Begriff und Systematik der Finanzgerichtsordnung
Die Finanzgerichtsordnung (kurz: FGO) ist ein zentrales Gesetz des deutschen Verfahrensrechts, das die Durchführung von gerichtlichen Verfahren in Steuer- und Abgabenangelegenheiten regelt. Die FGO bildet damit die formelle Grundlage für das Verfahren vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof. Sie dient insbesondere der Klärung von Streitigkeiten zwischen Abgabepflichtigen und Finanzbehörden im Anwendungsbereich des Steuerrechts.
Historische Entwicklung
Die Finanzgerichtsordnung wurde am 6. Oktober 1965 verabschiedet und trat am 1. Januar 1966 in Kraft (BGBl. I S. 1477). Sie löste die vorhergehende Regelung gemäß §§ 96 ff. Reichsabgabenordnung sowie verschiedene Ländergesetze ab und stellt seither das zentrale Verfahrensrecht für steuergerichtliche Prozesse in Deutschland dar.
Aufbau und Anwendungsbereich der Finanzgerichtsordnung
Geltungsbereich
Die FGO gilt für Streitigkeiten aus dem Steuerrecht, insbesondere für folglich alle Angelegenheiten, in denen Abgaben, Steuern und steuerliche Nebenleistungen durch Verwaltungsakte gegenüber natürlichen oder juristischen Personen festgesetzt werden. Sie regelt die Zuständigkeit, das Verfahren und die Befugnisse der Finanzgerichte einschließlich ihrer Instanzen.
Verhältnis zu anderen Verfahrensgesetzen
Die Vorschriften der Finanzgerichtsordnung gehen als lex specialis anderen allgemeinen Regelungen wie der Zivilprozessordnung (ZPO) oder der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vor, sofern steuerrechtliche Abgabenstreitigkeiten betroffen sind. In Einzelfällen verweist die FGO ausdrücklich auf Vorschriften aus anderen Prozessordnungen, soweit keine eigenständigen spezialgesetzlichen Regelungen bestehen.
Aufbau der Finanzgerichtsordnung im Einzelnen
Allgemeine Vorschriften (§§ 1-8 FGO)
Die Eingangsbestimmungen der FGO enthalten allgemeine Grundsätze zum Aufbau der Finanzgerichtsbarkeit, zur Besetzung der Senate sowie Vorschriften über Gerichtsstandsfragen und unzuständige bzw. übergeordnete Gerichte. Die Finanzgerichte sind ein selbständiger Zweig der Fachgerichtsbarkeit in Deutschland.
Rechtsweg (§§ 33-37 FGO)
Die FGO legt fest, dass Besteuerungsstreitigkeiten sowie Streitigkeiten über Kindergeld und steuerliche Nebenleistungen dem Finanzrechtsweg unterliegen. Die genaue Abgrenzung zum Verwaltungs- und Zivilrechtsweg folgt den Vorschriften der §§ 33 ff. FGO.
Beteiligte am Verfahren (§§ 40-62 FGO)
Im Mittelpunkt stehen Bestimmungen betreffend die Beteiligten des finanzgerichtlichen Verfahrens, namentlich Kläger, Beklagter, Beigeladene und der Prozessbevollmächtigte. Die Mitwirkung der Beteiligten ist in § 79 FGO in Form des Amtsermittlungsgrundsatzes geregelt. Die Beteiligten sind verpflichtet, alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen umfassend vorzutragen.
Verfahren vor dem Finanzgericht (§§ 63-135 FGO)
Hier finden sich die Regelungen zu
- Klagearten: Insbesondere Anfechtungs-, Verpflichtungs- sowie Feststellungsklage
- Klagebefugnis: Erforderlich ist die Verletzung subjektiver Rechte durch einen Verwaltungsakt
- Statthaftigkeit und Besonderheiten der Klageformen
- Fristen und Formerfordernisse: Etwa die Frist zur Klageerhebung nach Zuteilung eines Einspruchsbescheides
- Besonderheiten wie Aussetzung der Vollziehung und einstweiliger Rechtsschutz
Beweisaufnahme (§§ 81-90 FGO)
Die Beweisaufnahme im finanzgerichtlichen Verfahren erfolgt nach dem Amtsermittlungsgrundsatz, ergänzt um die Möglichkeit der Beteiligten, bestimmte Beweismittel zu benennen. Zulässig sind Zeugenbeweis, Urkunde, Augenschein, Sachverständigengutachten sowie Auskünfte von Behörden.
Entscheidung und Rechtsmittel (§§ 93-155 FGO)
Die Urteile der Finanzgerichte beruhen auf mündlicher oder schriftlicher Entscheidung. Im Anschluss sind nach Maßgabe gesetzlicher Voraussetzungen Rechtsmittel möglich. Der Instanzenzug gliedert sich wie folgt:
- Berufung/Revisionsverfahren: Die Sprungrevision und Revision zum Bundesfinanzhof gemäß §§ 115 ff. FGO
- Beschwerde und Gegenvorstellung: Möglich gegen bestimmte Verfahrenshandlungen und Beschlüsse
Gerichtlicher Instanzenzug und Aufgabenbereiche
Finanzgerichte
Die Finanzgerichte sind Landesgerichte und die Eingangsinstanz für finanzgerichtliche Streitigkeiten. Sie entscheiden mit Senaten, denen abgeordnete Richterinnen und Richter sowie ehrenamtliche Richterinnen und Richter angehören.
Bundesfinanzhof
Der Bundesfinanzhof mit Sitz in München ist als Revisionsinstanz oberstes Gericht der Steuergerichtsbarkeit. Er entscheidet über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung und sichert die Einheit der Rechtsprechung.
Besondere Verfahrensarten nach FGO
Eilrechtsschutz (§§ 114, 69 FGO)
Der Eilrechtsschutz ermöglicht vorläufigen Rechtsschutz bei drohenden schweren Nachteilen, etwa die Aussetzung der Vollziehung eines streitigen Verwaltungsakts.
Kostenregelung (§§ 135-143 FGO)
Bestimmungen zu Gerichtskosten, Auslagen und der Kostentragungspflicht der Beteiligten sind detailliert geregelt. Grundsatz ist, dass die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens trägt.
Rechtswirkung, Bedeutung und aktuelle Aspekte
Die FGO sichert den Rechtsschutz gegen steuerliche Verwaltungsakte und gewährleistet damit, dass staatliche Eingriffe im Bereich der Steuerhoheit auf ihre Rechtmäßigkeit kontrolliert werden können. Sie ist grundlegend für das Funktionieren einer rechtstaatlich verfassten Steuergerichtsbarkeit und stellt einen Korrektivmechanismus zu möglichen Fehlern oder Unrechtmäßigkeiten der Finanzverwaltungen bereit.
Reformen und aktuelle Entwicklungen
In Reaktion auf komplexer werdende steuerrechtliche Fragestellungen wird die FGO fortlaufend novelliert. Wesentliche Neuerungen betreffen Digitalisierung, Verfahrensvereinfachung und Anpassungen im Rahmen der europäischen Integration, insbesondere mit Blick auf EU-Steuerrecht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
Literatur und weiterführende Quellen
- Gesetzestext zur Finanzgerichtsordnung (FGO)
- Bundesfinanzhof (www.bundesfinanzhof.de)
- Schrifttum und Kommentierung, z.B. „Tipke/Krüger, Finanzgerichtsordnung“
- Verweise und Synopsen in Fachportalen des Bundesministeriums der Justiz
Zusammenfassung
Die Finanzgerichtsordnung ist das tragende gesetzliche Fundament des finanzgerichtlichen Verfahrens in Deutschland. Sie regelt umfassend Zuständigkeit, Ablauf und Entscheidungsbefugnisse der Finanzgerichte, sorgt für fairen und effektiv ausgestalteten Rechtsschutz im Steuerrecht und trägt zu einer einheitlichen, nachvollziehbaren Verfahrensführung im Interesse aller Steuerpflichtigen und der Allgemeinheit bei.
Häufig gestellte Fragen
Welche Verfahrensarten sind vor den Finanzgerichten nach der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgesehen?
Vor den Finanzgerichten sieht die Finanzgerichtsordnung mehrere Verfahrensarten vor, um den unterschiedlichen Anforderungen im Steuerrecht gerecht zu werden. Das Hauptverfahren ist das Klageverfahren, das insbesondere Streitigkeiten über Steuerbescheide, sonstige Verwaltungsakte auf dem Gebiet der Steuern und steuerlichen Nebenleistungen betrifft. Daneben gibt es das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das insbesondere durch den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bzw. einstweilige Anordnung (§§ 69, 114 FGO) geprägt ist und dazu dient, vorläufige Maßnahmen bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu regeln. Weiterhin existieren besondere Verfahrensarten wie das Verfahren auf Zulassung der Revision (§ 115 FGO), das Verfahren zur Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens (§§ 134 ff. FGO) oder die Untätigkeitsklage (§ 46 Abs. 1 FGO), die bei fehlender Bescheidung durch die Finanzverwaltung eröffnet ist. Hinzu kommen kostenrechtliche Verfahren, etwa in Bezug auf die Festsetzung von Kosten nach § 155 FGO i.V.m. Zivilprozessordnung (ZPO). Die verschiedenen Verfahrensarten sind strikt geregelt und unterscheiden sich hinsichtlich Zuständigkeit, Prüfungsumfang und Rechtsmittelmöglichkeiten.
Welche Rolle spielt der Grundsatz der Amtsermittlung (§ 76 FGO) im finanzgerichtlichen Verfahren?
Der Grundsatz der Amtsermittlung ist ein zentrales Prinzip der Finanzgerichtsordnung. Nach § 76 FGO ist das Finanzgericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, unabhängig von den Anträgen und Beweisanträgen der Beteiligten. Das Gericht muss dabei alle entscheidungserheblichen Tatsachen ermitteln und ist nicht an das sogenannte Beibringungsprinzip gebunden, wie es etwa im Zivilprozess herrscht. Das bedeutet, dass das Gericht eigenständig Beweise erhebt, Unterlagen anfordert, Zeugen oder Sachverständige anhört oder schriftliche Auskünfte einholt, soweit dies zur Sachverhaltsaufklärung notwendig erscheint. Die Beteiligten haben eine Mitwirkungspflicht, insbesondere bei der Vorlage von Urkunden, der Beantwortung gerichtlicher Fragen und der Darstellung des Tatsachenvortrags. Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht kann im Rechtsmittelverfahren (z.B. Revision) gerügt werden und zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils führen, wenn der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt wurde.
Welche Fristen sind bei Klageerhebung und Rechtsmittelverfahren nach der FGO zu beachten?
Die Finanzgerichtsordnung sieht für die Erhebung der Klage und die Einlegung von Rechtsmitteln strenge Fristen vor. Die Klage gegen einen Verwaltungsakt – insbesondere einen Steuerbescheid – muss gemäß § 47 Abs. 1 FGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erhoben werden. Erfolgt keine Einspruchsentscheidung, etwa bei Untätigkeit der Finanzbehörde, kann unter gewissen Voraussetzungen Untätigkeitsklage erhoben werden, wobei eine Frist von sechs Monaten nach Einspruchserhebung einzuhalten ist (§ 46 Abs. 1 FGO). Für das Rechtsmittel der Revision gelten die Fristen des § 120 FGO; Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils einzulegen und zu begründen. Auch andere Rechtsmittel, wie die Beschwerde oder die Anhörungsrüge (§ 133a FGO), unterliegen bestimmten Fristen, meist ebenfalls von einem Monat. Die Einhaltung der jeweiligen Fristen ist zwingend, da eine verspätete Einlegung grundsätzlich zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führt; Ausnahmen sind nur in besonderen Fällen, wie etwa bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO), möglich.
Inwiefern ist die Öffentlichkeit im finanzgerichtlichen Verfahren nach der FGO gewährleistet?
Das finanzgerichtliche Verfahren ist grundsätzlich öffentlich, wie § 52 FGO in Anlehnung an Grundsätze des allgemeinen Prozessrechts vorschreibt. Das bedeutet, dass die Verhandlungen öffentlich sind und grundsätzlich jedermann Zugang zur mündlichen Verhandlung hat. Hiervon gibt es jedoch Ausnahmen: Die Öffentlichkeit kann ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wenn besondere schutzwürdige Interessen, etwa das Steuergeheimnis nach § 30 Abgabenordnung, betroffen sind oder wenn eine Gefährdung von Staatsinteressen zu besorgen ist. Der Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt durch Beschluss des Gerichts. Die Urteilsverkündung ist stets öffentlich, allerdings können auch hier Teile der Begründung nicht vorgetragen werden, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen dies erfordern. Die Anfertigung von Ton-, Film- oder Bildaufnahmen bedarf grundsätzlich der Erlaubnis des Gerichts. Die Öffentlichkeit dient der Kontrolle der Rechtsprechung und der Transparenz des Verfahrens.
Welche Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes gewährt die FGO?
Die FGO gewährt verschiedenen Formen des einstweiligen Rechtsschutzes, um den Rechtsschutz der Beteiligten zu sichern, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache nicht rechtzeitig ergehen kann oder gravierende Nachteile durch die Vollziehung von Bescheiden drohen. Hauptinstrumente sind der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO). Die Aussetzung der Vollziehung betrifft die (vorläufige) Suspendierung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts und kann sowohl bei der Finanzbehörde als auch beim Gericht beantragt werden. Die einstweilige Anordnung dient darüber hinaus dem vorläufigen Schutz in sonstigen Fällen, etwa zur Sicherung eines bestehenden Zustandes oder zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses. Die Anträge müssen jeweils eine ersichtliche Eilbedürftigkeit oder drohende, nicht wiedergutzumachende Nachteile für den Antragsteller darlegen. Über die Anträge entscheidet das Gericht in einem summarischen Verfahren, wobei Glaubhaftmachung der Tatsachen durch den Antragsteller ausreicht.
Wie erfolgt die Beweisaufnahme im Verfahren vor den Finanzgerichten?
Die Beweisaufnahme im finanzgerichtlichen Verfahren richtet sich nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 76 FGO, wobei das Gericht von Amts wegen den Sachverhalt erforscht. Als Beweismittel zulässig sind insbesondere die Vernehmung von Zeugen, die Einholung von Sachverständigengutachten, die Vorlage von Urkunden und Akten, die Einnahme des Augenscheins sowie die schriftliche Anhörung von Beteiligten. Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen über Notwendigkeit und Umfang der Beweisaufnahme (sog. Beweiserhebungsgrundsatz). Es ist nicht verpflichtet, allen Beweisanträgen zu entsprechen, muss diese aber würdigen und entsprechend begründen, falls sie abgelehnt werden. Die Beweisaufnahme erfolgt im Regelfall in der mündlichen Verhandlung und unterliegt der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden. Die Ergebnisse werden protokolliert und bilden die Entscheidungsgrundlage. Die Nichtdurchführung erheblicher, angebotener Beweise kann im Rechtsmittelverfahren gerügt werden.
Welche Kostenregelungen gelten nach der FGO im finanzgerichtlichen Verfahren?
Die Kostenregelungen im finanzgerichtlichen Verfahren ergeben sich aus §§ 135 ff. FGO sowie ergänzend aus dem Gerichtskostengesetz (GKG). Grundsätzlich gilt, dass der unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens trägt (§ 135 Abs. 1 FGO). Soweit das Verfahren teilweisen Erfolg hat, erfolgt eine entsprechende Kostenteilung. Gerichtskosten (Gerichtsgebühren und Auslagen) entstehen mit Klageerhebung oder Einlegung des Rechtsmittels. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach dem Streitwert, der vom Gericht festgesetzt wird. Prozesskostenhilfe ist nach § 142 FGO unter bestimmten Bedingungen möglich, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers dies rechtfertigen und hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Außerdem sieht die FGO die Möglichkeit vor, Kosten aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise zu erlassen (§ 139 FGO). Außergerichtliche Kosten, etwa Rechtsanwaltsgebühren, können ebenfalls erstattungsfähig sein, wenn dies vom Gericht ausdrücklich ausgesprochen wird. Bei kostenrechtlichen Streitigkeiten entscheidet das Gericht durch besonderen Kostenfestsetzungsbeschluss.