Begriff und Definition des Fremdbesitzerexzesses
Der Fremdbesitzerexzess stellt einen spezifischen Begriff des deutschen Sachenrechts dar und beschreibt einen Fall, in dem ein nicht berechtigter Besitzer – der Fremdbesitzer – Gegenstände oder Rechte am Besitz geltend macht, die über seine tatsächliche oder vermutete Berechtigung hinausgehen. Im Ergebnis entstehen daraus für den Fremdbesitzer keine weitergehenden Rechte, vielmehr verliert er den Rechtsschutz, der ihm als Besitzer gegenüber Dritten zustehen könnte.
Im deutschen Recht ist der Fremdbesitzerexzess insbesondere im Zusammenhang mit den Vorschriften zu Besitzschutz und Besitzrechten (§§ 858 ff., §§ 987 ff. BGB) von zentraler Bedeutung. Er ist abzugrenzen vom sogenannten Eigenbesitzerexzess, der sich auf berechtigte Eigenbesitzer bezieht.
Rechtsgrundlagen des Fremdbesitzerexzesses
Systematische Einordnung im BGB
Der Fremdbesitzerexzess ergibt sich nicht explizit aus dem Gesetzestext, sondern ist das Ergebnis jahrzehntelanger Rechtsauslegung und Rechtsprechung. Maßgebliche Regelungen finden sich insbesondere in den Bereichen:
- §§ 858 ff. BGB – Besitzschutz
- §§ 985 ff. BGB – Herausgabe- und Verwendungsansprüche
Da das BGB in erster Linie zwischen Besitz und Eigentum differenziert, erfolgt die Beurteilung von Besitzschutz, Besitzerrechten und deren Verlust im Wege der Auslegung der gesetzlichen Besitzschutz- und Besitzrecht-Regelungen.
Beteiligte Rechtsverhältnisse
Beim Fremdbesitzerexzess sind in der Regel der rechtmäßige Eigentümer, der fremde Besitzer (der den Besitz nicht als Eigentum beansprucht) sowie potenziell weitere Dritte beteiligt. Wesentliche Fragestellungen ergeben sich, wenn der Fremdbesitzer Handlungen vornimmt, die auf eine eigene Eigentümerstellung oder eine weitergehende rechtliche Befugnis zum Besitz hindeuten, als tatsächlich gegeben ist.
Voraussetzungen und Bedeutungsbereich
Definition des Fremdbesitzerexzesses
Ein Fremdbesitzerexzess liegt vor, wenn ein Fremdbesitzer – also jemand, der eine Sache im Besitz hat und dabei weiß oder damit rechnet, dass ihm kein Recht zum Besitz zusteht – an oder mit dieser Sache über die Grenzen seines tatsächlichen Besitzrechts hinausgeht. Typische Fälle sind:
- Der Fremdbesitzer erkennt das Eigentum eines anderen an, handelt aber so, als wäre er selbst Eigentümer.
- Es wird eine Sachnutzung oder -verfügung vorgenommen, die dem Eigentümer vorbehalten ist, ohne dass ein entsprechendes Recht eingeräumt wurde.
Wendet sich der Fremdbesitzer beispielsweise mit Abwehransprüchen gegen den Eigentümer oder andere Berechtigte, kann ihm die Rechtsordnung diesen Schutz verweigern, sofern er den Rahmen seines Besitzrechts überschritten hat.
Voraussetzungen im Einzelnen
Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen, um von einem Fremdbesitzerexzess sprechen zu können:
- Fremdbesitz: Der Besitzer erkennt an, dass er die Sache nur für einen anderen hat oder führt dies wenigstens subjektiv vor Augen (z. B. durch Leihverhältnis, Miete, Verwahrungsverhältnis).
- Überschreitung der Besitzbefugnisse: Der Besitzer nimmt für sich Rechte in Anspruch, die ihm nicht eingeräumt wurden, oder nutzt die Sache in einer Weise, die nur dem Eigentümer oder einem anderweitig berechtigten Besitzer zusteht.
- Bewusstes oder fahrlässiges Überschreiten: Das Verhalten des Besitzers muss auf Grundlage eigener Entscheidung erfolgen, wobei eine bewusste oder zumindest fahrlässige Überschreitung vorliegen muss.
Rechtsfolgen des Fremdbesitzerexzesses
Auswirkungen auf den Besitzschutz
Der gewöhnliche Besitzschutz nach §§ 858 ff. BGB, insbesondere der Anspruch aus § 861 BGB (Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gegen verbotene Eigenmacht), steht auch dem Fremdbesitzer grundsätzlich zu. Überschreitet dieser jedoch die ihm zustehende Besitzposition, verliert er im Rahmen des Fremdbesitzerexzesses den besonderen Besitzschutz. Dies bedeutet konkret:
- Ausschluss der Besitzschutzansprüche: Der exzessive Fremdbesitzer kann sich nicht mehr auf die Besitzschutzvorschriften gegenüber dem wahren Berechtigten berufen. Ansprüche nach §§ 861, 862 BGB sind ausgeschlossen.
- Hausrecht und Selbsthilferecht des Eigentümers: Der berechtigte Eigentümer kann nach Beseitigung des Exzesses sein Hausrecht geltend machen oder erforderlichenfalls die Herausgabe verlangen.
Auswirkungen auf Herausgabe- und Verwendungsersatzansprüche
Der Fremdbesitzerexzess wirkt sich auch auf die Herausgabeansprüche (§§ 985 ff. BGB) und die Ansprüche aus Verwendung des Besitzes (§§ 987 ff. BGB) aus:
- Verschärfte Haftung: Nach § 990 Abs. 1 BGB kann der exzessive Fremdbesitzer ab dem Zeitpunkt, an dem er eigenmächtig über das geborgte oder verwahrte Gut verfügt, wie ein Eigenbesitzer haften.
- Ausschluss von Nutzungsersatzansprüchen: Der in den Exzess getretene Fremdbesitzer verliert in der Regel Ansprüche auf gezogenen Nutzen oder Ersatz von Verwendungen, die im Rahmen des Besitzes gemacht wurden.
- Verschulden: Bei schuldhafter Überschreitung haftet der Besitzer nach den allgemeinen Vorschriften zusätzlich auf Schadensersatz (§§ 989, 990 BGB).
Praktische Beispiele des Fremdbesitzerexzesses
- Ein Mieter, dessen Mietvertrag abgelaufen ist, nutzt die Wohnung weiterhin und verweigert dem Vermieter den Zutritt, als ob er selbst Eigentümer wäre.
- Ein Verleiher, der eine geliehene Sache weiterverkauft, obwohl ihm diese Verfügung rechtlich nicht zusteht.
- Ein Verwahrer, der gelagerte Güter entgegen den Weisungen des Eigentümers nutzt oder Dritten zur Nutzung überlässt.
Abgrenzung zu verwandten Besitzrechtsformen
Unterschied zum Besitzmittlerexzess
Ein Besitzmittlerexzess liegt vor, wenn ein Besitzmittler (z. B. Betreiber einer Garage, in der das Fahrzeug abgestellt wird) im Rahmen des Besitzmittlungsverhältnisses eigenmachtähnliche Handlungen vornimmt. Anders als beim Fremdbesitzerexzess bleibt hier grundsätzlich das Besitzmittlungsverhältnis bestehen; der Besitzmittler handelt nicht mehr im Rahmen der ihm übertragenen Rechte, hat jedoch weiterhin unmittelbaren Besitz.
Unterschied zum Eigenbesitzerexzess
Der Eigenbesitzerexzess betrifft Eigenbesitzer, die eine ihnen eingeräumte Besitzposition überschreiten. Im Gegensatz dazu handelt der Fremdbesitzerexzess ausschließlich im Zusammenhang mit Fremdbesitz, bei dem die Besitzstellung von Beginn an (objektiv oder subjektiv) anerkannt wird.
Rechtswissenschaftliche Diskussion und aktuelle Rechtsprechung
Die Rechtsprechung und Literatur beschäftigen sich fortlaufend mit der Ausgestaltung der Besitzschutzmechanismen und den rechtlichen Konsequenzen des Fremdbesitzerexzesses. Im Fokus steht hierbei die Frage nach dem Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Besitzers und den Rechten des wahren Eigentümers sowie der Vermeidung von ungerechtfertigter Rechtsausübung.
Die herrschende Meinung billigt dem Exzess keine Besitzschutzrechte zu, stellt jedoch klar, dass die Schwelle zum Exzess keinesfalls bei jeder geringfügigen Überschreitung zu ziehen ist; vielmehr bedarf es einer erheblichen und bewussten Ausweitung der eigenen Rechte durch den Erwerber.
Zusammenfassung
Der Fremdbesitzerexzess ist ein bedeutendes Institut im Sachenrecht, das das Gleichgewicht zwischen Besitz, Besitzschutz und Eigentum wahrt. Er verhindert, dass ein Fremdbesitzer übermäßigen Schutz durch das Gesetz erlangt, wenn er Eigenrechte geltend macht, die ihm tatsächlich nicht zustehen. Der Ausschluss von Besitzschutzansprüchen und zusätzliche Haftungsfolgen für den exzessiven Fremdbesitzer sind die wesentlichen Rechtsfolgen. Die strenge Beachtung der Voraussetzungen und eine differenzierte Abgrenzung zu verwandten Besitzrechtskonstellationen sind für die praktische Anwendung unverzichtbar.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für einen Fremdbesitzerexzess vorliegen?
Für das Vorliegen eines Fremdbesitzerexzesses ist maßgeblich, dass der Besitzer eine Sache unrechtmäßig und in offener Negation des Eigentümerrechts nutzt. Die rechtlichen Voraussetzungen setzen voraus, dass der Besitzer ursprünglich mit Fremdbesitzerwillen oder gutgläubig im Besitz der Sache war, sich jedoch später ausdrücklich oder konkludent gegen den Eigentümer stellt. Eine zentrale Rolle spielt hierbei das sogenannte „Exzessverhalten“: Der Besitzer beginnt, das Eigentum des wahren Eigentümers zu leugnen, indem er beispielsweise ernsthaft einen Eigentumsanspruch für sich reklamiert oder dem eigentlichen Eigentümer die Herausgabe endgültig verweigert. Dieses Verhalten muss nach außen hin erkennbar sein, sodass der Eigentümer einen eindeutigen und endgültigen Besitzwillen entgegen seinen Rechten feststellen kann. Rechtlich muss sich der Besitzer also vom „Fremdbesitz“ (Besitz in Anerkennung fremden Eigentums) zum „Eigenbesitz“ in feindlicher Form wandeln.
Wie wird der Zeitpunkt des Fremdbesitzerexzesses bestimmt?
Der Zeitpunkt des Fremdbesitzerexzesses ist entscheidend für die Durchsetzung verschiedener Ansprüche, etwa im Hinblick auf Verjährung oder die Herausgabe von Nutzungen und Surrogaten. Der Exzess tritt kraft Gesetzes in dem Moment ein, in dem der Besitzer erstmalig das Eigentum des wahren Eigentümers offen bestreitet oder ihm endgültig die Herausgabe verweigert. Juristisch reicht eine schlüssige Handlung, die dem Eigentümer das ablehnende Besitzverhalten klar zu erkennen gibt. Beispiele hierfür sind etwa gerichtliche Klagen auf Feststellung eigenen Eigentums durch den Besitzer oder unmissverständliche Schreiben an den Eigentümer. Eine bloß verdeckte oder unsichere Besitzgabe genügt nicht. Die Bestimmung des Zeitpunkts ist regelmäßig eine Tatsachenfrage und muss anhand der Umstände des Einzelfalls bewertet werden, woran auch Gerichte häufig differenziert herangehen.
Welche Rechtsfolgen hat ein Fremdbesitzerexzess für die Herausgabeansprüche des Eigentümers?
Mit Eintritt des Fremdbesitzerexzesses ändern sich die gesetzlichen Ansprüche des Eigentümers gegen den Besitzer grundlegend. Bis zum Exzess gelten die eingeschränkten Vorschriften für den Fremdbesitz, insbesondere gemäß §§ 987 ff. BGB, die gewisse Privilegierungen für den unrechtmäßigen aber gutgläubigen Besitzer vorsehen. Nach Eintritt des Exzesses wird der Besitzer jedoch wie ein bösgläubiger Eigenbesitzer behandelt (§ 990 BGB). Das führt dazu, dass der Besitzer dem Eigentümer sämtliche während der Besitzausübung gezogenen Nutzungen herausgeben muss, auch für Zeiträume vor dem Exzess. Zudem hat er für den Untergang oder die Verschlechterung der Sache Ersatz zu leisten und haftet gegebenenfalls auch auf Schadensersatz, inklusive des sogenannten „Verzögerungsschadens“. Die Privilegien eines gutgläubigen Besitzers entfallen somit, was erheblich zu Lasten des Besitzers wirkt.
Welche Beweislast besteht beim Nachweis eines Fremdbesitzerexzesses?
Die Beweislast für das Vorliegen eines Fremdbesitzerexzesses trifft grundsätzlich den Eigentümer, der sich auf die strengeren Ansprüche beruft. Im Rahmen eines Prozesses muss dieser Tatsachen darlegen und beweisen, dass und zu welchem Zeitpunkt der Besitzer das Eigentum ernsthaft und endgültig bestritten hat. Hierzu können schriftliche Korrespondenzen, das Verhalten vor Gericht, Zeugenaussagen oder sonstige Handlungen herangezogen werden, die einen eindeutigen Willen zur Leugnung des Eigentums begründen. Bestreitet der Besitzer lediglich pauschal oder verhält sich widersprüchlich, reicht dies in der Regel nicht aus. Aufgrund der strengen Anforderungen in der Rechtsprechung hat der Eigentümer häufig erheblichen Beweisaufwand zu betreiben.
Welche Bedeutung hat der Fremdbesitzerexzess im Rahmen der Herausgabe von Nutzungen?
Durch den Exzess erweitert sich die Herausgabepflicht in Bezug auf gezogene Nutzungen. Während beim gutgläubigen Fremdbesitzer eine eingeschränkte Herausgabepflicht gemäß § 987 BGB besteht (nur bei Rechtshängigkeit), führt der Exzess dazu, dass der Besitzer nach § 990 BGB für alle gezogenen und schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen seit dem Zeitpunkt des Exzesses aufkommen muss. Dies umfasst beispielsweise Mieterträge, Zinsen oder Fruchtziehung. Eigentümer können sämtliche Vorteile, die der Besitzer aus der Sache gezogen hat, herausverlangen – unabhängig davon, ob diese nach Eintritt des Exzesses oder davor erzielt wurden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Eigentümer den Zeitpunkt des Exzesses und die gezogenen Nutzungen konkret nachweisen kann.
Wie wirkt sich der Fremdbesitzerexzess auf die Verjährungsfristen aus?
Mit Eintritt des Fremdbesitzerexzesses beginnt hinsichtlich der Herausgabeansprüche und eventuell bestehender Schadensersatzansprüche regelmäßig eine neue Verjährungsfrist zu laufen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, an dem der Eigentümer sichere Kenntnis vom exzessiven Verhalten des Besitzers erhält. Nach § 197 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre, kann jedoch bei bestimmten Ansprüchen – etwa im Rahmen von Herausgabeansprüchen aus Eigentum – abweichend geregelt sein. Der genaue Zeitpunkt hat zudem Auswirkung auf die Rückforderung von Nutzungen und Schadensersatz, wodurch der Zeitpunkt des Exzesses für die prozessuale Durchsetzung von Ansprüchen von großer Bedeutung ist.
Welche Unterschiede bestehen zwischen bösgläubigen Besitzern und Fremdbesitzerexzess?
Der bösgläubige Besitzer kennt von Beginn an das fehlende Eigentum. Beim Fremdbesitzerexzess handelt es sich hingegen um eine nachträgliche Änderung des Besitzwillens: Der Besitzer war zuvor gutgläubiger oder zumindest nicht bösgläubiger Fremdbesitzer und schlägt dann durch sein Verhalten „um“. In beiden Fällen haften die Besitzer für Nutzungen und Schäden. Der Unterschied liegt primär im Zeitpunkt der Bösgläubigkeit: Beim Fremdbesitzerexzess wird ab dem Zeitpunkt des Exzesses dieselbe Haftung wie bei einem bösgläubigen Eigenbesitzer ausgelöst, während beim von Anfang an bösgläubigen Eigenbesitzer diese bereits von Übernahme der Sache an eintritt. Dadurch entstehen Unterschiede bezüglich der Herausgabepflichten und der Verjährung.