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Finanzgerichtsordnung

Finanzgerichtsordnung: Bedeutung, Zweck und Anwendungsbereich

Die Finanzgerichtsordnung ist das Verfahrensrecht der Finanzgerichtsbarkeit in Deutschland. Sie legt fest, wie Streitigkeiten in Steuer- und Zollsachen vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof abgewickelt werden. Im Mittelpunkt stehen die Regeln, nach denen Klagen erhoben, Verfahren geführt, Beweise erhoben, Entscheidungen getroffen und Rechtsmittel eingelegt werden. Die Finanzgerichtsordnung bildet damit das rechtliche Fundament für die gerichtliche Klärung öffentlich-rechtlicher Abgabenangelegenheiten.

Geltungsbereich und typische Streitgegenstände

Die Finanzgerichtsordnung erfasst vor allem Streitigkeiten, die aus Verwaltungsakten der Finanzbehörden entstehen. Dazu zählen insbesondere:

  • Steuerfestsetzungen und Vorauszahlungen auf Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- oder Erbschaftsteuer
  • Steuermessbeträge, etwa für Gewerbe- oder Grundsteuer
  • Einfuhr- und Verbrauchsteuern sowie zollrechtliche Entscheidungen
  • Haftungs- und Nachforderungsbescheide
  • Kindergeldangelegenheiten nach dem Einkommensteuerrecht
  • Fragen der Vollstreckung, Säumniszuschläge und Nebenleistungen im Abgabenrecht

Nicht erfasst sind private Streitigkeiten, sondern ausschließlich öffentlich-rechtliche Auseinandersetzungen im Bereich der Abgabenverwaltung.

Aufbau der Finanzgerichtsbarkeit

Instanzenzug

Die Finanzgerichtsbarkeit ist zweistufig aufgebaut: In den Ländern bestehen Finanzgerichte als Tatsacheninstanz. Als Revisionsinstanz entscheidet der Bundesfinanzhof über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder bei behaupteten Rechtsfehlern der Vorinstanz. Für bestimmte Zwischenentscheidungen gibt es eigenständige Beschwerdewege.

Besetzung der Senate

Die Senate der Finanzgerichte sind in der Regel mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern sowie ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern besetzt. In geeigneten Fällen kann ein Einzelrichter zuständig sein. Der Bundesfinanzhof entscheidet in Senaten ausschließlich mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern.

Vertretung vor Gericht

Vor den Finanzgerichten besteht grundsätzlich kein Vertretungszwang. Vor dem Bundesfinanzhof ist in der Regel Vertretung durch vertretungsbefugte Berufsangehörige erforderlich.

Verfahrensgrundsätze

Amtsermittlung und Verfahrensleitung

Das Gericht ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist an die Tatsachendarstellung der Beteiligten nicht gebunden und kann eigene Beweise erheben. Zugleich sind die Beteiligten zur Mitwirkung verpflichtet, insbesondere bei der Vorlage von Unterlagen und der Sachverhaltsaufklärung.

Rechtliches Gehör und Öffentlichkeit

Die Beteiligten erhalten Gelegenheit, sich zu allen entscheidungserheblichen Punkten zu äußern. Mündliche Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich. In gesetzlich geregelten Ausnahmefällen kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.

Schriftliches und mündliches Verfahren

Regelfall ist die mündliche Verhandlung. Ein schriftliches Verfahren ist möglich, wenn die Beteiligten darauf verzichten oder das Gericht es für sachgerecht hält.

Klagearten und Anträge

Anfechtungsklage

Richtet sich gegen belastende Verwaltungsakte, etwa gegen Steuer- oder Haftungsbescheide, mit dem Ziel, diese aufzuheben oder zu ändern.

Verpflichtungsklage

Zielt darauf ab, die Behörde zu einem beantragten Verwaltungsakt oder zu einer unterlassenen Entscheidung zu veranlassen.

Untätigkeitsklage

Kommt in Betracht, wenn die Behörde innerhalb angemessener Frist nicht entscheidet.

Feststellungsklage

Dient der Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, wenn kein vorrangiger Rechtsschutz über eine andere Klageart möglich ist.

Leistungsklage

Auf die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Leistung gerichtet, soweit dies im Abgabenrecht in Betracht kommt.

Eilrechtsschutz

Für vorläufige Regelungen stehen Anträge auf Aussetzung der Vollziehung oder auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verfügung, wenn eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann und ein Schutzbedürfnis besteht.

Vorverfahren und Klageerhebung

Einspruchsverfahren

In vielen Fällen ist vor der Klage ein außergerichtliches Vorverfahren vorgesehen. Es dient der Überprüfung der behördlichen Entscheidung und kann zu Abhilfe, Änderung oder Bestätigung führen.

Fristen und Formerfordernisse

Die Klage ist innerhalb gesetzlicher Fristen zu erheben, in der Regel binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über das Vorverfahren oder des Verwaltungsakts, sofern ein Vorverfahren entbehrlich ist. Die Klageschrift muss bestimmte Mindestangaben enthalten, insbesondere die Bezeichnung der Beteiligten, den angegriffenen Verwaltungsakt und das Klageziel.

Beteiligtenfähigkeit und Beiladung

Beteiligte sind natürliche und juristische Personen sowie Behörden. Dritte können beigeladen werden, wenn ihre rechtlichen Interessen von der Entscheidung berührt werden.

Beweis und Mitwirkung

Beweismittel

Typische Beweismittel sind Urkunden, Akten, Zeugen, Sachverständige sowie die Einnahme eines Augenscheins. Im Steuerbereich spielen Buch- und Belegnachweise eine zentrale Rolle.

Beweislast und Feststellungslast

Das Gericht ermittelt selbständig, gleichwohl verbleibt die objektive Feststellungslast bei derjenigen Seite, die sich auf für sie günstige Tatsachen beruft, sofern diese trotz Amtsermittlung ungeklärt bleiben.

Akteneinsicht

Die Beteiligten können Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Akten nehmen, soweit schutzwürdige Interessen dem nicht entgegenstehen.

Entscheidung, Vergleich und Verfahrensbeendigung

Urteil und Beschluss

Hauptsächlich wird durch Urteil entschieden. Über prozessleitende Maßnahmen und bestimmte Nebenpunkte wird durch Beschluss befunden.

Vergleich und Erledigung

Das Verfahren kann durch gerichtlichen Vergleich beendet werden. Auch eine Erledigung der Hauptsache ist möglich, wenn der Streitgegenstand nachträglich weggefallen ist oder die Beteiligten dies übereinstimmend erklären.

Kosten, Gebühren und Streitwert

Gerichtsgebühren richten sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Sache. Die unterliegende Seite trägt in der Regel die Kosten des Verfahrens; hierzu zählen Gerichtsgebühren und notwendige Auslagen der Gegenseite. Bei teilweisem Obsiegen erfolgt eine anteilige Kostenverteilung. Für den Eilrechtsschutz gelten eigenständige Gebührenregelungen.

Rechtsmittel und weitere Rechtsschutzmöglichkeiten

Revision

Gegen Urteile der Finanzgerichte kann die Revision zum Bundesfinanzhof gegeben sein, insbesondere bei grundsätzlicher Bedeutung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Wird die Revision nicht zugelassen, kommt eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung in Betracht.

Sprungrevision

Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Sache unmittelbar zum Bundesfinanzhof gebracht werden, wenn alle Beteiligten einverstanden sind und das Gericht dies zulässt.

Beschwerde

Gegen bestimmte Beschlüsse, vor allem im einstweiligen Rechtsschutz oder bei Kostenfragen, ist die Beschwerde statthaft.

Elektronischer Rechtsverkehr und Formfragen

Eingaben an das Gericht können in Papierform oder über den elektronischen Rechtsverkehr erfolgen, sofern die technischen Vorgaben eingehalten werden. Elektronische Dokumente müssen die festgelegten Formate und Signaturanforderungen erfüllen, damit sie wirksam sind.

Verhältnis zu anderen Rechtswegen

Die Finanzgerichtsbarkeit ist für öffentlich-rechtliche Abgabenangelegenheiten zuständig, die von Finanz- und Zollbehörden verwaltet werden. In anderen öffentlich-rechtlichen Bereichen sind regelmäßig die Verwaltungsgerichte, Sozialgerichte oder Arbeitsgerichte zuständig. Maßgeblich ist der Gegenstand des Verwaltungsakts und die gesetzliche Zuweisung.

Europarechtliche Bezüge

In Abgaben- und Zollsachen spielen unionsrechtliche Vorgaben eine wichtige Rolle. Finanzgerichte wenden Unionsrecht an und können Fragen zur Auslegung dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegen, wenn dies für die Entscheidung erforderlich ist.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Finanzgerichtsordnung

Was regelt die Finanzgerichtsordnung?

Sie bestimmt den Ablauf von Verfahren vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof in Steuer- und Zollsachen. Dazu gehören Klagearten, Fristen, Beweisregeln, Entscheidungsformen, Kosten sowie Rechtsmittel.

Für welche Streitigkeiten ist die Finanzgerichtsordnung einschlägig?

Für öffentlich-rechtliche Abgabenangelegenheiten, insbesondere Steuerfestsetzungen, Zollsachen, Haftungsbescheide, Messbeträge und Kindergeld nach dem Einkommensteuerrecht. Nicht erfasst sind private Rechtsstreitigkeiten.

Muss vor der Klage ein außergerichtliches Verfahren stattfinden?

In vielen Fällen geht der Klage ein behördliches Überprüfungsverfahren voraus, das der internen Kontrolle von Verwaltungsakten dient. Ausnahmen sind gesetzlich vorgesehen.

Welche Klagearten gibt es vor dem Finanzgericht?

Hauptsächlich Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Untätigkeits- und Feststellungsklage; in bestimmten Konstellationen auch Leistungsklage. Für eilbedürftige Situationen stehen vorläufige Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung.

Welche Fristen gelten typischerweise für die Klage?

Die Klage ist innerhalb gesetzlicher Fristen zu erheben. Üblich ist eine Frist von einem Monat nach Bekanntgabe der maßgeblichen Entscheidung, Abweichungen sind jedoch möglich.

Wie läuft ein Verfahren vor dem Finanzgericht ab?

Nach Klageeingang tauschen die Beteiligten Schriftsätze aus, das Gericht ermittelt den Sachverhalt, setzt einen Termin zur mündlichen Verhandlung an oder entscheidet im schriftlichen Verfahren. Die Entscheidung ergeht als Urteil oder Beschluss.

Welche Kosten entstehen im finanzgerichtlichen Verfahren?

Gerichtsgebühren richten sich nach dem wirtschaftlichen Interesse; die unterliegende Seite trägt regelmäßig die Kosten. Bei teilweisem Erfolg erfolgt eine anteilige Verteilung. Für Eilverfahren gelten besondere Gebühren.

Welche Rechtsmittel gibt es gegen Entscheidungen der Finanzgerichte?

Gegen Urteile kann die Revision zum Bundesfinanzhof eröffnet sein. Wird sie nicht zugelassen, ist eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung vorgesehen. Gegen bestimmte Beschlüsse ist die Beschwerde statthaft.