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Freistellungsanspruch


Begriff und Bedeutung des Freistellungsanspruchs

Der Freistellungsanspruch ist ein im deutschen Zivilrecht verankerter Anspruch, der einer Person das Recht verleiht, von einer bestehenden oder drohenden Verbindlichkeit, Schuld oder sonstigen Belastung durch eine andere Person befreit zu werden. Der Freistellungsanspruch dient vor allem dem Schutz von Personen, die gegenüber Dritten haften oder eine Verpflichtung eingegangen sind und nun durch eine andere Partei von dieser Verpflichtung aus dem Innenverhältnis herausgelöst werden sollen.

Dieser Anspruch spielt sowohl im Schuldrecht als auch im Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht und weiteren Rechtsgebieten eine zentrale Rolle. Die rechtlichen Grundlagen und die praktische Bedeutung des Freistellungsanspruchs sind vor allem durch die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie durch die hierzu ergangene Rechtsprechung geprägt.


Rechtsgrundlagen des Freistellungsanspruchs

Schuldrechtliche Grundlagen

Im deutschen Schuldrecht bildet § 257 BGB die Kernnorm des Freistellungsanspruchs. Hier wird ausdrücklich geregelt, dass eine Partei, die von einer anderen die Befreiung von einer Verbindlichkeit verlangen kann, grundsätzlich Ansprüche auf Freistellung hat. Außerdem kann sich ein solcher Anspruch aus Vertrag, Gesetz oder aus dem Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben.

Wichtige Paragraphen im Überblick

  • § 257 BGB (Befreiungsanspruch)
  • § 670 BGB (Aufwendungsersatz beim Auftrag)
  • § 426 BGB (Gesamtschuldnerausgleich)
  • § 675 BGB (Entgeltliche Geschäftsbesorgung)

Dreipersonenverhältnis

Der Freistellungsanspruch ist typischerweise in einem Dreipersonenverhältnis angesiedelt: Ein Gläubiger (A) verlangt von seinem Schuldner (B), gegenüber einem Dritten (C) eine Schuld zu begleichen oder diesen von einer Forderung freizustellen.


Anwendungsbereiche des Freistellungsanspruchs

Vertragsrecht

Ein Freistellungsanspruch kann ausdrücklich vertraglich vereinbart werden. Typische Beispiele sind Verträge über Geschäftsbesorgung, Mietverträge, Lieferverträge und Wartungsverträge. Auch in AGB werden häufig Freistellungsklauseln aufgenommen.

Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht kann der Freistellungsanspruch etwa dann relevant werden, wenn ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber zur Freistellung von Forderungen Dritter auffordert. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte bezahlte oder unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, wobei hier eine Differenzierung zwischen arbeitsrechtlicher Freistellung und Freistellungsansprüchen im schuldrechtlichen Sinne erforderlich ist.

Gesellschaftsrecht

Gesellschafter haften oft gesamtschuldnerisch für Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Regress- und Ausgleichsansprüche zwischen Gesellschaftern werden über Freistellungsansprüche abgewickelt (§ 426 BGB).

Versicherungsrecht

Im Rahmen der Haftpflichtversicherung besteht häufig ein Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, damit dieser die Regulierung von berechtigten Schadensersatzansprüchen übernimmt.


Voraussetzungen des Freistellungsanspruchs

Bestehen einer Verpflichtung oder Belastung

Der Anspruch setzt voraus, dass beim Anspruchsteller eine eigene rechtliche Verpflichtung gegenüber einem Dritten besteht (oder zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr einer Inanspruchnahme).

Innenverhältnis und Außenverhältnis

Im Innenverhältnis zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner muss ein Rechtsverhältnis bestehen, das den Freistellungsanspruch trägt (bspw. Auftrag, Gesellschaftsvertrag, Schuldbeitritt). Im Außenverhältnis besteht die Verpflichtung gegenüber einem Dritten.

Fälligkeit und Durchsetzbarkeit

Grundsätzlich ist der Freistellungsanspruch sofort fällig, sobald der Anspruchsteller ernsthaft mit einer Inanspruchnahme durch den Dritten rechnen muss oder bereits in Anspruch genommen wurde.


Arten der Befreiung

Befreiung durch Zahlung

Die praktisch häufigste Form ist die Befreiung durch Zahlung der geschuldeten Summe an den Dritten, wodurch die Verbindlichkeit tatsächlich wegfällt.

Übernahme der Schuld

Alternativ kann auch die Übernahme der Schuld durch den Anspruchsgegner gemäß § 414 BGB erfolgen, soweit dies rechtlich zulässig und möglich ist.

Sicherheitsleistung

In bestimmten Konstellationen genügt bereits die Stellung einer Sicherheit zugunsten des Anspruchstellers.


Durchsetzung des Freistellungsanspruchs und Rechtsschutz

Klage auf Freistellung

Der Freistellungsanspruch kann grundsätzlich gerichtlich geltend gemacht werden. Die Klage ist zulässig, sobald eine ernsthafte Inanspruchnahme des Anspruchstellers durch einen Dritten droht oder bereits erfolgt ist. Wird der Anspruch stattgegeben, verpflichtet das Urteil den Beklagten, den Kläger von der Verbindlichkeit zu befreien.

Umwandlung in Zahlungsanspruch

Wird der Anspruchsteller selbst zur Zahlung an den Dritten verpflichtet, wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um (sogenannte Umwandlung nach Tilgung). Dies gilt auch, wenn der Schuldner trotz Feststellung eines Freistellungsanspruchs die Befreiung unterlässt.


Abgrenzungen und Besonderheiten

Unterschied zur Schadensersatzpflicht

Der Freistellungsanspruch ist von einem Schadensersatzanspruch abzugrenzen: Während beim Schadensersatz eine bereits entstandene Vermögenseinbuße ausgeglichen werden soll, setzt der Freistellungsanspruch darauf an, eine drohende Belastung – idealerweise vor Schadenseintritt – zu verhindern.

Subsidiarität zum Zahlungsanspruch

Der Freistellungsanspruch steht im Verhältnis zum Zahlungsanspruch grundsätzlich subsidiär. Wird jedoch die Befreiung verweigert oder kommt es zur Belastung des Anspruchstellers, entsteht ein direkter Zahlungsanspruch.


Verjährung des Freistellungsanspruchs

Für Freistellungsansprüche gelten in der Regel die allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 195, § 199 BGB).


Zusammenfassung und rechtliche Einordnung

Der Freistellungsanspruch stellt ein zentrales Institut des deutschen Zivilrechts dar, das den Anspruchsteller vor finanziellen Belastungen gegenüber Dritten schützt. Er findet starke praktische Bedeutung im Vertrags-, Arbeits-, Gesellschafts- und Versicherungsrecht. Die rechtlichen Voraussetzungen und die Abwicklung des Anspruchs sind im BGB umfassend geregelt und durch zahlreiche gerichtliche Entscheidungen konkretisiert worden. Eine rechtssichere Handhabung setzt stets die Prüfung der Voraussetzungen und der konkreten Einzelfallumstände unter Einbeziehung der geltenden Gesetzeslage voraus.

Häufig gestellte Fragen

Wann besteht ein gesetzlicher Freistellungsanspruch für Arbeitnehmer?

Ein gesetzlicher Freistellungsanspruch für Arbeitnehmer besteht immer dann, wenn dieser sich aus speziellen gesetzlichen Regelungen ergibt. Zu den wichtigsten gesetzlichen Freistellungsansprüchen zählt der Anspruch auf Erholungsurlaub gemäß § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), bei dem der Arbeitnehmer für die Dauer des genehmigten Urlaubs unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitspflicht freigestellt wird. Ebenfalls relevant sind Sonderurlaubsansprüche nach § 616 BGB, etwa für Fälle wie Eheschließung, Umzug oder Todesfall naher Angehöriger, soweit der Arbeits- oder Tarifvertrag diese Ansprüche nicht beschränkt oder ausschließt. Weitere Beispiele für gesetzliche Freistellungsansprüche sind der Anspruch auf Bildungsurlaub, sofern im jeweiligen Bundesland ein Bildungsurlaubsgesetz gilt, sowie Ansprüche auf Freistellung im Rahmen des Mutterschutzgesetzes (MuSchG), des Pflegezeitgesetzes (PflegeZG) und des Familienpflegezeitgesetzes (FPfZG). Die rechtlichen Voraussetzungen, der Umfang sowie die Vergütungsansprüche während der Freistellung sind je nach gesetzlicher Grundlage unterschiedlich ausgestaltet und hängen maßgeblich vom Einzelfall ab.

Muss ein Freistellungsanspruch ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart werden?

Nicht zwingend. Ein gesetzlicher Freistellungsanspruch entsteht unabhängig davon, ob dieser im Arbeitsvertrag explizit erwähnt wird, sobald es eine entsprechende gesetzliche Regelung gibt. Vertragliche oder tarifliche Regelungen können jedoch ergänzend oder modifizierend wirken, insbesondere im Hinblick auf weitergehende oder restriktivere Freistellungsmöglichkeiten und deren Konditionen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können auch freiwillig vertragliche Freistellungsansprüche, zum Beispiel für unbezahlten Urlaub oder Sabbaticals, vereinbaren. Liegt ein solcher Anspruch weder gesetzlich, tariflich noch arbeitsvertraglich vor, besteht grundsätzlich kein Rechtsanspruch auf eine Freistellung, sondern lediglich ein Anspruch auf wohlwollende Prüfung eines Antrags.

Welche Pflichten hat der Arbeitgeber bei einer Freistellung?

Der Arbeitgeber ist bei bestehendem Freistellungsanspruch verpflichtet, den Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht zu entbinden. Je nach Art der Freistellung kann dies unter Fortzahlung der Vergütung („bezahlt“) oder ohne Vergütungsfortzahlung („unbezahlt“) erfolgen. Im Falle der bezahlten Freistellung muss der Arbeitgeber den Lohn weiterzahlen und Sozialversicherungsbeiträge abführen. Bei einer einseitigen Freistellung durch den Arbeitgeber, beispielsweise während einer Kündigungsfrist, müssen die Gründe hierfür im Einzelfall geprüft werden und gegebenenfalls ein berechtigtes Interesse hierfür vorliegen (z.B. Schutz von Geschäftsgeheimnissen). Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über den Zeitraum und die Bedingungen der Freistellung verbindlich zu informieren.

Kann der Arbeitgeber eine Freistellung verweigern?

Eine Freistellung kann der Arbeitgeber verweigern, wenn kein gesetzlicher, tariflicher oder vertraglicher Anspruch darauf besteht. Bei gesetzlichen Ansprüchen, etwa bei Erholungsurlaub oder Mutterschutz, ist der Arbeitgeber grundsätzlich zur Freistellung verpflichtet und kann diese nur in engen Grenzen, zum Beispiel bei dringenden betrieblichen Gründen, auf einen anderen Zeitraum verlegen. Bei Beantragung freiwilliger oder unbezahlter Freistellungen hat der Arbeitgeber grundsätzlich ein Ablehnungsrecht, es sei denn ein Anspruch lässt sich aus betrieblicher Übung oder Gleichbehandlung ableiten. Die Ablehnung muss sachlich begründet werden und darf nicht willkürlich erfolgen.

Was unterscheidet die bezahlte von der unbezahlten Freistellung?

Die bezahlte Freistellung ist dadurch gekennzeichnet, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht und der Arbeitnehmer weiterhin seine arbeitsvertraglich geschuldete Vergütung einschließlich aller Nebenleistungen erhält. Beispiele sind der gesetzliche Erholungsurlaub, Mutterschutz oder Freistellungen nach § 616 BGB. Die unbezahlte Freistellung hingegen führt dazu, dass die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers zur Vergütungszahlung für die Dauer der Freistellung entfällt und der Arbeitnehmer in der Regel auch keinen Schutz mehr durch die Sozialversicherung genießt, sofern keine anderweitigen Vereinbarungen getroffen werden. Insbesondere bei längerer unbezahlter Freistellung können etwaige Auswirkungen auf Urlaub, Kündigungsschutz und betriebliche Leistungen auftreten, worüber der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zu informieren ist.

Welche rechtlichen Folgen hat eine Freistellung während der Kündigungsfrist?

Während der Kündigungsfrist kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig freistellen, um etwa einen störungsfreien Betriebsablauf sicherzustellen oder sensible Unternehmensdaten zu schützen. Die sog. Widerrufliche oder unwiderrufliche Freistellung bedarf, sofern nicht vertraglich vereinbart, immer einer konkreten Anordnung und sollte unter Einhaltung der arbeitsvertraglichen Regelungen erfolgen. Während der Freistellung bleibt das Arbeitsverhältnis formal bestehen, und der Anspruch auf Vergütung (inklusive etwaiger Zuschläge und Sonderzahlungen) bleibt grundsätzlich erhalten (sogenannte Annahmeverzugsvergütung). Die Gewährung von Resturlaub kann während der Freistellung angerechnet werden, sofern dies dem Arbeitnehmer transparent mitgeteilt wurde. Die Zeit der Freistellung wird zudem rentenrechtlich und sozialversicherungsrechtlich wie eine reguläre Beschäftigungszeit behandelt.

Was sind die Mitteilungs- und Nachweispflichten bei der Geltendmachung eines Freistellungsanspruchs?

Arbeitnehmer, die einen Freistellungsanspruch geltend machen möchten, müssen den Arbeitgeber rechtzeitig darüber informieren und – je nach rechtlichem Hintergrund – entsprechende Nachweise erbringen. Für Sonderurlaub nach § 616 BGB ist etwa das Einreichen einer Sterbeurkunde oder einer Einladung zur standesamtlichen Trauung üblich. Bei Bildungsurlaub ist häufig ein Nachweis über die Anmeldung zu einer anerkannten Bildungsveranstaltung erforderlich. Grundsätzlich sollte der Antrag schriftlich erfolgen und alle erforderlichen Unterlagen beinhalten, um Verzögerungen oder Ablehnungen wegen unvollständiger Nachweise zu vermeiden. Arbeitgeber dürfen die Freistellung nicht unzulässig hinauszögern, sind aber berechtigt, notwendige Angaben oder Nachweise einzufordern, sofern dies zur Prüfung der Ansprüche erforderlich ist.