Die Herausgabe- oder Auswahlpflicht obliegt grundsätzlich dem Beschwerten – meist dem Erben -, sofern der Erblasser nicht einen Dritten zur Auswahl bestimmt hat. Die ausgewählten Gegenstände müssen dabei der gewöhnlichen Art und Güte der bestimmten Gattung entsprechen. Erfolgt keine Bestimmung durch den Erben oder besteht Uneinigkeit, kann – notfalls gerichtlich – die Auswahl forciert werden. Besondere Vorschriften gelten, wenn es sich um eine Gattungsschuld mit einer Auswahl- oder Konkretisierungspflicht des Erben handelt. Eine einvernehmliche Auswahl zwischen Erben und Vermächtnisnehmer ist immer möglich, die gesetzlichen Vorschriften regeln dann den Modus in Streitfällen.

Was passiert, wenn die bestimmte Gattung zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht vorhanden ist?

Ist die im Gattungsvermächtnis bezeichnete Gattung im Nachlass des Erblassers zum Todeszeitpunkt nicht (mehr) vorhanden, liegt eine sogenannte Stückschuld nicht vor und der Anspruch des Vermächtnisnehmers richtet sich grundsätzlich gegen den Erben auf Beschaffung von Sachen gleicher Art und Güte. Der Erbe hat also das Gattungsvermächtnis aus seinem Vermögen zu erfüllen, falls der Nachlass die entsprechenden Gegenstände nicht enthält. Dem Vermächtnisnehmer steht in diesem Fall ein Anspruch auf Verschaffung der geschuldeten Gattungssache zu. Sollte auch die Beschaffung objektiv unmöglich oder unzumutbar sein (etwa bei untergegangenen Gattungen wie einer vollständig vernichteten Wertpapiergattung), kann das Vermächtnis eventuell nach den Vorschriften über die Unmöglichkeit (§§ 275, 280 BGB) entfallen oder Schadensersatzansprüche begründen.

Kann ein Gattungsvermächtnis Gegenstand einer Teilungsanordnung sein?

Ja, ein Gattungsvermächtnis kann tatsächlich als Instrument der Nachlassteilung fungieren, insbesondere wenn mehrere Erben bedacht und bestimmte Nachlassgegenstände unterschiedlichen Personen zugewiesen werden sollen. Durch die Ausgestaltung als Gattungsvermächtnis kann der Erblasser gezielt steuern, dass einzelne oder mehrere Vermächtnisnehmer aus einer bestimmten Gattung konkrete Gegenstände erhalten – etwa jeder Abkömmling „ein Schmuckstück aus der Familiensammlung“. In solchen Fällen ist die Auswahl meist dem Erben oder einem bestimmten Dritten überlassen. Besteht keine klare Regelung, ist ggf. eine gleichmäßige Teilung oder eine Losentscheidung erforderlich. Teilungsanordnungen in Form von Gattungsvermächtnissen sind insbesondere im Rahmen der Pflichtteilsberechnung und der Auseinandersetzung unter Erben von Bedeutung, da sie Einfluss auf die Wertermittlung und die Verteilung der Nachlassteile nehmen.

Welche Rechte und Pflichten haben Erbe und Vermächtnisnehmer im Zusammenhang mit einem Gattungsvermächtnis?

Der Erbe ist verpflichtet, dem Vermächtnisnehmer den Gegenstand der bestimmten Gattung zu verschaffen und zu übereignen. Dazu muss er die Sache auswählen, sofern der Erblasser dies nicht selbst oder durch einen Dritten verfügt hat. Die Auswahl und Verschaffung müssen ordnungsgemäß und nach Treu und Glauben erfolgen, das bedeutet insbesondere, dass keine übermäßig minderwertigen Exemplare ausgewählt werden dürfen. Der Vermächtnisnehmer hat Anspruch auf einen der Gattung entsprechenden Gegenstand und kann – falls der Erbe untätig bleibt oder unzumutbare Sachen zuweist – auf ordnungsgemäße Erfüllung klagen oder ggf. Schadensersatz fordern. Der Erbe trägt während der Zeit bis zur Erfüllung des Vermächtnisanspruchs grundsätzlich die Gefahr des Untergangs der Sache (§ 2174 BGB analog). Der Vermächtnisnehmer erhält mit Erfüllung des Anspruchs volles Eigentum an dem ausgewählten Gegenstand.

Wie wird ein Gattungsvermächtnis in Bezug auf Pflichtteilsrechte bewertet?

Das Gattungsvermächtnis berührt das Pflichtteilsrecht auf zwei Ebenen: Zum einen mindert ein Vermächtnis den Nachlasswert, der für die Pflichtteilsberechnung maßgeblich ist. Der Wert, der durch ein Gattungsvermächtnis entzogen wird, ist als Belastung vom Nachlass abzuziehen. Zum anderen zählt auch der Vermächtnisnehmer grundsätzlich zum Kreis der „Pflichtteilsberechtigten“, sofern er ohnehin pflichtteilsberechtigt ist und durch das Vermächtnis weniger als die Pflichtteilsquote erhält. Die Bewertung des Vermächtnisses erfolgt nach seinem objektiven Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls. Problematisch wird es, wenn die Gattungssache erheblichen Wertschwankungen unterliegt; hier ist die Wertermittlung nachvollziehbar und gerichtsfest zu dokumentieren.

Welche Besonderheiten gelten für das Gattungsvermächtnis bei der Steuerpflicht?

Im Erbschaftsteuerrecht wird auch das Gattungsvermächtnis als steuerpflichtiger Erwerb behandelt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Der Vermächtnisnehmer muss den Wert des ihm zugewendeten Gegenstands versteuern; die Steuer bemisst sich nach dem Wert des zugeteilten Gegenstands am Bewertungsstichtag (Zeitpunkt des Erwerbs). Zu beachten ist, dass für die konkrete Besteuerung die Auswahl und Übergabe entscheidend ist, d.h., der genaue Wert steht erst nach Zuteilung des konkreten Gegenstands fest. Die dem Vermächtnisnehmer zuzurechnende Steuerklasse und etwaige Freibeträge richten sich nach seinem persönlichen Verhältnis zum Erblasser, nicht nach dem Verhältnis zum Erben. Besondere steuerliche Problemlagen entstehen, wenn der Vermächtnisanspruch erst nach Jahren erfüllt oder in Geld abgegolten wird; in derartigen Fällen ist auf die jeweiligen Verwaltungsanweisungen und aktuelle Rechtsprechung zu achten.