Begriff und Einordnung der Gattung
Der Begriff „Gattung“ beschreibt im Recht Waren oder Gegenstände, die nach allgemeinen Merkmalen bestimmt werden und sich austauschbar verhalten. Solche Güter sind vertretbar, weil einzelne Exemplare derselben Art einander gleichwertig ersetzen können. Typisch sind Massengüter oder Serienprodukte, etwa Getreide, Öl, standardisierte Schrauben, Papier oder normierte Ersatzteile.
Die Gattung ist damit das Gegenstück zur individuell bestimmten Sache, bei der ein konkretes Einzelstück gemeint ist. Diese Unterscheidung hat weitreichende Folgen für Entstehung, Erfüllung, Risiko, Eigentumsübergang und Gewährleistungsrechte.
Gattungssache, Stücksache und ihre Bedeutung
Gattungssache
Eine Gattungssache ist ein Gegenstand, der durch Merkmale wie Art, Größe, Qualität, Normung oder Handelsklasse beschrieben wird. Einzelstücke dieser Gruppe sind in der Regel ohne Wert- oder Funktionsverlust austauschbar.
Stücksache
Eine Stücksache ist ein einmaliges oder individualisiertes Einzelstück, beispielsweise ein bestimmtes Kunstwerk, ein gebrauchter Oldtimer mit individueller Historie oder ein ausgewähltes, einzelnes Möbelstück mit spezifischen Eigenschaften.
Gattungsschuld und Stückschuld
Wird die Leistungspflicht nach Gattungsmerkmalen beschrieben (zum Beispiel „100 kg Weizen der Handelsklasse X“), liegt eine Gattungsschuld vor. Ist ein konkretes Einzelstück geschuldet (zum Beispiel „dieser bestimmte Oldtimer“), handelt es sich um eine Stückschuld. Die Einordnung bestimmt, wie die Leistung zu erbringen ist und wann Risiken übergehen.
Entstehung und Konkretisierung der Gattungsschuld
Bei der Gattungsschuld schuldet der Leistende zunächst nur die Lieferung einer Sache von „mittlerer Art und Güte“. Damit ist eine Qualität gemeint, die im Durchschnitt der Gattung üblich ist; weder außergewöhnlich hochwertig noch minderwertig.
Solange aus der Gattung nicht ein konkretes Exemplar ausgewählt und auf die Leistung „ausgesondert“ wurde, besteht eine Austauschbarkeit. Erst durch ordnungsgemäße Auswahl einer zur geschuldeten Gattung passenden Sache und deren Zuordnung zur Erfüllung wird die Gattungsschuld auf ein bestimmtes Stück „konkretisiert“. Ab diesem Zeitpunkt wird die Leistungspflicht auf das ausgewählte Exemplar bezogen.
Typische Wege der Konkretisierung
- Aussonderung und Bereitstellung eines passenden Exemplars am vereinbarten Erfüllungsort
- Übergabe an eine Transportperson, wenn eine Versendung vereinbart ist
- Aktives Anbieten eines ordnungsgemäßen Exemplars, wenn Abholung vorgesehen ist
Leistungsgefahr und Preisgefahr
Die Unterscheidung zwischen Gattung und Stück wirkt sich auf Risiken aus. Vor der Konkretisierung trägt in der Regel der Leistende das Risiko, nochmals liefern zu müssen, wenn die ausgewählte Ware zufällig untergeht oder abhandenkommt. Nach ordnungsgemäßer Konkretisierung verlagern sich Risiken schrittweise, weil dann ein bestimmtes Stück zur Erfüllung bestimmt ist.
In der Praxis hängt der genaue Zeitpunkt der Risikoänderung davon ab, ob Lieferung, Abholung oder Versendung vorgesehen ist und ob die Auswahl und Zuordnung zur Leistung ordnungsgemäß erfolgt ist. Ohne ordnungsgemäße Konkretisierung verbleibt das Beschaffungsrisiko typischerweise beim Leistenden.
Unmöglichkeit und Beschaffungsrisiko
Gattungsschulden gelten als grundsätzlich beschaffbar, weil die Ware typischerweise am Markt verfügbar ist. Eine Leistung wird erst dann rechtlich unmöglich, wenn die gesamte Gattung nicht mehr existiert oder eine Beschaffung auch bei zumutbarem Einsatz objektiv ausgeschlossen ist. Ein bloßer Mangel an Vorrat beim Leistenden genügt dafür in der Regel nicht.
Besondere Bedeutung hat der Vorratsbezug: Ist ausdrücklich nur aus einem bestimmten Vorrat zu liefern, kann die Gattung faktisch verengt sein. Geht dieser Vorrat vollständig unter, kann die Leistung in solchen Konstellationen entfallen. Maßgeblich ist, wie die Parteien die Lieferquelle beschrieben haben.
Qualität, Auswahlpflicht und „mittlere Art und Güte“
Wer eine Gattungsschuld erfüllt, muss eine Sache liefern, die der vereinbarten Art und der üblichen Durchschnittsqualität entspricht. Die Auswahl darf nicht willkürlich sein, sondern muss den vereinbarten Eigenschaften und den üblichen Standards der Gattung genügen. Überdurchschnittliche oder unterdurchschnittliche Qualität ist ohne besondere Absprache nicht geschuldet.
Eigentumsübertragung bei Gattungssachen
Das Eigentum an Gattungssachen geht regelmäßig erst dann auf den Erwerber über, wenn ein konkretes Exemplar ausgesondert und zugeordnet ist. Solange nur „aus der Gattung“ versprochen ist, ist das Eigentum an einem unbestimmten Teil nicht übertragbar.
Bei Vermischung fungibler Stoffe (zum Beispiel Tanklager mit gleichartigem Öl) entsteht häufig Miteigentum nach Anteilen an der Gesamtmenge. In der Lager- und Warenpraxis wird die Zuordnung oft durch Kennzeichnung, Lagerfachzuweisung oder elektronische Bestandsführung umgesetzt, um die Individualisierung zu dokumentieren.
Gattung im Kaufrecht und Mängelrechte
Beim Gattungskauf stehen regelmäßig Mängelrechte zur Verfügung, wenn die gelieferte Sache von der vereinbarten Art, Menge oder Qualität abweicht. Ein zentrales Thema ist die Ersatzlieferung: Bei Gattungssachen ist die Lieferung eines neuen, vertragsgemäßen Exemplars typischerweise möglich, weil austauschbare Ware existiert. Beim Stückkauf ist ein Austausch hingegen häufig ausgeschlossen, da nur das konkrete Einzelstück geschuldet ist; dort kommt eher die Beseitigung von Mängeln am individuellen Stück in Betracht.
Wird anstelle der geschuldeten Art eine völlig andere Sache geliefert, spricht man von Falsch- oder Aliudlieferung. Diese erfüllt die Leistungspflicht nicht, solange keine Einigung über die geänderte Art der Leistung besteht.
Sicherungsrechte und Lagerpraxis
Bei Gattungssachen spielt die eindeutige Identifikation eine zentrale Rolle. Eigentumsvorbehalte, Pfandrechte oder Sicherungsübereignungen setzen in der Praxis eine klare Zuordnung voraus. Dies erfolgt durch Aussonderung, Markierung, Einzelverpackung, Serien- oder Chargennummern sowie durch Lager- und IT-Systeme, die den Bestand konkretisieren. Erst die eindeutige Zuordnung ermöglicht, Sicherungsrechte wirksam zu verankern und deren Umfang festzustellen.
Internationale Bezüge
Auch in anderen Rechtsordnungen wird zwischen „generic goods“ und „specific goods“ unterschieden. Häufig knüpfen Eigentumsübergang und Gefahrtragung an die „ascertainment“ bzw. Individualisierung der Ware an. Trotz gemeinsamer Grundgedanken unterscheiden sich Details nach nationalem Recht und nach vertraglichen Bedingungen, etwa Incoterms oder Lagervereinbarungen.
Typische Anwendungsbeispiele
- Lieferung von 10.000 standardisierten Schrauben einer genormten Größe
- Verkauf von 500 kg Kaffeebohnen einer bestimmten Handelsklasse
- Ausgabe von Ersatzteilen einer genormten Serie mit festgelegten Spezifikationen
- Abfüllung von Chemikalien oder Treibstoff aus einem Großtank in kundenspezifische Gebinde
Zusammenfassung
Die Gattung kennzeichnet austauschbare, vertretbare Ware. Daraus folgen wesentliche Rechtsfragen: Wie wird die geschuldete Ware ausgewählt und konkretisiert? Wann verlagern sich Risiken? Welche Qualität ist geschuldet? Wie erfolgt der Eigentumsübergang? Bei Gattungsschulden steht die ordnungsgemäße Auswahl und Zuordnung im Mittelpunkt. Erst sie macht aus einer abstrakten Gattungsbeschreibung eine konkret erfüllbare Leistung und bildet die Grundlage für Risiko- und Eigentumsverschiebungen sowie für Gewährleistungsrechte.
Häufig gestellte Fragen
Was ist eine Gattungssache im rechtlichen Sinn?
Eine Gattungssache ist ein vertretbarer Gegenstand, der durch allgemeine Merkmale wie Art, Normung, Handelsklasse oder Serienbezeichnung bestimmt wird. Einzelstücke dieser Gruppe sind austauschbar, etwa Getreide, normierte Schrauben oder standardisierte Ersatzteile.
Wann wird eine Gattungsschuld zur Stückschuld?
Durch ordnungsgemäße Konkretisierung: Der Leistende wählt ein zur Gattung passendes Exemplar aus, sondert es aus und ordnet es der Erfüllung zu. Ab diesem Zeitpunkt bezieht sich die Leistungspflicht auf dieses konkrete Stück.
Wer trägt das Risiko beim Untergang einer Gattungssache während des Transports?
Das hängt von der vereinbarten Art der Leistung (Lieferung, Abholung, Versendung) und von der ordnungsgemäßen Konkretisierung ab. Vor Konkretisierung liegt das Risiko typischerweise beim Leistenden; nach ordnungsgemäßer Auswahl und Übergabe an die Transportperson kann es sich verlagern.
Liegt Erfüllung vor, wenn eine andere Art Sache geliefert wird (Aliudlieferung)?
Nein. Wird statt der geschuldeten Art eine andere geliefert, handelt es sich um eine Falschlieferung. Diese erfüllt die Leistungspflicht nicht, solange keine Einigung über die geänderte Art der Leistung besteht.
Warum ist Unmöglichkeit bei Gattungsschulden selten?
Weil Gattungssachen grundsätzlich beschaffbar sind. Unmöglichkeit kommt erst in Betracht, wenn die gesamte Gattung nicht verfügbar ist oder eine Beschaffung trotz zumutbarer Anstrengungen objektiv ausgeschlossen ist. Ein fehlender Vorrat beim Leistenden genügt dafür regelmäßig nicht.
Welche Qualität ist bei einer Gattungsschuld geschuldet?
Ohne besondere Abreden ist eine Sache von mittlerer Art und Güte zu liefern, also eine Qualität, die für die betreffende Gattung üblich und durchschnittlich ist.
Wann geht das Eigentum an Gattungssachen über?
Regelmäßig erst nach Individualisierung: Das Eigentum geht auf den Erwerber über, wenn ein konkretes Exemplar ausgesondert und eindeutig zugeordnet ist. Vorher ist Eigentumsübertragung an einem unbestimmten Teil nicht möglich.
Welche Besonderheiten bestehen bei der Nacherfüllung im Gattungskauf?
Bei Gattungssachen ist eine Ersatzlieferung häufig möglich, da vertragsgemäße Ware austauschbar vorhanden ist. Beim Stückkauf ist die Ersatzlieferung oft ausgeschlossen, weil nur das individuelle Einzelstück Vertragsgegenstand ist; dort steht eher die Mangelbeseitigung am konkreten Stück im Vordergrund.