Falsus procurator: Bedeutung, Einordnung und Folgen
Der Ausdruck „falsus procurator“ beschreibt eine Person, die für jemand anderen Verträge oder Erklärungen abgibt, ohne dafür eine wirksame Vertretungsmacht zu haben. Das kann passieren, wenn eine Vollmacht gar nicht existiert, bereits erloschen ist oder der Handelnde die Grenzen seiner Befugnis überschreitet. Der Kern des Themas liegt darin, wessen Erklärung gelten soll und wer für entstandene Risiken einsteht.
Typische Konstellationen
Häufige Fälle sind das Auftreten als Vertreter ohne unterschriebene Vollmacht, das Handeln über einen vereinbarten Höchstbetrag hinaus, die Nutzung einer früheren Vollmacht nach deren Widerruf oder das Auftreten im Namen einer Organisation ohne wirksame interne Ermächtigung.
Vertretung und ihre Abgrenzungen
Vertretungsmacht und Vollmacht
Vertretungsmacht ist die rechtliche Befugnis, für eine andere Person rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben. Sie entsteht meist durch Vollmacht, also eine Ermächtigung. Wer ohne Vertretungsmacht handelt, ist falsus procurator. Von außen ist der Unterschied oft schwer erkennbar; rechtlich ist er jedoch entscheidend für die Wirksamkeit des Geschäfts.
Innen- und Außenverhältnis
Im Innenverhältnis regelt eine Absprache, welche Aufgaben und Grenzen gelten (zum Beispiel Betragsgrenzen oder Genehmigungsvorbehalte). Im Außenverhältnis wirkt die Vollmacht gegenüber Dritten. Überschreitet der Handelnde interne Grenzen, ist die Außenwirkung davon nicht immer betroffen; maßgeblich ist, wie die Vertretungsmacht nach außen erscheint.
Benachbarte Institute: Prokura, Handlungsvollmacht, Rechtsschein
Es existieren besondere Formen der Vertretungsmacht, etwa unternehmensbezogene Vollmachten mit einem klar umrissenen Umfang. Daneben gibt es Fälle, in denen allein der äußere Anschein einer Befugnis (Rechtsschein) zugerechnet wird. Hierzu zählen die geduldete oder wiederholt geduldete Auftretensermächtigung (Duldung) und das verfestigte Auftreten, das der Vertretene bei gehöriger Sorgfalt erkannt und verhindert hätte (Anschein).
Rechtsfolgen des Handelns ohne Vertretungsmacht
Wirksamkeit gegenüber dem Vertretenen
Ein vom falsus procurator abgeschlossenes Rechtsgeschäft bindet den Vertretenen zunächst nicht. Es steht in der Schwebe und wird erst wirksam, wenn der Vertretene es nachträglich genehmigt. Ohne Genehmigung bleibt das Geschäft ihm gegenüber unwirksam. Dritte können eine angemessene Frist zur Genehmigung setzen; erfolgt keine Genehmigung innerhalb der Frist, gilt sie als verweigert.
Rechte des Vertragspartners (Dritter)
Der Vertragspartner ist an sein Angebot nicht dauerhaft gebunden. Er kann bis zur Genehmigung frei bleiben oder nach Fristablauf vom Geschäft Abstand nehmen. Wird genehmigt, wirkt die Genehmigung rückwirkend, als hätte eine Vertretungsmacht von Anfang an bestanden. Wird nicht genehmigt, kommt kein wirksamer Vertrag mit dem Vertretenen zustande.
Haftung des Handelnden
Lehnt der Vertretene die Genehmigung ab oder bleibt sie aus, kann der falsus procurator dem Vertragspartner für den Vertrauensschaden haften. Das bedeutet: Er muss die Nachteile ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass der Vertragspartner auf das Zustandekommen des wirksamen Vertrags vertraut hat (zum Beispiel Kosten vergeblicher Vorbereitung, Differenzschäden durch entgangene Alternativgeschäfte). Eine Haftung entfällt regelmäßig, wenn der Vertragspartner wusste, dass keine Vertretungsmacht bestand, oder wenn er das Risiko bewusst übernommen hat. Besondere Schutzregeln können eingreifen, wenn der Handelnde noch nicht voll geschäftsfähig ist.
Einseitige Rechtsgeschäfte
Einseitige Erklärungen wie Kündigungen oder Rücktritte, die ohne Vertretungsmacht abgegeben werden, entfalten gegenüber dem Adressaten grundsätzlich keine Wirkung, solange keine Genehmigung des Vertretenen vorliegt. Anders verhält es sich, wenn die Erklärung nur als Botenübermittlung einer fremden Entscheidung erfolgt; dann wird die Erklärung dem Vertretenen zugerechnet, sofern die Voraussetzungen der Botenschaft vorliegen.
Rechtsschein und Zurechnung
Duldungsvollmacht
Von Duldung wird gesprochen, wenn der Vertretene weiß, dass eine Person wiederholt in seinem Namen handelt, dies hinnimmt und der Vertragspartner darauf vertraut. Der Vertretene muss sich in solchen Fällen das Handeln zurechnen lassen, obwohl keine ausdrückliche Vollmacht erteilt wurde.
Anscheinsvollmacht
Ein zurechenbarer Anschein entsteht, wenn jemand nach außen erkennbar über längere Zeit wie ein Bevollmächtigter auftritt, der Vertretene dies bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte bemerken und verhindern können und der Vertragspartner auf die bestehende Befugnis vertraut. Der Vertretene wird dann so behandelt, als ob eine Vollmacht bestanden hätte.
Rechtsschein durch Auftritte und Unterlagen
Geschäftspapiere, E-Mail-Signaturen, Organstellungen, Stempel oder Einträge in Registern können Erwartungen über Vertretungsmacht begründen. Wird ein solcher Rechtsschein zurechenbar gesetzt, kann sich der Vertretene am Auftreten festhalten lassen, selbst wenn intern keine oder eine geringere Befugnis vorlag.
Beweislast und zeitliche Grenzen
Beweis der Vollmacht
Wer sich auf Vertretungsmacht beruft, hat deren Bestand und Umfang grundsätzlich darzulegen. Schriftliche Vollmachten, öffentliche Register und die tatsächliche Praxis im Geschäftsverkehr können als Beweismittel dienen. Bestehen Zweifel, kann sich die Frage der Zurechnung über Rechtsschein lösen.
Verjährung
Ansprüche aus dem Auftreten als falsus procurator verjähren nach den allgemeinen Regeln. Die Frist richtet sich nach der Anspruchsart, beginnt typischerweise mit der Entstehung des Anspruchs und kann durch Verhandlungen gehemmt oder durch gerichtliche Schritte unterbrochen werden.
Praktische Erscheinungsformen
Unternehmen und Organisationen
Im Unternehmensalltag treten Fälle auf, in denen Mitarbeitende außerhalb ihrer Zuständigkeit Verträge schließen. Außendarstellung, Organigramme, Vollmachtsketten und interne Kontrollen sind entscheidend dafür, ob ein Rechtsschein entsteht und ob das Unternehmen sich Erklärungen zurechnen lassen muss.
Vereine und Gemeinschaften
Bei Vereinen, Wohnungseigentümergemeinschaften und ähnlichen Zusammenschlüssen kann es vorkommen, dass Mitglieder oder Verwalter ohne erforderliche Zustimmung handeln. Maßgeblich sind die jeweiligen Vertretungsregeln, die Außenwirkung von Beschlüssen und die Frage, ob Dritte auf eine Befugnis vertrauen durften.
Digitale und alltägliche Geschäfte
Im Online-Handel kann der Einsatz von Accounts, E-Mail-Adressen oder digitalen Signaturen den Eindruck einer Vertretungsmacht erwecken. Wer Zugangsmittel nutzt oder zugänglich macht, kann einen zurechenbaren Rechtsschein setzen. Auch im Alltag, etwa bei Abhol- oder Bestellvorgängen, kommt es auf die erkennbare Ermächtigung an.
Internationale Bezüge
Kontinentaleuropäische Rechtsordnungen
Viele kontinentaleuropäische Rechtsordnungen kennen die Schwebe der Wirksamkeit bei fehlender Vertretungsmacht, die Möglichkeit der Genehmigung und eine Haftung des Handelnden für das Vertrauen des Vertragspartners. Rechtsscheininstitute sind weit verbreitet, unterscheiden sich aber in Details.
Common Law
Im anglo-amerikanischen Rechtskreis finden sich vergleichbare Konzepte: apparent authority (Rechtsscheinvollmacht), ratification (nachträgliche Genehmigung) und warranty of authority (Zusicherung, Vertretungsmacht zu besitzen), aus der eine Haftung des Handelnden entstehen kann.
Zusammenfassung
Der falsus procurator handelt im Namen eines anderen ohne wirksame Vertretungsmacht. Das Geschäft ist dem Vertretenen gegenüber zunächst unwirksam und wird nur durch Genehmigung wirksam. Kommt sie nicht zustande, trifft den Handelnden regelmäßig eine Haftung für das enttäuschte Vertrauen des Vertragspartners. Rechtsschein kann dazu führen, dass das Handeln dennoch zugerechnet wird. Die genaue Einordnung hängt von Auftreten, internen Absprachen, der Außendarstellung und den Umständen des Einzelfalls ab.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „falsus procurator“ in einfachen Worten?
Es handelt sich um eine Person, die im Namen eines anderen Verträge schließt oder Erklärungen abgibt, ohne dafür eine wirksame Befugnis zu haben. Der Vertrag bindet die vertretene Person zunächst nicht und wird nur wirksam, wenn sie nachträglich zustimmt.
Ist ein Vertrag mit einem falsus procurator automatisch unwirksam?
Gegenüber der vertretenen Person ist der Vertrag zunächst schwebend unwirksam. Er wird erst wirksam, wenn die vertretene Person das Geschäft genehmigt. Ohne Genehmigung kommt ein wirksamer Vertrag mit ihr nicht zustande.
Kann der Vertragspartner eine Entscheidung über die Genehmigung erzwingen?
Der Vertragspartner kann eine angemessene Frist setzen, innerhalb der die Genehmigung erklärt werden soll. Erfolgt keine Genehmigung innerhalb der gesetzten Frist, gilt sie als verweigert und das Geschäft scheitert gegenüber der vertretenen Person.
Wer haftet, wenn keine Genehmigung erteilt wird?
In der Regel haftet der falsus procurator dem Vertragspartner auf Ersatz des Vertrauensschadens, also der Nachteile, die durch das Vertrauen auf das Zustandekommen eines wirksamen Vertrags entstanden sind. Diese Haftung kann entfallen, wenn der Vertragspartner den Mangel der Vertretungsmacht kannte.
Spielt es eine Rolle, ob der Vertragspartner vom Mangel der Vertretungsmacht wusste?
Ja. War dem Vertragspartner bekannt, dass keine oder keine ausreichende Vertretungsmacht bestand, entfällt typischerweise eine Haftung des Handelnden. Das Risiko liegt dann beim Vertragspartner.
Was ist der Unterschied zwischen Duldungs- und Anscheinsvollmacht?
Bei Duldung weiß der Vertretene, dass jemand regelmäßig in seinem Namen auftritt, und lässt dies geschehen. Beim Anschein hätte der Vertretene das Auftreten bei angemessener Sorgfalt erkennen und verhindern können. In beiden Fällen kann der Rechtsschein dazu führen, dass das Handeln zugerechnet wird.
Gilt das alles auch für einseitige Erklärungen wie Kündigungen?
Einseitige Erklärungen ohne Vertretungsmacht sind grundsätzlich unwirksam, solange keine Genehmigung vorliegt. Eine Wirkung kann sich ausnahmsweise ergeben, wenn lediglich eine fremde Entscheidung als Bote übermittelt wird und die Voraussetzungen der Botenschaft erfüllt sind.
Kann eine nachträgliche Genehmigung rückwirkend wirken?
Ja. Erteilt der Vertretene eine Genehmigung, gilt das Geschäft so, als hätte von Anfang an eine Vertretungsmacht bestanden. Rechte und Pflichten entstehen dann rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses.