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Freizügigkeit


Begriff und Grundlagen der Freizügigkeit

Freizügigkeit bezeichnet das Recht einer Person, ihren Wohnsitz und Aufenthalt innerhalb eines bestimmten Territoriums – typischerweise eines Staates oder eines Staatenverbundes – grundsätzlich frei zu wählen und zu wechseln. Im rechtlichen Kontext weist der Terminus Freizügigkeit eine vielschichtige Bedeutung auf, da sowohl innerstaatliche als auch supranationale Regelungen zur Anwendung kommen. Freizügigkeit bildet einen zentralen Pfeiler zahlreicher Rechtsordnungen und ist insbesondere in Europa tief im Verfassungs- und Unionsrecht verankert.


Freizügigkeit im deutschen Recht

Freizügigkeit als Grundrecht

Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist die Freizügigkeit in Art. 11 GG verankert. Dort heißt es:

„(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit dadurch besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zum Schutz der Jugend vor Verwahrlosung oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutz vor drohender Überfüllung von Ballungsgebieten oder aus ähnlichen Gründen erforderlich ist.“

Persönlicher und sachlicher Schutzbereich

Die Freizügigkeit nach Art. 11 GG schützt ausschließlich deutsche Staatsangehörige. Sie umfasst das Recht, an jedem Ort im Bundesgebiet Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Geschützt sind sowohl der erstmalige als auch der wiederholte Wechsel des Aufenthaltsortes. Das Grundgesetz stellt damit sicher, dass der Staat keine willkürlichen Aufenthaltsbeschränkungen gegenüber deutschen Staatsbürgern verhängen darf.

Einschränkungen

Die Freizügigkeit kann unter bestimmten gesetzlich normierten Voraussetzungen eingeschränkt werden, insbesondere zur Abwehr besonderer Gefahrenlagen (vgl. Art. 11 Abs. 2 GG). Eingriffe müssen verhältnismäßig sein und bedürfen einer gesetzlichen Grundlage.

Freizügigkeitsgesetz/EU

Das Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) dient der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben in nationales Recht. Es regelt die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgerinnen und -bürgern sowie ihren Familienangehörigen in Deutschland.

Anwendungsbereich und Voraussetzungen

Das FreizügG/EU gestattet allen Unionsbürgern und bestimmten Familienangehörigen, sich zur Ausübung von Erwerbstätigkeit, zur Arbeitssuche, zum Studium oder aus sonstigen Gründen in Deutschland aufzuhalten. Bestimmte eigenständige Rechte gelten auch für Drittstaatsangehörige als Familienangehörige.

Verlust und Beschränkungen

Auch die nach FreizügG/EU gewährte Freizügigkeit kann eingeschränkt werden, etwa aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Diese Einschränkungen sind in § 6 FreizügG/EU geregelt und spiegeln die unionsrechtlichen Vorgaben wider.


Freizügigkeit im Unionsrecht

Allgemeines

Die unionsrechtliche Freizügigkeit bildet einen Grundpfeiler der Europäischen Union. Sie ist in zahlreichen Vorschriften der EU-Verträge, insbesondere im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), als eines der vier Grundfreiheiten normiert.

Arbeitnehmerfreizügigkeit

Rechtsgrundlagen

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist in Art. 45 AEUV geregelt. Sie garantiert Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Recht, in jedem Mitgliedstaat einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, sich dort aufzuhalten und zu verbleiben.

Inhalt und Reichweite

Das Recht umfasst insbesondere die Abschaffung aller auf der Staatsangehörigkeit beruhenden arbeitsmarktrechtlichen Unterschiede. EU-Bürger dürfen in jedem Mitgliedstaat zu denselben Bedingungen wie Inländer arbeiten und wohnen.

Unionsbürgerfreizügigkeit

Über die Arbeitnehmerfreizügigkeit hinaus bietet die Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG) ein umfassendes Aufenthaltsrecht für alle Unionsbürgerinnen und -bürger sowie deren Familienangehörige. Sie regelt insbesondere das Einreise-, Aufenthalts- und Daueraufenthaltsrecht sowie Modalitäten für den Verlust dieser Rechte.


Freizügigkeit im internationalen Recht

Auch im völkerrechtlichen Kontext ist Freizügigkeit verankert. So sieht z.B. Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes innerhalb eines Staates vor. Ebenso schützt Art. 12 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vergleichbare Rechte.


Freizügigkeit für besondere Personengruppen

Flüchtlinge und anerkannte Schutzberechtigte

Für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit internationalem Schutzstatus sieht das Aufenthaltsgesetz (§ 56 AufenthG) ebenfalls eine weitreichende Freizügigkeit vor, die jedoch mit Meldepflichten und gegebenenfalls weiteren Auflagen verbunden sein kann.

Minderjährige und Schutz von Personengruppen

Für minderjährige Kinder greifen besondere Schutzregeln, beispielsweise durch Meldeauflagen oder durch (elterliche) Aufenthaltserlaubnisse. Ebenso bestehen für bestimmte Personengruppen (z.B. bei Haft, Bewährungsauflagen) rechtliche Einschränkungen.


Einschränkungen und Ausnahmen der Freizügigkeit

Allgemeine Schranken

Einschränkungen sind im Allgemeinen nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie auf gesetzlicher Grundlage zulässig. Beispiele hierfür sind Sicherungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Seuchen, Naturkatastrophen, bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie aus Gründen der nationalen Sicherheit.

Spezielle Schranken

Verschiedene Gesetze sehen für bestimmte Situationen Aufenthaltsbeschränkungen vor, etwa im Polizeirecht (z.B. Aufenthaltsverbote) oder im Sozialrecht im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug.


Bedeutung und Auswirkungen der Freizügigkeit

Die Freizügigkeit gilt als Ausdruck individueller Freiheit und Mobilität. Sie fördert die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Integration sowie den europäischen Binnenmarkt. In der Praxis gewährleistet sie nicht nur Bewegungsfreiheit, sondern auch Teilhabe an sozialen und wirtschaftlichen Chancen im In- und Ausland.


Zusammenfassung

Freizügigkeit ist ein zentrales, durch Verfassungsrecht, Unionsrecht und Völkerrecht garantiertes Freiheitsrecht, das die Wahl von Wohnsitz und Aufenthalt maßgeblich schützt. Durch ein komplexes Geflecht an Regelungen und Schranken entfaltet sie sowohl für deutsche Staatsbürger als auch für Unionsbürger und bestimmte andere Gruppen weitreichende Bedeutung. Einschränkungen greifen nur aus besonderen, gesetzlich festgelegten Gründen und müssen stets verhältnismäßig ausgestaltet sein.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Ausübung der Freizügigkeit erfüllt sein?

Für die Ausübung der Freizügigkeit im rechtlichen Sinne, wie sie insbesondere durch das Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) und das Primärrecht der Europäischen Union statu­iert ist, müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Grundsätzlich gilt: Unionsbürger:innen und deren Familienangehörige können sich in einem anderen Mitgliedstaat der EU aufhalten oder diesen durchqueren, sofern sie diese Rechte in Ausübung ihres Status als Arbeitnehmer:innen, Selbstständige, Dienstleistende, Dienstleistungsempfänger:innen, Studierende, Arbeitssuchende oder aus anderen legitimen Gründen in Anspruch nehmen. Für Arbeitnehmer:innen und Selbstständige ist die Ausübung einer tatsächlichen und echten Erwerbstätigkeit entscheidend, welche mehr als eine nur untergeordnete und völlig unwesentliche Tätigkeit umfassen muss. Für Studierende, Nichterwerbstätige und Ruheständler ist der Nachweis von ausreichenden Existenzmitteln und einem umfassenden Krankenversicherungsschutz maßgeblich, damit sie das Sozialsystem des Aufnahmestaats nicht unangemessen belasten. Der Rechtsstatus muss formal durch Vorlage eines gültigen Identitätsdokuments und gegebenenfalls durch Anmeldeformalitäten gegenüber inländischen Behörden nachgewiesen werden. Darüber hinaus kann im Einzelfall der Aufenthaltszweck, die Dauer des Aufenthalts oder das Nichtvorliegen bestimmter Ausschlussgründe (z.B. strafrechtliche Verurteilungen oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung) geprüft werden.

Welche Beschränkungen und Ausnahmen bestehen vom Recht auf Freizügigkeit?

Die Freizügigkeit ist nicht uneingeschränkt gewährleistet. Beschränkungen sind insbesondere dann zulässig, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit vorliegen (vgl. Art. 27 RL 2004/38/EG und §§ 6, 7 FreizügG/EU). Die Behörden müssen in solchen Fällen stets verhältnismäßig handeln, sodass eine individuelle Gefahrenprognose anzustellen ist und bloße Verdachtsmomente nicht ausreichen. Die Maßnahmen müssen zudem auf das unbedingt Erforderliche beschränkt bleiben, dürfen keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit enthalten und sind regelmäßig rechtsschutzfähig – das bedeutet, Betroffene können gerichtlichen Rechtsschutz gegen Aufenthaltsbeendigungen oder Einreiseverweigerungen geltend machen. Außerdem gelten spezielle Ausnahmen während Übergangszeiten, z. B. nach dem Beitritt neuer EU-Mitgliedstaaten können bestehende Mitgliedstaaten Zugangsbeschränkungen zum Arbeitsmarkt verhängen.

Wie wird der Aufenthaltsstatus im Rahmen der Freizügigkeit nachgewiesen und dokumentiert?

Der Nachweis der Freizügigkeitsberechtigung erfolgt bei EU-Bürger:innen anhand ihres Passes oder Personalausweises und meist durch eine Anmeldung bei der zuständigen Behörde am Wohnort im Aufnahmestaat. Seit Inkrafttreten der RL 2004/38/EG wird keine spezielle Aufenthaltsgenehmigung mehr verlangt, aber auf Antrag kann eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht (meist „Aufenthaltskarte“ oder „Anmeldebescheinigung“) ausgestellt werden. Für Familienangehörige, die keine Unionsangehörige sind, ist eine Aufenthaltskarte verpflichtend auszustellen, sofern sie die Voraussetzungen erfüllen. Die Dauer des Aufenthalts von bis zu drei Monaten ist bedingungslos möglich, darüber hinaus sind Nachweise – z.B. Arbeitsvertrag, Immatrikulationsbescheinigung, Krankenversicherungsnachweis und Mittel zur Existenzsicherung – beizubringen.

In welchen Fällen kann die Freizügigkeit aberkannt oder entzogen werden?

Ein Verlust des Freizügigkeitsrechts ist in bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen möglich. Nach § 6 FreizügG/EU sowie Art. 27 RL 2004/38/EG kann das Aufenthaltsrecht aberkannt oder entzogen werden, wenn von der betreffenden Person eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit ausgeht. Auch eine missbräuchliche Berufung auf Freizügigkeitsrechte, z. B. im Falle von Scheinehen oder anderen Umgehungsgeschäften, kann zum Verlust führen. Im Einzelnen ist eine individuelle, fallbezogene Entscheidung durch die zuständige Behörde zu treffen, wobei stets das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie das Recht auf rechtliches Gehör zu beachten sind. Bei besonders schutzwürdigen Personen, wie etwa langjährig aufenthaltsberechtigten Unionsbürger:innen oder Minderjährigen, müssen strenge Maßstäbe angelegt werden.

Welche Rechte für Familienangehörige sind im Rahmen der Freizügigkeit vorgesehen?

Für Familienangehörige von Unionsbürger:innen, die ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen, gilt ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Unter Familienangehörigen versteht das Recht in erster Linie Ehegatten, eingetragene Lebenspartner:innen, Abkömmlinge unter 21 oder darüber hinaus Unterhaltsberechtigte sowie unterhaltsberechtigte Eltern. Familienangehörige, die selbst keine Unionsangehörigen sind, profitieren ebenfalls vom Aufenthaltsrecht, sofern sie die familiären Bindungen und gegebenenfalls weitere Voraussetzungen nachweisen. Die Aufenthaltstitel werden regelmäßig in Form der sogenannten Aufenthaltskarte gem. § 5 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von sechs Monaten nach Antragstellung erteilt. Für bestimmte, weitere Familienmitglieder – z. B. nicht unterhaltsberechtigte, aber tatsächlich betreute Verwandte – kann ein Aufenthalt nach Ermessen gewährt werden.

Welche Rechtsmittel stehen bei einer Beschränkung der Freizügigkeit zur Verfügung?

Betroffene von Maßnahmen, die das Recht auf Freizügigkeit beschränken, können in allen Mitgliedstaaten gerichtlichen Rechtsschutz einlegen. In Deutschland ist das Widerspruchsverfahren gegen Verwaltungsakte möglich; die Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten kann sodann die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung, Einreiseverweigerung oder Aberkennung des Freizügigkeitsrechts überprüfen lassen. Während eines laufenden Verfahrens genießen Betroffene in bestimmten Fällen – abhängig von der Art der Maßnahme – auch weiterhin vorläufiges Aufenthaltsrecht. Auf europäischer Ebene besteht das Recht auf Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission bei systematischen Verstößen gegen die Freizügigkeit.

Inwieweit umfasst die Freizügigkeit auch soziale Rechte, z.B. den Zugang zu Sozialleistungen?

Die Freizügigkeit verschafft Unionsbürger:innen und ihren Familienangehörigen grundsätzlich keinen unmittelbaren Zugang zu sämtlichen Sozialleistungen im Aufnahmestaat. Vielmehr bestehen hierzu komplexe Regelungen: Während Arbeitnehmer:innen und Selbstständige einen umfassenden Zugang zu sozialversicherungsrechtlichen Leistungen haben, gilt für Nichterwerbstätige und Arbeitssuchende grundsätzlich ein eingeschränktes Recht. Der EuGH hat hierzu mehrfach entschieden, dass der Bezug bestimmter Grundsicherungsleistungen (z.B. Arbeitslosengeld II in Deutschland) für Nichtarbeitnehmer:innen und nicht Selbstständige im aufnehmenden Mitgliedstaat ausgeschlossen werden kann, falls sie sich nur zur Arbeitssuche oder zur Unterstützungssuche aufhalten. Die Mitgliedstaaten können daher – unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit und des Diskriminierungsverbotes – den Zugang zu bestimmten Leis­tungen an Bedingungen, wie ausreichende Eigenmittel oder eine bestimmte Aufenthaltsdauer, knüpfen.