Begriff und Bedeutung von Familienstreitsachen
Familienstreitsachen sind ein zentraler Begriff des deutschen Familienrechts und bezeichnen bestimmte zivilrechtliche Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit familienrechtlichen Beziehungen stehen. Sie sind in der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) umfassend geregelt und unterliegen besonderen verfahrensrechtlichen Bestimmungen. Ziel ist die Beilegung von Auseinandersetzungen, die aus persönlichen und rechtlichen Beziehungen innerhalb einer Familie oder aus dem bürgerlichen Ehe- oder Kindschaftsrecht resultieren.
Rechtsgrundlagen der Familienstreitsachen
Allgemeine gesetzliche Grundlagen
Die rechtlichen Grundlagen der Familienstreitsachen finden sich überwiegend im FamFG, insbesondere in den §§ 112 bis 127 FamFG, welche den Begriff, die Abgrenzung und die einzelnen Arten dieser Verfahren regeln. Darüber hinaus sind Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) und ergänzend zivilprozessuale Vorschriften der ZPO anzuwenden.
Definition gemäß § 112 FamFG
Nach § 112 FamFG zählen zu den Familienstreitsachen insbesondere:
- Ehescheidung und Folgesachen (z. B. Unterhalt, Versorgungsausgleich, Güterrecht)
- Streitigkeiten zwischen Eltern in Bezug auf die elterliche Sorge und das Umgangsrecht
- Rechtsstreitigkeiten und Verfahren betreffend Abstammung
Abgrenzung: Familienstreitsachen und andere Familiensachen
Eine entscheidende Unterscheidung besteht zwischen Familienstreitsachen und sonstigen Familiensachen. Letztere umfassen alle Angelegenheiten, die außerhalb des eigentlichen Streits durch gerichtliche Entscheidung geregelt werden, etwa Adoptionsverfahren, Betreuung oder Pflegschaft. Für Familienstreitsachen gelten grundsätzlich die Vorschriften der Zivilprozessordnung, während auf sonstige Familiensachen häufig das formelle Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Anwendung findet.
Arten und Beispiele von Familienstreitsachen
Ehescheidung
Die Scheidung einer Ehe ist prototypische Familienstreitsache. Scheidungsverfahren können entweder als streitige oder als einvernehmliche Scheidung durchgeführt werden. Häufig werden mit der Ehescheidung weitere Folgesachen verbunden, wie Unterhalt oder Vermögensauseinandersetzung.
Folgesachen
Zu den häufigsten Folgesachen im Zusammenhang mit der Ehescheidung zählen:
- Unterhaltsstreitigkeiten: Ansprüche auf Trennungsunterhalt, nachehelichen Unterhalt oder Kindesunterhalt.
- Güterrechtliche Streitigkeiten: Fragen rund um den Zugewinnausgleich oder die Vermögensauseinandersetzung.
- Sorge- und Umgangsregelungen: Klärung der gemeinsamen oder alleinigen elterlichen Sorge und des Umgangsrechts.
Abstammungsrechtliche Streitigkeiten
Auch Fragen der Abstammung, insbesondere Anfechtung und Feststellung der Vaterschaft, sowie Rechte und Pflichten aus der Eltern-Kind-Beziehung werden als Familienstreitsachen behandelt.
Gerichtsverfahren in Familienstreitsachen
Besonderheiten des Verfahrens
Das Verfahren in Familienstreitsachen folgt den Besonderheiten des FamFG, jedoch mit starken Anleihen an die Zivilprozessordnung. Hierzu zählen unter anderem:
- Antragserfordernis: Einleitung des Verfahrens durch Antrag einer Partei.
- Parteifähigkeit und Beteiligung: Beteiligungsmöglichkeiten für Ehegatten, Eltern, Kinder und weitere Angehörige.
- Der Grundsatz des Amtsermittlungsprinzips: Das Gericht untersucht von Amts wegen den Sachverhalt, insbesondere in Kindschaftssachen.
- Mündliche Verhandlung: In der Regel findet eine mündliche Verhandlung mit persönlichem Erscheinen statt.
Zuständigkeit der Gerichte
Örtlich und sachlich zuständig ist regelmäßig das Amtsgericht als Familiengericht. Die Zuständigkeit richtet sich insbesondere nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien oder der Kinder.
Besonderheiten im Umgangs- und Sorgerecht
Umgangsrechtliche Konflikte
Diese entstehen, wenn Eltern oder andere Bezugspersonen uneinig über das Umgangsrecht mit einem Kind werden. Gerichte müssen hierbei insbesondere das Kindeswohl in den Mittelpunkt der Entscheidung stellen und können auch Umgangsausschlüsse oder -beschränkungen aussprechen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.
Sorgeverfahren
Streitigkeiten über die elterliche Sorge betreffen Aspekte wie Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitssorge und Vermögenssorge für das Kind. Auch hier ist das Kindeswohl leitender Maßstab für die gerichtliche Entscheidung.
Kosten und Kostenentscheidung in Familienstreitsachen
Gerichtskosten und anwaltliche Gebühren
Für Familienstreitsachen gilt ein gesondertes Kostenrecht. Die Gerichtsgebühren richten sich nach dem Streitwert, der für den jeweiligen Einzelfall vom Gericht festgesetzt wird. Auch Kosten für rechtliche Vertretung sind zu berücksichtigen.
Kostenverteilung
Die Verteilung der Kosten richtet sich nach § 81 FamFG, wobei das Gericht zu prüfen hat, in welchem Umfang die Beteiligten die Kosten des Verfahrens zu tragen haben. Von dem Grundsatz der Kostenaufhebung kann im Bereich der Familienstreitsachen aus Billigkeitsgründen abgewichen werden.
Vollstreckung familiengerichtlicher Entscheidungen
Entscheidungen, insbesondere zu Unterhalt, Umgang oder Sorgerecht, sind vollstreckbar. Es gelten besondere Vollstreckungsvorschriften, beispielsweise gemäß §§ 86 ff. FamFG bei Umgangsregelungen. Bei Nichtbefolgung können Zwangs- oder Ordnungsmittel verhängt werden.
Verjährung und Ausschlussfristen
In Familienstreitsachen gelten für verschiedene Ansprüche und Verfahren unterschiedliche Verjährungsfristen und Ausschlussfristen. Beispielsweise ist für Unterhaltsansprüche grundsätzlich die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren maßgebend. Für güterrechtliche Ansprüche aus dem Zugewinnausgleich gelten spezielle Fristen.
Zusammenfassung
Familienstreitsachen stellen einen vielschichtigen Bereich des deutschen Familienrechts dar. Sie umfassen sämtliche gerichtlichen Auseinandersetzungen im Kontext familiärer Beziehungen, insbesondere im Zusammenhang mit Ehe, Lebenspartnerschaft, Eltern-Kind-Verhältnissen und Abstammung. Das Verfahren folgt besonderen gesetzlichen Regelungen, die vor allem auf einen schnellen, sachgerechten und am Kindeswohl orientierten Streitbeilegungsmechanismus abzielen. Die rechtliche Behandlung von Familienstreitsachen berücksichtigt dabei stets die Interessen der Beteiligten unter besonderem Schutz familiärer Bindungen und des Kindeswohls.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist in Familienstreitsachen eigentlich zuständig?
In Familienstreitsachen sind in der Regel die Familiengerichte zuständig, welche bei den Amtsgerichten eingerichtet sind. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich insbesondere nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der beteiligten Personen, zum Beispiel bei Ehesachen nach dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten oder, falls ein solcher nicht besteht, nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der minderjährigen Kinder. Gibt es auch hierbei keine Klarheit, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Antragsgegner wohnt. Weitere Zuständigkeitsregelungen, wie etwa Sonderzuständigkeiten bei internationaler Zuständigkeit oder bei Eilverfahren, können im Einzelfall greifen. Die Zuständigkeit richtet sich maßgeblich nach den Paragraphen § 122 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) sowie weiteren spezielleren Vorschriften.
Muss ich mich in Familienstreitsachen von einem Anwalt vertreten lassen?
In den meisten Familienstreitsachen besteht Anwaltszwang, das heißt, die Beteiligten müssen sich vor dem Gericht durch einen zur Vertretung berechtigten Rechtsanwalt vertreten lassen. Dies betrifft insbesondere Ehesachen (z. B. Scheidung) sowie Verfahren, in denen das Gericht einen förmlichen Ausspruch trifft, zum Beispiel über den Zugewinnausgleich. Ausgenommen vom Anwaltszwang sind in der Regel lediglich einfache Kindschaftssachen (z. B. Umgangsrecht, Sorgerecht), soweit diese keine außerordentliche Komplexität oder Eskalation aufweisen und dort keine Folgesachen verhandelt werden. Der Anwaltszwang dient dem Schutz der Parteien und der Gewährleistung eines geordneten Verfahrensablaufs, da das Familienrecht oftmals sehr komplex und von tiefgreifenden persönlichen Konsequenzen geprägt ist.
Welche Verfahrenskosten entstehen in Familienstreitsachen und wer trägt diese?
Die Verfahrenskosten in Familienstreitsachen setzen sich aus Gerichtskosten und den Kosten der beteiligten Rechtsanwälte zusammen. Die Gerichtskosten werden nach dem Gegenstandswert (Streitwert) berechnet, der vom Familiengericht festgesetzt wird und sich zum Beispiel bei einer Scheidung nach dem dreifachen Nettoeinkommen der Ehegatten richtet. Die Rechtsanwaltskosten bestimmen sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), wobei ebenfalls der Gegenstandswert maßgeblich ist. Über die Kostenentscheidung entscheidet das Gericht im Rahmen des Urteils oder Beschlusses; häufig gilt in Familienstreitsachen ausnahmsweise, dass jede Partei ihre Kosten selbst trägt. In Angelegenheiten mit besonders schutzbedürftigen Personen (wie Kindschaftssachen) kann von der Kostentragungspflicht abgesehen werden. Darüber hinaus ist in bestimmten Fällen Verfahrenskostenhilfe möglich, sofern die wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen und ausreichende Erfolgsaussichten für das Verfahren bestehen.
Welche Rolle spielen das Jugendamt und andere Stellen im familiengerichtlichen Verfahren?
Das Jugendamt nimmt in familiengerichtlichen Verfahren eine besondere Stellung ein, insbesondere in Kindschaftssachen. Es wird regelmäßig zur Anhörung und Beratung hinzugezogen und kann selbst Anträge stellen, etwa zur Gefährdung des Kindeswohls. Das Jugendamt unterstützt die Eltern und das Gericht, um eine Lösung zum Wohl des Kindes zu erreichen. Daneben können weitere Stellen wie Verfahrensbeistände (sogenannte „Anwälte des Kindes“) bestellt werden, die die Interessen des Kindes im Verfahren vertreten. Sachverständige können hinzugezogen werden, wenn spezielle Fachfragen – etwa zur Kindesentwicklung – geklärt werden müssen.
Ist eine einvernehmliche Einigung im Familienverfahren möglich oder muss immer entschieden werden?
Eine einvernehmliche Einigung ist im Familienverfahren ausdrücklich gewünscht und wird von den Gerichten gefördert. Ziel des familiengerichtlichen Verfahrens ist es, möglichst einvernehmliche Lösungen zwischen den Parteien herbeizuführen, insbesondere in Kindschaftssachen, um nachhaltige Konflikte zu vermeiden. Das Gericht kann und wird auf eine gütliche Einigung hinwirken; es besteht auch die Möglichkeit der Mediation oder der Beratung durch Dritte während des gerichtlichen Verfahrens. Kommt eine Einigung zustande, wird diese in der Regel protokolliert und ist dann vollstreckbar. Nur wenn eine Einigung nicht möglich ist, entscheidet das Gericht durch Urteil oder Beschluss.
Wie läuft ein familiengerichtliches Verfahren ab?
Das familiengerichtliche Verfahren beginnt meist mit dem schriftlichen Antrag einer Partei. Das Gericht setzt daraufhin den Gegenstandswert fest und gibt der Gegenseite Gelegenheit zur Stellungnahme. Je nach Sachverhalt kann das Verfahren vorläufig im schriftlichen Verfahren geführt oder ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden. In der Regel wird ein Termin zur Anhörung der Beteiligten bestimmt, in Kindschaftssachen werden auch Kinder angehört, sofern dies ihrem Wohl dienlich und ihrem Entwicklungsstand angemessen ist. Nach der Anhörung sowie der Einholung von Stellungnahmen und eventuellen Gutachten ergeht ein Beschluss oder Urteil, der den Streit zwischen den Parteien rechtswirksam klärt. Gegen diesen Entscheid können die gesetzlichen Rechtsmittel (Beschwerde, Berufung) eingelegt werden.
Wann wird das Familiengericht von Amts wegen tätig?
Das Familiengericht wird nicht nur auf Antrag einer Partei tätig, sondern in bestimmten Ausnahmefällen auch von Amts wegen, insbesondere wenn das Kindeswohl gefährdet ist. So sieht § 1666 BGB vor, dass das Familiengericht bei festgestellter Kindeswohlgefährdung beispielsweise den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise entziehen kann, auch ohne Antrag Dritter. In solchen Verfahren kann beispielsweise das Jugendamt das Gericht auf eine Gefährdung hinweisen, aber das Gericht ist verpflichtet, auch selbst zu ermitteln und geeignete Maßnahmen zum Schutz des Wohls des Kindes zu veranlassen.