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Gattungssache


Begriff und Definition der Gattungssache

Die Gattungssache ist ein zentraler Rechtsbegriff im deutschen Zivilrecht, der auf § 243 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) basiert. Eine Gattungssache ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nur nach generellen Merkmalen – wie Art, Maß, Gewicht oder Zahl – bestimmt ist und nicht individualisiert ist. Im Gegensatz dazu steht die Stück- oder Spezies-Sache, welche durch individuelle Merkmale bestimmt und von anderen Sachen dieser Art unterscheidbar ist.

Typische Beispiele für Gattungssachen sind „ein Liter Milch“, „500 Kilogramm Weizen“ oder „zehn handelsübliche Rohre“. Die Einteilung von Sachen in Gattungssachen und Stücksachen hat insbesondere im Schuldrecht erhebliche rechtliche Bedeutung.


Rechtliche Grundlagen

Gattungssache im BGB

Im BGB ist die Gattungssache insbesondere in folgenden Vorschriften geregelt:

  • § 243 BGB: Leis­tung nach Gattung
  • § 275 BGB: Ausschluss der Leistungspflicht
  • § 284 BGB: Ersatz vergeblicher Aufwendungen

§ 243 Abs. 1 BGB lautet: „Ist die Leistung nach der Gattung bestimmt, so hat der Schuldner eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten.“ Damit verpflichtet sich der Schuldner, eine zur festgelegten Gattung gehörende und üblicherweise durchschnittliche Qualität aufweisende Sache zu übergeben.


Abgrenzung zur Stücksache

Der grundlegende Unterschied zur Stück- oder Speziessache besteht darin, dass Stücksachen durch individuelle Merkmale, wie Seriennummern, prägende Gebrauchsspuren oder Unikateigenschaften, bestimmt sind. Eine Speziessache ist etwa „das Originalgemälde ›Die Sternennacht‹ von Vincent van Gogh“. Im Unterschied dazu ist eine Gattungssache austauschbar, solange sie die gattungsbezogenen Merkmale erfüllt.


Bedeutung im Schuldrecht

Leistungsstörung und Gefahrübergang

Die Unterscheidung zwischen Gattungs- und Stücksachen ist besonders bedeutsam für folgende Bereiche:

1. Unmöglichkeit der Leistung

Bei Gattungsschulden bleibt die Leistungspflicht grundsätzlich bestehen, solange der Schuldner Zugriff auf weitere Sachen der Gattung hat (Vorratsschuld). Die Leistung wird erst dann unmöglich (§ 275 BGB), wenn sämtliche Sachen dieser Gattung untergegangen oder nicht mehr zu beschaffen sind (Gattungsuntergang).

2. Konkretisierung gemäß § 243 Abs. 2 BGB

Gemäß § 243 Abs. 2 BGB konkretisiert sich die Gattungsschuld zur Stückschuld, sobald der Schuldner das zur Leistung seinerseits Erforderliche getan hat (beispielsweise die ausgewählte Ware in Versand gegeben hat). Nach der Konkretisierung haftet der Schuldner nur noch für die konkrete Sache, nicht mehr für die gesamte Gattung.

3. Gefahrtragung

Vor der Konkretisierung trägt der Schuldner die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache. Nach Konkretisierung oder bei Stückschuld, geht die Gefahr regelmäßig auf den Gläubiger über; insbesondere relevant im Kaufrecht und bei Versendungskauf nach § 447 BGB.


Gattungsschuld: Ausprägungen und Sonderformen

Vorratsschuld

Eine Gattungsschuld ist regelmäßig als Vorratsschuld ausgestaltet (§ 243 Abs. 1 BGB), das heißt, der Schuldner ist nur verpflichtet, aus seinem eigenen vorhandenen Vorrat zu leisten. Ist der gesamte Vorrat untergegangen, erlischt die Leistungspflicht. Besteht jedoch eine „unbeschränkte“ Gattungsschuld, muss nötigenfalls weltweit beschafft werden.

Wahlschuld

Gattungsschulden können auch als Wahlschuld ausgestaltet werden (§ 262 BGB), wenn eine Auswahl zwischen mehreren Gattungssachen geschuldet wird.


Gattungssachen im Sachenrecht

Gattungssachen sind für das Sachenrecht, insbesondere für die Eigentumsübertragung nach § 929 ff. BGB, relevant. Bis zur Eigentumsverschaffung muss die konkrete Sache individualisierbar und bestimmbar sein, was meist erst durch Konkretisierung erfolgt. Vorher kann nur Anwartschaftsrecht, nicht jedoch unmittelbar Eigentum übertragen werden.


Gattungssache im Kaufrecht

Im Kaufrecht gemäß §§ 433 ff. BGB spielen Gattungssachen die bedeutendste Rolle bei Massengeschäften und Warenlieferungen. Nach § 243 BGB ist grundsätzlich eine Sache von mittlerer Art und Güte zu liefern, außer etwas anderes ist vereinbart. Bei Mängeln ist nach allgemeinen Grundsätzen Nacherfüllung zu leisten.


Gattungssachen im internationalen Warenverkehr

Im internationalen Warenverkauf, beispielsweise nach dem UN-Kaufrecht (CISG), wird zwischen individualisierten Bestellungen und Gattungskäufen unterschieden. Auch hier ist die rechtliche Behandlung von Gattungssachen entscheidend für die Risikoverteilung und die Pflicht zur Nachlieferung.


Zusammenfassung

Die Gattungssache ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Zivilrecht und beeinflusst maßgeblich die Haftung, die Gefahrtragung, die Leistungsstörung sowie die Eigentumsübertragung. Sie ist durch Austauschbarkeit, Bestimmung nach generellen Merkmalen und rechtsspezifische Konkretisierung gekennzeichnet. Die genaue rechtliche Einordnung entscheidet oft über den Ausgang von Streitigkeiten im Schuld-, Sachen- und Kaufrecht.


Literaturhinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch – Kommentare zu § 243 BGB
  • Palandt, Kommentar zum BGB, aktuelle Auflage
  • Prütting/Wegen/Weinreich, BGB Kommentar
  • Münchener Kommentar zum BGB

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt das Risiko des Untergangs einer Gattungssache vor der Konkretisierung?

Vor der Konkretisierung, das heißt vor der Auswahl und Absonderung der geschuldeten Gattungssache nach § 243 Abs. 2 BGB, liegt das Risiko grundsätzlich beim Schuldner. Fordert der Gläubiger beispielsweise die Lieferung von „einem Liter Speiseöl“ und geht die gesamte Lagerware vor der Auswahl unter (z. B. durch Feuer, Diebstahl oder Naturkatastrophe), schuldet der Verkäufer dem Käufer weiterhin die Lieferung aus der Gattung, sofern nicht alle Gattungsexemplare untergegangen sind. Erst wenn alle zur Verfügung stehenden Sachen dieser Gattung untergegangen und damit die Leistung objektiv unmöglich geworden ist, kann sich der Schuldner auf Unmöglichkeit (§ 275 BGB) berufen. Vorher ist er verpflichtet, aus der noch verbliebenen Gattung zu leisten. Hat der Schuldner bereits alles seinerseits Erforderliche getan, geht das Leistungsrisiko nach § 243 Abs. 2 BGB auf den Gläubiger über („Konkretisierung“).

Wann und wie findet eine Konkretisierung der Gattungsschuld statt?

Eine Konkretisierung tritt nach § 243 Abs. 2 BGB ein, wenn der Schuldner das zur Leistung Erforderliche getan hat. Was im Einzelnen hierzu zählt, richtet sich nach der Art der geschuldeten Leistung sowie der Vereinbarung der Parteien. Bei Holschuld genügt es in der Regel, dass der Schuldner den Leistungsgegenstand aussondert und dem Gläubiger zur Abholung bereitstellt. Bei einer Bringschuld muss der Schuldner das ausgewählte Stück zum Gläubiger transportieren, während bei Schickschuld das Absenden der Ware genügt. Mit dieser Handlung wird aus der Gattungsschuld eine Stückschuld, wodurch speziell diese gekennzeichnete Sache zur geschuldeten Leistung wird. Das Risiko eines zufälligen Untergangs der Sache nach Konkretisierung trägt dann regelmäßig der Gläubiger.

Kann eine Gattungsschuld zu einer Stückschuld werden?

Ja, durch den Vorgang der Konkretisierung wird eine ursprünglich bestehende Gattungsschuld zur sogenannten „Quasistückschuld“. Dies geschieht, sobald der Schuldner das zur Leistung Erforderliche (§ 243 Abs. 2 BGB) getan hat. Ab diesem Zeitpunkt ist nicht mehr die gesamte Gattung, sondern genau das konkretisierte Exemplar geschuldet. Das bedeutet, dass ab dann dem Gläubiger im Falle des Untergangs oder Verschlechterung der konkretisierten Sache kein Anspruch auf Lieferung eines anderen Exemplars aus der Gattung mehr zusteht, sondern ggf. nur noch ein Schadensersatz- oder Rücktrittsanspruch. Der Gefahrübergang ist somit ein zentraler Punkt im Rahmen der Gattungsschuld.

Welche Bedeutung hat die Gattungsschuld bei der Rückgewähr im Rücktrittsfall?

Im Falle eines Rücktritts gemäß §§ 346 ff. BGB ist regelmäßig die Rückgewähr der empfangenen Leistungen erforderlich. Wurde ursprünglich eine Gattungsschuld geliefert, ist für die Rückgewähr grundsätzlich eine Sache derselben Gattung und Qualität zurückzugeben, wie sie der Gläubiger ursprünglich erhalten hat. Eine Konkretisierung, die im Rahmen der Erfüllung erfolgt ist, bleibt dabei maßgeblich: Es ist genau das übergebene (exemplarisch konkretisierte) Stück herauszugeben. Ist dies nicht mehr vorhanden, etwa weil es verbraucht wurde, schuldet der Rückgewährschuldner Wertersatz nach § 346 Abs. 2 BGB. Die Frage, ob ein Rücktritt möglich ist, hängt also maßgeblich davon ab, ob die Leistung (noch) der Gattung entspricht oder bereits durch Konkretisierung individualisiert wurde.

Inwiefern beeinflusst die Gattungsschuld Leistungsstörungen wie Verzug und Unmöglichkeit?

Im Rahmen einer Gattungsschuld besteht, solange noch Exemplare der Gattung vorhanden sind, die Möglichkeit zur Leistungserbringung. Mithin tritt Unmöglichkeit erst dann ein, wenn die gesamte Gattung untergeht oder nicht mehr beschafft werden kann (sog. Gattungsschuld „mittlerer Art und Güte“). Bis dahin bleibt dem Schuldner die Pflicht zur Leistungserfüllung. Gerät der Schuldner in Verzug, weil er sich nicht rechtzeitig um die Auswahl, Aussondern oder Zustellung der Gattungssache bemüht, haftet er verschärft für jede Fahrlässigkeit (§§ 280, 286 BGB). Nach der Konkretisierung haftet der Schuldner für den zufälligen Untergang nicht mehr, falls er die erforderlichen Handlungen korrekt vorgenommen hat.

Wann ist eine Umwandlung der Gattungsschuld in eine Stückschuld ausgeschlossen?

Eine Umwandlung, also die Konkretisierung einer Gattungsschuld in eine Stückschuld, ist ausgeschlossen, wenn der Schuldner nicht das zur vollständigen Leistung Erforderliche unternimmt. Er muss alle zum Gattungsexemplar führenden Modalitäten erfüllen, etwa Aussondern, Verpacken und ggf. Versenden. Versäumt der Schuldner dies oder erfüllen die Parteien zusätzliche individuelle Anforderungen (etwa besondere Eigenschaften), bleibt es bei der Gattungsschuld und das Risiko verbleibt beim Schuldner. Nur bei vollständiger und richtiger Vornahme aller erforderlichen Handlungen geht das Risiko auf den Gläubiger über.

Welche Rolle spielt die Gattungsschuld im Verbrauchsgüterkaufrecht?

Im Verbrauchsgüterkaufrecht (§§ 474 ff. BGB) hat die Gattungsschuld besondere Bedeutung vor allem im Hinblick auf die Sachmängelhaftung (§ 434 BGB). Wird eine Sache aus einer Gattung geliefert, muss diese bei Gefahrübergang die vertragsgemäße Beschaffenheit aufweisen. Bei Lieferung einer mangelhaften Gattungssache hat der Verbraucher nach § 439 BGB grundsätzlich ein Recht auf Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache. Die Besonderheit hier ist, dass eine mangelfreie Gattungssache nach ihrer Rückgabe durch den Verbraucher erneut zur Erfüllung verwendet werden kann, bis zur Konkretisierung durch Übergabe an den Käufer. Die Konkretisierung ist im Verbrauchsgüterkauf besonders zu beachten, da damit wichtige Rechtsfolgen, auch im Hinblick auf die Beweislast, verbunden sind.