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Freistellungstatbestände


Begriff und Definition von Freistellungstatbeständen

Freistellungstatbestände sind rechtliche Regelungen, nach denen eine Vertragspartei, regelmäßig ein Arbeitnehmer, vorübergehend oder dauerhaft von der Verpflichtung zur Erbringung ihrer Hauptleistungspflicht – typischerweise der Arbeitsleistung – entbunden wird. Im Arbeitsrecht beschreibt der Begriff im weitesten Sinne sämtliche gesetzlichen, tariflichen und individualvertraglichen Gründe, die zu einer Arbeitsfreistellung führen. Dabei wird sowohl zwischen bezahlten als auch unbezahlten Freistellungsansprüchen unterschieden. Freistellungstatbestände umfassen eine Vielzahl unterschiedlichster Rechtsgrundlagen und sind von erheblicher praktischer Bedeutung. Neben dem Arbeitsrecht spielen sie auch im Sozialversicherungsrecht, Beamtenrecht sowie dem Steuerrecht eine Rolle.

Rechtsquellen und gesetzliche Grundlagen

Gesetzliche Freistellungstatbestände

Zu den bekanntesten gesetzlichen Freistellungstatbeständen zählen:

Anspruch auf Erholungsurlaub (§ 1 Bundesurlaubsgesetz – BUrlG)

Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Dies stellt einen gesetzlichen Freistellungstatbestand dar, da der Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist.

Sonderurlaub (§ 616 BGB)

§ 616 Bürgerliches Gesetzbuch normiert, dass der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine bezahlte Freistellung von der Arbeit hat, wenn er „durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden“ an der Arbeitsleistung verhindert ist, beispielsweise bei einem Todesfall in der Familie.

Elternzeit (§§ 15 ff. Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – BEEG)

Das BEEG regelt einen gesetzlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung zur Betreuung und Erziehung eines Kindes.

Pflegezeit und Familienpflegezeit (§§ 3 ff. PflegeZG, § 2 FPfZG)

Nach den Bestimmungen des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes haben Arbeitnehmer ein Anrecht auf unbezahlte beziehungsweise teilweise bezahlte Freistellung zur Pflege naher Angehöriger.

Mutterschutz und Beschäftigungsverbote (§§ 3 ff. MuSchG)

Das Mutterschutzgesetz enthält explizite Beschäftigungsverbote vor und nach der Entbindung und begründet einen auf Gesetz beruhenden Freistellungstatbestand.

Bildungsurlaub (nach Landesgesetzen)

In allen Bundesländern außer Bayern und Sachsen existieren Landesgesetze, die einen gesetzlichen Anspruch auf bezahlte Freistellung zur Weiterbildung vorsehen.

Tarifliche und arbeitsvertragliche Freistellungstatbestände

Zahlreiche tarifliche Regelungen sehen über die gesetzlichen Freistellungstatbestände hinaus zusätzliche Ansprüche vor. Typische Beispiele sind zusätzliche Urlaubstage für bestimmte Arbeitnehmergruppen oder Arbeitsbefreiung aus Anlass von Jubiläen und ähnlichen Anlässen.

Auch im Arbeitsvertrag selbst können Freistellungstatbestände vereinbart werden, etwa hinsichtlich unbezahlter Urlaube oder Sabbaticals.

Einteilung der Freistellungstatbestände

Nach Art der Vergütungspflicht

Es wird unterschieden zwischen:

  • Bezahlter Freistellung: Beispiele sind der Erholungsurlaub oder die Fortzahlung der Vergütung gemäß § 616 BGB.
  • Unbezahlter Freistellung: Beispielsweise Elternzeit oder Pflegezeit, wenn hierfür kein Vergütungsanspruch besteht.

Nach Initiator der Freistellung

  • Eigeninitiierte Freistellung: Die Freistellung wird vom Arbeitnehmer verlangt (Beispiel: Antrag Elternzeit).
  • Fremdinitiierte Freistellung: Der Arbeitgeber stellt ohne oder gegen den Willen des Arbeitnehmers frei (Beispiel: Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist).

Nach Rechtsgrund

  • Gesetzliche Freistellungstatbestände: Basieren auf gesetzlichen Bestimmungen.
  • Vertragliche Freistellungstatbestände: Basieren auf Arbeits- oder Tarifvertrag.

Rechtliche Voraussetzungen und Verfahren

Für viele Freistellungstatbestände gelten bestimmte Voraussetzungen in Bezug auf Fristen, Begründungserfordernisse sowie einen festgelegten Verfahrensweg. So ist zur Inanspruchnahme der Elternzeit eine formelle Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber erforderlich. Formularvorgaben oder Nachweise (zum Beispiel bei Arbeitsverhinderung aufgrund Krankheit eines Kindes) sind regelmäßig zu beachten.

Bei manchen Freistellungstatbeständen (zum Beispiel beim Sonderurlaub) besteht ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG). Ggf. ist auch die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich.

Rechtsfolgen der Freistellung

Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis

Die Freistellung führt zur Suspendierung beider Hauptleistungspflichten (Arbeitsleistung und Entgeltzahlung), sofern es sich nicht um eine bezahlte Freistellung handelt. Der Beschäftigungsanspruch ruht, das Arbeitsverhältnis besteht jedoch fort.

Auswirkungen auf Sozialversicherung, Urlaubsansprüche und Kündigungsschutz

Der sozialversicherungsrechtliche Status richtet sich nach Art und Dauer der Freistellung. So bleiben etwa während der Elternzeit unter bestimmten Bedingungen Ansprüche aus der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung bestehen. Während des Erholungsurlaubs oder der Mutterschutzfristen wird das Arbeitsentgelt weitergezahlt und es bestehen volle Sozialversicherungspflichten.

Durch Freistellung erworbene Urlaubsansprüche können verfallen, sofern die gesetzlichen Regelungen zum Urlaubsjahr und zur Übertragbarkeit nicht beachtet werden.

Bei Freistellung während einer Kündigungsfrist besteht grundlegend das Arbeitsverhältnis weiter, was auch Auswirkungen auf Kündigungsschutz und den Fortbestand weiterer Ansprüche hat.

Abgrenzung von weiteren arbeitsrechtlichen Begriffen

Freistellungstatbestände sind von anderen Erscheinungsformen der Arbeitsverhinderung abzugrenzen, etwa von der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, bei der der Arbeitnehmer nicht freigestellt, sondern objektiv an der Arbeitsleistung verhindert ist. Auch die Suspendierung aus disziplinarischen Gründen ist zu unterscheiden, da sie regelmäßig keine Anerkennung als Freistellungstatbestand im engeren Sinne findet.

Bedeutung in der Praxis und aktuelle Entwicklungen

Freistellungstatbestände haben in der Praxis eine stetig wachsende Bedeutung, insbesondere im Zuge der Flexibilisierung der Arbeitswelt und wachsender individueller Betreuungsbedarfe. Die Zahl neuer gesetzlicher Freistellungsansprüche, etwa für Väter nach Geburt eines Kindes oder zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten, nimmt zu. Auch die Rechtsprechung, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs, wirkt auf die Weiterentwicklung und Auslegung nationaler Freistellungsrechte ein.

Literaturhinweise und Weblinks

  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Leitfäden und Broschüren zu Freistellung, Elternzeit und Pflegezeit
  • BAG-Rechtsprechung zur bezahlten und unbezahlten Freistellung (abrufbar über juris.de und beck-online.de)
  • Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), Mutterschutzgesetz (MuSchG), Pflegezeitgesetz (PflegeZG), Familienpflegezeitgesetz (FPfZG), Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
  • Kommentierungen im Staudinger BGB, BeckOK ArbR, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht

Hinweis: Dieser Artikel gibt den Stand der Rechtslage bis Juni 2024 wieder und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Häufig gestellte Fragen

Wann besteht ein Anspruch auf Freistellung des Arbeitnehmers gemäß § 616 BGB?

Gemäß § 616 BGB besteht ein Anspruch auf bezahlte Freistellung dann, wenn der Arbeitnehmer für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne eigenes Verschulden an der Arbeitsleistung gehindert ist. Dieser Anspruch findet Anwendung bei persönlichen Verhinderungsgründen wie z.B. unvorhergesehener Erkrankung eines nahen Angehörigen, Arztbesuchen, Geburt des eigenen Kindes, oder auch Todesfällen im engsten Familienkreis. Essenziell ist, dass die Dauer der Abwesenheit eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ nicht überschreitet, wobei die Rechtsprechung dies meist auf wenige Tage begrenzt. Arbeitgeber können den Anspruch allerdings durch vertragliche Regelungen, etwa im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung einschränken oder ausschließen. Dabei ist stets die individuelle Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls und die Berücksichtigung etwaiger ergänzender kollektivrechtlicher Regelungen erforderlich.

Welche gesetzlichen Freistellungstatbestände gibt es neben § 616 BGB?

Neben § 616 BGB existieren verschiedene gesetzliche Anspruchsgrundlagen für eine Freistellung von der Arbeitspflicht. Zu den wichtigsten zählen das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) für den Erholungsurlaub, das Mutterschutzgesetz (MuSchG) etwa im Rahmen eines Beschäftigungsverbots oder für Untersuchungen während der Schwangerschaft, das Pflegezeitgesetz (PflegeZG) für die kurzzeitige Arbeitsverhinderung zur Pflege naher Angehöriger, sowie das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) für Freistellungen junger Beschäftigter, etwa zur Teilnahme an Prüfungen. Auch das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) regelt Ansprüche auf Elternzeit. Ferner gibt es Sonderregelungen, etwa im Schwerbehindertenrecht oder für ehrenamtliche Tätigkeiten. Die jeweiligen Voraussetzungen, die Höchstdauer und die Frage der Vergütungsfortzahlung sind jeweils gesetzlich normiert und variieren stark je nach tatbestandlicher Zuordnung.

Kann eine Freistellung einseitig durch den Arbeitgeber angeordnet werden und wie ist die Rechtslage?

Eine einseitige Freistellung, also das Anordnen eines Arbeitsbefreiung ohne Zustimmung des Arbeitnehmers, ist rechtlich grundsätzlich möglich, bedarf jedoch einer hinreichenden rechtlichen Grundlage. Diese kann sich etwa aus dem Arbeitsvertrag, einer betrieblichen Übung, einer Betriebsvereinbarung oder aus dem Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) ergeben. Allerdings besteht ohne sachlichen Grund und unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kein genereller Anspruch des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer einseitig frei zu stellen. Besonders restriktiv ist die Rechtsprechung bei sogenannten „gegnerunabhängigen“ Suspendierungen, wie beispielsweise während laufender Kündigungsfristen („Garden Leave“), da in diesen Fällen stets eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Im Falle einer bezahlten Freistellung bleibt der Vergütungsanspruch bestehen, außer der Arbeitnehmer ist treuwidrig oder unberechtigt von der Arbeit freigestellt.

Besteht auch ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung und welche gesetzlichen Grundlagen existieren hierfür?

Ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung besteht grundsätzlich nur, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist oder vertraglich bzw. durch Tarifvertrag geregelt wurde. Typische Beispiele für gesetzlich begründete unbezahlte Freistellung sind die Elternzeit (§§ 15 ff. BEEG) oder die Pflegezeit (§ 3 PflegeZG), sofern keine Lohnfortzahlungspflicht verankert ist. Dem Arbeitnehmer kann in Ausnahmefällen auch ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung zustehen, wenn überwiegende Interessen (Grundrechte wie Religionsausübung, Teilnahme an wichtigen Familienanlässen) und das Fehlen entgegenstehender betrieblicher Gründe dies erfordern; dies ist jedoch stets einzelfallbezogen zu beurteilen. Die Durchsetzung eines Freistellungsanspruchs ohne Entgeltfortzahlung ist regelmäßig – sofern keine entsprechende Rechtsgrundlage vorliegt – auf das Wohlwollen des Arbeitgebers oder dessen Ermessen angewiesen.

Welche Rolle spielt die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Freistellungstatbeständen?

Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Freistellungen ergibt sich insbesondere aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 BetrVG, wenn es um Fragen der Ordnung des Betriebs, des Beginns und Endes der täglichen Arbeitszeit sowie der betrieblichen oder privaten Verhinderungsgründe geht. Insbesondere bei der Frage bezahlter oder unbezahlter Freistellung im Einzelfall, kann der Betriebsrat mitzubestimmen haben, vor allem wenn es sich um kollektive Tatbestände handelt, z.B. Betriebsurlaub, Anordnung von Kurzarbeit oder der Schichtplangestaltung. Einzelne Freistellungen aus persönlichen Gründen sind hingegen in der Regel mitbestimmungsfrei, es sei denn, es handelt sich um Fälle, die mehrere Arbeitnehmer betreffen oder Auswirkungen auf die betriebliche Organisation haben. Das Mitbestimmungsrecht erstreckt sich ferner auf das Verfahren und die Modalitäten der Freistellung.

Unter welchen Voraussetzungen ist der Freistellungsanspruch vertraglich abdingbar?

Der Freistellungsanspruch, insbesondere aus § 616 BGB, kann vertraglich ausgeschlossen oder modifiziert werden, wobei dabei die Schranken des § 307 BGB zu beachten sind (Verbot unangemessener Benachteiligung in AGBs). Ein Ausschluss ist insbesondere in Einzel- und Tarifverträgen zulässig und auch in arbeitsrechtlichen Mustervorlagen gängig, jedoch muss immer eine transparente und zumutbare Gestaltung für den Arbeitnehmer erfolgen. Neben dem generellen Ausschluss besteht auch die Möglichkeit, den Freistellungsanspruch auf bestimmte Fälle (z.B. nur für bestimmte Familienangehörige oder nur für eine bestimmte Dauer) zu begrenzen. Bei hochrangigen Schutzrechten, etwa Mutterschutz oder Elternzeit, ist eine abweichende Regelung zum Nachteil des Arbeitnehmers hingegen gesetzlich untersagt.

Wie wird die Zeit der Freistellung auf andere arbeitsrechtliche Ansprüche (z.B. Urlaubsanspruch) angerechnet?

Die Anrechnung einer Freistellung auf arbeitsrechtliche Ansprüche hängt von der Art und dem Grund der Freistellung ab. Während bezahlte Freistellung in der Regel Zeiten sind, in denen das Arbeitsverhältnis fortbesteht und daher insbesondere der Urlaubsanspruch unberührt bleibt (vgl. § 1 BUrlG und § 17 BEEG), können unbezahlte Freistellungen aus Anlass etwa von Elternzeit, Pflegezeit oder sonstigen längeren Abwesenheiten den Urlaubsanspruch gemäß § 17 BEEG oder § 4 PflegeZG anteilig kürzen. Für die Berechnung der Betriebszugehörigkeit und der Wartezeit für bestimmte Ansprüche zählt in der Regel auch die Freistellungsdauer mit, sofern das Arbeitsverhältnis nicht ruht oder unterbrochen ist. Die spezifischen Auswirkungen der Freistellungstatbestände auf weitere Rechte und Pflichten sind stets im Einzelfall anhand der jeweiligen gesetzlichen Grundlagen zu bestimmen.